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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 102 - No. 126 (1. Mai - 30. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0429

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Donnerstag, 6. Mai.









-

Die „Mannheimer Abendzeitung" wird mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage täg
Anzeigen-Gebühr ; die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

lich als Abendblatt ausgegeben. – Der
Bestellungen bei der Expedition 0© 1 Nr.

1869.





anuheimer Abendzeitung.

Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.



Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.







Cn
Die z5rage Süddeutschland.

D.C. Die Frage Süddeutschland ! Ja, seit wann
gibt's denn die ? Seit 1866. Die bloße Eriſtenz dieſer
Frage iſt das nationale Verdikt gegen das Verbrechen
von 1866.

Es gab keine ſüddeutsche Frage vor 1866, nicht eine
politische, nicht eine militärische. Die Sicherheit des
Vaterlandes nach außen war genau so gut eine gemein-
ſame, ganzdeutſche Frage, wie die Exiſtenz des Vaterlandes
in sich es war. Mainz war der ſtrategiſche Mittelpunkt
unserer Westgrenze nach Süd so gut wie nach Nord. Das
sog. Syſtem der oberrheiniſchen Festungen mit viaſtatt
und Ulm fand in Mainz so gut ſeinen nördlichen Schluß-
und Stüthunkt, wie die mittel: und niederrheiniſchen
Feſtungen ihren ſüdlichen. In allen militäriſchen Denk-
schriften und Lehrbüchern eines halben Jahrhunderts war
Oeſterreich in der Spitze der ſüddeutſchen Staaten der
Vertheidiger des Schwarzwaldes, sſo gut wie für die
Rheingrenze von Mainz abwärts Preußen als natürliche
Vormacht galt. Das alles hat Zollern zerſtört, Das alles
zu zerſtören hat Bismarck geplant mit Frankreichs Erlaub-
niß, und es zerſtört zu haben , Das danken ihm nach-
iräglich alle die Unſeligen, die in Nord und Süd daſſelbe
Blutwerk als ein vaterländiſches annehmen und verherr-
lichen , durch welches das Vaterland geſchwächt, zertheilt,
zerſtört iſt. Nach dieser Seite hin iſt wahrlich Alles ge-
ſagt, wenn man daran erinnert, daß zur Zeit der Luxem-
burger Angelegenheit die Nordd. Allg. Ztg. (Bismarck-
Braß) oder die N. Preuß. Ztg. (Bismarck-Wagner) ganz
offen erklärte: was denn Frankreich wolle? warum es
ſich ſo ereifere ? Deutschland sei. ja seit 1866 ſchwächer
als früher und für seine Rachbarn viel weniger gefähr-
lich! Ja, bis auf den heutigen Tag wiederholt sich diese
Wendung in aller Naivetät. Daß der Süden preisge-
geben werden müſſe ~ ja, es iſt ihm förmlich zur pa-
Iriotiſchen Pflicht gemacht, sich darein zu finden, mit dem
herrlichen Vorbehalt freilich, es werde dann schon wieder
freigemacht werden auf dem Umwege über Paris. Offen-
bar so, daß man sich denkt, die Franzosen, die zuerſt den
Süden ohne Widerſtand beseßen, werden drin bleiben,
bis die Preußen siegreich nach Paris vorgedrungen ſind
und dann auf dem Heimwege den Rest. des Feindes im
Süden aufspeiſen. Ein wundervoll blühender Unsinn!

Auch von einer ſog. Kriegslage zwiſchen Frank-
reich und Deutschland war vor 1866 gottlob nicht die
Rede. Kein Mensch dachte mehr an diese unselige Mög-
lichtet. Mit dem Franzoſenhaß war in Deutſchland
fertig , wer verſtändig zu ſein behauptete, für verſtändig
gelten wollte. Auf der andern Seite arbeitete die ganze
junge Demokratie mit brüderlichem Eifer, den Franzoſen
alle Rheingelüſte u. dgl. auszureden. Selbst die Cäſaria-
ner spielten nicht mehr mit den alten Plänen; sie wußten,
Das hieß leicht mit Feuer ſpielen. Das iſt nun anders.
Ein Cäſar, der bei einem Angriff die Gesammtkraft der

deutschen Nation gegen sich zu vereinigen sſicher ſein konnte, |

Das ging noch. Aber z wei Cäſaren neben einander,
der eine von des andern Gnaden und beide auf Blut
und Eisen gestellt als ihren Ursprung, ihre Natur —
Das gibt eine ganz andere Lage.

Faſſen wir Beides zuſammen , jene Frage des ſchuy-
bedürftigen Südens und diese „Kriegslage," ſo drängt
ſich Folgendes auf : 1) Eine innere nationale Erhebung
(im Gegenſaß zu einer Erhebung, bei der es ſich um
Abſchütilung eines fremden Joches handelt) führt sonst
nicht eine Kriegsgefahr mit sich; eine innere Kräftigung
einer Nation iſt sonst im Gegentheil die ſtärkſte Bürgschaft
für den Reſpektt des Auslands, alſo für Frieden nach

außen. Der nationale Fortſchritt, den wir 1866 gemacht

haben sollen, hat dieſe angenehme Zugabe nicht, hat im
Gegentheil die sehr böſe Zugabe, daß seitdem eine Kriegs-
gesahr immerſort droht. Gibt es noch geſunden Menſchen-
verſtand, so wird daraus folgen : es iſt kein nationaler
Fortschritt, den wir 1866 gemacht haben. 2) Eine
innere nationale Erhebung führt ſonſt nicht zu Sorge und
Angsi um den Ausgang eines Krieges, wenn ihn die
Nation leider doch zu beſtehen hätte. Jm Gegentheil,
. eine innerlich gehobene Nation hat ein gesteigertes Selbſt-
vertrauen; wie ſie ſich bewußt iſt, keinen ungerechten Krieg
ihrerseits zu beginnen, so iſt ſie ſich auch bewußt, in
Gottes Namen für ihr Recht zu stehen und zu ſiegen,
wenn's Einer antaſien ſollte. An eine Entblößung, ein
Preisgeben der einen Hälſte des Vaterlandes, die sie
dann später ſchon wieder relten werde, denkt Jie nicht;

















Das ist ihr viel zu verächtlich, kleinmüthig. Bei uns iſt
auch Das anders. Bei uns iſt so sehr das grade Gegen-
theil der Fall, daß die Hälfte des Vaterlandes preiszu-
geben als Vorbedingung des Patriotismus gepredigt wird.
Der nationale Fortſchritt, den wir 1866 gemacht haben
ſollen, iſt alſo in dieſer Beziehung : Mangel an Selbst-
vertrauen – Ueberfluß an Sorge ~ Hingabe des halben
Landes gleich von vornherein. ig!

Uns gegen diese Folge von 1866 auf den Schut
Desſen anweisen, der 1866 gemacht hat: Das iſt doch
nnr bei Leuten möglich, die mit der politischen Ehre auch
den politischen Verſtand daran gegeben haben.

Der Süden steht in der Luft seit 1866. Das zu
wiederholen, ist die Volkspartei seit 1866 nicht müde ge-
worden, Das abzuſtellen hat sie seit 1866 unaufhörlich
gedrängt. Das Mittel dazu bei der Macht zu ſuchen,
die es verſchuldet, ist ſie weder so unlogiſch noch so un-
ſittlich gewesen; sie hat es praktischer Weiſe nur ſo finden
können, daß Oeſterreich, welches unbestreitbar und bis
1866 unbestritten die Südhälfte der deutschen Westgrenze
deckte, darauf einzugehen vermöge, und ehrlicher Weiſe
nur so, daß der Süden bei und zu Erfüllung
ſeiner nationalen Aufgabe ſich zugleich freiheitlich ſtäk &

Inzwischen rückt die Sache wohl im Wünſchen und
Begehren des Volkes, aber nicht amtlich vom Flect. Ueber
die Verneinung der Verträge, dieses Unrechts und Un-
ſinns , iſt die offizielle Welt nicht hinaus und kommt ſie
nicht hinaus. P

Alſo + Preußen rettet den Süden nicht, denn es
kann's nicht; ~ Oebefterreich rettet ihn nicht, denn es
darf's nicht, und die Zeit iſt noch nicht da, wo es dies
Nichtdürfen überſpringen könnte ; ~ ſeine Regierungen
retten ihn nicht, denn ſie haben weder den Willen noch
die moralische Kraft. Des Südens leste und einzige
Rettung iſt die Volkstraft. Ob er die hat, iſt die Schick-
ſsalsfrage einer Galgenfriſt von ein Paar Monaten. Zum
guten Theil wird ſie entſchieden werden durch die baye-
riſchen Wahlen und die in Baden ſich vollziehende Be-
wegung. Daß auch Schwaben dabei helfen kann , ver-
ſteht sich am Rande ; über den innern Fragen darf es
die Initiative, die Betheiligung an der großen Frage
nicht vernachlässigen , die dem alten Träger der Reichs-
ſturmfahne gebührt. Drüben überm Rhein liefert der
napoleonische Cäsarismus gegenwärtig eine Wahſlſchlacht,
von deren Ausgang es abhängt, ob er deutſches Land
zur Wahlstatt nimmt, auf der er seine Sache mit dem
zollerſchen Cäſarismus ausmacht. Ist beim Zuſammentritt
einer neuen napoleoniſchen Mehrheit von ansehnlichem
Uebergewicht dies Süddeutschland noch in ſeiner jetzigen
Verfaſſung oder seinem Mangel an Faſſung, dann wird
ihm auf jene Schickſalsfrage eine sehr unſanfte Schickſals-
antwort werden, welche die Schuldigen hoffentlich, die
Schuldlosen ſicher und härter trifft.. .

Ueber die Freiſprechung des Bisthums-
Verweſers Kübel.
Motto: Viel Lärm um Nichts.
Ich möchte gern, aber kann nicht.
! Es gieng wohl, aber es geht nicht!

Die Anklage wider den Bisthums-Verweſer Herrn
Kübel wurde vom oberſten Gerichtshof für unbegründet
erachtet und der hochwürdige Herr für ſchuldlos befunden.
Freuen wir uns ob dieses Urtheils unseres Oberhofgerichts,
das nach Erwägung aller Umstände und wie aus den
trefflich abgefaßten Entſcheidungs - Gründen zu ersehen iſt,
die Erkommunikation Stromeyers als eine innere Kirchenange
legenheit auffaßte! Freuen wir uns doppelt hierüber,
daß es dem Polizeibüttel nicht gelang, in der „Unterthanen“
Seelenheil hineinzupfuſchen.

Arme Exrcellenz Jolly, ein Fiasco mehr! Armer Herr
Stromeyer, nun um die Aussicht geprellt, von Amtswegen
des Genuſſes des Abendmahles für würdig erklärt zu
werden! Und nun? Das Fiasco wird ganz beruhigt
= weil ſtets höhere Ziele vor Augen habend — zu den
übrigen bereits zahlreich vorhandenen regiſtrint — und
Hr. Stromeyer bleibt eben Hr. Stromeyer! Mit Spannung
ſah man in der That dem Urtheilsſpruche entgegen, denn
ein „ſchuldig“ . wäre . ohne, Yweifcl eit Zuwachs der
bureaukratischen Bevormundung und Cinmiſchung gewesen
und deren Allmacht auf's Neue befeſtigt! Dachten wir's
doch gleich, daß das Urtheil so ausfallen werde, und wir
als ſchlichter „Unterthan“ hätten uns zehn Mal be-
sonnen, diesen Prozeß anzufangen, weil wir eben die
Prozeßkoſten aus eigenem Sack bezahlen müßten. Freilich,













wenn man die Staatskasse hinter ſich hat, die aber nicht
mehr unerschöpflich, sondern eher einem Danaiden-Faß
gleicht : da kann man leicht Prozeß führen und so re-
giſtriren wir mit dem Prozeß Kübel den 8. politischen
Ptozekt welchen das Ministerium in kurzer Zeit nach einan-
er verlor!

Was wird die allergetreueſte Kammer dazu ſagen !
Auch Indemnität ertheilen, wie für die Gage-Ueberſchrei-
tungen? Selbstverſtändlich wankt, tro allem Ungemach,
offiziell das Ministerium Jolly nicht im Mindeſten.

Offiziell steht es noch feſt wie ein Fels im Meer!
Uns dünkt aber dieses Festſtehen eher mit dem eines
Wracks auf einer Auſterbank zu vergleichen zu ſein, als mit
einem Fels im Meer und wir wollen in kurzer Zeit
ſehen, welche Anschauung die richtige iſt.

Auch das Ministerium Bach, welches, was Populariz
tät u. s. w. anbelangt, ſich kühn mit dem unfsrigen
meſſen konnte, schien feſtzuſtehen, und siehe da, der erste
Stoß und das Ministerium Bach, mit allem was drum
und dran hing, fiel zuſammen wie ein Kartenhaus, ver-
flucht von Millionen Oesterreichern!

Eines hat uns aber tief betrübt bei dem Urtheils-
ſpruche des Oberhofgerichtes, und zwar weil es ſich bei
jedem Prozeſſe wiederholte, er mag ausgegangen ſein wie er
wollte, nämlich daß die Einen das Gericht loben wegen
seines Rechtsſpruches , die Andern dagegen tadeln. Was
soll das heißen ? JIſt der oberste Gerichtshof für eine

Partei da, oder für das ganze Land? Urtheilt e neh

Sympathieen und Antipathieen oder spricht er das Recht
nach dem Gesetz? Pattei-Geſchwäßg, wie es leider in
leßter Zeit ſchon öfter vorkam, könnte den guten Ruf
des Gerichtes + wenn ſelber nicht ſo feſt und wahrhaft
traditionell begründet wäre geradezu diskreditiren!

Wäre Biſchof Kübel strafbar befunden worden , wir

hätten uns kein Wort des Tadels erlaubt , sondern nur
beklagt, daß es ein weltliches Gesetz gibt, welches ſich in
Abendmahlsangelegenheiten miſchen kann ~ nun da Herr
Kübel bgzeſttysen, haben wir auch kein Wort des Lobes
ür das Gericht.
! Wir verlangen, daß das Geſetß ſtreng und unparteiiſch
gehandhabt werde und dieRichter ihre Schuldigkeit thun,
und dafür sind wir ihnen zu keinem Danke verpflichtet,
denn dafür sind ſie da. Merkt euch Das, ihr unberufe-
nen Lobhudler nnd Tadler!

Dazu noch Indiskretionen der ſstrafbarſten Art, indem
die Losſprechung ſchon in Blättern publizirt wurde, noch
ehe das Urtheil ausgefertigt war, und merkwürdigerweise
hält dieß ein Blatt dem andern vor, während es ſelbſt
naiv hinzuſezt: „nur mit geringer Stimmenmehrheit ſei
der Beſchluß gefaßt worden!“ Wenn die Blätter nicht
in's Blaue hineinschrieben, was nebenbei geſagt, in dieſem
Falle auch große Taktloſigkeit iſt, so liegt eine Verleßung
des Amtsgeheimniſſes vor, die uns die ſtrengſte Rüge zu
verdienen ſcheint.

Endlich hoffen wir aber, daß auch das Volt durch
die Angelegenheit Kübel-Stromeyer etwas gelernt hat,
nämlich daß wenn ein oder der andere sich auflehnt gegen
ſeine Kiechenbehörde und dadurch eine Kirchenſtrafe zu-
zieht, er diese mit Anstand und Würde zu ertragen weiß.
Nicht aber, daß Leute, die das ganze Jahr nur über
Pfaffen und Pfaffenthum ſchreien, bei einer Excommunication
einen Lärm schlagen und eine Heulerei loslaſſen, daß man
glauben könnte, man lebe nicht im Jahr 1869 , sondern
im Jahr 1077 zur Zeit der Buße in Canossa!

Wenn der Herr Biſchos mittelalterliche Strafen an-
wendet, so überlaßt ihm das, seßt euch darüber hinaus,
er kann euch nur wehe thun , wenn ihr euch empfindlich
zeigt, im andern Falle ſind Kirchenſtrafen heutzutage
blinde Schüſſe in die Luft. Der Katholik , welcher auf
sreie Forſchung etwas hält, möge ganz einfach zum Pro-
teſtantismus übertreten (oder aus ſeiner Kirche überhaupt
ausscheiden), dort wird ſich ihm ein dankbares Feld
öffnen + denn Katholizismus und freie Forschung können
und werden sich nie vertragen!

Paoitiſche Uebersicht. u
Mannheim, 5. Mai.

* Mie es bei allen Diplomatenreiſen althergebrachter
Brauch, ſo haben ſich auch an den Ausflug, den der fran-
zöſische Botschafter am preußischen Hofe, Hr. Ben edetti,
!. 26. April nach Paris angetreten hat, mannigfache
Vermuthungen geknüpft. Offiziöse Pariſer Blätter haben
zwar der Reise jede politiſche Bedeutung abgesprochen,
~nd auch von Berlin aus ſind anfänglich als einziger
Grund derſelben Privatangelegenheiten angegeben worden ;




 
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