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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 127 - No. 152 (1. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0553

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Samſtag, 12. Juni.









Organ der deulſchen









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Paden.







Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage — täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der
r Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr.

Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

15 in Mannheim und bei atlen Pofſtanstalten.



















Ein Staatsmann der Zukunft.

A Vill man eines recht erquickenden sittlichen Kon-
traſtes froh werden und sich aus der Zerfahrenheit unserer
Zustände auf den festen Boden gesunder Prinzipien retten,
so leſe man die erbärmlichen Anschuldigungen und
Klatschereien der Offiziöſßen und vergleiche ſie mit der
würdevollen Erklärung des Freiherrn v. Edelsheim,
die bei allem Todtſchweigen nur immer lebendiger wiro.
Der vormatige Minister der auswärtigen Angelegen-
heiten unſeres Landes, der während der faulen Gährung
von 1866 nominell am Ruder ſtand , hat ſich bei der
Bildung der Wahlreformliga betheiligt, weil auch er, und
gerade er am Beſten weiß, woher das unſelige Schwanken
unſerer Politik, woher ſchließlich die willenloſe Preisgebung
des Staates stamme, welche Kammerroutine, welches
Wahlgeſez uns in die traurig bekannte Sackgaſse ge-
ührt haben.
; | hrt ſteht dieser Name unter den Mitgliedern des
Komites von Achern und Freiburg, als die giftigſten Re-
kriminationen laut werden, als Das zum Verbrechen ge-
ſtempelt wird, was 1866 im Mai und Juni höchſt loyal
war, wofür die Herren Lamey , Ecſhardt, Kiefer
mit derſelben „feurigen“ Beredtſamkeit einſtanden, die
ihnen später für das absolute Gegenlheil, für die Ver-
leugnung ihrer eigenen Anficht zu Gebote stand. Ja,
wir erlebten die schmachvollſten Andeutungen von , ge-
heimen Gründen“ dieses unsres Blattes, Andeutungen,
an denen jed e S ylbe erlogen iſt; wir erlebten, daß
eine Erbſchaft als draſtiſch s Mittel für die Wahlre-
formliga dem verehrlichen dottrinären Philiſterium ſervirt
wurde. ; ; “eur. f
Natürlich! „Wo auf sachlich em Gebiete die Chancen
des Kampfes ihnen ſo wenig günſtig erscheinen, übertragen
ſie ihn auf das perſönliche Gebiet“ ~ so eröffnet
Edelsheim seine von Ruhe getragene, von Thatſachen
strogende Erklärung. :51

Und darauf beleuchtet Edelsheim die „thatſä lichen
Fälſchung en“ der Meute und insbesondere die Be-
zeichnungen eines „getreuen Kämpen des Kaiser-
hauſes“ und eines „ächten Vollblutjunkers ,“ die
man ihm hat angedeihen laſſen. Die Beweise liegen vor,
erdrückend, vernichtend, wenn sich das Ungeziefer vernichten
ließe. Die Beweise liegen vor und erhärten zwei unum-
ſtößliche Sätze: Ich war nich t österreichisch, nicht an ti-
preußiſch, ich war und bin antibismarckiſch. Und
zum Zweiten: Ich war als Minſſter immer liberal,
immer in der Minorität, ſobald es ſich um entſchiedene
Reformen handelte.

Wer es anders weiß, Der trete auf und rede.

_ Insbesondere Sie, Herr La meh, der Sie auch als

„Oesterreicher“ bei Ihren jetzigen Anbetern versſchrieen
waren, kommen Sie aus Jhrem Versſtecé heraus, ſagen
Sie uns und dem badiſchen Volke: worin unterschied ſich
1866 Ihre Politik von der Ihres Kollegen Edelsheim;
hat er für Oesterreich, für das Oesterreich der vier Grafen
geſchwärmt, hat er das Volk in Preußen gehaßt und für
Mongolen ausgegeben, oder wollte er, gera de wie Sie,
die verderbliche, hinterliſtige Gewaltpolitik Bis marck's
bekämpfen? Worin wich er von Ihnen ab, weßhalb gingen
Sie Beide gemeinsam, welche Brücke fanden Sie zum
Rücétritt in das gegnerische Lager, die Herr v. Edelsheim
nicht betreten kon nt e ? Was ſcheidet Sie beide im gegen-
wärtigen Augenblick, wenn es nicht der Kultus des

Erfolges auf der einen und die Prinzipientreue

auf der anderen Seite iſt?
Nehmen Sie endlich das Wort, Herr Staatsrath, und
überlaſſen Sie die Darstellung von Verhältnissen, bei
denen Sie mit der eigenen Ehre betheiligt sind, nicht
beſtändig Federn, von deren Moralität Sie ſelbſt Ihre
wohlbegründete Anſicht haben müſsſen ! :
_ Und noch Eins. . Das Innere, Herr Staatsrath, war
ja Ihr eigentliches Gebiet. Iſt es wahr oder nicht, daß
Herr v. Edelsheim in Sachen der Miniſterverant-
wortlichteit, der Gemeindeordnung, des Ver-
eins- und Versammlungsrechte s die „äußerste Linke“
im NMiniſterrathe bildete, daß er der „bureaukratiſchen
Omnipotenz“ des Herrn Ma th y beſtändig entgegentrat,

daß die entsſchiedenſten Ansichten von ihm „warm befür-

wortet und allerdings in den meisten Fällen ohne Erfolg
vertreten wurden." mug

Venn Sie ſchweigen, so sagen Sie Ja, obgleich dieses
ſchweigende Ja das Eingeſtändniß der von Ihnen beobachz
teten Halbheit iſt, die jedem Manne entschieden freiſinni-





gen Charakters für immer und je die Luſt benehmen
dürfte, mit Ihnen im hohen Rathe des Landes zu-
sammenzufsitzen. )

Wir wiſſen nicht, wie lange das badiſche Land noch
selbstständige Minister berufen wird; aber Das steht für
uns fest, wenn im ſelbſthändigen Baden einmal ein Mi-
niſterium nach dem Willen des Volkes eingeſeht wird ~
Herr v. Edels heim könnte, ohne Anstoß zu erregen,
seine frühere Stellung wieder einnehmen. ;

Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 11. Juni.

* Je größer an Zahl und je entschiedener in republi-
kaniſcher Richtung der Zuwachs ist , welchen die Oppoſi-
tion im gesetzgebenden Körper Fra nk reichs durch die
dießmaligen Wahlen errungen hat , deſto wahrscheinlicher
war es mehreren franzöſiſchen Blättern erſchienen , daß
der Kaiſer den Zeitpunkt, an welchem er der neuen Ver-
tretung in das ſo feindlich veränderte Antlit, zu ſchauen
habe, möglichſt hinausſchieben werde. Vielfach war da-
rum die Vermuthung aufgetaucht, daß ſelbſt die Vor-
ſißung, in welcher die Prüfung der Wahlmandate ſtattzu-
finden und die der ordentlichen Sizung voranzugehen
hat, erſt auf eine ſpätere Zeit werde einberufen werden.
Offiziöſe Auslassungen lassen erſehen, daß der Wunsch nach Ver-
zögerung auch in der That von einem Theile des Minister-
rathes und im Kreise der Vertrauensleute des Kaiſers gehegt
worden und daß das geſtern mitgetheilte Dekret, welches den Be-
ginn der Vorsſizung ſchon auf den 258. d. feſtſezt, erſt
nach längeren Debatten besſchloſſen worden iſt. Von meh-
reren Seiten, ſo berichtet die oftmals zu miniſteriellen
Mittheilungen benütze Korrespondenz Havas, wurde „im
Miniſterrathe auf das Dringlichſte geltend gemacht , daß
die Prüfung der Vollmachten zu den heftigſten Debatten
und einem neuen Auflodern der politiſchen Leidenſchaften
Anlaß geben werde. Dieser Meinungsversſchiedenheit gegen-
über soll sich der Kaiser dahin ausgeſprochen haben , daß
er persönlich vorziehe, ſobald als möglich zu wiſſen , was
man zu fürchten habe. Sollte eine neue Exploſion der
politischen Leidenschaften ſich kundgeben, so würde dann
für ihn der Augenblick gekommen ſein, definitive Cntſchlüſſe
zu faſſen." Darnach wäre älſo die Haltung,, welche der
Kaiser Angesichts der Waylergebniſſe einzunehmen geson-
nen iſt, bis jezt noch nicht feſtgeſtell. Ueber die Strö-
mung, die dermalen in den imperialiſtiſchen Gedanken die
Oberhand haben soll, gibt das kaiserliche Leibblatt, der
„Peuple“ , einige Andeutungen mit dem Ausſpruch, daß
iman der öffentlichen Meinung Rechnung tragen , der
tünftigen Mehrheit des geſet gebenden Körpers durch Cin-
räumung einer größeren Initiative ein verſtärktes An-
sehen im Lande verschaffen und das Programm des Zen-







trums und der weniger ſchroffen Fraktion der Linken an- |

nehmen müſſe. Fortſeyung also des heuchleriſchen Spieles
mit ſcheinliberalen Konzeſſionen, das den persönlichen
Despotismus verdeckt. Und damit gedenken die Im-
perialiſten dem Geiſt zur Ruhe zu bannen, der, Allen sicht-
bar, im Lande einherſchreitet: den Geiſt der Republik.
„Napoleon hat, bemerkt die „Reue Fr. Pr.“, die Republik
zwar umgebracht, aber die republikaniſche Staats-
form hat etwas von Banquo an ſich. Wenn ſich der
Tyrann zur Tafel begeben will, seßt ſich der Geiſt an
ſeinen Plat und stößt ihn vom Stuhle. Ideen ſind ent-
ſetlich zäh; sie leben mit zwanzig tiefen Wunden weiter,
ſie steigen zur ungelegensten Zeit herauf und ſchrecken ihre

Widersacher. Die republikaniſche Staatsform hat Na-

poleon in jenen blutigen Dezembertagen vernichtet; die
republikanische Id ee, so hart ihr auch zugesetzt worden,
will nicht sterben. Sie lebt in Frankreich fort, sie iſt in
den dießmaligen Wahlen mit überraſchender Friſche zu
Tage getreten. Darüber täuſcht man sich auch in den
Tuilerien nicht. Darum ſieht Napoleon Ul. dem Zu-
sammentritte der neuen Kammer nicht ohne Sorge ent-
gegen. Denn er erkennt, daß es ihm nicht gelungen ist,
die Jugend zu gewinnen. Seine Anhänger ſchwin-
den, die Freunde des zweiteu Kaiserreiches ſterben dahin,
die alten Feinde werden täglich unversöhnlicher, und das
jüngere Geschlecht wendet ſich widerwillig ab. Erschreckende
Ertenntniß für ein Syſtem, das nur möglich ist durch die
Lüge, daß es von der Mehrheit des Volkes gebilligt und
getragen werde. Die Wahlen von 1869 liefern den
Nagel, die Wahlen von 1876 werden, wenn die Stei-
gerung der Oppoſition im ſelben Verhältnisse zunimmt,
den Sarg des zweiten Kaiserreiches liefern. So hätte es
im besten Falle noch ſechs Jahre Friſt + wenn keine





Revolution erfolgt. In ſechs Jahren bricht es vielleicht
ohne diese zuſammen.“

Dem Senat in Belgien iſt von seinem Ausschusſe,
mit 5 gegen 3 Stimmen, vorgeſchlagen worden, dem Ge-
ſeßentwurf über Aufhebung der Schuldhaft, wie er kürze
lich zum zweiten Male aus den Berathungen der Depu-
tirtenkammer hervorgegangen, die Zuſtimmung abermals
zu verſagen. Zwei Ausschußmitglieder hatten sich der Ab-
ſtimmung enthalten : unzweiselhaft in der politischen Er-
wägung der Mißlichkeit eines mit der anderen Kammer
und der liberalen Regierung drohenden Konfliktes, dem
mit einer Auflösung des Senates zu begegnen das Mi-
niſterium entſchloſſen zu sein scheint.

In Oesterreich macht die Vorführung des Biſchofs
von Linz vor das weltliche Gericht den Konkordatsſchwär-
mern ſchweren Kummer. Zwei Deputationen = eine
geiſtliche unter Führung eines Domherrn und eine welt-
liche, an deren Spitze der Graf Brandis stand –~ waren

von Linz nach Wien abgegar gen, um dem Kaiser ihre

Schmerzen zu klagen. Daß dieſer sie nicht empfangen,

| sondern auf den gesſsetlichen Weg verwiesen hat, wurde

geſtern bereits mitgetheilt; heute kann als ein neuer Be-
weis, daß die öſterreichiſchen Behörden in dieſer Angelegen-
heit klerikalem Getreibe, sohald es sich auf ungeſetlichem
Wege befindet, nach allen Richtungen hin entgegentreten,
gemeldet werden, daß die Staatspolizei iu Linz eine Ver-
sammlung im dortigen katholiſchen Kaſino, bei welcher
mit Verlegung der Statuten eingeladene Fremde an den
Berathungen über die biſchöfliche Angelegenheit theilge-
nommen hatten am 9. aufgelöſt worden iſt.

Deutſchiand.

* Mus Baden, 11. Juni. Als es ſich für die
„Offenburg er“ am 23. Mai darum handelte, ſich
nach „rückwärts“ zu konzentrirn, um von dem Gros
der Ministeriellen aufgenommen werden zu können, warfen
sie das allgemeine und direkte Wahirecht – das neue
Kiefer’sſche Hinterladungsgewehr, mit dem ſie von Offen-
burg ausgezogen waren –~ in das Korn, um raſcher
laufen zu können. Das Dezember-Prograuun der Offen-
burger ging von der Vorausſeßzung aus, daß die gegen-
wärtige Wahlart und Zuſammensezung der zweiten Kam-
mer ſich überlebt habe; es verlangte anstatt des Orts-
bürgerrechtes das Staatsbürgerrecht als Grundbedingung
des Stimmrechts, statt der offenen die gehrime Stimm-
gebung, eine andere Vertheilung der Wahltreiſe und be-
tonte die direkte Wahlart, freilich nicht im Ernſte, sondern
nur als Köder für das Volk, um es hiermit in die Netze
der „ſelbſtſtändigen Partei“ der Offenburger zu locken,
und es, in dieſen einmal gefangen, mruderſtandslos zu
verpreuſgen. In Pforzheim ſollte ſichs ändern. Hier
traten die Gegner der Verpreußung ein , invem sie bean-
tragten, das von den Offenbiyrgern in ſo beredter Weiſe
befürwortete allgemeine und dikette Wahliecht sei alsbald
in Baden einzuführen, damit endlich eine Forderung er-
füllt werde, welche Recht und Gerechtigkeit ſeit lange ſtellen.
Wohl oder übel ~ die Offenburger mußten dem Antrage
in der betreffenden Verſammliung zuſtimmen, oder ſchimpf-
lich abziehen. Sie stimmten zu und ſtecktten nun ſelbſt
in der Andern gelegten Schlinge. Die Gegner der Ver-
preußung unseres Landes traten für das allgemeine und
direkte Wahlrecht ein, um den Willen der Bevölterung
zur Geltung zu bringen und die von der Regierung sowohl
als den Offenburgen befolgte sogenannte nationale Politik
über Bord zu bringen. Dieß wirkte. Die muthigen
Plänkler gingen nun über Off uburg nach Karlsruhe
zurück. Die Offenburger Mai- adreſſe verwäſſert die „frei-
ſinnigen Forderungen“ des Dezember-Programms, bis ſie
farb- und geschmacklos geworden ; das egierungsorgan
goß noch mehr Wasser zit, ſo daß in den betreffenden
Verfasſſungsfragen von dem nächſten Landtag kein über-
mäßiger Fortſchritt zu erwarten iſtz auch wenn es gelin-
gen sollte, bei der jtigen Wahlart eine Anzahl der er-



ledigten Abgeordnetenſize an Miäuner des Voikes und des
entschiedenen Fortschritts zu iibertragen. Freilich iſt es
die Aufgabe der Volkspartei, bei den bevorſtehenden
Wahlen ihre Schuldigkeit zu thun, obgl.ich das alte
Wahlgeſeß den Gegnern zu Gute kommt; die Hauptaufs
gabe aber bleibt, fortgeſezt und unermüdlich für die all-
gemeinen und direkten Wahlen mir geheimer Stimmges
bung zu wirken, damit endlich eine wahrhafte Vertretung
des Volkes zu Stande komme und alles Schemwesſen be-
seitigt werde. ~ Aus Frantfurt wird der „Karlsr. Ztg.“
geschrieben : Der Großherzog weile nun ſuit dem 3. d.








 
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