„F. 48.
Freitag, 26. Februar.
1869
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtag
, bei Lokalanzeigen 2 kr.
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(bend;eitung
Organ der deulſchen Volksparlei in Paden.
e – täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Cin Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr.
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Woran wir hängen.
H Der belgiſch-ſranzöſiſche Ciſenbahn-Skandal ſcheint
auch wieder eingefriedigt zu werden, ähnlich wie der rumä-
niſche und der griechiſch-türkiſche Lärm. Die offiziöse Presse
des zweiten Bonapartes, welche ſo eben ganz Europa in
Unruhe versette, erklärt jeßt im ſanfteſten Tone : es handle
ſich dabei gar nicht um Politik, sondern lediglich um Na-
tionalöskonomie, die Transmissionsfähigkeit der Eiſenbahn
von Compagnie zu Compagnie sei eine rein wirthſchaftliche
Angelegenheit.
Was in aller Welt hatte dann aber Herr v. Bismarck
mit der ganzen Affaire zu ſchaffen, weßhalb wurden dann
gegen ihn die Sonntags=,, Donnerkeile“ aus der Rumpel-
kammer hervorgeholt?
Herr v. Bismarck iſt doch kein Volkswirth, kein Wirth-
ſchafter + man frage nur die Insaſſen und Hörigen des
Norddeutschen Bundes, deren Hab und Gut er ver wirth
ſchaftet !
H tt tz verlauten denn auch versſchiedene indiskrete
Stimmen, welche uns zu verſtehen geben, die kaiserliche Po-
litit habe nur einmal auf den Buſch klopfen wollen, ein
Manöver auf ſandigem Boden aufgeführt, um Staub auf-
zuwirbeln, und zwar in doppelter Ahsicht. Einmal liege es
in ihrem Interesſe, die Aufmerkſamkeit der Franzoſen von
der innern Politik weg auf die äußere hinzulenken, um die
„Ehre und Würde der Nation“ in die Wahlurne zu legen ;
zum Andern gehe ihre Abſicht auf Zolleinigung mit Bel-
gien, ähnlich der Zolleinigung der nichtpreußiſchen und
nichtnorddeutſchen Gebiete Deutſchlands mit Preußen. Das
Naiserreich gedenke da ein Gegenslück zu schaffen, um die
preußiſchen Annexions- und Gemwaltsgelüſte nach jenseits
des Mains im Schach zu halten und nöthigenfalls mit
einem „Matt! auf ein „Matt. zu. antworten.
Uebrigens, und in letter Inſtanz, denke das CEmpire
für den Augenblick nicht an eine kriegeriſche Attitüde, ſo
etwas dürfe vor den allgemeinen Neuwahlen zum gesetge-
benden Körper nicht vortommen und Frantreich ſolle drei
Monate Friede und Ruhe genießen.
Also „drei Monat“ will ich dir ſchenken, bis ich die
Kammer dem Kaiser gefreit." Fallen die Neuwahlen des
Mai gut imperialistiſch aus, ſchwillt dem Chauvin zugleich
mit dem Schwellen des Frühlingssaftes gehörig der Kamm:
dann mag's losgehen, dann werden die kategoriſchen Fra-
gen an Belgien und über Belgien hinweg an Preußen ge-
ſiellt, dann zerrt man alle seit 1866 vorgefallenen Ueber-
ſchreitungen des Prager Friedens ans Tageslicht. erklärt,
Schweigen bewirke keine Verjährung, und ſchließt mit Fi-
garo: „Will der Herr Graf ein Tänzchen wagen, er darf's
nur ſagen, ich ſpiel ihm auf!“
Wie nun aber, wenn der Herr Graf an der Spree
den Braten riecht und Lunte wittert, wenn ihm die berühm-
ten „Nerven“ einen Streich spielen und vor Figaro's
Muſik zu tanzen anfangen? Wenn der Herr Graf es
ſeiner Großmachtspolitik und Großmannſucht unangemessen
findet, daß Figaro das Kampffeld abſtecktt und die Stunde
des blutigen Tanzes nach Belieben und Kontenienz wählt?
Nun dann wird der Graf vorziehen, eine Contremine an-
legen, den lauernden Figaro aus seinem Verstecke heraus-
räuchern und die Partie nach seinem Belieben, nach seiner
Konvenienz arrangiren! ~
Wovon hängen wir dann ab? Von Graf Bismarcks
„Nerven“, von dem Grade seiner Reizbarkeit und Gereizt-
heit. Der Mann ſchläft einmal ſchlecht, verdaut einmal
nicht gehörig, platt im Reichstag mit einer Ungeheuerlich-
teit heraus, ſchreibt eine seiner impertimenten Depeschen;
der ſranzöſiſche G.sandte erhitzt ſich, die diplomatiſchen Be-
ziehungen werden prickelig und die belgiſche „Independance“
holt ihre älteſte Phraſe aus dem Setkasten heraus: La
situation est tendue, die Lage ist gespannt, die Lage,
d. h. der Bogen, und wenn der Bogen geſpannt ist, so
Ö kann der Pfeil jeden Augenblick abſchwirren.
Glaubt man etwa, ein solcher Nervenkoller an der
Spree wäre dem Figaro an der Seine ein Strich durch
die Rechnung? Beileibe nicht! Sein höchſter Wunſch ift
vielmehr, den undankbaren Schüler in die Offensive hinein
zu prakttiziren. Bismarck als Angreifer: Das wäre ja der
„Triumph der Empfindſamkeit“ . . . für die Franzoſen.
Da ſeht Ihr's, mit dem Manne läßt ſich durchaus nicht
austcmmen, wir ſind immer den unterſten Weg gegangen,
wir haben ſtets klein beigegeben; aber für die Berliner Politik
ift der Erdball kaum groß genug. Da miſſen wir uns
natürlich unserer Haut wehren. „Die Chre und die Würde
Hrantreichs, sein Cinfluß im Rathe der Nationen“. . . .'
z §
Für diesen Fall braucht Auguſtus auch keine Neuwah-
len, jedes Corps legislatif iſt recht, und das gegenwärtige
grade das beſte. Er kann doch wahrlich nicht dazu, daß
man ihm keine Zeit laſſen will, Er wird ja an den Haa-
ren in den Streit gezogen. Er ſseufzt: l'Empire, c'est la
paix! und zieht den Degen von ~ Jena oder Waterloo.
Woran hängen wir alſo ſammt und sonders, was ent-
scheidet über unser Gut und Blut, welcher Umſtand ver-
fügt über unſer Vermögen, unser häusliches Glück, die Eri-
ſtenz unserer Brüder und Söhne? Der Saft im Monat
Mai oder der Nervenſaft des Grafen Bismarck! Das ist
eine Welt, Das heißt eine Welt! ~
In Sachen des außerordentlichen
: Landtags.
* Aus Würltemberg ſchickt die Volkspartei durch ihr
Organ, den Stuttgarter „Beobachter“, eine warme Begrü-
ßung der durch den Artikel: „Daheim“ in unserer Nummer
45 angeregten Agitation für Berufung eines außerordent-
lichen Landtages zu dem Zwecke einer Umänderung des
Wahlgesetßes auf Grundlage des allgemeinen und direkten
Wahlrechtes. Der demokratische Verein in Mannheim hat,
wie unſere Leſer wissen, die Einleitung dieser Agitation
bereits in die Hand genommen, und ſein Beiſpiel wird
sicherlich auch anderwärts von demotratiſcher Seite die so
sehr gebotene Nachahmung finden. Da mag es denn gut
sein, zu hören, wie unsere Gesinnungsgenoſsen in Schwa-
ben, wo die Parteiorganiſirung viel weiter, als in Baden,
fortgeschritten iſt und schon ſo manche ſchöne Erfolge auf-
zutweiſen hat, bei solchen Agitationen zu Werke gegangen
iſtt Die Worte, die der „Beobachter“, wie er ſagt, „nach
guter alter Sitte in das Stammbuch des außerordentlichen
Landtags“ schreibt, lauten: „Das Rezept zu einer ſolchen
Agitation brauchen wir den. Badenſern, bei deren Itſtein
und Hecker wir ſelbſt in die Lehre gingen, nicht zu ſchrei-
ben. Berufung einer Vorverſammlung aller gut demokra-
tiſch geſinnten politiſchen Führer, deren Keiner, wie auch
ſein Programm im Cinzelnen lauten mag, des Volkes Recht
auf Selbstbestimmung, auf eine Agitation für eine ſolche
friedliche und geordnete Aeußerung und Geltendmachung
des Volkswillens in Abrede ziehen kann und wird. Bera-
thung und Abfassung einer Ansprache an das Volk über
den Zweck der Agitation; Feslſekſung von Zeit und Ort
größerer Volksverſammlungen, von denen aus die Agitation
in jede Stadt und jedes Dorf, in jedes Bürgers Haus ge-
tragen werden muß. Wahl von Delegirten der einzelnen
Bezirke, die am Schluß der Agitation öffentlich zuſammen-
zutreten und das Reſultat derſelben, in welcher Form immer,
jedenfalls aber mit nicht mißzuverstehender Deutlichkeit, zur
Kenntniß- von Regierung und Volk zu bringen haben. So
oder ungefähr ſo haben wir's in ähnlichen Fällen gehalten,
und was Alles unsere Gegner von Spott oder Verleum-
dung gegen uns zu Markte bringen, das Eine werden sie
uns nicht abſprechen, daß es der Volkspartei gelungen ist,
auf dieſem friedlichen Wege, troß der unerwartetſten, ſchein-
bar oft unbesiegbaren Hinderniſſe, den Willen des ſchwä-
biſchen Volks zum Ausdruck und , soweit Dies bei unserer
Vereinzelung gegenüber der allgemeinen politischen Lage
möglich war, zur Geltung zu bringen : in der deutſchen
Frage troß dem Bruderkrieg von 1866, in inneren An-
gelegenheiten troß dem zäheſten Widerſtand der Regierung
und ihrer Organe. Und all Das nicht etwa durch die
Thätigkeit der Führer, ſondern durch die innere unwider-
ſtehliche Kraft des geſammelten organiſirten Volkes und
troßdem, daß dieſe Organisation heute noch eine ſeyr un-
volllommene und in den erſten Anfängen begriffene iſt.
So viel ~ nicht den Schwaben zur Chre, sondern den
badiſchen Nachbarn, dieunterungleich ungünſtigerenUmſtänden
mit uns nach dem gleichen Ziele ringen, zur Ermunterung. Ob
uns die Gewaltthat von 1866 ſcheinbar auch zurückge-
drängt, das deutſche Volk iſt daſſelbe, sein Streben nach
Einheit iſt das gleiche, die Wahrheit, daß sie nur durch
Freiheit gewonnen wird, iſt die alte, die Bedingung aller
Volksfreiheit aber iſt die eine unerläßliche geblieben, ſeit-
dem es freie Staaten und Völker giebt, raſtloſe politiſche
Arbeit des Volkes selber. Und in diesem Sinne rufen
wir heute den badiſchen Patrioten, die wir an ſolche Arbeit
herantreten sehen, die Worte zu, die wir vor 5 Jahren
bei Beginn unserer Partei - Organisation niederſchrieben:
„Was wir wollen, iſt die organiſirte Freiheit, ein poli-
tiſcher Zuſtand, der dem Volke erlaubt, seine Kräfte und
Fähigkeiten ungehindert zu entwickeln und zu verwerthen.
Wir wollen die faltiſhe Geltung des vernün f -
tigen Volks willens. Was wir nicht wollen, iſt
die Herrſchaft dynastiſcher Hauspolitik und privilegirten
Koſtenweſens; was wir nicht wollen, iſt ein Regiment der
Gewalt und Willkür unter dem Titel Recht und Geſsey.
Wo iſt die Regierung, die einem ganzen Volke widersteht,
wenn dieses Volt das erſte und heiligste aller Rechte mit
Hunderttausenden von Stimmen täglich neu begehrt?“
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 25. Februar.
* Aus Spanien bringt der Telegraph die Nachricht,
daß die in der Kortesſikung am 22. begonnene Debatte
über den Antrag, der proviſoriſchen Regierung Dank für
ihre bisherige Amtsführung zu ſagen und Serrano mit
der Bildung eines neuen Ministeriums zu beauftragen,
am 23. mit der Annahme des Antrages durch 171 gegen
37 (?) geendet hat. Dieß Ergebniß war vorauszuſehen;
überraſchender iſt eine andere Nachricht, die + mit dem
Beifügen, dazu ermächtigt zu sein -~ der Londoner „Stan-
dard“ gestern bringt, wonach die Familie Montpensier, welche
wegen Zerwürfniſſe mit der Königin Jſabella Spanien
hatte verlaſſen müſſen, von der Regierung zur Rückkehr
„eingeladen“ worden iſt. Damit hätte Serrano auf ſeine
Stellung zu der Frage der künftigen Staatsform ein
weiteres helles Licht geworfen; der nach den letzten Nach-
richten als der einzig möglich erscheinende Thronkandidat
wäre da, und das
„Geendigt nach langem Streit
„Iſt die königslose, die schreckliche Zeit“
tönnte nun von den Monarchiſten angeſtimmt werden,
wenn – ja wenn das ſpaniſche Volk in den Chorus
einſtimmte.
Der Aufschrei gegen die früheren politiſchen Hinrich-
tungen in Rom iſt bei der „Sacra Conſulta“ nicht un-
gehört verhallt. Das Todesurtheil gegen Ajani und Luzzi
iſt in eine Galeerenstrafe verwandelt, zwei der Mitange-
klagten haben völlige Freiſprechung, die anderen eine Straf-
milderung erlangt.
Wenn in Oebſterreich, deſſen Kaiſer unter der Legion
einer Titulaturen die einer ,apoſtoliſchen Majeſtät“ vor-
anſtellt, selbſt Hirtenbriefe vor Konfiskation und deren
Verfaſſer vor gerichtlicher Verfolgung nicht mehr ſicher ſind:
warum sollte in den Staaten des e xrkommunizirten Kö-
nigs von Italien nicht die gleiche Gottloſigkeit einreißen?
„Böſes Beiſpiel verdirbt gute Sitten“ — und da iſt denn
auch in Salerno ein Hirtenbrief des dortigen Biſchofs
mit Beschlag belegt und der Staatsanwalt beauftragt wor-
den, gegen den Hirten ſelbſt Anklage wegen Aufreizung zum
Aufruhr zu erheben. Schlimme Zeiten!
Aus Preußen wird, anscheinend von halbamtlicher
Seite, die den Friedenshoffnungen so förderliche Versiche-
rung ertheilt, daß Armeereduktionen dort ,jedenfalls nicht
im Werke sind“. Der Anlaß zu dieſer Verkündigung ist
in einer Nachricht des „Hamb. Korr." zu finden, laut
welcher jene Soldaten, welche nach dem bestehenden Regle-
ment erſt nach den Herbſtübungen in ihre Heimath zu ent-
laſſen wären, im heurigen Jahre schon nach Oſtern ihre
Reiſe würden antreten dürfen. Ein ,„Mißverſtändniß"“ —
ſo beſagt die erwähnte Berichtigung. :
Deutſchland.
* Aus Baden, 25. Febr. „Die Tage des Mi-
niſteriums Jolly ſind gezählt." So schreibt ein Gewährs-
mann des „Pf. B." Er hält dafür, den nächſten Anstoß
zur Erſchütterung des Ministeriums Jolly habe die „Offen-
burgerei“ geliefert; nicht aus sittlicher Berechtigung, ſondern
weil sie die vollſtändige Vereinſamung des Hauptes der
Regierung dargelegt habe. Daß demselben ſelbſt die Bu-
reaukratie nur widerwillig Dienste leiſtet, wird in der That-
sache gefunden, daß ein Mitglied des Staatsminisſteriums
(Herr Nüßlin) unter die Gegner Jolly’'s getreten ſei und
zwar in einem Altenstücke über die Feiertagsverordnung,
„das Nüßlin ſchwerlich ohne Vorwissen des Landesbiſchofs
unterzeichnet habe." Sodann wird aufgeſtellt, daß der Kriegs-
minister v. Beyer, aus Anschauungen in tirchlichen Dingen,
ſich ebenfalls mit Jolly in Meinungsversſchiedenheit befinde,
daß Beyer in guter Beziehung zur Partei der „national-
tonſervativen“ Pietiſten ſtehe und daß er sich auch Freunde
unter den Ultramontanen zu erwerben ſuche, „worüber ge-
wiſſe Unterredungen mit katholischen Geistlichen Licht geben,
u. s. w. Wir nehmen von diesen Ausführungen Notiz,
u~q
um wiederholt die Demokratie aufzurufen, wachſam zu sein
und dafür Sorge zu tragen, daß eine allenfalls "eintretende