1869.
Vie „Wannheimer Abendzeitung" wird —
Anzeigen-Gebühr : die
Organ der deulſchen Volks
täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis viertellätrlich Ein Gulden, ohne Voſtauſſchlag
mit Ausnahme der Sonntage und Fetttage
einipaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und ve: alleen Poſtanstalten.
]
Paden.
Das badiſch- Genoſſenſchastsgeſetz.
1l
F.M. In der vorhergehenden Erörterung habe ich die
Ansicht ausgesprochen, daß ein gesetzlicher Zwang zur An-
nahme der ſammtverbindlichen Haftung der Genos enſchaften
nicht zu rechtfertigen iſt, und will nun die Gründe dieser
Ansicht darlegen.
Schon nach dem allgemein gültigen Grundsatze der
Gleichheit vor dem Gesetz ſcheint es mir ein wohlbegrün-
deter Anspruch der kleinen Gewerbtreibenden und der Ar-
beiter zu sein, daß ihnen die Bildung von gesetzlich an-
erkannten und geſchütten Genossenschaften mit beschränkter
Haftung der Mitglieder gestattet werde. Die Kapitalisten,
wenn ſie für gut finden , eine Geſellſchatt zu gründen,
können dabei nach Belieben ſammtverbindliche oder nur
beschränkte Haftung der Mitglieder annehmen; waram
ſollte bei Bildung von Genoſsenſchaften nicht das gleiche
Recht ſtattfinden? Wenn man den Genossenschaften nicht
ebenſo die Wahl frei laſſen wollte, ob sie die Sammt-
verbindlichkeit oder beschränkte Haftung annehmen wollen,
ſo würde man für die Unbemittelten ein höchſt gehäſſiges
Ausnahmerecht ſchaffen. -
Zur Rechtfertigung einer ſo ungleichen Behandlung
genügt es nicht auf die verschiedene Natur der Altien-
gesellschaft und die Genoſſenſchaft hinzuweisen , weil bei
jener ein gewiſſes einbezahltes Kapital den Gläubigern
hafte, während bei dieser, wenigstens im Anfang, nur
ein geringes oder gar kein eigenes Kapital vorhanden zu
ſein pflegt. Aus dieser verſchiedenen Natur folgt nur,
daß die Genossenſchaften mit beſchränkter Haftung ihre
Verhältniſſe in solcher Weise offen legen müssen. daß ihre
Gläubiger über die Beschaffenheit der ihnen gebotenen
Sicherheit nicht getäuſcht werden. Geschieht dieß z. B.
durch redlich aufgestellte Bilanzen und einen Zuſat zur
Firma der Genosſſenſchaft (etwa : „Die Karlsruher Schuh-
machergenoſſenſchaft, mit beſchränker Haftung“), so iſt
nicht einzuſehen, weßhalb eine nur beschränkte Haftung
annehmende Genossenschaft weniger günſtig zu behandeln
wäre, als die Atktiengesellschaften der Kapitaliſten. Das
Gesetz kann von den Genoſſenſchaften in Betreff der Haf-
tung nichts weiter verlangen, als daß offen erklärt werde,
in welchm Maße gehaftet wird. Was darüber hinaus-
geht, wäre willkürliche Bevormundung, welche der freiheit-
lichen Richtung unserer Zeit widerspräche.
Ob im einzelnen Falle die Sammtverbindlichkeit oder
die beſchränkte Haftung der Genoſſen dem vorgesetzten
Zwecke beſſer entſpricht darüber entscheiden die Genossen
ſelbſt am besten. Sie werden ſchon die richtige Entschei-
dung treffen, und es ſteht dem Geseßygeber übel an , sie
als unmündige zu behandeln und ihnen die Wahl ab-
zu ſchneiden.
In vielen Fällen werden die Gründer von Genoſsſen-
ſchaften freiwillig die Sammtbverbindlichkeit annehmen,
weil ſie ihnen den größten Vortheil verſpricht; ebenso oft
aber werden ſie beſchränkte Haftung vorziehen, weil die
Sammtbverbindlichkeit ihnen unnüß und ſchädlich wäre.
Die Konsumvereine z. B. brauchen in der Regel nur
einen geringen Kredit, und bieten durch ihre Einrichtung
auch ohne Sammtverbindlichkeit den Gläubigern genügende
Sicherheit. Würde man sie zur Sammtverbindlichkeit
zwingen, so würde man alle Wohlhabenden, welche ihr
Vermögen nicht für die möglichen Schulden einerGenoſsen-
ſchaft einſeßzen wollen, davon ausſchließen.
Ebenso werden Arbeitsgenossenſchaften in vielen Fällen
wohlthun, nur beschränkte Haſtung anzunehmen, weil sie
nur in dieſem Falle auch ſolche Mitglieder gewinnen
können, welche schon einiges Vermögen angesammelt haben.
Auf dieſen Punkt iſt ganz beſonderes Gewicht zu legen.
Sind Genossenſchaften mit beschränkter Haftung nicht ge-
ſtattet, ſo werden sich wohlhabende Leute hüten , sich mit
unbemittelten Genoſsen zu verbinden und so ihr Vermögen
auf's Spiel zu ſeßzen. Die Unbemittelten können freilich
ohne Beſorgniß ſich ſammtverbindlich erklären ; ſie laufen
keine Gefahr, weil sie nichts besizen; den Wohlhabenden
allein fällt ſchließlich die Zahlung der Schulden zu. Ge-
ſtattet man hingegen Genossenschaften mit beschränkter
Haftung. so können trog der ungleichen Lage auch Wohl-
habende beitreten, da ſie genau wiſſen, welche Gefahr sie
im ſchlimmſten Falle übernehmen, gerade wie bei den
Attiengeſellſchaften auch. Dadurch allein werden häufig
Genossenschaften ermöglicht, jedenfalls ſehr gefördert wer-
den. Im umgekehrten Falle wären viele Genossenschaften
dazu verurtheilt , nux ſolche Mitglieder aufzunehmen,
welche unter gleicher Armuth leiden; die Ueberwindung | gung von Kindern unter 12 Jahren geſchehe auf Koſten
der erſten Schwierigkeiten wäre ihnen dadurch faſt un-
möglich gemacht. Die tollen Lehren Jener , welche die
Arbeitsgenoſsenſchaften auf Grund des Staatskredits er-
richten wollen, erhielten dadurch die mächtigste Förderung,
weil ja der freiwillige Beitritt von Wohlhabenden zu
einer Genossenschaft (wodurch allein der Staatskredit ent-
behrlich wird) außerordentlich erschwert wäre.
Diese Erwägungen führen meines Crachtens mit
zwingender Gewalt zum Schluſſe, daß auch die Bildung
von Genosſenſchaften mit beschränkter Haftung gesetzlich zu
geſtatten iſt. Doch will ich nicht unterlassen, in einem
dritten Abschnitt jene Einwürfe zu widerlegen , welche
gegen diesen Schluß gemacht werden können.
Badiſcher Landtag.
* Karlsruhe, 20. Nov. Bei Absendung un-
serer beiden Telegramme von heute Mittag waren die
Sitzungen beider Kammern noch nicht geſchloſſen. Bezüg-
lich der 24. Sitzung des Abgeordnetenhauſes holen wir
deßhalb in theilweiſer Ergänzung des bereits Gemeldeten
nach, daß der Abg. B au mſt ark den Mangel seines per-
sönlichen Vertrauens zu den derzeitigen Miniſtern, denen
ſchon Lindau und Biſſing die Mittel zur Verfolgung
verwerflicher Zwecke, als mitihrem Cide in Widerſpruchſtehend,
verweigert hatten, damit begründet, daß die Herren Mi-
niſter ihren Fächern zum Theil nicht gewachsen ſeien.
Herr Jolly, der, obgleich nicht Militär, ſchon als Kriegs-
miniſter figurirt habe, kümmere ſich vor Allen gar nichts
darum, was man von ihm halte; der Finanzpräsident
ſei früher zwar ein ſehr liebenswürdiger Anwalt gewesen,
doch vom Finanzweſen habe er nur geringe Kenntniß
und so sei es theilweiſe auch bei den Anderen. Bei der
Diskussion über die in den Jahren 1867 und 1868 ein-
gangenen und verwendeten Staatsgelder grifsen Lindau,
Baumſtark und Kayſer das Finanzministerium darüber
an, oaß es das Eiſenbahn-Anlehen von 1867 reſp. 1868
in so ungünstiger Zeit und unter ſo mißlichen Bedin-
gungen abgeſchloſſen, und wiesen auf Bayern hin, das
weit beſſer negozirt habe.
Der Finanzpräsident war in großer Verlegeheit und
suchte ſich zunächſt dahinter zu verſchanzen, daß Bayern
eben eine geringe Eiſenbahnſchuld und dadurch höheren
Kredit habe; dann aber meinte er, nur aus politiſcher
Gehöſsigkeit bekämpft zu ſein. i
Abg. Kay er erklärte ihm hinsichtlich des letzteren
Punktes bezüglich ſeiner Person das Gegentheil, doch sehe
auch er sich veranlaßt, an der Frage sich zu betheiligen. Herr
Cllstätter blieb stecken , da ſelbſt Jolly, Regenauer und
Gerwig ſich wohl des Spruches erinnerten: Si tacuisses,
philosophus mansuisses. Es war eine Niederlage, wie
ſie ein badiſcher Finanzminiſter seit Dezennien nicht er-
litten hat. Das Absolutorium blieb aber nicht aus,
denn: Ein treuer Knecht iſt Fridolin ec. Vielleicht
aber wollte auch der Name eines Verſtorbenen nicht genannt
werden. (Mathy.) ß
Auf die Verhandlungen der Erſten Kammer müſſen
wir wegen des hohen ſozial-politiſchen Interesses der dort
vorliegenden Frage etwas näher eingehen. Nachdem der
Vertrag über das bewegliche Eigenthum der früheren
Bundesfeſtungen Rastatt, Landau und Ulm einstimmig
gulgeheißen war, begann die Diskussion über die bren-
nende Frage der heutigen Zeit: die Kinderbeſchäf-
tigung in den Fabriken. Die Großh. Regierung hatte
als Anfangstermin das zehnte Lebensjahr bezeichnet. Der
von dem Geh. Rath VUluntſchli erſtattete Kommissions-
bericht wünſchte das zwölfte, und auch hiermit hatte ſich
das Ministerium befreunde. Bluntſc<li beleuchtet
zunächſt die Hauptgedanken des vorliegenden Entwurfs.
Die abstrakte Freiheit führe oft zu großer Unfreiheit.
Mit Rückſicht darauf sei es auch ſchon lange unzulässig,
ſich zum Sklaven hinzugeben. Bezüglich der Fabrikarbei-
ter zu sprechen, seien die Fabrikherren im Allgemeinen
human; daz man aber nicht ganz vertrauen könne, zeige
das ſehr verschiedene Benehmen der Arbeitsherren im
Elſaß und der Schweiz, wo ſelbſt die Kinder gar oft zu
egoistiſchen Zwecken mißbraucht würden. Allmälig wür-
den die Menſchen immer mehr als Maschinen betrachtet,
während man anderseits die Ueberzeugung gewinne, daß
die Fürsorge für deren Wohl die höchſte Aufgabe der
Staaten bilde. Der Kommissions-Entwurf unterſcheide
3 Klaſſen des jugendlichen Alters: Kinder unter 12
Jahren, solche zwiſchen 12 und 14 und junge Leute
zwiſchen 14 und mehr Jahren. Die fabrikmäßigeBeſchäfti-
der Kindheit, des Unterrichtes, der Entwickelung, und wenn
anderwärts ohne Befürchtung der Konkurrenz das zwölfte
Jahr als Anfangstermin gelte, ſo werde dieß auch bei
uns nicht schaden. Die Industrie werde sicher dadurch
nicht gefährdet, wenn sie in den Grenzen ihrer Berechti-
gung bleibe; eine solche aber, die den Menſchen ruinire,
habe nicht zu bestehen. In der Kommission habe ſich
sogar die Ansicht geltend gemacht, daß das 14. Lebens-
jahr als niederſtes Alter erklärt wecden solle, was eine
gewisse Berechtigung habe, denn auch arme Kinder hätten
die Schule zu beſuchen, aus der sie erſt mit diesem Alter
entlaſſen würdcn ; durch Fabrikarbeit leide aber die Schule,
wie umgekehrt der gleichzeitige Schulbesuch den Geschäfts-
gang jeder Fabrik stören müſſe. Doch habe sich die Kom-
miſſion für die Zulaſſung von Schulkindern entschieden,
aber mit zwei Schranken. Erſtens t uge die Fabrikarbeit
durchaus nicht zu mehr als dreijähriger Schulzeit, ſei hier
geradezu ruinös und dann habe sich dieſe Doppelbeſchäf-
tigung nach Tageshälften zu ſcheiden, denn theilweiſes
Feiern sei unzuläßig, da hiermit häufig auch das Arbeiten
älterer Leute unmöglich gemacht sei. Zu dem aalternati-
ven Wechſeln seien aber Fabrikſchulen nöthig, wenn die
Maschine nicht still stehen solle. Das ſei die einzig mög-
liche Lösung der Frage.
Bezüglich älterer Kinder schließe sich der Entwurf,
wenn auch nicht völlig, an die Geseßzgebung von Nord-
deutschland an. Zwischen dem 14. und 16. Jahre finde
ganz besonders d'e körperliche und geschlechtliche Entwickelung
ſtatt und es beständen große Schwierigkeiten, für dieſe in
ausreichendem Maße zu sorgen. In Betrachtnahme, daß
in einer Fabrik Ungleichheit der Arbeiter nicht angehe, sei
man hier soweit als möglich gegangen, und habe nur
Nachtarbeit ausgeschloſſen. Das norddeutsche Geſet laſse
10 Stunden Tagesarbeit zu. Abweichend hiervon wünſche
der Entwurf, daß Tag und Nachtarbeit zuſammengerechnet
höchſtens 12 Stunden betragen Jollen, von denen minde-
ſtens 11/2 Stunde, je nach den ſpeziellen Verhältnissen
vertheilt, zur Erholung und Erfriſchung abzugehen hätten.
Auch in Rückſicht auf die kirchliche Erziehung sei das
norddeutsche Geseß maßgebend gewesen. Für Theilnahme
am Religionsunterricht und Gottesdienst ſei Geeignetes
bestimmt. Schließlich verbreitet sich der Berichterstatter
in Bezug auf die Ausführung des Gesetzes, damit dieses
nicht auf dem Papier ſtehen bleibe, sondern in die Wirk-
lichkeit übergehe. Polizei und Verwaltung genügten nicht.
In England habe man besſoldete Fabrik-Inſpektoren; für
Baden sei aber wohl vorzuziehen, aus angeſehenen Männern
bürgerliche Inspektoren zu ernennen , und der Staatsver-
waltung die Ueberwachung dieser zu überlasſen. Soviel ſei
ſicher, daß das Schicksal der Arbeiter verbessert werden
müſſe, denn die Unzufriedenheit derselben habe ſchon einen
hohen Grad erreicht. Schwer hätten sich die Gebildeten
ſeither am armen Arbeiterſtande verschuldet, was ſich rächen
werde, wenn man nicht daran gehe , das Verſäumte gut
zu machen, denn in der Weltgeſchichte liege immer ein
gutes Stück Weltgericht. (Schluß folgt.)
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 22. November.
* Der Zuſammenhang der Einrichtungen des Nor d-
bundes und Bad en's ſoll in nächſter Zeit durch ein
neues Band befestigt“ werden. Bei Beſschlußfaſſung
über das Geseg wegen Gewährung der Rechtshilf e
hatte bekanntlich der Reichstag an den Bundeskanzler
das Ersuchen gerichtet, geeignete Schritte zur Vereinbarung
von Juris-Diktions-Verträgen mit den südder.tſchen Staa-
ten zu thun. Es erfolgten hierauf Anfragen des Bun-
des-Präſidiums bei sämmtlichen süddeutschen Staaten.
Bei dieser Anfrage wurde die Ansicht kund gegeben , daß
die Bestimmungen des Bundesgesetzes, ſo weit ſie auf die
Gewährung der Rechtshilfe in Zivilſachen Bezug haben,
ziemlich unverändert in einen Juris - Diktions - Vertrag
würden übergehen können, daß dagegen der über die
Rechtshilfe in Strafsachen handelnde Theil des Geseßes
mehrfachen Einſchränkungen unterliegen müsse, namentlich
wegen Ausſchluß der Auslieferung eigener Unterthanen
und wegen CEinſchränkung der Verpflichtung zur Straf-
voll ſtrecung. Zum Abschluß eines Juris-Diktions-
Vertrages auf den gegeben Grundlagen hat nun die ba-
dische Regierung ſich bereit erklärt, und der Bundes-
rath iſt vom Bundeskanzler aufgefordert worden, die Ges
uehmigung zum Abschluß eines solchen Vertrages zu er-
Vie „Wannheimer Abendzeitung" wird —
Anzeigen-Gebühr : die
Organ der deulſchen Volks
täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis viertellätrlich Ein Gulden, ohne Voſtauſſchlag
mit Ausnahme der Sonntage und Fetttage
einipaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und ve: alleen Poſtanstalten.
]
Paden.
Das badiſch- Genoſſenſchastsgeſetz.
1l
F.M. In der vorhergehenden Erörterung habe ich die
Ansicht ausgesprochen, daß ein gesetzlicher Zwang zur An-
nahme der ſammtverbindlichen Haftung der Genos enſchaften
nicht zu rechtfertigen iſt, und will nun die Gründe dieser
Ansicht darlegen.
Schon nach dem allgemein gültigen Grundsatze der
Gleichheit vor dem Gesetz ſcheint es mir ein wohlbegrün-
deter Anspruch der kleinen Gewerbtreibenden und der Ar-
beiter zu sein, daß ihnen die Bildung von gesetzlich an-
erkannten und geſchütten Genossenschaften mit beschränkter
Haftung der Mitglieder gestattet werde. Die Kapitalisten,
wenn ſie für gut finden , eine Geſellſchatt zu gründen,
können dabei nach Belieben ſammtverbindliche oder nur
beschränkte Haftung der Mitglieder annehmen; waram
ſollte bei Bildung von Genoſsenſchaften nicht das gleiche
Recht ſtattfinden? Wenn man den Genossenschaften nicht
ebenſo die Wahl frei laſſen wollte, ob sie die Sammt-
verbindlichkeit oder beschränkte Haftung annehmen wollen,
ſo würde man für die Unbemittelten ein höchſt gehäſſiges
Ausnahmerecht ſchaffen. -
Zur Rechtfertigung einer ſo ungleichen Behandlung
genügt es nicht auf die verschiedene Natur der Altien-
gesellschaft und die Genoſſenſchaft hinzuweisen , weil bei
jener ein gewiſſes einbezahltes Kapital den Gläubigern
hafte, während bei dieser, wenigstens im Anfang, nur
ein geringes oder gar kein eigenes Kapital vorhanden zu
ſein pflegt. Aus dieser verſchiedenen Natur folgt nur,
daß die Genossenſchaften mit beſchränkter Haftung ihre
Verhältniſſe in solcher Weise offen legen müssen. daß ihre
Gläubiger über die Beschaffenheit der ihnen gebotenen
Sicherheit nicht getäuſcht werden. Geschieht dieß z. B.
durch redlich aufgestellte Bilanzen und einen Zuſat zur
Firma der Genosſſenſchaft (etwa : „Die Karlsruher Schuh-
machergenoſſenſchaft, mit beſchränker Haftung“), so iſt
nicht einzuſehen, weßhalb eine nur beschränkte Haftung
annehmende Genossenschaft weniger günſtig zu behandeln
wäre, als die Atktiengesellschaften der Kapitaliſten. Das
Gesetz kann von den Genoſſenſchaften in Betreff der Haf-
tung nichts weiter verlangen, als daß offen erklärt werde,
in welchm Maße gehaftet wird. Was darüber hinaus-
geht, wäre willkürliche Bevormundung, welche der freiheit-
lichen Richtung unserer Zeit widerspräche.
Ob im einzelnen Falle die Sammtverbindlichkeit oder
die beſchränkte Haftung der Genoſſen dem vorgesetzten
Zwecke beſſer entſpricht darüber entscheiden die Genossen
ſelbſt am besten. Sie werden ſchon die richtige Entschei-
dung treffen, und es ſteht dem Geseßygeber übel an , sie
als unmündige zu behandeln und ihnen die Wahl ab-
zu ſchneiden.
In vielen Fällen werden die Gründer von Genoſsſen-
ſchaften freiwillig die Sammtbverbindlichkeit annehmen,
weil ſie ihnen den größten Vortheil verſpricht; ebenso oft
aber werden ſie beſchränkte Haftung vorziehen, weil die
Sammtbverbindlichkeit ihnen unnüß und ſchädlich wäre.
Die Konsumvereine z. B. brauchen in der Regel nur
einen geringen Kredit, und bieten durch ihre Einrichtung
auch ohne Sammtverbindlichkeit den Gläubigern genügende
Sicherheit. Würde man sie zur Sammtverbindlichkeit
zwingen, so würde man alle Wohlhabenden, welche ihr
Vermögen nicht für die möglichen Schulden einerGenoſsen-
ſchaft einſeßzen wollen, davon ausſchließen.
Ebenso werden Arbeitsgenossenſchaften in vielen Fällen
wohlthun, nur beschränkte Haſtung anzunehmen, weil sie
nur in dieſem Falle auch ſolche Mitglieder gewinnen
können, welche schon einiges Vermögen angesammelt haben.
Auf dieſen Punkt iſt ganz beſonderes Gewicht zu legen.
Sind Genossenſchaften mit beschränkter Haftung nicht ge-
ſtattet, ſo werden sich wohlhabende Leute hüten , sich mit
unbemittelten Genoſsen zu verbinden und so ihr Vermögen
auf's Spiel zu ſeßzen. Die Unbemittelten können freilich
ohne Beſorgniß ſich ſammtverbindlich erklären ; ſie laufen
keine Gefahr, weil sie nichts besizen; den Wohlhabenden
allein fällt ſchließlich die Zahlung der Schulden zu. Ge-
ſtattet man hingegen Genossenschaften mit beschränkter
Haftung. so können trog der ungleichen Lage auch Wohl-
habende beitreten, da ſie genau wiſſen, welche Gefahr sie
im ſchlimmſten Falle übernehmen, gerade wie bei den
Attiengeſellſchaften auch. Dadurch allein werden häufig
Genossenschaften ermöglicht, jedenfalls ſehr gefördert wer-
den. Im umgekehrten Falle wären viele Genossenschaften
dazu verurtheilt , nux ſolche Mitglieder aufzunehmen,
welche unter gleicher Armuth leiden; die Ueberwindung | gung von Kindern unter 12 Jahren geſchehe auf Koſten
der erſten Schwierigkeiten wäre ihnen dadurch faſt un-
möglich gemacht. Die tollen Lehren Jener , welche die
Arbeitsgenoſsenſchaften auf Grund des Staatskredits er-
richten wollen, erhielten dadurch die mächtigste Förderung,
weil ja der freiwillige Beitritt von Wohlhabenden zu
einer Genossenschaft (wodurch allein der Staatskredit ent-
behrlich wird) außerordentlich erschwert wäre.
Diese Erwägungen führen meines Crachtens mit
zwingender Gewalt zum Schluſſe, daß auch die Bildung
von Genosſenſchaften mit beschränkter Haftung gesetzlich zu
geſtatten iſt. Doch will ich nicht unterlassen, in einem
dritten Abschnitt jene Einwürfe zu widerlegen , welche
gegen diesen Schluß gemacht werden können.
Badiſcher Landtag.
* Karlsruhe, 20. Nov. Bei Absendung un-
serer beiden Telegramme von heute Mittag waren die
Sitzungen beider Kammern noch nicht geſchloſſen. Bezüg-
lich der 24. Sitzung des Abgeordnetenhauſes holen wir
deßhalb in theilweiſer Ergänzung des bereits Gemeldeten
nach, daß der Abg. B au mſt ark den Mangel seines per-
sönlichen Vertrauens zu den derzeitigen Miniſtern, denen
ſchon Lindau und Biſſing die Mittel zur Verfolgung
verwerflicher Zwecke, als mitihrem Cide in Widerſpruchſtehend,
verweigert hatten, damit begründet, daß die Herren Mi-
niſter ihren Fächern zum Theil nicht gewachsen ſeien.
Herr Jolly, der, obgleich nicht Militär, ſchon als Kriegs-
miniſter figurirt habe, kümmere ſich vor Allen gar nichts
darum, was man von ihm halte; der Finanzpräsident
ſei früher zwar ein ſehr liebenswürdiger Anwalt gewesen,
doch vom Finanzweſen habe er nur geringe Kenntniß
und so sei es theilweiſe auch bei den Anderen. Bei der
Diskussion über die in den Jahren 1867 und 1868 ein-
gangenen und verwendeten Staatsgelder grifsen Lindau,
Baumſtark und Kayſer das Finanzministerium darüber
an, oaß es das Eiſenbahn-Anlehen von 1867 reſp. 1868
in so ungünstiger Zeit und unter ſo mißlichen Bedin-
gungen abgeſchloſſen, und wiesen auf Bayern hin, das
weit beſſer negozirt habe.
Der Finanzpräsident war in großer Verlegeheit und
suchte ſich zunächſt dahinter zu verſchanzen, daß Bayern
eben eine geringe Eiſenbahnſchuld und dadurch höheren
Kredit habe; dann aber meinte er, nur aus politiſcher
Gehöſsigkeit bekämpft zu ſein. i
Abg. Kay er erklärte ihm hinsichtlich des letzteren
Punktes bezüglich ſeiner Person das Gegentheil, doch sehe
auch er sich veranlaßt, an der Frage sich zu betheiligen. Herr
Cllstätter blieb stecken , da ſelbſt Jolly, Regenauer und
Gerwig ſich wohl des Spruches erinnerten: Si tacuisses,
philosophus mansuisses. Es war eine Niederlage, wie
ſie ein badiſcher Finanzminiſter seit Dezennien nicht er-
litten hat. Das Absolutorium blieb aber nicht aus,
denn: Ein treuer Knecht iſt Fridolin ec. Vielleicht
aber wollte auch der Name eines Verſtorbenen nicht genannt
werden. (Mathy.) ß
Auf die Verhandlungen der Erſten Kammer müſſen
wir wegen des hohen ſozial-politiſchen Interesses der dort
vorliegenden Frage etwas näher eingehen. Nachdem der
Vertrag über das bewegliche Eigenthum der früheren
Bundesfeſtungen Rastatt, Landau und Ulm einstimmig
gulgeheißen war, begann die Diskussion über die bren-
nende Frage der heutigen Zeit: die Kinderbeſchäf-
tigung in den Fabriken. Die Großh. Regierung hatte
als Anfangstermin das zehnte Lebensjahr bezeichnet. Der
von dem Geh. Rath VUluntſchli erſtattete Kommissions-
bericht wünſchte das zwölfte, und auch hiermit hatte ſich
das Ministerium befreunde. Bluntſc<li beleuchtet
zunächſt die Hauptgedanken des vorliegenden Entwurfs.
Die abstrakte Freiheit führe oft zu großer Unfreiheit.
Mit Rückſicht darauf sei es auch ſchon lange unzulässig,
ſich zum Sklaven hinzugeben. Bezüglich der Fabrikarbei-
ter zu sprechen, seien die Fabrikherren im Allgemeinen
human; daz man aber nicht ganz vertrauen könne, zeige
das ſehr verschiedene Benehmen der Arbeitsherren im
Elſaß und der Schweiz, wo ſelbſt die Kinder gar oft zu
egoistiſchen Zwecken mißbraucht würden. Allmälig wür-
den die Menſchen immer mehr als Maschinen betrachtet,
während man anderseits die Ueberzeugung gewinne, daß
die Fürsorge für deren Wohl die höchſte Aufgabe der
Staaten bilde. Der Kommissions-Entwurf unterſcheide
3 Klaſſen des jugendlichen Alters: Kinder unter 12
Jahren, solche zwiſchen 12 und 14 und junge Leute
zwiſchen 14 und mehr Jahren. Die fabrikmäßigeBeſchäfti-
der Kindheit, des Unterrichtes, der Entwickelung, und wenn
anderwärts ohne Befürchtung der Konkurrenz das zwölfte
Jahr als Anfangstermin gelte, ſo werde dieß auch bei
uns nicht schaden. Die Industrie werde sicher dadurch
nicht gefährdet, wenn sie in den Grenzen ihrer Berechti-
gung bleibe; eine solche aber, die den Menſchen ruinire,
habe nicht zu bestehen. In der Kommission habe ſich
sogar die Ansicht geltend gemacht, daß das 14. Lebens-
jahr als niederſtes Alter erklärt wecden solle, was eine
gewisse Berechtigung habe, denn auch arme Kinder hätten
die Schule zu beſuchen, aus der sie erſt mit diesem Alter
entlaſſen würdcn ; durch Fabrikarbeit leide aber die Schule,
wie umgekehrt der gleichzeitige Schulbesuch den Geschäfts-
gang jeder Fabrik stören müſſe. Doch habe sich die Kom-
miſſion für die Zulaſſung von Schulkindern entschieden,
aber mit zwei Schranken. Erſtens t uge die Fabrikarbeit
durchaus nicht zu mehr als dreijähriger Schulzeit, ſei hier
geradezu ruinös und dann habe sich dieſe Doppelbeſchäf-
tigung nach Tageshälften zu ſcheiden, denn theilweiſes
Feiern sei unzuläßig, da hiermit häufig auch das Arbeiten
älterer Leute unmöglich gemacht sei. Zu dem aalternati-
ven Wechſeln seien aber Fabrikſchulen nöthig, wenn die
Maschine nicht still stehen solle. Das ſei die einzig mög-
liche Lösung der Frage.
Bezüglich älterer Kinder schließe sich der Entwurf,
wenn auch nicht völlig, an die Geseßzgebung von Nord-
deutschland an. Zwischen dem 14. und 16. Jahre finde
ganz besonders d'e körperliche und geschlechtliche Entwickelung
ſtatt und es beständen große Schwierigkeiten, für dieſe in
ausreichendem Maße zu sorgen. In Betrachtnahme, daß
in einer Fabrik Ungleichheit der Arbeiter nicht angehe, sei
man hier soweit als möglich gegangen, und habe nur
Nachtarbeit ausgeschloſſen. Das norddeutsche Geſet laſse
10 Stunden Tagesarbeit zu. Abweichend hiervon wünſche
der Entwurf, daß Tag und Nachtarbeit zuſammengerechnet
höchſtens 12 Stunden betragen Jollen, von denen minde-
ſtens 11/2 Stunde, je nach den ſpeziellen Verhältnissen
vertheilt, zur Erholung und Erfriſchung abzugehen hätten.
Auch in Rückſicht auf die kirchliche Erziehung sei das
norddeutsche Geseß maßgebend gewesen. Für Theilnahme
am Religionsunterricht und Gottesdienst ſei Geeignetes
bestimmt. Schließlich verbreitet sich der Berichterstatter
in Bezug auf die Ausführung des Gesetzes, damit dieses
nicht auf dem Papier ſtehen bleibe, sondern in die Wirk-
lichkeit übergehe. Polizei und Verwaltung genügten nicht.
In England habe man besſoldete Fabrik-Inſpektoren; für
Baden sei aber wohl vorzuziehen, aus angeſehenen Männern
bürgerliche Inspektoren zu ernennen , und der Staatsver-
waltung die Ueberwachung dieser zu überlasſen. Soviel ſei
ſicher, daß das Schicksal der Arbeiter verbessert werden
müſſe, denn die Unzufriedenheit derselben habe ſchon einen
hohen Grad erreicht. Schwer hätten sich die Gebildeten
ſeither am armen Arbeiterſtande verschuldet, was ſich rächen
werde, wenn man nicht daran gehe , das Verſäumte gut
zu machen, denn in der Weltgeſchichte liege immer ein
gutes Stück Weltgericht. (Schluß folgt.)
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 22. November.
* Der Zuſammenhang der Einrichtungen des Nor d-
bundes und Bad en's ſoll in nächſter Zeit durch ein
neues Band befestigt“ werden. Bei Beſschlußfaſſung
über das Geseg wegen Gewährung der Rechtshilf e
hatte bekanntlich der Reichstag an den Bundeskanzler
das Ersuchen gerichtet, geeignete Schritte zur Vereinbarung
von Juris-Diktions-Verträgen mit den südder.tſchen Staa-
ten zu thun. Es erfolgten hierauf Anfragen des Bun-
des-Präſidiums bei sämmtlichen süddeutschen Staaten.
Bei dieser Anfrage wurde die Ansicht kund gegeben , daß
die Bestimmungen des Bundesgesetzes, ſo weit ſie auf die
Gewährung der Rechtshilfe in Zivilſachen Bezug haben,
ziemlich unverändert in einen Juris - Diktions - Vertrag
würden übergehen können, daß dagegen der über die
Rechtshilfe in Strafsachen handelnde Theil des Geseßes
mehrfachen Einſchränkungen unterliegen müsse, namentlich
wegen Ausſchluß der Auslieferung eigener Unterthanen
und wegen CEinſchränkung der Verpflichtung zur Straf-
voll ſtrecung. Zum Abschluß eines Juris-Diktions-
Vertrages auf den gegeben Grundlagen hat nun die ba-
dische Regierung ſich bereit erklärt, und der Bundes-
rath iſt vom Bundeskanzler aufgefordert worden, die Ges
uehmigung zum Abschluß eines solchen Vertrages zu er-