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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 153 - No. 179 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0665

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; Organ



der





deutſchen Volkspartei in

! 186.



Paden.







Zie „Öannteimer Abendzeitung“ wird ~ mil Ausnahme der Sonntage und Feſitage -

iäglnch als ÄÜlendblatt ausgegeben. –— CDLer Abonnementzspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtaujſchlag

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Preßjury in Oesterreich.

D.C. In Wien hat dieser Tage der erste Preßprozeß
vor Geſchwornen stattgefunden. Das geht ſo hin als ob's
nichts wäre. Man macht kein Aufhebens davon, als ob
wir in Deutschland mit dergleichen verwöhnt wären. JIſt
man denn in Oesterreich so solide geworden, daß man
gar nicht mehr in die Poſaune ſtößt?! Ueberläßt man
das Klappern ganz den Großpreußen ?! Uns ſoll’s recht
sein. Noch mehr recht aber ein anders –~ wenn näm-
lich erſt der lekte Preßprozez, und sei's auch vor Ge-
ſchwornen stattfindet.

Im Sinne dieses Wortes begrüßen wir lebhaft den
jeßigen Fortschritt. Die Preßjury 1ſt der Tod des Preß-
prozeſſee. So hat sich's in allen Ländern bewährt, wo
mit einiger Stetigkeit das Rechlsgefühl des Volkes ſelbſt
~ das iſt die Jury > die Entſcheidung in Preßſachen
gehabt hat. England, Amerika, die Schweiz –~ wer
kennt da Preßprozeſſe ? Holland, Belgien, Dänemart,
Schweden ~ wie ielten ſind sie da?! Und überall ent-
ſpringt die Folge aus demſelben Grunde : Ter Rechtsſinn
des Volkes sühlt bald durch, . daß bei öffentlichen Partei-
kämpfen in der That ein anderer Maßstab anzulegen iſt
als in Privatſachen, daß die so zu ſagen bestellten und
berufsmäßiger Kämpen der öffentlicen und allgemeinen
Angelegenheiten für den Ernst ihrer Ueberzeugung eine
größete Freiheit haben müſſen, für die Wirkung ihrer
Aeußerungen eine größere Derbheit sich gestatten dürfen
als im gewöhnlichen Leben, daß die Aufregung, welche
ihre Thätigkeit mit sich bringt, die Sctnelligkeit, welche
ihre Arheit bedingt, vollends eine andere Auffaſſung ihres
Verhältnisses zum Strafrecht erheiſchen. So mindern ſich
die Verurtheilungen und mit ihnen die Anklagen bis
zuletzt beide miteinander verſchwinden. ;

Dieſelbe Wirkung hoffen wir für Oesterreich. Aber,
ungewöhnt wie dort das Bürgerlthum an jreie Preſſe ist,
_ wird die Wirkung langsamer eintreten als wir wünſchten.
Da hat denn die Regierung, haben die Vehörden ein
Grotees in der Hand. Was wir ſchon mehrmals anem-
pfahlen, heute verlangen wir's dringend. Mö gli ch t
wenig, möglichſt keine Preß- Antlagenl!

Lang gebunden – und wie gebunden! ~ bewegt
sich dort das politiſche Leben (soviel deſſen ist) in vielfach
unregelmäßigen Sprüngen. Die Tagespreſſe hat wenig
Disziplin. Keine fertige Schule. Keine alten feſten
Parteien, wo der Unerfahrene von den Häuptlingen ge-
leitet und kontrolirt wird. Staatlich ein unendlicher Stoff,
wenig Form und Gestalltung. Alles im Werden, nichts
fertig. Ja, wie sollte in solchen Zuſtänden der Tages-
ſchriftſteller durchkommen ohne anzuſtoßen ? und wie nicht
dem Gesetz gegenüber auf die Rechtewohlthat Anſpruch
haben, die in der Natur der Sache liegt ?!

_ Ohne die hier angeregle Frage im Einzelnen erſchöpfen
zu wollen, möchten wir unsern Rath für die thunlichſte
Beseitigung von Preßprozeſſen in Oeſterreich dahin zu-
ſammenfassen: Abgeſehen von der Perſon des Kaisers,
welche zu schonen für die Regierung ſchon ein Gebot der
Klugheit, für die Regierten ein Leichtes iſt ~ denn dazu
ſind die konstitulionelen Formen . in Oesterreich ausge-
bildet genug , würden wir amtliche Preßprozesſe gegen-
wärtig auf höchſtens zwei Fälle beschränken. Der eine
wäre, wo es ſich um Schürung des konfessionellen Haders
handelt, und zwar müßte das nach beiden Seiten gelten;
der andere wäre: Schürung der nationalen Zwiſtigkeiten.
und darunter fiele denn alle die Schändlichkeit von Bis-
märckerei, wo ſie ſich irgend rührte. In jenem ersten

_ Hall ſteht zur Frage Rechtssicherheit, ſowohl für die

Herrſchaſt des Geſeßes gegen kleritalen Uebermuth wie
für die Behauptung des Grundsatzes der Toleranz und
ſtaatsbürgerlichen Gleichberechtigung der Konfessionen. Im
zweiten Falle steht zur Frage Staa tssicherheit gegen
den auswärtigen Todfeind und seine ſchnöden Geſellen.
„In jenem Falle darf, in diesem muß der Staat einſt-
weilen noch eine Ausnahme machen bis zu beſſeren Zeiten.

Anbahnen wird er die beſſeren Zeiten nur dann, aber

dann auch gewiß, wenn er schon jezt die Regel vorweg-
nimmt, welche die segensreiche Preßjury für Oebſterreich
ſo gut sein wird, wie sie's für seine Vorgänger geworden
_ iſt ~ die Wirkung, daß die Preßprozesſſe ausſterben.

Politiſche Ueberficht.

: slzfight sv. j: ; Mannheim, 14. Juli.
nuu'Das'ötterreichiſche Rothbu c< läßt die Deles
gationen und dieß wahrscheinlich zu ihrer Befriedigung er-













kennen, daß die Beziehungen Oeſsterreichls zu Frantreich,
Italien und der Pforte die besten sind und diejenigen zu
England auch nicht auf ſchlechtem Fuße steh n. Ueber
die Beziehungen zu Rußland b-obachtet das Rothbuch ein
beredtes Schweigen und aus der Rede über die Beziehun-
gen zu Preußen geht hervor, daß die Spannung zwi-
schen Wien und Berlin noch imwer andauert . . . noch
andauern wird. Graf Biemarck that in seiner Plauderei
mit dem Yankee Oesterreich deßhalb unrecht, wenn er
wie von Frankreich auch von ihm auſſtellte, er sei bezüg-
lich der Ahsichten Oeſterreichs nicht versichert. Das Roth-
buch gibt kund : „An den aus d n jrühen Vorlagen be-
kannten Gesichtépunkten, wonach die kaiserliche und könig-
liche Regierung ihr Verhältniß zu Preußen und zu den
süddeutſchen Staaten beurthcilt, hat das Minſſterium des
Aeußern auch gegenwärtig nichts zu ändern. Als in den
erſten Monaten dieſes Jahres die Cventualität der Er-
richtung eines Sütbundes die Meinungen in Deutſchland
wieder lebhaft beschäſtigte, fühlte sie ſich aufgcfordert, zur
Richtſchnur Für die Sprache ihrer Vertreter von Neuem
zu konſtatiren, daß ihr Intercſſe an den in Deutſchland
offen gegliebenen Fragen in dem Wunjſche der uufrecht-
haltung eines den allgcem inen Frieden nicht gefährdenden
Zustandes begründet sei, während sie im Uebrigen Ange-
ſichts dieser Fragen den Standpunkt vollſiändiger Ent
haltung einnimmt." Aus dieſcn diplomatiſchen Min-
dungen ſchält ſich der Kern, taß Oeslerreich an den Be-
stimmungen des Prager Fricdens fiſthält, wenn es auch
sonst verzichtet irgendwie ſür eine beſtimmte Geſtaltung
von Cinfluß zu sein.

In der Depecſche des Grafen Beuſt vom 4. April
1869 über? die Süd bund sfra ge ſelbſt iſt klar und
bestimmt ausgeſprechen: „Wir haben ein berechtigtes In-
teres e an der Selbſiſtändigleit Süddeutſchlands, und daher
auch daran. daß für dieſe Selbſiſländigkent eine bindende
und zu hinlänglicher Beſtin mtheit ausgcbildete Form ge-

funden werde. Tieſcs Intercſſe türfen wir um so weni- |,

ger verläugnen, als taſſelble mit dem aligemeinen Be-
dürfnisse, den Frieden besser gesichert zu wiſſen, zuſammen-
fälll. Wie am Schluſſe des Jahres 1867, so iſt es für
die Befestigung des Friedens auch heute nicht gleichgiltig,
ob der Zuſtand Deutſchlands den Bestimmungen des
Prager Friedensvertrages entſpreche oder nicht. Aber auf
Geltendmachung dieser allgemeinen und für Alle geeich
wichtigen Wahrheit wollen wir auch jettt uns beſchränten.“

Erſcheinen nach Obigem die Beziehungen zwiſcken Wien
und Berlin auch nicht als gerade beunruhigend, ſo haben hne
t och auch nichts Beruhigendes, so lange eben Preußen nicht
darauf verzichtet, seinem Annektirungsmagen neue Nahrung
zuzuführen. Dagegen scheint das Schweigen des Roth-
buchs über die Beziehungen zu Rußla nd anzu euten,

daß hierüber nicht viel Gutes geſagt werden kann. Und

in der That dürfte zwiſchen Wien und Peteisturg eine
größere Spannung fortbeſtehen. Der ,ruſsiſche Invalide,“
dus vertrauliche Organ des ruſsiſchen Kriege-Miniſters,
läßt auch dergleichen durchblicken, aus einer Reihe von
Artikeln, in denen die Ciſcenbahnnetze Preußens, Oeſterreichs
und Rußland vom ſtrategiſichen Standpunkte näher be-
leuchtet werden. Der „Invalide“ erkennt sowohl dem
preußiſchen als öſterreichiſchen Ciſenbahnneßze die Ubcber-
legenheit über das ruſſiſche zu; dringt daher „auf die
ſchleunige Ergänzung und Vervollſtändigung des ruſssiſchen
Ciſenbahnnetzes an der westlichen und ſüdwestlichen Grenze“
~ will aber die Bahnlinien, welche die ſqüdweſtlichen
Grenzen ſichern, zuerſt zur Ausführung gebracht ſehen
~ „weil mit der Türkei und Osterreich eher ein Zu-
ſammenſtoß zu erwarten sei, als mit Preußen.“

Die Berliner Regierung weiß es überall einzu-
fädeln , bei ihren V . . . ehrern. In der Fiſchereiord-
nungsfrage hat die badiſche Regierung im , Auftrage“
der Berliner Regierung „gehandelt.“ In der Konz il-
angelegenheit bildet Fürſt Hohenlohe den preußiſchen Vor-
poſten gegen Rom. Näheres ~ ſFiehe unter Mannheim.

Die zeitweilige Vertagung des französich e n geſetz-
gebenden Körpers wäre nach Ausführungen der Regie-
rungsorgane von der Nothwendigkeit geboten: das Mi-
niſterium neu zu bilden und die Staatsbcschlüſſe vorzu-

bereiten, welche durch die kaiserliche Reformbotſchast an-

gekündigt worden seien. In der Kammer ſelbſt fand diese
Begründung, wie die untenstehende Pariser Depesche zeigt,

keine günstige Aufnahme und die unabhängige Preſſe

findet die Vertagung der Kammer nicht weniger uner-
klärlich, da die Unterzeichner der Interpellation des linken

Zentrums in einer eiwas zu groß n Voreiligkeit und



Vertrauensſeligkeit beſchloſſen haben, ihre Interpellation
fallen zu laſſen und der Regierung somit bis zum Zu-
ſammentritt des Senats vollkommen freie Hand zu geben.

Der Unwille der öffentlichen Meinung richtet sich aber

troßdem mehr gegen das linke Zentrum, diese französiſchen
Rational-Liberalen, als gegen den Vertagungsatt ſelbſt
und sagt in dieser Richtung der „Temps“ : „Man hatte
von Politikern , deren Beständigkeit und unerſchütterliche
Festigkeit man so stolz garantirt hatte, ein anderes Auf-
treten zu erwarten. Die aller einfachſte ihrer Pflichten

bestand darin, ihre Interpellation aufrecht zu erhalten

und Aufkärungen zu fordern über die dunteln Punkte
der angetündigten Zugeſtändnisse, deutliche und präziſe
Erklärungen über die Lücken dieses ungenügenden Pro-
gramms. Ihre freiwillige und übereilte Enthaltung ist
nicht geeignet eine große Idee von 1hrem Werth und
von ihrer politischen Entſchloſſenheit zu geben, eben ſo
wenig, wie die bedauerliche Vertagung des geſeßgebenden
Körpers geeignet iſt dem Publikum Vertrauen einzuflößen
und es tahin zu bringen, sich auf die liberalen Geſin-
nungen der Regierung zu verlasſſen.“ ſ
Das engliſ che Oberhaus hat die iriſche Kirchenbill
in dritter Lesung angenommen und dabei einige Amende-
ments fallen gelaſſen, welche dic Annahme der Bill im
Unterhausſe zweifelhaſt gemacht hätten. Trotßdem bleibt
fraglich, ob das Unterhaus die Bill in der Form, die ihr
das Oberhaus gegeben, genehmigen wird. :
Der Finanzminiſter der Vereinigten Staaten
von Nordamerika beauftragte den Unterſtaatsſckretär, jeden
Mittwoch während des Monats Juli drei Millionen Bonds
anzukaufen, welche zur Verfügung zu halten seien, damit
der Kongreß später darüber entſcheide.
In Meriko haben Neuwahlen in die Kammer ſtatt-
gefunden und sind dieselben nach einem Telegramm aus
Waſhington durchgängig zu Gunsten der Regierung aus-
gefallen.

Deutſchland.

* Mannheim, 14. Juli. Es war ſchon die Rede
davon, daß JFürſt Hohenlo he nur der Vorpoſten
Preußens gegen Rom ſei. Cinem Korreſpondenten der
„Süddeutschen Poſt“ wurde neueſtens die Einſicht in
einen Notenwechſel gestattet, der über das Thema des
Konzils zwiſchen München und Berlin geführt wurde.
Aus dem Schriftenwechſel geht demſelben nun bis zur
Evidenz hervor, daß der Plan zu dem gegenwärtigen Ver-
halten des FJürſten Hohenlohe dem Konzil gegenüber in
Berlin gefaßt und ausgearbeitet wurde, indem der Ent-
wurf einer preußiſchen Staatsſchrift über den genannten
Gegenstand die folgende Stelle enthalte: „Es würde gegen
die Anfangsgründe aller rationellen Politik verſtoßen,
wollte Preußen bei der gegenwärtigen Weltlage offen
Partei gegen Rom ergreifen.
Osterreich mit der römischen Kurie verfeindet hat, muß
ſich Preußen als Hort des Primates antünden. Es muß
dieß aber um so gewiſſer thun, um die Gewisſen der
eigenen Unterthanen katholiſcher Konfession zu ſchonen,
die wie jede in der Minorität befindliche Kirche ohnedieß
nur zu sehr geneigt ſind, sich als ecclesia oppressa zu
betrachten, dann aber auch der Katholiken Süddeutſchlands
willen, deren religiöſes Gewisſen ſie ohnedieß noch immer
nach Oesterreich blicken läßt. Hindern dieſe Gründe jede
offene Parteiname gegen das Konzil, so gibt es doch
mindestens eben so viele und eben so schwer wiegende
Motive, welche die preußiſche Staatsregierung be-
stimmen müſſen, den römiſchen Bestrebungen entgegen
zu wirken. Gerade der Umstand, daß die unter preuß1
ſcher Regierung lebenden Katholiken in der Folge ihrer
Argumente gegen die bestehenoen Gesete mit Vorliebe
von den bindenden Beschlüſſen des Konzils hervorholen
dürften, muß die Staatsregierung vorsichtig machen
. .. Es iſt nun aber keineswegs nothwendig, aus der
Reserve hervorzutreten, ſobald sich eine befreundete Regie-
rung der Aufgabe unterzieht, eine wirtſame Opposition
gegen die römische Kurie zu organisiren . . . Es ſind zahl-
reiche beſtimmende Ursachen vorhanden, die es gewiß ers
scheinen laſjen daß Sr. Durchlaucht dem Fürſten Hohen-
lohe die Führerschaft in dem diplomatischen Feldzug gegen
Rom willkommen ſein werde. Abgesehen davon, daß er
den Krieg, welchen er gegen die Kirchenpartei im eigenen
Land zu erklären gezwungen wäre, nun auf fremdes Ges
biet hinüber zu spielen im Stande iſt und so die Gegner
seiner Regierung ohne auch nur einen Streich gegen sie
zu ſühren, ſchlagen kann , ſo gewährt ihm die beſagte



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