1869.
. 249.
iaunhein
Organ der deulſchen Volksparlei in Baden.
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Zum zollerſchen Zäſaro-Papismus.
, nodal-Verhandlungen Rückſicht nehmen ka n n, aber auch | stehende Eingabe an die Zweite Kammer. Erklärt
ſich lediglich von den Konsiſtorien und Regierungen, die
D.C. Die Ausdehnung der preußiſchen Königsmacht außerhalb des kirchlichen Zuſammenhanges ſtehen, bei
hat zugleich das Gebiet erweitert, auf weichem die Träger
der preußiſchen Krone das Seelenheil der Menschen zu |
Nach ihrem Eroberungsrecht gehören | läßt man die Synode vollendeten Thatſachen begegnen,
besorgen haben.
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nämlich ihnen nicht blos die Leiber und Herzen der auf |
dem annektirten Grund und Boden befindlichen Menſchen-
wesen, ſondern auch kirchlich sind ſie kraft Blut und
Eiſen ihnen verfallen. Weltlich als Provinzen hat der
Kriegsherr, kirchlich als ebensoviele Bisthümer hat der
neue Landesherr als ,oberſter Biſchof“ ſie ſich angeeignet.
Eine Prachtſorte von Proteſtantismus! Ein Muſterſtück
von g,evangeliſcher Freiheit!“ Ein Gewissensherr von
Zündnadels Gnaden!
Wir übektreiben nicht mit einer Silbe. Die ganze
Bureau-Hierarchie des Proteſtantismus in den annetktirten
Ländern iſt mit und seit der Annexion an König Wil-
helm übergegangen ; die Konsiſtorien u. dergl. gerade so
gut, wie die Bezirksregierungen, die Superindenten grade
ſo gut wie die Landräthe, die Paſtoren grade so gut wie
die Bürgermeiſter und Schulzen > ſie alle haben nicht
blos staatlich und persönlich, sondern kirchlich und kirchen-
amtlich einfach den Herrn gewechſell. Für Wilhelm und
Auguſta fortan gelten die Gebete an heiliger Stätte.
Wie im angeerbten Allpreußen die Krone, die „vom Tisch
des Herrn“ ſtammt, ſo im angeeigneten Neupreußen die
Krone, die nichts weniger als vom Tiſch des Herrn ſtammt –~
die eine wie die andere wird dem Schutze des Herrn em-
pfohlen und wo die reinſten Sittenlehren gepredigt wer-
den, da läßt der ewigen Gerechtigkeit ins Angesicht sich
feiern das Werk verruchter Gewalt. Cine schnödere Blas-
phemie hat es nie gegeben. Geht uns mit den Gr ueln
des Jeſuitiimus! Es sind Greuel, ja, aber was hier
dieſe Sorte von Protestantismus vollbringt mit frömmſter
Miene, als müußt's so ſein, als wär's berechtigt, den In-
begriff alles Guten zum Zeugen zu nehmen, zum Segens-
ſpender anzurufen — wahrhaftig, das ſoll einer über-
bieten. Der „Gott der Schlachten“ hat dem König Wil-
helm Gewalt gegeben über dies Land: so, nun bete Du
im Namen aller, denen er Gewalt angethan und noch
thut, für ihn zum Gott der Liebe, Güte, Gerechtigkeit
— o neunzehntes Jahrhundert! o Menschenrecht! o
Geiſterwürde! Und der Euch das bietet, iſt der Staat
!! Glaubensfreiheit und Humanität, der Hort des Pro-
eſtantismus.
Uns führt auf dies Gebiet, welches wir sonst zu be-
treten vermeiden, weil wir wie den Kalholizismus, so
den Protoſtantismus mit ſich ſelbſt ausmachen laſſen,
was jenen oder diesen ſelbſt angeht ~ uns führt auf
dies Gebiet das Gefühl einer Pflicht gegen die, welche
kaum eine andere Stelle haben,_ wo ſie der Gewisſens-
noth, die ſie drückt, Worte leihen können. Großpreußen
will die annektirten Länder jett auch kirchlich verpreußen,
will ihnen ſeine angeblich freie Kirchenverfassung auf-
drängen, beruft zu dem Zweck Landessynoden (in Han-
nover, Heſſen). Zum ersten Mal seit der Annerion be-
î rührt es damit ein Gebiet, wo schon oft die Entscheidung
für die Freiheit eines Volkes gegen seine Unterdrücker
erfolgt iſt. Auch Preußen stößt da jezt auf Widerstand,
obſchon es drei Jahre ins Land gehen ließ, ehe es die
Stimmen der Betheiligten zu hören ſich anſchickte. So
viel Uebelſtände in Hannover und Hesſen (man denke
nur an Vilmar) gewaltet haben mögen, man hat aller
Orten schon zu sehr auf allen audern Gebieten erfahren
daß Preußen nichts weniger als einen Jortſchritt bietet
als daß man noch Glauben haben könnte an den Pro-
teztigaus der Zollern, der Mühler und sonstiger Ober-
irchenräthe. | r
î_ Die zollerſche Kirchenverfaſſung gilt für freiſinnig;
ihre Presbhterien und Synoden follen demokratiſch sein
ſollen die Selbſtregierung darstellen. Aber über ihnen
ſtehen die Konſiſtorien des Staats d. h. des Königs-
Biſchofs und wie die es treiben, mag man ſtatt alles
weiteren daraus ſehen, daß ſelbſt Schenkel (von der Kirche
Bluniſchli) sich zu dem Ausdruck ,konsiſtoriale Pfaffen-
kirche" aufraft. In knappen Zügen ſchilderte ſchon vor
einigen Jahren ein rheiniſcher Geiſtlicher die Sache. „Die
Presbyterien der Rheinprovinz, schrieb er, berathen und
beſchließen, aber ihre Beſchlüſſe haben keine Kraft; die
Provinzialſynoden berathen und beschließen über das von
den Presbyterien beſchloſſene, aber auch ihre Beschlüſe
haben keine Wirkung. Alle Beſtimmung, alle Eniſchei-
dung liegt bei der Staatsregierung, welche auf die Sh-
ihren Entſchließungen leiten lassen d arf. In den wich-
tigſten Dingen, in Verfaſſung, Lehre, Kultus, Disziplin
bei denen ihr, weil ein Nein nicht mehr helfen würde,
nur übrig bleibt, Ja zu ſagen.“
Dieses Sachverhältniß iſt in all den Kreiſen der an-
nektirten Länder, wo: man ſich für kirchliche Fragen be-
sonders interessirt, gründlich durchſchaut; darum regt man
sich ſo lebhaft bei den Wahlen zu den ausgeschriebenen
Landessſynoden. Daß es für Verſuche, zu verſchleiern oder
zu beſchönigen, nicht an pfäffiſchen Federn fehlt, versteht
ſich am Rande. Das Stärkſte in dieser Richtung leistet
der wohlbekannte Hof- Theolog Hoffmann in Berlin, der
nicht ansteht, den zum deutschen Kaiſer avanecirten Zollern-
könig zum obersten Biſchof einer deutschen Nationaltirche
anzukündigen, die dann ~ wahrscheinlich mit Hrn. Hoffz
mann als Kapuziner-Feldprediger – zum Weltkampf
rückt gegen Rom. Nein, mag der Zollerei gelingen, den
Leib in Bande zu ſchlagen, den deutſchen Geiſt wird sie
nicht in Bande schlagen, in keiner Form, auf keinem Ge-
biet und ſelbſt der dürftig heruntergekommene Protestan-
tismus wird es vermögen, des Zäsaro-Papismus ſich zu
erwehren, den sie ihm mit ihrer Presbyterialo und Sy-
nodal-Verfaſssung aufzwängen möchte.
In entſcheidender Stunde.
Mannheim, 20. Olk.
* In der gestrigen Abendzeitung haben wir aufge-
fordert, die Bevölkerung in Baden wolle überall dem ver-
sammelten Landtage aussprechen : sie verlange die Einfüh-
rung des allgemeinen Wahlrechts mit geheimer und direk-
ter Stimmgebung.
Gestern noch vereinigten sich eine größere Anzahl Ge-
sinnungsgenoſſen unserer Stadt, um eine bezügliche Ein-
gabe an die Zweite Kammer zu berathen.
Einstimmig entschieden ſich die Anwesenden für den
Grundsatz des allgemeinen und direkten Wahlrechts. Sie
beſchloſſen, ihren Mitbürgern in hieſiger Stadt und im
ganzen Lande die nachſtehende Eingabe an die Zweite
Kammer zur Unterſtützung durch Unterzeichnung derselben
vorzulegen :
: Hohe Zweite Kammier!
! Vetition
von
Bewohnern der Stadt Mannheim,
die Abänderung der Verfassung und
der Wahlordnung betreffend.
Die von der Staatsregierung an hohe Kammer vor-
gelegten Entwürfe zur Abänderung der Verfassung und der
Wahlordnung kommen zwar einemallgemeinen, längſt gefühl-
ten, von allen Seiten anerkannten Bedürſniß entgegen; allein
in einer ungenügenden Weise.
Die seit 50 Jahren bestehende, größten Theils unter-
gegangenen Zuſtänden entſprechende Verfasſung bedarf,
um sie mit dem Bewußtseyn unserer Zeit und der Ent-
wictlung des öffentlichen Rechts in andern deutschen Län-
dern in Uebereinſtimmung zu bringen, einer durchgrei-
fenden Revision, als deren Hauptgesſichtspunkte wir be-
zeichnen :
1) Cinführung des Einkam mers y stems, , welches
jedenfalls für einen kleinen Staat vollkommen genügt.
2) Cinführung des allgemeinen Wahlrechts mit
geheimer und diretter Stimmgehung.
Ohne lettere gibt es keine aufrichtige
Wahl und keinen getreu en Aus druck des
Vol kswillens.
3) Abkürzung der Dauer der Wahlperioden
auf 3 Jahre mit einjährigen Budget-
perioden u. mit Integralerneuerung der
Kar1nnmer.
Die langen Wahlperioden und die theilweiſe Erneue-
rung dienen nur dazu , die Uebereinſtimmung der Volks-
vertretung mit den Bedürfniſſen und Anſchauungen der
ße zu trüben und die Verwirklichung derſelben zu ver-
ümmern.
Nur eine auf diesen Grundlagen beruhende Verfassungs-
änderung kann den berechtigten Erwartungen des Volkes
genügen, weßhalb wir deren Annahme bei der hohen Kam-
mer dringend beantragen.
Mannheim, den 18. Oktober 1869.
Bürger in Stadt und Land ! Unterſtützt die vor-
in Zuſchriften und wo nöthig in Telegrammen an
die Kammer Euere Uebereinſtimmung mit dem in der
Cingabe „ausgeſprochenen Verlangen. Die Pſlicht
ruft! Bürger! tretet überall ein für das allgenteine
nnd direkte Wahlrecht!
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 20. Oktober.
* Die Politik der Berliner Regierung tritt gegen-
wärtig auf der Stelle. Ihre Offiziösen verſichern wieder-
holt, ſie habe keineswegs die Absicht, den Anschluß eines
oder des andern ſüddeutſchen Staates zu fördern noch zu
genehmigen. Cin Südbund ſei nicht möglih . . . Die
ſüddeutſchen Staaten müßten daher entweder Partikular-
ſtaaten bleiben, oder sich zu „dem Entſchluſſe vereinigen“,
unmittelbar, ſo wie sie ſind, dem Nordbunde ſich anzu-
ſchließgen. Die Berliner Politik kaun warten! Sie qucht
den Südbund zu verhindern, um die ſüddeutſche Zerriſsen-
heit ſo lange aufrecht zu erhalten, bis es wieder Zeit zur
Aktion iſt. „Dann müssen sie kommen Alle“. Die Ber-
liner Politik kennt eben nur eine Methode für die Eini-
gung Deutschlands, die der militärischen Annexion, und
ſie wird dieselbe, wenn ihr die Freiheit dazu gelassen wird,
ebenſo auf den Süden anwenden, wie sie auf den Nor-
den sie angewendet hat. Die mit Baden vereinbarten
Verträge weiſen deutlich darauf hin. Die Gefahren die-
ses Systems ſind eben so groß für den internationalen
Frieden, wie für die nationale Freiheit. Dieß iſt für
verſtändige politiſche Menschen kein Geheimniß. Nur der
verblendete Nationalliberalismus sieht darüber hinweg,
welcher in dem Aufbau des Zäſarismus in Deutſchland
die Quelle der Stärke nach Außen und der Freiheit nach
Innen ſucht. Größere Thorheit, von verwerflichen Ab-
sichten nicht zu reden, hat es wohl niemals gegeben.
In einer großartigen Verſammlung Münchener
„Fortſchrittler“ fand es ein Schwäter für geeignet,
den Zug seines Herzens nach Hinterpommern und Varzin
damit zu rechtfertigen, daß ja der Rhein , dieser ächt-
deutsche Strom, auch nach Norden fließe und ihn und
Seinesgleichen unwiderstehlich mit fortreiße! Dieser Blöd-
ſinn wurde auch von den Anwesenden mit herkömmlichem
„nicht endenwollendem Bravo“ aufgenommen. Wenn
man aber nur eine Rheinkarte zur Hand nimmt, so fin-
det man, daß der Zug des Rheinſtroms weder nach Var-
zin noch nach Hinterpommern geht, sondern vielmehr ge-
radezu in die Heimath der Stockfiſche, + und daß,
dort angekommen , aller deutſche Verſtand, alle deutſche
Chclichkeit, alles deutſche Recht, ja alles rheinische Fühlen.
und Treiben ein Ende nimmt.". . .4 j
Der Ständerath der Schweiz hat die Konzesſſio-
nen der Gotthard- und Splügenbahn berathen und ge-
nehmigt.
Zwanzig Mitglieder der Linken der franzöiſch en
Deputirtenkammer haben erklärt, daß sie nicht am 26.
Okt. in der Kammer erſcheinen; ſie halten es für unpo-
litiſch, der Staatsgewalt einen Vorwand zu bieten, um
aus der Emeute ſich wieder zu ſtählen. Indessen hat
dieſe Staatsgewalt noch immer den Stahl in denHänden
und wenn die Zwanzig die Session abwarten wollen,
um hierauf „von der Gewalt Rechenschaft abzuverlangen
für die neue Beleidigung, die der Nation angethan wurde“
~ so iſt dieß ein Wechſel, auf die Zukunft ausgettellt
~ der nur in den Kreiſen der Halben und Unentſchie-
denen willige Abnehmer finden wird.
Inzwiſchen werfen sich die Organe der Pariſer
Regierung wieder auf die Kriegs frag e. Morgen da-
rüber Ausführlicheres im Leitartikel.
Aus Dalmatien liegen keine neueren Nachrichten
über die dortigen aufständiſchen Vorgänge vor. Dagegen
wird gemeldet, tie türki sch e Regierung habe die Aufs
ſtellung eines Beobachtungskorvs an der Grenze gegen
Dalmatien angeordnet. Ungewiß iſt, ob die türtiſche Re
gierung hiebei mehr von freundnachbarlichen Rüctſichten
gegen Oesterreich oder von der Beſorgniß ſich leiten läßt,
die Bewegung könnte auch die ſtammverwandten türkiſchen
Grenzprovinzen ergreifen.
Deutſchland.
* Mannheim, 20. Ott. An den Tagen des 11. ||
und 17. Oktober hat zu Braunſchweig eine Deles
girtenverſammlung der deutſchen Volkspartei
| stattgefunden. Bericht über dieselbe folgt nach.
Ö. Mannheim, 20. Ott. Der hiesige Gemeinde-
rath hat Berathung gepflogen über die Vorlage der Re-