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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI issue:
No. 102 - No. 126 (1. Mai - 30. Mai)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0477

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Freitag, 21. Mai.









N 118.



Organ



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der deutſchen Vo

Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~+ täglich als Abendbla
h Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei



Iksparlei in Paden.

1869.















tt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.







| An die 130.

I Wir zählen alſo in der erſten Stadt des badiſchen
Landes 130 Preußen auf 30,000 Seelen, 130 Perſonen,
welche mit dem Ministerium Jolly durch Dick und Dünn
in den Nordbund hinein wollen , unbekümmert um das
Halt, Halt!!, welches von allen Winkeln der Windrose
ihnen zugerufen wird, unbekümmert um die lauter und
lauter sich aussprechende Meinung und Arbneigung
des Volkes.

Wir gestehen, daß wir den Muth eines ſqelchen
Schrittes bewundern würden , überwöge nicht das Be-
dauern über die Verblendung. Diese Verblendung ist
ein Krankheitse-Symptom , und jede Krankheit will ihren
Verlauf haben. Cinen ſolchen Verlauf zu befördern, die
Kriſis zu beſchleunigen , iſt des Arztes hauptqſächlichſte
Pflicht. Thun wir das Unsrige !

Das Spiel mit den Hohenzollern iſt nichts Neues in
der Geſchichte, wenn auch die Koketterie mit dem „Staat
des deutſchen Berufes“ eine neue Form dieses Spieles iſt.
Früher drückte man sich nicht so sophiſtiſch aus, ſondern
nannte ein Spiel ein Spiel und ſselbſt die Volksſage kon-
ſtatirte strenge Exempel an ſolchen Spielen.

Um die Wende des 14. und 15. Jahrhunderts hatte
die Stadt Rothenburg an der Tauber einen gewaltigen
Bürgermeiſter, Heinrich To ppler mit Namen. Er
war ein energischer Verwalter, und die Stadt verdankte
ihm viele Verbeſſerungen und Verschönerungen. Auch ein
Kriegsheld war Heinrich Toppler und als Hauptmann
der verbündeten Städte in Schwaben und Franken that
er ſich mächtig hervor und trieh die Junker bis an den
Rhein, zerbrach auch viele ihrer feſten Raubneſster. Reich
war er dabei über die Maßen und seine Jahresſteuer oll
80,000 Gulden betragen haben.

Nur Eines verzieh ihm der Volksglaube nicht und
alle seine sonstigen Verdienſte wurden zu Schanden vor
diesem Einen : er Jjollte es nämlich mit den Burg-
grafen Friedrich von Nürnberg halten, demſelben,
der auch die Mark Brandenburg an ſich brachte und die
Großmacht der Territorialfürſten auf Geld zu gründen
begann.

Einst , so erzählt sich das Volk, tranken der Burg-
graf Friedrich und Heinrich Toppler gehörig mit einander;
im Trunk verfielen ihre Gedanken auf das Wütfelſpiel,
und es kam ihnen ein, um die Stadt Rothenburg zu
würfeln. Toppler warf e lf Augen, sechs und fünf;
der Burggraf aber zwölf, ſechs und sechs. Rothenburg
war verspielt. |

Der Bürgermeiſter, so erzählt man weiter, ſann nun
darauf, die schöne, reiche und mächtige Stadt zu über-
geben. Einige alte Thüren in der Ringmauer blieben
auffallend lange liegen und offen. Man witterte Verrath.
Als nun Tohpler mit anderen Rathsherren einſt nach
Ansbach gesendet worden , schlugen die Mißtrauiſchen
Lärm, riſſen an der Sturmglocke und riefen ſo das Volk
zuſammen. Nachſeßende Reiter holten den Bürgermeister
ein und innerhalb der Steinſchranken des großen Rath-
haussaales ward der Bürgermeister zuerst gefragt : „Was
einem Verräther der Stadt für Lohn gebühre ?“

Toppler antwortete. „Hungers zu ſterben!“ So wardt
das Urtheil verkündet und Toppler in das geheime

Staatsgefängniß unter die Archive gebracht. Dort ist er

verſchmachtet.

Man ſieht daraus, daß die Intriguen mit denHohen-
zollern bereits nach Jahrhunderten zählen und daß vor
faſt 900 Jahren das Volt keinen Spaß mit diesen In-
triguen verſtand. Es iſt auch füglich einerlei, ob der
Vorfall hiſtorisch oder sagenhaft iſt; was in der Erzäh-
lung die Hauptsache bildet, iſt die Meinung , welche
das Volk von dem Burggrafen von Nürnberg hegte,
und die Strafe, welche es auf ein Cinverſtändniß mit
ihm geſett wiſſen wollte.

Man ſieht ferner , woher die ewigen Anspielungen
auf das Hazard ſpi el im Munde des Grafen Bis-
marck ſtammen, wie z. B. : „Wir haben das Spiel
noch nicht gewonnen, nur unser Cinsatz iſt verdoppelt
worden“, oder: „Wir spielen hohes Spiel, meine Herren!"
Wenn nämlich der edle Graf nicht gerade vom „Pferde“
redet und Deutſchland „in den Sattel hebt“, so ſteht er
zuvcrläſſig an der Roulette und riskirt. Solche Spiel-
ausdrücke rühren von den Würfeln zu Rothenburg her,
bei welchen Heinrich Toppler sein Leben versſpielte. Er
wird nicht der Letzte ſen.

Wir möchten daher unſere 130 und die etlichen An-





dern im Lande Baden warnen vor dem Spiele mit Bis-
marc und seinen Helfeshelfern. Das deutsche Volk läßt
schließlich keine Territorialmacht zur Herrin über sich wer-
den , es iſt wesentlich republikaniſch, wobei die Stel-
lung der einzelnen Landesfürſten gänzlich außer Frage
bleibt. Das deutsche Reich iſt ein ganz eigenes Ding,
welches seine höchſt speziellen Lebensbedingungen hat, ohne
die es nicht exiſtiren kann. Zu ſterben aber hat es auch keine
Luſt, folglich muß es ſich ſeinen Lebensbedingungen fügen.
Dieſe geschichtliche Wahrheit lag sogar in der Heuchelei
vom „Großpenſionär“ ausgedrüctt. Der Föderalis-
mus iſt die deutſche politiſche Natur, Jeder andere Ver-
ſuch iſt burggräfliches Hazardſpiel, und die Toppler
kommen dabei zu bitterem Schaden. Mertt's!

Molitiſche Ueberſicht.

Mannheim, 20. Mai. _



* Aus dem Königreich It a lien kommt die Nachricht,

daß die Regierung mit dem päpsllichen Stuhle wegen

Wiederherſtellung der diplomatiſchen Beziehungen zwiſchen
heiden Staaten in Unterhandlung ſtehe.

In Belgien hat der Juſtizminiſter Bara sein Ent-
laſſungsgeſuch zurückgenommen, nachdem der Miniſterrath,
in Uebereinſtimmung mit der ganzen liberalen Partei des
Landes, die illiberalen Abänderungen, welche der Senat
in der Hoffnung, dadurch den Rücktritt des ihm sehr un-
lieben Miniſters herbeizuführen, an dem Gesetzentwurf
über Aufhebung der Schuldhaft vorgenommen hatte, als
keinen genügenden Grund für das Ausscheiden Bara's
aus dem Kabinet erklärt hat. Die Deputirtenkammer
wird diesen Gesetzentwurf nun neuerdings berathen und
durch ihre wiederholte Zuſtimmung zu den Regierungs-
vorſchlägen dem Juſtizminiſter ein abermaliges Vertrauens-
votum ertheilen, welches denselben über die Antipathien
der retograden Senatsmehrheit tröſten wird.

In Linz (Ober-Oefsterreich) will sich ein Verein bil-
den, welcher die Abschaffung der Tod esstra fe zum
Zweck nimmt. Einem Aufrufe zur Betheiligung an diesem
humanitären Beſtreben entlehnen wir folgende Sähe:
„Die nächſte Aufgabe (nachdem nämlich Beccaria und
Mittermaier vorgetämpft haben) ist, das gegebene Material
zu sammeln, die Beſtrebungen fortzuſeßen und das allge-
meine Rechtsbewußtſein auf den rechten Weg zu bringen.
Das kann amSicherſten auf dem unserer Zeit eigenthüm-
lichſten Wege , dem der Vereinigung, geſchehen. Bilden
wir einen Verein, der sich zur Aufgabe setzt, für die Ab-
ſchaffung der Todesstrafe in Deutſchland und Oſtterreich
(diesſeits der Leitha) zu wirken. Seine Mittel würden
sein: Sammlung der bisher erſchienenen Schriften für
und wider die Todesstrafe , der Verhandlungen und Be-
ſchlüſſe der Geſeßgebungen und der ſtatiſtiſchen Data
hierüber. Einführung einer organiſirten Enquete für die
Zukunft über die Entſtehungsurſache und Nebenumſstände
der schweren mit dem Tode verpönten Verbrechen, Erfolg
der Begnadigung und Wirkung der Todesstrafe auf das
Volk. Verbreitung der Gründe gegen die Todesstrafe
durch Volksſchriften und politiſche Presſe. Betretung des
Weges zur Erwirkung der Begnadigung von zum Tode
Verurtheilten.“ Zur Konstituirung des Vereins iſt der
28. Aug. d. J., der Sterbetag Mittermaiers, in Aussicht
genommen. Es werden daher alle Menſchenfreunde,
welches Standes immer, eingeladen, ſich an der Stiftung
dieses Vereins zu betheiligen und ihre Zuſtimmung , die
nicht zum wirklichen Beitritt verpflichtet, durch eine Zu-
schrift an Dr. Karl v. Kißling in Linz auszudrücken.

Vor einigen Wochen iſt in . . der Name thut nichts
zur Sache, die Session einer sogenannten Volksver-
tretung zu Ende gegangen. Nach einer gewissenhaften
Zuſammenſtellung der von den Volksvertretern geleisteten
Arbeiten haben diese darin beſtanden, daß eine große
Anzahl neuer Steuern , darunter mehrere auf schwer zu
entbehrende Lebensbedürfnisse, bewilligt worden sind. Als
es, so ſchließt der uns vorliegende Bericht, „sonst nichts
mehr zu besteuern gab, wurde die Sesſion gesſchloſſen und
die biederen Scheichs konnten heimgehen.“ Mit dem
Worte Scheichs haben wir verrathen , daß die Geſchichte
imOriente spielte, und es sei darum gleich beigefügt, daß
Aegypten ihr Schauplatz war , damit nicht etwa Jemand
meine , der draſtiſche Bericht sei die Grabrede , die dem
norddeutschen Reichstage nach ſeinem dießmaligen Schluſſe
zu halten sein wird.

Diese löbliche Versammlung hat erſt gestern ihre
Psingstferien vollendet: von neuen Steuervorlagen, die
ihr gemacht wurden, kann demnach heute noch nichts







berichtet werden. Einen wohl zu beachtenden Beitrag
zu dem Kapitel: Preußiſche Steuern finden wir
inzwiſchen in einem Briefe des als eine Autorität in
ſtatiſtischen Dingen anerkannten Herrn Kolb von Speyer
an einen bayeriſchen Urwähler, welcher. aus Anlaß der
von fortschrittlicher Seite aufgestellten naiven Behauptung,
daß das Volk im übrigen Deutschland mehr, als in
Preußen, mit Steuern belaſtet sei, sich von Herrn Kolb
authentischen Aufschluß erbeten und folgendermaßen erhal-
ten hat: In Preußen treffen auf jede Familie an in-
direkten Auflagen 13,54; an direkten Steuern 6,95 z
im Ganzen 20,40 Thlr. ; im übrigen Deutſchland an
indirekten Auflagen 11,87; an direkten Steuern 6,18 ;
im Ganzen 17,99 Thlr. Dte Familie zu 5 Köpfen
gerechnet trifft demnach in Preußen um 1/2 Thlr. mehr
auf den Kopf, als im übrigen Deutschland. Dazu
kommt aber, wie Herr Kolb weiter anführt, noch der
doppelte Umstand, daß ,1) in Preußen durch die Steuer-
schraube die Budgetansätze weit mehr überſchritten worden
sind, als in den andern Staaten ; 2) daß in den Klein-
staaten, namentlich den sogenannten freien Städten, durch-
gehends sehr große Summen auf dem Staatsbudget er-
ſcheinen, welche in Preußen als Provinzial- und Kommunallaſt
noch besonders aufgebracht werden müſſen.“

Während dieß Blatt in die Preſſe geht, ſind in
Bayern die Abgeordnetenwahlen wohl an den meiſten
Orten bereits entschieden. Je näher der Wathltag heran-
rückte, um so mehr hat ſich der Jubel, in welchen die
dortigen Nationalliberalen über die in mehreren Städten,
besonders in München, bei den Wahlmännerwahlen er-
rungenen Siege ausgebrochen waren, in kleinmuthiges
Bangen verwandelt. Als einen Beweis dieser entnüchterz
ten Stimmung entnehmen wir einem von Vollblut-sſchwarz-
weißer Seite der „Kölnischen Zeitung“ zugegangenen

| Stoßseufzer aus München das Geſtändniß, daß die „na-

tionale (!) Partei nicht hoffen darf , aus den dermaligen
Wahlen in verſtärkter Zahl hervorzugehen“"; daß ſie viel-
mehr, wie sie ſchon in der letzten Abgeordnetenkammer
„nur eine Minderheit" gebildet habe , auch „unter allen
Umſtänden in der neuen nur eine Minderheit darſtellen“
werde. Aber nicht nur die „nationalen“ Interessen, ſon-
dern auch die freiheitlichen Fortschritte im Innern ſieht
der schwarzweiße Gewährsmann der „Köln. Ztg." durch
das zu erwartende Wahlergebniß gefährdet. Mir theilen
diese Befürchtung nicht: die reaktionäre Partei wird im
künftigen Landtage wohl stärker, als bei den früheren,
vertreten sein ; zu einer Majorität wird ſie sich aber
nicht erheben. Wer anders übrigens , als gerade die
liberal-nationale Partei, hat den reaktionären Elementen
an manchen Orten Bayerns zum Siege verholfen ? Wos
durch anders , als dadurch, daß sie ſich auf den Wider-
willen der Bevölkerung gegen einen Anschluß an den
Nordbund stützte, hat die ultramontane Partei, die bisher
noch auf keinem bayeriſchen Landtag in einer ſchädlich
großen Stärke vertreten war, dießmal die Aussicht auf
Erringung vermehrten Cinfluſſes gewonnen ? Das qjollen
die Anschlußmänner in Bayern nicht aus dem Auge
laſſen, wie das Volk nicht unterlassen wird, es ihrem
übrigen Sündenregisſter anzureihen.

Deutſchland.

' Aus der Residenz, 20. Mai. Die inPforz-
heim beſchloſſene Verſammlung ſüddeutscher Nationallibe-
raler iſt bis dahin ausgeblieben. Dagegen hat ſich eine
Annäherung der „Nat ional-Konſe rvativen“ Badens
und Württembergs vollzogen. Beiderſ.itige Vertreter haben
am Pfingſtdienſtage auf einer Besprechung zu Stuttgart
die „gemeinſamen Grundsätze in konſervativer und na-
tionaler Hinsicht“ festgestellt. Als Theilnehmer an der
Besprechung aus Württemberg werden die Herren Dr.

Wächter, v. Gemmingen und Direktor Fetzer genannt.
v. Göler, Geh. Rath
Dr. Möhr



Aus Baden waren die Herren v. |
Gockel, Buchhändler Gutſch, Mühlhäußer und Dr.
gekommen. Als gemeinſames Organ wurde die hier er-
scheinende „Warte“ beſtimmt; in Württemberg vertritt
der „Landbote“ die Intereſſen der National-Konservativen.

* (us Baden, 20. Mai. Die Verſammlung
der „Offenburger“ dürfte zahlreicher werden, als den
Einladenden lieb iſt. Noch ſcheinen die „Führer der
Offenburgerei nicht gesonnen , rücthaltlos ins miniſterielle
Lager zurückzukehren und die Verſuche zur Bildung einer
„ſelbſtſtändigen Partei“ aufzugeben. In ihrem Anhange
jedoch hat die Zerſezung bereits große Jortſchritte ge-
macht und der größte Theil deſſelben hat neuerdings zur






 
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