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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 127 - No. 152 (1. Juni - 30. Juni)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0597

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1869 .









F. 148.






Organ der

deutſchen Volksp











Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Fejitage > tiägli
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Be

< als Abendblatt ausgegeben. — Der
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15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.







t ~~~~7



Die republikaniſche Partei in Spanien.

Die republikanische Partei in Spanien , ihr Manifeſt
vom September v. J., ihre Haltung innerhalb derKortes
und außerhalb der parlamentariſchen Kreise, die Ueberein-
kunft von Tortoſa, die Reden Emilio Caſtelar's, Orenſe's
und ihrer Gesinnungsgenoſſen haben die Aufmerksamteit
des geſammten Europas auf ſich gelenkt, und es dinfte
deßhalb zeitgemäß erſcheinen , einen geschichtlichen Rückblick
auf die Entwicklung des Republikanismus in Spanien zu

werfen. .

Gegen Ende der dreißiger Jahre sehen wir zuerſt
dieſe Partei als eine geſchloſſene, die unbestimmte, dehn-
bare Bezeichnung der demokratisch n aufgebend, unter dem
Namen der republikaniſchen in der Geſchichte Spaniens
auftreten. Sie befaßte ſich vor Allen mit einer energi-
ſchen Propaganda für die republikanische Idee, deren Fahne
ſie troß allen ihr entgegenstehenden Hinderniſſen offen
entfaltete + ein Beginnen, welches möglicher Weiſe das
spanische Cayenne und Lambesſa, die Guinea-Inſel, Fer-
nando Po in Aussicht ſtellte. Der Huracon, der Penin-
ſular , der Guindilla zu Madrid, der Republikaner zu
Barcelona , der Centil d’Andulaſia waren zu jener Zeit
ihre Vertreter in der Presſe; Abdon Terradas, Alkalde in
Figueras, und Patricio Olivarria, Herausgeber des Hura-
con, zählten zu den bekannteſten Namen der republiktani-
ſchen Partei. Von den Bewohnern ſeiner Heimath zum
Alkalden gewählt, erklärte Abdon Terradas, als Republi-
kaner und Feind aller Throne könne er der Königin den
gesetzlichen Eid der Treue nicht leiſten ; und gegenüber
der Regierung, welche auf Eidesleiſtung bestand, antwor-
teten die Bürger von Figueras mit viermaliger Wieder-
wählung ihres Mitbürgers. Im Jahre 1842 verſuchten
die Republikaner einen Aufstand gegen die bourboniſche
Herrschaft zu Barcelona, der Wiege des ſpaniſchen Re-
publikanismus, welcher aber durch Eſpartero, der die Stadt
bombardiren ließ, unterdrückt wurde.

Wie ganz Europa von der franzöſiſchen Februar-
revolution ergriffen wurde, ſo auch Spanien. Im Früh-
linge des Jahres 1848 erhoben sich die Republikaner in
Madrid, Catalonien, Valencia, Aüicante, Aragonien, und
nur durch den Sieg der Reaktion in Frankreich konnte
die bourboniſche Regierung der Bewegung im eigenen
Lande Herr werden. Mit dem Jahre 1848 begann aber
zugleich eine neue Epoche in der Geschichte des ſpanischen
Geistes. Die soziale Wisſſenschaft drang in die Literatur
ein, und ausgezeichnete Männer , welche die Sache der
Revolution für die ihrige erklärten, warendamitbeſchäftigt, die
neue, die soziale Entwicklung verständlich zu machen. An

der Spitze der sozialen Bewegung ſstanden Terradas,

Ordaz, Monturiol und Sixto Camara , der Verfasser
von „la Cuestion sozial‘ (die soziale Frage), welcher
als ein Opfer des republikanischen Aufstandes von Sevilla
fiel. Am Besten aber kennzeichnet den Standpuntt der
republikanischen Partei in Spanien das politiſche Mani-
fest ihres Nationalkomites vom 1. Februar 1858. In
politischer Beziehung verlangt dieſes Manifeſt die Republik.
Dafür , daß politische und soziale Reformen sich wechsel-
ſeiig bedingen und die Arbeiterklaſſe Nichts von einem
imperialistiſchen oder königlichen Sozialismus zu erwarten
habe, spricht es ſich in folgenden Worten aus : „Wir
müſſen die Tyrannei der Staatsgewalt unmöglich machen
und für immer dem Einzelnen ſeine volle Freiheit sichern;

dann wird es uns nicht ſchwer fallen, jeden fruchtbaren |

Gedanken zu verbreiten und ihn durch Vereinigung der Kräfte
und der Geister zu verwirklichen. Die Freiheit vor Allem
iſt es, die uns die Frucht wahrer Reformen reifen läßl."
Für die internationalen Beziehungen proklamirt das Ma-
nifeſt das Prinzip der Brüderlichkeit und Gemeinschaft.
Das republikanische Programm des vorigen Jahres ver-
langt im Weſsentlichen Daſſelbe , die föderative Repulblit,
Volksbewaffnung, allgemeines Stimmrecht, Dezentraliſation
und Trennung der Schule von der Kirche.

Wir sehen, daß auf dem Boden des ausschließlichen,
starren Katholizismus und langjähriger , politiſcher Reak-
tion, in dem Lande des kirchlichen und politiſchen Des-
potismus die Fragen der Zeit ſo genau verſtanden wurden,
als anderswo ; ein Beweis dafür, daß das so reichlich
begabte Spanien das Bersſäumte recht raſch nachholen
wird , wenn 1hm nur einmal die bisher verſchloſſenen
Pforten des Wiſſens durch die freie Lehre geösfnet ſind;
denn die Halle der Wisſſenſchaft iſt, wie der geiſtreiche
Buckle ſagt, allüberall der Tempel der Demokratie. Man
muß den ſpaniſchen Republikanern das Zeugniß geben,

M









daß ſie ihre Fahne nie, auch nicht unter den ſchwierigsten
Verhältniſſen verleugneten. Sie haben ſich lange Zeit
mit der bloßen abſtrakten Forderung der Republik be-
gnügen müſſen; nie aber sich mit der Pflege des Ge-
dankens einer demotratiſchen Monarchie, jenes Widerspruchs
in sich ſelbſt befaßt. Caſtelar trifft in dieser Beziehung
den Nagel auf den Kopf und iſt ganz in Uebereinsſtim-
mung mit ſeiner Partei , wenn er in der Rede vom
20. Mai d. J. bemerkt: „Sowie der Menſch seine eigen-
thümliche Form hat, die des menſchliſchen Geiſtes, ſo hat
auch die Demokratie ihre eigene Form, und die iſt >
die Republik.!" Spanien hatte Gelegenheit, Studien zu
machen über die Doktrin der demotratiſchen Monarchie.
Es hat gesehen, was ſelbſt aus der freiſinnigſten Verfaſ-
ſung werden kann, wenn sie den Cinflüſſen und An-
maßungen einer reaktionären Regierung ausgesetzt iſt.
Welche Verfaſſungskämpfe hatte Spanien zu beſtehen vom
Jahre 1812), von der bekannten Kortesverfaſſung , der
liberalſten neben der norwegiſchen, bis zum Estatuto real
und “von da an wieder bis auf die neueſte Zeit? Die
spanischen Republikaner haben aus dieſer trauriae! Fe-
ſchichte ihres Volkes die richtigen Konsequei ! gügtczoget.
Sie wollen die Selbſtregierung des Volkes in der vollſten,
wahren Bedeutung des Wortes ~ die Republik. Die
Republikanerpartei in Spanien hat anch nie eine Koali-
tion mit anderen Parteien auf Kosten ihres Prinzips ein-
gegangen, und welch’ praktiſche Erfolge ſie durch diese
Üeberzeugungstreue , durch dieses Festhalten an ihrer
Fahne noch erzielen wird, Das kann vielleicht die nächste
Zutunft schon lehren, weun auch die Mehrheit der Kortes
bei ihrer jüngsten Abſtimmung über die Staatsform
Spaniens uneingedent war der früheren Mahnung
Cremieux's: vor Allem zurückzuweiſen die Prätendenten,

die Geißel und das Unglück der Völker, und nicht die

Könige zu verjagen, um gie wieder zu holen.

Politiſche Uebersicht.

Mannheim, 24. Juni.



* Die von Linz ausgegangene Anregung der Gründung
eines Vereins, der sich die Abſchaf fung d er Todes-
ſtra f e zur Aufgabe ſtellen ſoll, iſt auf fruchtbaren Boden
gefallen. Oefterreichiſchen Blättern zufolge haben bereits
Koryphäen der Wisſſenſchaft und hervorragende Mitglieder
deutscher Landesvertretungen so zahlreich ihren Beitritt
zugeſagt , daß die Stiftung des Vereins ~ durch deren
Anberaumung auf den 28. Auguſt, als den Sterbetag
des Profesſors Mittermaier, den Manen dieses unseres
landsmännischen Vorkämpfers der humanitären Idee eine
reich verdiente Huldigung gebracht werden soll ~ als
gesichert erſcheint.

Wie die „Neue Freie Preſſe“. erfahren hat, wird die
Frage, ob der Biſchof von Linz zu der Verhandlung
der gegen ihn erhobenen Anklage vor dem Schwurgericht
ſich einſtellen ſoll oder nicht, gegenwärtig im Kreise der
öſterreichiſchen Kirchenfürſten lebhaft verhandelt. Der Bischof
ſelbſt soll in der Erwartung auf eine freiſprechende Ent-
scheidung der Geſchwornen vor diesen erſcheinen wollen;

" bei dieſer Absicht aber auf den Widerspruch seiner Amts-

brüder stoßen, die eben grundsätzlich nicht zugeben wollcn,
daß ein Biſchof einem weltlichen Gerichte Rede ſtehe. Nach
den hierher bezüglichen Bestimmungen des öſterreichiſchen Ge-
setzes iſt es, falls der Biſchof sein Erscheinen verweigern
sollte, dem Gerichte freigeſtell, ob es eine zwangsweise
Vorführung beschließen, oder die Anklage in Abwesenheit
des Angeschuldigten auf dem Wege des Kontumazialver-
fahrens zur Verhandlung gelangen lassen will.

Ueber die Aufnahme, welche der bayeriſche Vorſchlag auf
eine dem ökumeniſchen Konzil gegenüber einzunehmende
gemeinſame Haltung und auf Einholung von Universitäts-
gutachten über mehrere vom Konzil voraussichtlich zu
faſſende Beſchlüſſe bei den ſüddeutſchen Regierungen ge-
funden hat, liegen noch keinerlei Angaben vor. Von der
preußiſchen Regierung soll, wie von Berlin aus in halb-
an.ilicher Weiſe mitgetheilt wird, der erſte Theil des Vor-
ſchlags gebilligt und der Wunsch nach einem gemeinſamen
Vorgehen der Regierungen, namentlich der deutſchen, ge-
theill, die im zweiten Theil vorgeſchlagene Befragung
der Universitäten aber als nicht zuträglich erkannt werden.

Deutſchland.

Karlsruhe, 24. Juni. Der neueſte Staats-
anzeig er enthält u. A. folgende Mittheilungen : Die
Crlaubniß zur Aufnahme öffentlicher Urkunden außerhalb
des Gerichtsſiſes wurde dem Gerichtsnotar Schroth in





Villingen entzogen. N. Schmidt von Großſachſen wurdo
zum Mitglied des Bezirksrathes Mannheim und Chr. Zilly
in Söllingen zum Mitglied des Bezirksrathes Durlach,
beide als Ersatzmänner, ernannt. Erfindungspatente
erhielten: BreckenridgerBaker in Philadelphia, Verlängerung
des Patents für ein Verfahren zur Verhütung der Bil-
dung von kalkigen Absätzen oder Kesſelſteinen in Dampf-
keſſeln ; A. Neubecker und E. Philipp Hinkel in Offen-
bach für einen ſelbſtthätigen Vermaischapparat ; J. C.
Houet und F. L. F. Caillet, zu Paris, für ein Laffetten-
Syſtem für Kanonen (zu Waſſer und zu Land); die
Société Ch. Christotle et. Cie. in Paris für Apparate
zum Auffriſchen von Wein und andern Flüssigkeiten in

Flaſchen oder andern Gefäßen; Siedle, in Iriberqg, : M

für eine Verbeſſerung an Maschinen zum Schneiden,

beziehungsweise Fraiſen der Zahnräder für die Uhren-

fabrikation ; J. Ferrenholz in Wesseling bei Köln a. Rh.
für eine ſogenannte Univerſal-Simshobelmaſchine.

() Heidelberg, 23. Juni , Mittag. Eben findet
der Entſcheidungskampf statt, ob in unserer Stadt fortan
fonfeſſionelle oder gemiſchte Sch ulen ſein

den. Seit einigen Tagen herrſcht hier fieberhafte

afregung , die heute den höchſten Grad erreicht , da die
Entscheidung über die Schule hier bei der katholischen
Bevölterung liegt, welche heute darüber abſtimmt. Geſtern
gab die evangeliſche Bevölkerung mit 900 gegen 8 ihr Votum
ab. Morgen stimmt die iſraelitiſche Gemeinde ab. Bis
zur Stunde stimmten von 980 ſstimmberechtigten Katholiken
hier schon 400 für die gemiſchte Schule gegen 134; der
Sieg iſt demnach nicht zweifelhaft. War bis geſtern
Abend der Ausgang nicht sicher, ſo gab die Verſammlung
der Katholiken in der Kirche der hieſigen Kloſterſchule
geſtern Abend den Ausschlag. Schon Montag Abend
sand im großen Saale der Harmonie eine von Ange-
hörigen aller Konfessionen ſehr zahlreich besuchte Versamm-
lung statt, in welcher Profeſſor Neff vom hiesigen Lyzeum,
Dr. Fz. Mittermaier und Dr. Reckendorf ihre Mit-
bürger aufforderten, mit Ja zu stimmen. Besonders
zündete die Rede Mittermaiers. Die Gegner des Fort-
ſchritts innerhalb der katholiſchen Gemeinde hatten wohl
nicht geglaubt, daß der freiſinnige Theil der hieſigen Ka-
tholiken in eine Versammlung kommen würde, welche ſie
in die Kirche berufen würden. Sie hatten ſich darin
verrechnet, denn die hieſigen Kathvliken, denen die menſch-
liche freiheitliche Biloung der Jugend vor Allem am
Herzen liegt , erschienen Mann für Mann. Es wurden
von beiden Seiten alle nur möglichen Gründe ins Feld
geführt; es half aber den Gegnern nichts ; ſchickten ſie
auch ihre beſten Redner vor. Stadtpfarrer Wilms berief
ſich auf deutſche und französiſche Autoritäten gegen die
gemischte Schulen, Dr. Fiſcher gab eine Abhandlung über
Religions- und Konfessionsfrieden, Kaufmann Lindau gab
ſich als eifriger Katholik kund, bei dem allerdings etwas
Ueberſchäßsung und Untlarheit mit unterlaufen. Nach
diesen ergriff Dr. Fz. Mittermaier das Wort. Was Be-
ſcheidenheit, Ueberzeugungstreue und Feuer der Beredſam-
keit zuſammen vermögen, Das zeigte ſich in der Wirkung
dieser Rede. Der Geiſt des Vaters Mittermaier ſchwebte
über diesen Worten. Umsonſt war der Verſuch der
Gegner , gegen die vernichtende Beweiskraft einer ſolchen
Rede noch aufzukommen. Auch Prof. Friedreich und
Staatsanwalt von Berg sprachen mit Wärme und Klar-
heit über die hohe Bedeutung der gemischten Schule und
das Verhälniß der neuen Geſeßgebung zur Gründung
konfeſſioneler Schulen. So gut organisſirt die orthodore
katholische Partei gerade hier in Heidelberg iſt,, ſo ſiegte
dennoch bei vielen Schwankenden die Macht der Wahrheit
und Freiheit. Die Verſammlung trennte ſich ſpät am
Abend in erregter Stimmung ; eine große Volksmenge
hatte auf der Straße vor der Kirche geſpannt auf den
Ausgang der Verhandlung geharrt. Einige ungezogene
Jungen , die Zöglinge der bisherigen Konfeſſionsſchulen,
hatten sich erfrecht, durch die Fenſterſcheiben Steine in die
Kirche zu werfen. Hoffentlich war Dieß der letzte Unfug
hier, welchen die konfesſionellen Hetereien veranlaßt haben.
Es ' wäre zu wünſchen geweſen , daß durch Energie der
Polizei bieſrs Bübereien vorgebeugt worden wäre. Der
Gewinn für Heidelberg durch Einführung der gemiſchten
Schule iſt ein großer; den bis zum Eckel geſtiegenen
Hehereien zwischen Pruteſtanten und Katholiken hieſiger
Stadt iſt von nun an wenigstens die Spitze abgebrochen.
Wichtiger als all Dieses iſt aber, daß endlich wieder vom
Volk ein Sieg erfochten wurde , dem hoffenlich recht
bald andere auf politiſcham Gebiet folgen werden.






 
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