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Samſtag, 20. März.
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Organ der deulſchen Volkspartei in B
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aden.
Di: „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der
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15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Die hannoverſche Legion.
Faſt täglich wird die sogenannte welfiſche oder han-
noverſche Legion berührt, und ihre Schattenseite wird ge-
ſchäftig zu beleuchten geſucht; aber ihre eigentliche Ent-
stehung scheint faſt vergeſſen zu sein , so daß dieser, d. i.
des Entſtehungsgrundes , bei der ganzen Besſchlagnahme-
Verhandlung in Berlin auch nicht mit Cinem Worte er-
wähnt wurde.
Die preußiſche Regierung hatte für gut befunden,, die
hannoverſchen Soldaten der letzten Jahrgänge in die preußische
Armee einzuſtellen. Da dieſe Cinſtellung manchem hanno-
verſchen Soldaten, wegen der Grinnerungen von Rendsburg
bis Langensalza, unerträglich erſchien und auch der Gewissens-
punkt sich mit eindrängte, so zogen nicht wenige die Ent-
fernung aus dem Vaterlande der preußiſchen Einſtellung
bor. Die meiſten, und vorzugsweise die bemiitelten, dieser
jungen Männer wanderten aus nach Amerika u. ſ. w.;
andere, und zwar die mehr oder weniger mittelloſen, gingen
nur in das allernächſte Ausland, nämlich Holland.
Nun kam im Frühjahr 1867 die Luremburger Ver-
wicklelung, wodurch die Ansammlung der Hannoveraner
allerdings vermehrten Zuzug und eine politiſche Bedeutung
erhielt. Allein die Luxemburger Angelegenheit wurde durch
die zwar gänzlich bedeutungslose Neutraliſirung , eigentlich
freilich weil Frankreich noch nicht zu einem Kriege gegen
Preußen gerüſtet war, raſch wieder beigelegt. Sehr wahr-
ſcheinlich würde sogar der Name dieser hannoverschen „Legion“
niemals entſtanden sein, wenn jene Ansammlung in Holland
geblieben wäre , wo sie die leichtcſte Gelegenheit hatte , sich
allmählich zu vermindern und ganz aufzulöſen. Aber es
iſt ja offenkundig, wodurch bewirkt wurde, daß die hollän-
diſche Regierung den Hannoveranern nicht länger Gaſi-
freundſchaft gewährte.
Die dadurch eingetretene Schwiktigkeit erhöhte,
immer, den Reiz der Sache > und die Hannoveraner
wandten ſich nach der Schweiz mit steigender politiſcher
Bedeutung , welche gerade durch die verlangte Ausweiſung
aus Holland gestiegen war. Aber aueh in der Schweiz
fanden die Hannoveraner aus dem eben so offenkundigen
lezten Grunde nur kurze Ruhe.
Die ſchließlich in Maſſe erfolgte Entfernung aus der
Schweiz im Januar 1868 trug in noch viel bedeutenderem
Grade , als die aus Holland, dazu bei, die politische Auf-
merksamkeit Europas auf sich zu ziehen , um so mehr, da
es jeßt der Großſtaat Frankreich war, in welchem die
Hannoveraner trotz aller Gegenbemühungen endlich eine
noble Aufnahme fanden.
Um diese Zeit des massenweisen Uebertritts nach Frank-
reich wnrde auch erſt der Name ,Legion“ gebräuchlich,
welcher ſich ohne alles Zuthun ganz von ſelbſt gemacht hat,
indem man ſich der zu Anfang dieses Jahrhunderts über
einJahrzehnt hindurch bestandenen glorreichen hannoverschen
Legion erinnerte.
ivie
Nicht alle Deutschen und noch weniger Preußen wisſſen
es mehr, daß nachdem 1808 das Kurfürſtenthum Hanno-
ver , ohne daß es von Preußen Hilfe gefunden hätte , von
den Franzoſen beſezgt und die Armee , deren wesentlicher
Bestand im ſiebenjährigen Kriege mit unsäglichen Opfern
die weſtliche Flanke Preußens gedeckt hatte, zur Kapitulation
und Auflösung genöthigt war, Tauſende von Hannoveranern
nach England zogen und auf faſt allen Schlachtfeldern
Weſteuropas ſsür die engliſche und deutsche Sache kämpften.
Rein anderer deutscher Stamm hat Derartiges geieiſtet.
Während Preußen von 1807 bis 1813 am Boden lag,
kämpften dieſe Hannoveraner als echte Nachkommen der
Aliſachſen, unter fortwährendem Nachzuge aus dem BVater-
lauye, besonders auf der spanischen Halbinsel für ihres
Vaterlandes Befreiung fort, und ſchließlich wurde die eng-
liſch-deutſche Legion, so wie sie einſt aus der alten hannover-
ſchen Armee entſtanden war , wieder die Grundlage der
neuen, welche bei Langensalza siegte und kapitulirte.
Aber mit Schmerz fragt sich der Patriot : Was ist
geſchehen, daß diese Legion jetzt im Lande des damaligen
Feindes weill? Wie müſſen, und durch wesſen Schuld
die Verhältnisse ſich umgedreht haben, um ſtärker zu werden
als die Menſchen!! -
Schließlich nur noch die Bemerkung in Betreff der an-
geblich auch in die hannoverſche Legion aufgenommenen
Polen, daß die Spihße dieser Erfindung natürlich nach
Petersburg gerichtet iſt; denn wer ſich mit Polen befaßt,
oder von wem Dieses auch nur bloß gesagt wird, Dem iſt
Rußlands bittere Feindschaft sicher. j
. . . ...
Proteſtantenverein und Aehnliches.
Aus Süddveutſchland. Der böſe Heine äußerte
einmal: Ich laſſe mir den Bart wachſen und gehe unter
die Rationaliſten. Das haben sich unsere Nationalliberalen
gemertt: nie sah man ſtruppig-heroiſchere Bärte, nie wur-
den der Aufklärung solche Hekatomben von Ultramontanen
und Orthodoren geschlachte. Wenn's mit dem sof or-
tigen „Anschluß“ und ,Eintritt“ nicht vorwärts will,
so wird die Parole ausgegeben: Der Ultramontanen müssen
wir uns erwehren, laſſen wir die hohe Politit bei Seite,
organiſiren wir uns gegen den Glaubenszwang und die
heilige Hermandad! So gehen denn jetzt aus dem Schoße
des Nationalliberalismus, unter emſiger Mitwirkung der
Führer, die Proteſtantenvereine hervor, welche ihr Licht
leuchten läsſſen über ganz Iſrael. Auffallend iſt nur der
Umstand, daß die Herren des Glaubens leben, mit ihrem
Rationalismus in's preußiſche Fahrwasser zu ſteuern, daß
sie die freie Forſchung und das Recht der religiöſen Per-
sönlichket als Brücke zu dem großen ,deutſchen Staat"
betrachten, während ihnen doch jede Poſt von Norden, jede
Nummer des Kladderadatſch sagen könnte, daß ſie auf dem
Holzwege sind und daß, wenn ihr Nationalliberalismus
auch als zweckmäßiger „Mitwirker" geduldet wird, ihr
Rationalliberalismus nicht die geringſte Aussicht auf ent-
fernteſte Anerkennung hat! Sie bereiten ſich da auf etwas
vor, worin sie nie ein Examen abzulegen haben; sie ſpannen
die Pferde geradezu hinter den Wagen. Sie glauben einen
Wall wider Oeſterreich aufzuthürmen, während die öſter-
reichiſchen Pfaffen, vom Rauſcher an, Oesterreich als Sodom
und Gomorrha des Unglaubens verfluchen, und ſie machen
ſich total unbrauchbar für das Mühler ſche Preußen, wel-
ches sichtlich an dem Leibnitz'schen Plane arbeitet, die beiden
Konfessionen ſich wieder in die Arme zu führen und den
„Sündenfall“ des 16. Jahrhunderts, wie Görres die Re-
formation nannie, ungeschehen zu machen. O Reational-
liberale, hört auf zu siegen, sonſt höre ich auf zu ſchreiben!
(Aus der „Zutunft“".)
Politiſche Ueverſicht.
: Mannheim, 19. März.
* Die durch den Telegraphen geſtern gemeldeten auf-
sſtändiſchen Vorfälle in zwei andalusſiſchen Städten Spa-
niens werden durch eine heute eingetroffene Madrider
Depesche der reaktionären Partei, welche Geldſummen zur
Inſurgirung vertheilt habe, zur Laſt gelegt. Als eine
weitere Begründung dieser Angabe erſcheint die Nachricht,
daß in Paterna der karliſtiſche Obriſt Miramon an der
Spitze von 900 Mann eingerückt sei. Der verurtheilende
Ausspruch, welchen die republikaniſchen Mitglieder der Kor-
tes, wie ſchon geſtern mitgetheilt, über die Tumulte gefällt
haben, iſt in Madrid in repullikaniſchen Volksverſamm-
lungen wiederholt worden. Ueber den Verlauf der auf-
ſtändiſchen Szenen liegt bis jett nichts Neueres vor, als
daß in Reres die Barrikaden von den Truppen durch Ba-
jonettangriffe genommen worden ſind. In den anderen
Theilen des Landes soll Ruhe herrschen.
In Bezug auf die franzöſiſch-belgiſche Streit-
frage meldet die gestrige „Independance belge“, der ein-
zige Punkt, welcher die beiden Kabinette von Brüſfel und
Paris noch trenne, ſei die Prüfung des Entwurfs einer
Konvention zwiſchen den Eisenbahn - Kompagnieen Oſt-
Luxemburg und Lüttich - Limburg. Frantreich beſtehe auf
der Forderung, daß dieſe Prüfung den Ausgangspuntt der
Unterhandlungen bilden solle. Das belgiſche Ministerium
habe Dem noch nicht beigeſtimmt, doch sei man bereits
dahin übereingektommen, daß eine Konferenz in Paris statt-
finden und die Kompetenz haben solle, Studien über die
ökonomische Lage beider Länder anzustellen zu dem Zweck,
die Beziehungen Frankreichs zu Belgien enger zu knüpfen.
Nach Mittheilungen Pariser offiziöſer Blätter wäre ein Ein-
verſtändniß über die Grundzüge der zu treffenden Verein-
barung bereits erzielt und nur die Einzelheiten noch zu
regeln. Die „France“ und der „,Constitutionnel“ wollen
außerdem wissen, daß die gemischte Kommission, die in
Paris zuſammentreten werde, sich mit einer den Wünschen
der belgiſchen Regierung entsprechenden Tarifsreviſion be-
ſchäftigen ſoll.
_ Mit dem 4. Ottober erliſcht die pre u ß i ſ< - ru s-
ſiſ che Kartelkon vention, und von Rußland ist ein
Antrag auf Erneuerung derſelben noch nicht gestellt: so er-
öffnete kürzlich die Nordd. Allg. Ztg. Was die ruſſiſche
Regierung bisher verſäumt hat, ſcheint nun die preußiſche
thun zu wollen. „Wenn aus den betreffenden Landestheilen
Anträge und Wünsche auf Erneuerung der Konvention
eingehen werden, so dürfte – verkündet gestern dasselbe
Bismarck sche Blatt + die preußiſche Regierung ſich wohl
berechtigt fühlen, Verhandlungen mit Rußland in der frag-
lichen Angelegenheit zu eröffnen." Und daß ſolche Anträge
und Wünsche „eingehen“ werden, dafür hat die Regierung
bereits gesorgt, indem sie die Oberpräſidien der Grenzpro-
vinzen zu gutachtlichen Aeußerungen über die Frage des
Fortbeſtehens der Konvention aufgefordert hat. Bei der
„ſtrammen“ Organisation des preußiſchen Beamtenthums
iſt der Ausfall dieſer Aeußerungen unſchwer zu errathen,
wie denn auch das einzige bisher bekannte Gutachten, das
des Präsidenten von Posen, ſich zu Gunsten der Konven-
tion ausspricht.
Eine ganz zeitgemäße – und zugleich eine nicht un-
intereſsſante Enthüllung in ſsich ſchließende ~ Alluſtration
des bekannten, in Preußen zu einem paolitiſchen Glaubens-
sſatße erhobenen Ausspruches Junker Alexander's: „Ja
Ba uer, Das iſt was Ander s' finden wir im
„Nürnberger Anzeiger“. Dieß Blatt ſehreibt: „Preußiſche
Regierungsorgane ſchreiben bisweilen, mehr oder weniger
verblümt, den ſüddeutſchen Regierungen die Ahsicht zu,
ihre 1,166 mit Preußen geſchl oſsenen V exträge
bei guter Gelegenheit zu brechen. Wir ſind nicht einge-
weiht in die Politik der Höfe von München und Stutt-
gart; der deutschen Demokratie können Nergeleien und
Schachzüge der Dynaſten Deutschlands gegeneinander, ſos
lange Jie nicht in Kriegsbereitſchaftt und Krieg ausarten,
gleichgiltig sein. Anders aber ſieht ſich die Sache von
reinmenschlichem Gesichtspunkte an, wo wir wieder einmal
ener verwerflichen Maxime begegnen: „Wenn ich, Preußen,
Dos thue, iſt es Recht; wenn aber ein. anderer Staat ganz
das Gleiche thut, iſt es Unrecht.“ Preußen verlangt von
Bayern Heilighaltung der im Hochſommer 1866 geſchloſſes
nen Berträge. Allein schon im Spiätherbſt deſſelben Jah-
res 1866 befragte ein preußiſcher Regierungsbeamter briefz
lich ein demokratisches Organ in Bayern, was ſich zur
„Erhaltung der Sympathien für Preußen und seine JI n-
tentionen auf Deutſchland. thun ließe, und ob
man als Entschädigung ſoundsoviele 100 Abonnements
oder ein Pauſchquantum verlange u. dgl. m. Selbſtverz
ständlich lehnten die Demokraten ein solches Anerbieten ab
und verwiesen den Antragsteller halb ſcherzend halb ſpöttiſch
an die dazu mehr geeignete nationalliberale Preſſe. Dieſe Thats
sache blieb wohl längere Zeit Parteigeheimniß, dafür gelang-
ten andere derartige Handelsgeſchäfte zur Kenntniß der ſüds-
deutschen Regierungen. Wenn nun dem Händedruck und
Bruderkuß in Nikolsburg noch im nämlichen Jahre 1866
Iudasküsse und Malandrinengriffe folgten: ſo mögen oben-
erwähnte preußiſche Organe allerdings Grund haben, auf
die Treue der ſüddeutſchen Bundesgenossen keine Häuſer zu
bauen. Oder aber die Letzteren müßten ~ was wir nicht
zu beurtheilen vermögen, ~ c<hriſtlich genug sein, auch die
linke Wange hinzuhalten, und aus purer Liebe zum deut-
.
schen Vaterland ~ worüber wir ebenfalls nicht näher un-
terrichtet ſind ~ die schöne Tugendlehre üben:
Wer seinen Feinden Gutes thut,
Beweiſt den größten Edelmuth.“
In der bereits erwähnten Mittheilung der „Bayer.
Landesz.“ über. de Minüſter konferenz int
N ör d l in g e n wird angegeben. daß das Projekt jenes
Südbundes , der dem bayerischen Miniſter vorſchwebe, von
diesem „als das geeignete Mittel betrachtet werde, um eine
engere Verbindung der geeinigten Südstaaten mit dem
Nordbund herzustellen, ohne zu einem Einspruch Oeſterreichs
wegen Verletzung des Art. 4 des Prager Friedens Anlaß
zu. geben." Das steht im vollkommenen Einklang mit den
lezten offiziösen Mittheilungen Hohenlohe’scher Federn und
bestätigt, was wir stets behauptet haben, daß es ſich bei
dem Südbund des bayeriſchen Herrn Miniſters nicht um
einen Selbſtzweck , sondern nur um ein Mittel zum Ein-
tritt in den Nordbund handle. Das geringe Vertrauen,
oder vielmehr das entſchiedene Mißtrauen, welches wir allen
Abmachungen der dermaligen ſüddeutschen Minister entgegen
bringen , wird auch von Seiten getheilt, die in der allge-
meinen politiſchen Parteirichtung mit der Volkspartei nichts
gemein haben. So lesen wir in der neueſten Nummer der
„Allg. Zeit." nachſtehende , aus der Feder eines konſerva-
liven süddeutschen Staatsmannes gefloſſene Bemerkungen :
„Mit Diplomatenzuſammentünften, Militärkonventionen und
königlichen Begrüßungen allein erreicht man heutigen Tages
nichts mehr. Es muß vielmehr Gelegenheit gegeben werden,
daß ein Volk laut und zweideutig ausſpreche, daß es mit
Dem einverſtanden iſt, was seine Regierungen beabſichtigen.