¿. 90.
1869.
Samiſſtag, 17. April.
Organ der deulſchen Vollspartei in Paden.
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Aufgehen in Preußzen ?
Wenn das deutſche Volk auf jene Weiſe zu ſeiner
Einheit käme, wie es die Befürworter des Eintritts der
Südſtaaten in den Nordbund wünſchen –~ wenn dann
ſtatt eines Theils das ganze deutſche Volt alle ſeine
cc
Kulturintereſsſen und die Schöpfung seiner Zukunft den
Prieſtern des Militärgötzendienſtes unbesonnener Weise
anvertraut hätte + was wäre sein Dank, was ſein Loos ?
Wir lassen die unwiderleglichen Worte Gritzners, dessen
Werkchen „Politisches“ eine Fülle von politiſchen Wahr-
heiten enthält, die Antwort sein:
Einmal von der drohenden Zentralisation feſt umſstrickt,
wird es Jahrzehnte, ja vielleicht Generationen lang gedul-
dig harren und immer tiefer in Knechtſchaft verſinken,
bevor es + unter begünſtigenden Umſtänden außerhalb
Deutſchlands + ſich wieder einmal aufrefft.
Sehen wir doch auf Preußen ſselbſt. Sind dort viel-
leicht die Wirkungen des zentralifirenden Absolutismus
nicht fühlbar genug ?
Hat die Rheinprovinz, hat Schleſien, hai irgend eine
der Provinzen noch irgend einen maßgebenden Einfluß
auf die Landesregierung oder wird etwva nicht der Gang
der Dinge lediglich von Berlin beſtimmt ? Hat das Volk
vielleicht als Ganzes noch eine Stimme gegenüber der
in Berlin zentraliſirten Militär- und Steuerkraft des
ganzen Landes? JIſt das Volk von einer Bureautratie,
die von Berlin aus ihre Zweige bis in die fernſten Lan-
deswinkel breitet, nicht etwa bis in die kleinſten Details
ſeines Thuns und Lassens bevormundet ?
Ilſt die ſogenannte Volksvertretung etwa nicht im ſel-
ben Maße, “als ſich die Zentralisation vollzog, raſch zu
einer Schattenkomödie herabgeſunken ? Hat ſich nicht unter
dem Cinfluſſe der Zentraliſation der Richterſtand zum
großen Theil zu einem willen- und charakterloſen Wert-
zeuge der Gewalt entwürdigt? Ist nicht das Votkk selbſt
Ut dem Gifthauche der Zentraliſation arg demora-
liſirt s
Oder war es nicht das preußiſche Volk, das ſeiner
Zeit mit dem übrigen Deutſchland für Recht und Freiheit
des deutſchen Bruderſtammes in Schleswig-Holstein pero-
rirte, ſang und schwärmte?
Und als es den Dänen entriſſen war und Bismarck's
Absicht zu Tage trat, den Bruderſtamm unbefragt und
unbekümmert um ſeine bei jeder Gelegenheit deutlich kund-
gegebene Abneigung in das preußiſche Joch einzuſchließen
~ war es da nicht das preußiſche Volk, das plötlich
verſtummte, nicht mehr perorirte, nicht mehr sang, nicht
mehr ſchwärmte, sondern pfiffig in den Bart lächelte und
den ſchlauen Premier gewähren ließ ?
War es nicht das preußiſche Volk, das in seiner un-
geheuren Mehrheit noch bis zu dem Ausbruche des preu-
ßiſchen Krieges gegen Deutschland die Regierung und ihren
Premierminister haßte, ihre Blut- und Eisen-Politik Deutsch-
land gegenüber verdammte und Bruderliebe für alle Deut-
ſchen athmete ?
Hat dann etwa das preußiſche Volk, als seine Regie-
rung Deutſchland in der That den Krieg erklärte, seine
Bruſt zwiſchen den verhaßten Premier und die bedrohten
Bruderſtämme geworfen, um ihnen Ströme Blutes und
namenloſes Elend zu erſparen? War es nicht viel mehr
das preußiſche Volk, das im Handumdrehen beim ersten
Waffenerfolge und sobald neue Länderbeute in Aussicht
kam, ſich derselben Regierung zu Füßen warf; bereitwil-
lig ſeine Söhne, ja ſelbſt die Väter seiner Familien, zum
Schlächterhandwerk hergab, die wenigen charakterfeſten
Männer seiner damaligen Fortſchrittspartei verleugnete
und mitten im Kriegslärme eine Kammer voll neubekehr-
ter Blut- und Ciſenmänner wählte, um der Regierung
neben den Siegen draußen den wichtigeren Triumph im
Innern zu bereiten ?
Und als die Furie des Krieges durch unjere gesegneten
Gaue tobte, als unsere Fruchtfelder zertreten, unser Wohl-
ſtand zertrümmert, unſere Städte gebrandſchatt, als auf
blutdampfenden Schlachtfeldern das Todesröcheln der hastig
überfallenen und muthwillig zum Kampfe gezwungenen
deutſchen Brider und das Wehklagen der Ihrigen zum
Himmel. stieg ~ da jubelte das preußische Volt dem eben
noch ſo gehaßten Blut- und Ciſenminister zu, spannte die
Pferde vor seinem Wagen aus und ſich daran, und ſchrie
nach mehr Siegen — –~ ~ Jede Opposition ist ver-
ſtummi. Das preußiſche Volk und seine Regierung ſind
_ Cins geworden. O! daß sich die von Preußen noch nicht
verſchlungenen deutſchen Volsstämme durch die Demo-
raliſation, die die abſolutiſtiſche Zentraliſation in Preußen
in wenig Jahren bewirkte, warnen lassen und irgend eine
ſtaatliche Gestaltung dem preußiſchen Cäsarismus vorziehen
möchten!
Politiſche Neberſicht.
Mannheim, 16. April.
* In unſerer vorgeſtrigen Nummer haben wir in kur-
zen Umrissen den Inhalt der Rede gezeichnet, worin der
Kriegsminister Fra nkreichs in der Mittwochsſitzung des
gesetzgebenden Körpers unter obligater Begleitung der üb-
lichen Flötentöne von friedfertiger Gesinnung das Lob
der neuen franzöſiſchen Armeeorganſsation geſungen hat,
welche es möglich mache, im Handumdrehen und ohne die
Aufmertſamkeit des Auslandes wachzurufen 600,000 Mann
zu kriegerischer Aktion bereit zu haben. Hören wir nun
auch, welche Antwort der Demokrat Picard dem Mar-
schall darauf gegeben. „Der Herr Kriegsminiſter ~ er-
klärte er – hat uns von Frieden geſprochen, indem er
ſich zugleich einem unbändigen Säbelgerassel hinggab. Er
hat hinzugefügt, daß die Armee nun binnen acht Tagen
auf den Kriegsfuß gebracht werden, daß wir jeden Augen-
blick Krieg beginnen könnten, ohne genöthigt zu ſein,
Dieß kundzugeben. Ich bedaure, daß man im moder-
nen Europa davon zu ſprechen wagt, Krieg in Zeit von
24 Stunden führen zu können. Heute beſteht eine ſolche
Solidarität unter den Nationen, ein so fest beſtimmtes
Völkerrecht, daß eine Nation, die ſich plötglich über eine
andere herſtürzen würde, sofort von der Zivilisation in
die Acht erklärt werden würde. Die Gewalt kann heute
nur noch im Dienſte des Rechtes beſtehen. Befürchtet
man etwa oder kann man nur befürchten, daß wir be-
droht seien? Sollen Ihre Zwölfmalhunderttauſend Sol-
daten nur eine Bürgschaft für die Vertheidigung des
Landes sein? Nein; dieselben ſind lediglich eine Macht,
welche Sie vorbereiten, um die falſchen Berechnungen
Ihrer Politik wieder gut zu machen.
daß man in Frankreich ruhig sei, aber daß jenseits des
Rheines ohne Aufhören ktriegeriſche Gerüchte in Umlauf
seine. Sie ſind es, welche dieſe Gerüchte rechtfertigen.
In der That, wie ſoll man bei unseren Nachbarn nicht
von Krieg sprechen, wenn Sie laut verkünden, daß Sie
600,000 Mann haben, bereit, auf den erſten Befehl zu
marſchiren! Niemand denkt daran, uns anzugreifen.
Haben wir deßhalb eine so furchtbare Macht nothwendig,
die unsere Nachbarn beunruhigt, ohne uns zu kräftigen?
Wir bedürfen nur eine Organiſation, die uns geſtattet,
in der Kraft des Rechtes zu handeln.“
Bei der seit einiger Zeit vorherrſchenden totalen Ebbe
politischer Tagesereigniſſe kömmt es recht gelegen –~ und
auch in Anbetracht der Ungläubigkeit, die unter dem le-
benden Geschlechte immer mehr einzureißen droht, iſt es
höchſt zeitgemnſß –], daß aus Rom die Kunde eines
neuen Wuuders kommt. Als ein ſolches wird be-
richtet, daß bei der letzten, in die Tage der Sekundizfeier
gefallenen Ziehung der dortigen Lotterie die ſogenannten
„Papſtnummern“ 9, 11, 50, 69 und 26 ſsämmtllich her-
ausgekommen sind. Gänzlich uneingeweiht in kabbaliſti-
sche Myſterien vermögen wir über die Umstände, welche
den genannten Ziffern zur Ehre von „Papſtnummern“
verholfen haben, keinen Aufschluß zu geben; nur in Be-
zug auf die Nummer 26 wird durch die vom Telegraphen
beigefügte Notiz, daß dieselbe die „Sekundizmesſe“ bezeichne,
unserer tiefen Ignoranz ein wenig abgeholfen.
Nachdem die Existenz der „Zeichen und Wunder“ hie-
mit so glücklich konstatirt iſt, hat ein Kriminalgericht in
Preußen, das Berliner Stadtgericht nämlich, ganz Recht
gethan, wenn es vorgeſtern den zweiten Sprecher der
dortigen freizreligiösen Gemeinde, Herrn Schäfer, wegen
Angriffe auf die christlichen Dogmate des persönlichen
Gottes, der perſönlichen Unsterblichkeit und der ſatramen-
talen Wirkungen zu drei Monaten Gefängniß verurtheilte.
Daß bei der Anllageverhandlung die Oeffentlichkeit voll-
ſtändig ausgeſchloſſen worden, gibt der „Volksztg.“ An-
laß zu den nachſiehenden ſpöttelnden Säten: „Jm Pub-
likum erzählte man, der Hr. Staatsanwalt habe den An-
trag gestellt, Herrn Schäfer auf einem Scheiterhaufen zu
verbrennen. Da aber der Feuertod für Ketzer — leider!
— abgeschafft iſt, ſo fand jene Angabe nur bei Wenigen
Glauben. Richtiger düfte ein anderes Gerücht sein, der
Hr. Staatsanwalt habe beantragt, den keteriſchen Predi-
ger nur auf ein Jahr lang einzuſperren, und der Gerichts-
hof habe das Strafmaß auf drei Monate festgesetzt. Die | beschäftigt hatte, iſt ſie ge
Sie fügen hinzu, .
Berliner Telozrauhenbureaus beeilten sich, das Resultat
des Prozeſſes noch Rom. und Madrid zu melden.“
Mit der tröſtlicken Nachricht, daß Berliner Blätter
die im Dreyſen ſchen Elabliſsſement geglückte Erfindung
eines neuen, die bisherigen an mörderiſcher Wirkung über-
treffenden Zünd nad elgew e hre s melden, ſchließgen wir
unsere heutige Rundschau.
Deutſchland.
* Aus Baden, 16. April. Wir können es glau-
ben, daß es dem Miniſsterium Jolly anfängt unge-
müthlich zu werden. Wohin es ausſchaut, keine Freunde.
Aber es darf doch auf die Beamten zählen, so wird man
einwenden. Mit Nichten, die „Warte“ ſchreibts und die
kann es wissen, daß die Beamten seit dem Offenburger
Handel in ein fatales Dilemma = zwiſchen Jolly und
Lamey gestellt ſind, daß ſie noch nicht wiſſen, ob Jolly
bleibt, ob Lamey wiederkehrt . . . und deßhalb kein Ver-
laß auf sie. Nach unserm Dafürhalten. wäre die Wie-
derkehr Lamey's kein Gewinn. Die alte Halbheit und
Unentsſchiedenheit würde sich neuerdings breit machen und
der Wechſel würde weit mehr ein Wechſel der Perſonen
als ein solcher des Syſtems sein. Damit iſt dem Lande
nicht gedient. Die Bestrebungen für die Verpreußung des
Landes müssen aufgegeben, überwunden werden. Und ~
sie überwinden sich ſelbſe. Mögen doch die Herren Agi-
tatoren des neugebackenen Liberal-Nationalismus einmdl
ihre Erfolge überſchauen, ihre Armee inſpiziren. Sie
werden verteufelt wenig zu überſchauen und zu inſpiziren
haben. Die „Warte“ trifft den Nagel auf den Kohf,
wenn sie der Ansicht iſt, daß die Herren Eckhard, Lamey
und Kiefer Geiſter riefen, deren sie ſpäter nicht mehr
Herr werden. Dieß iſt ſchon jetzt der Fall. „Wach sein
iſt Alles." Wer wach geworden, läßt ſich durch Schön-
rednerei nicht ferner beſtechen; Der will die That. +
Die „Bad. Ldsztg.“ denunzirt; der „Bad. Beob. - hefür-
wortet ein enges Zuſammengehen der verschiedenen
unzufriedenen Parteien, um ein anderes Wahlgesetz
zu erzielen. Wir erklären, daß weder eine Koalition ver-
ſucht wurde nach verſucht werden wird. Die demotrati-
sche Partei gibt ihrem Verlangen offen und ehrlich Aus-
druck. Begegnet sie ~ und darüber iſt wohl kein Zwei-
fel – in ihrem Verlangen dem Willen der Mehrheit der
Bevölkerung: so kann und wird in Gemeinſchaft der
Wunsch des Landes dem Großherzoge kundgegeben und
die Abſicht erreicht werden können, ohne daß es nothwen-
dig fiele, irgend einer Partei den geringſten Zwang aufz
zuerlegen. Was weiter geht, wäre + wie jede Fuſion
und Koalition ~ vom Uebel. – Der Landestkultur-
rath hat ſeine Arbeiten beendigt. Dieselben erstreckten
sich auf Begutachtung des Entwurfs zu einer Vollzugs-
verordnung in Betreff der Güter- Vereinigung und Zu-
sammenlegung, auf Vorlagen in Bezug auf mittlere und
niedere landwirthſchaftliche Lehranstalten, über die Farren-
ordnung und die Pferdezucht. Da der Kullurrath durch-
aus nur den Charakter einer Enquetekommission besitzt,
haben seine Beſchlüſſe keinen unmittelbar prattiſchen Er-
folg; die „Warte“ hofft aber zuversichtlich, daß sein gut-
achtlicher Ausspruch auch da, wo derſelbe von der Auf-
faſſung der großh. Regierungsbehörde abweicht, einer sorg-
fältigen Prüfung unterzogen werde und daß diese neue
Einrichtung nicht nur zum Schild des Bureautratismus
den Kammern und dem landwirthſchaſtl. Verein gegenüber
verwendet werde.
* München, 15. April. Gutem Vernehmen nach
wird die Dauer der Landtagsſeſſion bis zum 27.
verlängert werden. + Die Abgeordnetentammer
fährt, dem Zustandekommen der Geseße zu Lieb, ſleißig
fort, ihre Beſchlüſſe denen des anderen Hauſes anzupassen.
So hat ſie in ihrer gestrigen Sitzung die ſämmntllichen
28 Difterenzpunkte, welche in Bezug auf die G eme inde-
ordnung in der Pfalz zwiſchen ihr und der Reichs-
rathskammer noch vorhanden waren, faſt ohne alle De-
batte durch Zuſtimmung zu den reichsräthlichen Abändes
rungen beseitigt. Ctwas ſchwerer gelang es, eine Ueber-
einstimmung bezüglich des Gesetzes über die öffentliche
Armen- und Krankenpflege herbeizuführen, doch
wurde schließlich auch hier zugegeben, daß der Vorſit im
Armenpflegſchaftsrathe dem Pfarrer, wie die Reichsräthe
es wollen, und nicht dem Gemeindevorsteher, wie die Ab-
geordnetenkammer früher beſchloſſen hatte, einzuräumen ſei.
Nachdem die Kammer mit dieſen beiden Gegenständen ſich
ſtern noch auf die Hunde ge-