F. 99.
1869.
Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
Die „Mannheimer
Organ der deulſhen Volkspartei in Baden.
Feſtiage – täglich als Abendblatt ausgegeben. Der Ubonnementispreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten. ;
Er lernt zu!
I.
2. Es gab eine Zeit, wo der Herr Graf keinen Be-
griff von Verfaſſung hatte und höchſtens Feudalstände
kannte, welche die Wälder von Letzlingen gegen Raubge-
lüſte der Markgrafen von Brandenburg ſchügen könnten.
Hierauf kam eine Zeit, wo der jezt ſo „maßgebende
Staatsmann“ nicht wußte, was eine Konſtitution iſt
und Preußen Jahre lang mit der „Lücke!. d. h. mit
dem Paragraphen regierte, der nicht in der Konstitution
ſteht. Sodann lernte er das fabelhafte Ding, „C äs a -
rismus“ genannt, kennen, und als ihm Jemand den
Tazitus zeigte, ſagte er verwundert: Die Imperatoren in
Rom haben es ja gerade gemacht wie Louis Napoleon!
Endlich kam Hr. Bancro f t von Washington nach
Berlin und theilte dem Norddeutschen Bundeskanzler mit,
daß man die Einrichtung in den Vereinigten Staaten
von Nordamerika „Föderalis mus“ nenne. Als end-
lich die Volkspartei die Frage ſtellte, ob Norddeutſchland
durch die Dezentraliſation die Regungen des ,„FÖöde-
ralismus" erſeßzen könne, rief Bismarck ganz entzückt :
Ich hab's: „Dezentralisation, berechtigte Cigenthümlich-
keiten!“ ;
Man ſieht es gab niemals einen gelehrigeren Pudel,
der einem armen Manne das Gnadenbrod erſprang, als
dieser pommeriſche Junker, der von der Natur zum Klopf-
fechter und Zungendreſcher bestimmt war. Er lernt immer |
zu und verwendet seine funktelnagelneuen hiſtoriſch-politiz
ſchen Kenntnisse per kas et nekas, wie ins Blaue hinein >
nur der Reichstag merkt, daß er ſehr gelehrt iſt und von
geſchäftlichen Kenntnissen ſtrott..
In seiner lezten Rede, die hoffentlich in ein hiſtori-
ſches Luſtſpiel hinüberperlt: „Hans von Rippach als
Staatsmann“ verbraucht der Hr. Graf nun ſein ganzes
gelehrtes Material mit einer Logik, welche seine „berech-
ligte Eigenthümlichkeit“ iſt, zu dem unerhörtesten politi-
ſchen Salat, der je ſervirt wurde. Der innerſte Gedan-
tengang dieſes Monſter-Spruchs iſt etwa folgender :
„„Ich ſitze feſt, Das iſt das Gewisſeſte von der Sache.
Indeſſen „„Alles iſt provisorisch in der Welt“, selbſt der
Cäſaris mus, den Louis Napoleon erfunden, ſelbſt
„Blut und Eisen“, welche Preußen zu Großpreußen ge-
macht haben. Der Teufel soll nun die Nationalliberalen
holen, die jeßt meine Melodie nachpfeifen und wie die
Kanarienvögel kreiſchen, gerade jezt, da ich die Melodie
von der Drehorgel abseßzen muß. Ich werde ihnen eine
ganz andere Weise einüben.
„„Dieser verwünſchte Bonaparte iſt mir zu schlau ge-
weſen, und dieser kühllächelnde Beuſt hält die Zwickmühle
an der bayeriſchen Grenze besezt. Das aber darf ich
nicht sagen, weil sich die Beiden sonst die Rippen vor
Vergnügen halten würden. Schimpfen wir dafür reſolut
auf die Süddeu tsch en! Sie ſind „,partikulariſtiſch“,
„konſervativ“ ; wir ſind ihnen zu liberal und zu national,
oder zuſammen, um mich Ihres Ausdrucks zu bedienen,
„u nationalliberal“. (Eine lächelnde Fettſauce er-
gießt ſich um Hrn. Lasker's Mund.)
„„Unser Norddeutſcher Bund iſt diesen konservativen
Reichsdörflern viel zu feſt gebunden; ihr Staatenbund
muß weiter sein. Nun sehen Sie, m. HH., durch die
Bundesministerien arbeiten Sie auf eine noch größere
Zusammenziehung und Verengung des Bundes, auf eine
Art „Einheitsſtaat" hin. Dann kommen die Süddeutſchen
uns gar nicht, der Mainſtrom wird zum Peinſtrom,
zu einem breiten und tiefen Abgrunde, über den der Zug-
führer Miquel niemals hmauskommt. Die Tage der
„Gewalt“ sind vorüber, legen wir uns aufs Kajoliren!
„„Allerdings – und hier empörten ſich die bekannten
„Nerven“ + die Süddeutſchen ſind eine Art von Horn-
vieh; sie wollen nicht „Haut und Knochen“ an eine Re-
volution wagen, ſie laufen nicht Sturm auf ihre kleinen
Throne, um ihre Stammesfürſten vor dem großen Thron
des großen Königs niederzulegen. Die Süddeutschen ſind
auch Hunde, sie „buhlen offen um die Hilfe des Aus-
landes", ſie biarritzen jetzt Alle und sehen mit Bedauern
den Moment hinausgeschoben, wo fremde ſiegreiche
Bajonette mit dem Blute ihrer norddeutſchen
Brüder — Das ſind wir, i ch, der U ſe do m und ſämmt-
liche Bamberger — gefärbt werden; und was das
Schlimmste ist, dieſe „Landesverrätherei“ iſt ſo in Mode
gekommen, daß sie kein Menſch mehr „kennzeichnet und
brandmartt“ ; die Miniſter benutzen ſolche „Landesverrö-
ther“ bei den Wahlen, grade wie ich den Schweißer
und Konsorten. Es hilft aber Alles nichts, ich muß mit
diesem Hornvieh und diesen Hunden , kapituliren“ ; denn.
sehen Sie, der Bonaparte und der Beuſt, und die Mo-
bilgarde, und der Gortſchakoff, und der Möring und der
Sonnaz und ~ der Reſt heißt schweigen !
„„Was iſt da zu machen? Was da zu machen iſt?
Cinfach eine andere Melodie, und auf diese Melodie,
meine Herren, miiſſen Sie sich nothwendig einpauken,
wie wir Corpsburſchen zu sagen pflegten. Der Text lau-
tet: O Partikularismus, Blüthe Deutſchlands!
Ihr kleinen Centren, Gemeingut von Bildung
und Wohlstand, kommt an mein Herz, ich fühle Lie-
besſchmerz. Föderalismus, ſüße germaniſ che Er-
rungenschaft! vielleicht hat auch die Dezentralisation
die Kraft. England birgt seine berechtigten Eigen-
thümlichkeiten im Schatten der Dörfer und Gra f-
ſch a ft en – Graf Clarendon und du, o Times, wollet
an diesen Worten haften! In den nordamerikaniſchen
Freiſtaaten kann der Cinheitsſt aat nicht gerathen ; Hr.
Bancroft, schreiben Sie's hinüber, daß uns das Palla-
dium der Freiheit viel lieber. Und Du, vereinigtes
Niederlann, wo neben dem Statthalter nur der
Großpensionär ſtand! Perſönliche Freiheit in der
Republik, Das iſt jezt die Zukunftsmusik.
„ „Laſſen wir ab, meine Herren, von der Gewalt,
wir fahren dabei allzuſchlecht; ein anderer Ruf viel ſchö-
ner erſchallt, der Ruf nach der Freiheit und dem Recht.
Ich sage Ihnen, es geht nicht anders mehr, dieſe Melodie
) üben Sie recht sehr!
Verflucht die Meinung, die ſich ſelbſt be -
trügt! Am Beſten lügt, wer am Längſten lügt.
Ueber diese Melodie des Bundeskanzlers Jobſes ent-
stand ein nationalliberales Schütteln des Kopfes; Hr.
Schulze-Delitsch stotterte zuerſt dummes Zeug, die Andren
fanden sich nicht sogleich.
Alſo trug es sich zu, daß das Erkenntnißvermögen
des Grafen Bismarck am 16. April 1869 Offnung be-
kam. Die nunmehr offizielle Voltspartei aber verfiel in
einen erſchütternden Lachkrampf.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 27. April.
* Aus Spanien wird, nachdem der jüngſt vorge-
ſchlagene Thronkandidat , der Prinz Friedrich Karl von
Preußen, keinen absonderlichen Anklang gefunden, ein
neuer Thronbewerber ſsignaliſirt: der Erbprinz Leopold
von Hohenzollern - Sigmaringen. Cinige offiziöſe Pariser
Blätter haben die Gevatterſchaft dieses Vorschlages über-
nommen, über deſſen Aufnahme in Spanien ſelbſt bisher
noch nichts Verläßiges verlautet. Dagegen hört man, daß
Serrano noch immer an der Kandidatur des Herzogs
von Montpensier festhalte, und hierin mag wohl der
Grund zu suchen sein , der die republikaniſche Partei zu
ihrem Antrage auf Aussſchließung aller Zweige der
Bourbonen veranlaßt hat. Mit der Annahme dieses
Vorschlages in unveränderter Form würde übrigens zu-
gleich faſt allen europäischen Herrſcherfamilien die Beſtei-
gung des spaniſchen Thrones unmöglich gemacht, da der
Antrag sich wörtlich auf „alle Mitglieder der Familie
Bourbon, wie entfernt auch der Verwandtſchaftsgrad oder
die Abſtammung von dieser Familie iſt“, ausdehnt. Außer
dem Großtürken und dem Mann des allgemeinen Stimm-
rechtes in Frankreich iſt in Europg kein gekröntes Haupt
vorhanden, das ſich nicht bourboniſcher Verſchwägerung
zu rühmen hat. ~ Durch einige Neuwahlen, bei denen
die republikanische Partei mehrere Sitze gewann, hat ſich
das Parteiverhältniß in der Kortesverſammlung nun fol-
gendermaßen gestaltet: 120 Progressiſten, 84 Unionisten,
73 Republikaner, 22 Neotatholiken, 21 so genannte mo-
narchiſche Demokraten; 20 Mitglieder haben ſich keiner
Fraktion angesſchloſſen; einige Sitze ſind noch erledigt.
Wir haben gestern darauf hingewiesen, daß die ge-
ſammte Bismarck’ ſche Preſſe bei ihren Wuthausbrüchen
über das öſterreichiſche Generalſtabswerk über den Krieg
von 1866 ſich darauf beſchränkt, die Veröffentlichung
der „Blick-ins-Herz-Depesche“ als eine feindſelige Handlung
Osterreichs anzugreifen, während sie eine Rechtfertigung
des Inhaltes der in allen wesentlichen Punkten als echt
anerkannten Depeſche zu unternehmen nicht wagt. Es | ſ
hat Das wohl seinen doppelten Grund. Fürs Erste ſoll
der gewaltige Lärm über Nebensächliches die Aufmertſam-
keit von der Hauptsache ablenken; die über die Veröffent-
lichung aufgewirbelten Staubwolken
ſollen den Inhalt | Militärgerichtsbarkeit so
des Veröffentlichten verdecken. Fürs Zweite ist ersicht-
licher Weiſe dießmal selbſt diese Preſſe nicht im Stande,
für das garstige Ding ein ſchönes Mäntelchen aufzufinden.
Aus letzterem Umstande erklärt ſich auch das gänzliche
Schweigen der Bismarck’schen Blätter über manche andere,
ſchwer gravirende Angaben des öſterreichiſchen Geschichts-
werkes. Umsonst warten wir bisher unter Anderem auf
einen preußiſchen Widerspruch gegen die öſterreichiſche Mits
theilung, daß ,die franzöſiſche Regierung, als sie in
Berlin auf Zurückgabe von Landau, Saarlouis , vielleicht
auch Luremburg's hindeutete, einer veremtoriſchen
Ablehnung nicht begegnet iſt.e! Während das
Schweigen der preußiſchen Offiziöden an der Richtigkeit
dieser Angabe nicht zweifeln läßt, erinnert die „Neue Fr.
Pr.“ an eine, ſchon im Mai 1866 von ihr gebrachte
Londoner Mittheilung, worin die Abtretung deutſchen
Gebietes an Frantreich als der bei den Biarriter
Besprechungen verlangte und zugeſtandene Kaufspreis
für die napoleoniſche Neutralität bezeichnet war. In der
erwähnten Mittheilung war über die Stellung Frank-
reichs zum Kriege in Deutſchland und über die Gebiets-
forderungen Napoleons gesagt: ,1) Die französiſche Re-
gierung wird in dem bevorstehenden Kriege eine bewafſ-
nete Neutralikät bewahren, indem ſie in die Nähe der
Rheinlande und in die Nachbarſchaft von Nizza Truppen-
körper plaziren wird , welche die militärischen Vorgänge
in Deutschland und Italien bewachen ſollen. 2) Preußi-
ſcherſeits iſt durch den Grafen Bismarck die Zuſage er-
theilt worden, nach dem Kriege ein Stüc von
Lux emburg, einen Str eifen preußiſchen
Gebietes bei Saarbrücken undeinen anderen
Streifen in der bay er iſchen P f alz abzugeben.“
Genau dieselben Strecken alſo, welche nach der öſterreichi-
schen Angabe Napoleon später in der That beanſprucht
hat. Die ſich ergänzenden zwei Mittheilungen werfen
durch ihre Uebereinſimmung ein grelles Licht in die
finſtre Nacht des Biarrißer Komplots. Würde Napoleon
neutral geblieben sein, wenn ihm nicht eine Zuſage
gemacht worden wäre? Würde nicht preußiſcherſeits
eine peremtoriſche Ablehnung erfolgt sein, w enn man
ſich von allen Zusagen frei gewußt hätte ? Wurde
nicht Luremburg thatsächlich von Deutschland losgeriſjen,
auf die Zwischenstation gesetzt, die zwiſchen seiner früheren
Stellung und der zukünftigen Vereinigung mit Frank-
reich (vielleicht mittelſt einer Sukkrage universel-Volte)
liegt? Hat nicht Graf Bismarck ſelbſt sich in seinem
Parlamente über Luxemburgs Stellung so geäußert, wie
es nur ein bonapartiſtiſcher Staatsmann wünschen könnte k
Unter dem überwuchernden Geſträuch aller erdenkbaren
Steuerprojekte, die im Finanzgarten des Nord bundes
gehegt und gepflegt und großgezogen werden, iſt in ver-
ſchämter Stille ein Steuerveilche n aufgeblüht, an das
bisher dort oben noch Niemand gedacht hatte. Bei der
gestern im Nordbunds-Reichstag begonnenen Berathung
ber die HBranntweinsteuer kündigte der Regierungs-
kommissär an, daß außer den bereits erwarteten Vorsſchlä-
gen auf Besteuerung von Petroleum, Gas, Wechselſtempel
und Börsengeschäfte noch ein fünfter, auf Besteuerung
des Bieres, der geehrten Versammlung werde vorgelegt
werden. Die Bierſteuer werde nur eine „mäßige“ ſein,
fügte der Regierungsmund tröſtend bei; die Sensation,
die sich ob der Antündigung in der Versammlung kund-
gab, soll aber, wie der Sitzungsbericht kundgibt, eine
„unmäßige“ gewesen sein. Raſch voran, ihr Südſtaaten,
in den Rordbund; die neue Aussicht iſt allzu lockend.
In Bayern bestellt der Landtag sein Haus. Um
. noch vor dem übermorgigen Schluſſe seiner Thätigkeit über
möglichſt viele Gesetzesvorlagen Gesammtbeſchlüſſe zu ers
zielen, wird von beiden Kammern gegenseitige Willfährig-
keit in einem solchen Maße geübt, daß mitunter die Grund-
ſäte darüber in Vergessenheit gerathen. Das gilt wohl
nicht von jenem Beſchluſſe der Reichsräthe, durch welchen
sie endlich durch Zuſtimmung zu der vom anderen Hauſe
beſchloſſenen Heranziehung der Geiſtlichen zur Entrichtung
des Wehrgeldes das Zustandekommen des in Frage
ftehenden Geseßes ermöglicht haben; wohl aber gilt es der
Nachgiebigkeit der Abgeordnetentammer in Bezug auf die
Ueberweiſung nicht militäriſcher Vergehen Heeresangehöri-
ger an die Militärgerichte. Abweichend von dem von
einen Geſsinnungsgenoſſen und auch von ihm ſelbſt bei
manchen Anläſſen geübten Brauche, der Konsormität mit
Nordbundseinrichtungen jede andere Rüctſicht zu opfern,
hatte Dr. Völk das Verwerfliche dieser Ausdehnung der
ſchlagend nachgewiesen, daß die