„. 266.
Manuuheimer
Freitag, 3. Dezember
bend;
der deutſchen Volksparlei in Baden.
1869.
Organ
Die „ üuerttzeimer
j mit
ÜUbendzeitung] wird - Ausnaetme
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Betitzeite 8
ver Sonntage und Feſttage -
täglich als Abendblatt ausgegeben. - Der Abonnementspreis vierteljätriich Ein Gulden, ohne Vofſtauſſchlag
kr., bei Nokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
M m n
Das Berliner Regiment.
Das Celler Denkmal ſcheint vom Schicfsal ausersehen,
das deutſche Volk ſo recht mit der Nase darauf zu stoßen,
wie groß die Narrheit iſt, an den zoller'ſchen Rechtsſtaat
zu glauben. Drei Minister auf einmal, die alten Seelen
Roon und Culenburg und die neue Seele Leonhardt ver-
eint, haben das ſchwere Stück Arbeit vollbracht , die ur-
alte Mühle von Sanssouci mit Zubehör endlich aus der
Welt zu ſchaffee. Daß der Miniſter des Innern vor
offener Volksvertretung erklärt, er werde den Schutz eines
gerichtlichen Mandats so wenig reſpektiren , daß er den
Träger des Mandats hinauswerfen lasſſe, könnte haar-
ſträubend erſcheinen, wenn nicht der Juſtizminiſter wäre,
der die gewaltthätige Selbſthife und Mißachtung der
Gerichte, die ſein Kollege nur erſt in Aussicht stellt, sei-
nerſeits als vollendete Thatſache vor sich hat und sie doch
mit advokatoriſchen Spitfindigkeiten rechtfertigt. Wenn
ſelbſt Schwerin einmal wieder zu der Erkenntniß kommt,
Gewalt geht vor Recht in ſeinem Preußen, so muß cs
weit gekommen ſein. Uebrigens hat das natürlich weiter
keinen Zweck ; die geheimen Fonds sind demſelben Culen-
burg doch bewilligt von demſeiben Schwerin, der es sagte,
und von denſelben National-Liberalen, die es bejubelten.
Nur Lasker hat den Verſuch gemacht, ein zürnender
Achilles zu ſein. Muß ihm gut ſtehen.
In vino veritas, das heißt: in der Leidenschaft läßt
man ſich gehen, ſagt man , was man denkt, spricht man
die Wahrheit. Seit dem Eintritte Camphauſen’'s ins
preußiſche Miniſterum gewann es. nach und nach den
Anſchein, als ob die Regierung in eine neue oder besſer,
eine alte Bahn eingelenkt hätte ; denn Viele, die jezt am
Ruder ſtehen, ſind aus der freiheillichen Richtung, in
welcher ſie zu Anfang wanderten , in die reaktionäre , in
welcher ſie jezt einherſchreiten , übergeſprungen. Indeß,
Camphauſen iſt „klug und weise“. Alle seine Reden
ohne Ausnahme ſind über denselben Leiſten geschlagen.
Und dieſer Leiſten heißt: „Sie haben ganz Recht, meine
Herren Abgeordneten, ich ſtimme mit Herrn Virchow, mit
Herrn Miquel, mit Herrn Lasker sogar vollkommen über-
ein; gegen den Antrag dieser Herren läßt ſich eigentlich
auch nichts ſagen, und ich meinerſeits bin auch weit ent-
fernt, denſelben prinzipiell betämpfen zu wollen, aber –*
und dann kemmt ein Gründchen , eine Opportunitäts-
Rüctſicht, die den armen , liberalen Miniſter zwingt, an-
ders zu ſtimmen , als er eigentlich ſtimmen möchte , und
ſo gerne ſtimmen würde, wenn nicht ~ u. ſ. w. Und
dann lacht Herr Camphauſen ſelbſt mit vollem Geſichte,
und dann schmunzeln die Konservativen und nicken Bei-
fall, und dann ſehen die Herren Laster und Miquel ganz
gläubig und vertrauensvoll zu dem liberalen Finanzminister
hinauf, hoffen im JInnerſten, ihm einſt als Kollegen die
Hand drücken zu können, und stimmen gegen ihr Prinzip
und für ſein „Aber“, für ſein „Wenn“, ſo lange es nur
eben möglich iſt.
Eine Weile ſchien es in der That, als ob die liberale
Richtui.g des Finanzminiſters in den Regierungsphären
Mode werden tönne. Und warum auch nicht! Konnte
doch Herr Camphanſen ſeinen Kollegen als gutes Beispiel
dienen. Gelang es ihm doch, mit ſo Wenigem ſo viel zu
erreichen, mit dem Scheine emes Zugeſtändnisses sich die
Liebe , das Vertrauen des Abgeordnetenhauſes zu gewin-
nen. Das war verführeriſch. Und das böſe Beispiel hat
auch wirtlich eine Weile an|teckend gewirkt. Als der Fi-
nanzminiſter ſeinem Kollegen, dem Kultusminiſter, den
bösen Streich spielte, die 60,000 Thaler für die Wittwen
der Lehrer demſelben durch eine kleine Ueberraſchung vor
die Füße zu legen, da glaubte alle Welt, daß es sich
eigentlich mit dem Kultusminiſter am Ende sei. Wir ſelbſt
glauben ~ aus anderen Gründen ~ noch heute , daß
Herr v. Mühler am längſten geherrſcht hat. Aber am
andern Tag kam der Kultusmmiſter und nit ihm das
ganze Miniſterium und erklärten, daß sie alle mit dem
Herrn Finanzminiſter einverſtanden seien, und ddie
60,000 Thaler für die Schullehrerswittwen gerne bewil-
ligten. Herr Camphauſen wird sie belehrt haben , daß
es oft klug iſt, mit einem kleinen Opfer einen großen
Gewinn zu ſichern, mit 60,000 Thalern für die Witt-
wen des Lehrſtandes sich die freudige Zuſtmmung zu den
Millionen für die Söhne des Wehrſtandes zu sichern.
_ Aber war das Miniſterium wirklich in einer liberalen
Richtung, einer liberalen Stimmung, als es kam, um die
Mazgregel betreffs der Stellvertretungskosten , welche die
Beamten - Abgeordneten selbst tragen ſollten , zurücktz meh-
U
men ? Man ist in den Abgeordnetenkreiſen oft wunder- | der herzuſtellen, da es Genoſſenſchaften gebe , welche, wie
bar naiv. Je mehr Beamie in der Kammer, desto we-
niger Selbstſtändigkeit der Regierung gegenüber. Das
Zahlen der Stellvertretungskoſten durch die Abgeordneten
selbſt vermindert die Zahl der Beamten in der Kammer,
iſt alſo eher eine liberale Maßregel; das Bezahlen der
Stellvertreter aus Slaatsmitteln dagegen gibt den Beam-
ten einen neuen Sporn und macht es ihnen leichter, ſich
wählen zu lassen. Die Regierung kommt nun und er-
klärt, daß in Zukunft wieder der Staat die Selbstvertre-
tungskosten übernehmen werde, und siehe, die Abgeord- |
neten rufen Bravo! und rechnen der Regierung auch
diesen Schritt ~ einzig in ihrem Interesſſe geſchehen
als eine liberale Maßregel an.
Genug , man glaubte, die Regierung lenke ein und
wolle nach der liberalen Seite hin ihre Richtung nehmen.
Da fiel die Celler Denkmalbombe zwiſchen ihnen nieder
und platzte in einer Weiſe, daß die ſchönen Hoffnungen
mit dem Pulverdampfe in die Luft flogen . . . und wie
Eingangs bemerkt, selbſt der alte Schwerin auftrat und
im Zorne ausrief: „So geht alſo Gewalt vor Recht!“
Diese Aeußerungen waren denn für die Geduld des
Kriegsministers eine zu große Probe. Er erhob sich von
neuem, antwortete im Zorne dem Grafen Schwerin und
vergaß sich ſo weit, daß er ihm vorwarf , durch das
Schlagwort: „Gewalt geht vor Recht !“ sich in leichter
Weise den Beifall der Menge gewinnen zu wollen. Der
Menge > der Ton mehr uoch als das Wort ſelbſt recht-
fertige den Ordnungsruf, den der Präsident von Forcken-
beck gegen den Kriegsminister aussprechen zu müssen für
Pflicht hielt. ;
In der Leidenschaft spricht Jeder, wie er denkt, und
es iſt gut –~ daß mitunter die Leidenſchaft die luftigen
Schleier zerreißt, an welchen die feine Klugheit der Staats-
künſtler wie Camphauſen spinnt, um dos eigentliche An-
gesicht zu verdecken, das in jedem ,Militärſtaate" immer
wieder uns angrinſt, wenn wir ihm unverhüllt begegnen,
und das da heißt: „Gewalt über Recht !“
Badiſcher Landtag.
X Karlsruhe, 1. Dez. 28. Sitzung der Zwei-
ten Kammer. Vorsitzender: Präs. Hildebrandt.
Herr Staatsminister Dr. Jolly legt folgende Gesetzes-
entwürfe vor: 1. Aufhebung der Schulpatronate; 2. die
Konfession der an Gelehrtenſchulen anzuſtellenden Lehrer
betrffsfd. Zu erſterem Gesetentwurfe haben eine Reihe der
Standesherren im Voraus ihre Zustimmung ertheilt.
Bericht des Abg. Hoff über die am 17. Okt. 1868
mit den Rheinufer-Staaten vereinbarte revidirte Rhein-
ſchifffahrts-Akte. Antrag der Kommission auf Geneh-
migung.
Die Abgg. Hum m el und Lenz dankten der Re-
gierung, daß die Rheinschifffahrt endlich von allen Laſten
befreit wurde. Abg. Turban ſ|tellte den Antrag, den
Kommissionsbericht nachträglich zu drucken. Dieser An-
trag und der Antrag der Kommission wurden einstimmig
angenommen.
Nach Erledigung der erſten Regierungsvorlage erhält
d.xr Abg. Baumſstark das Wort, um einem früher ge-
gebenen Versprechen gemäß dem Hrn. Min.-Pr. Obtircher
eine Blumenlese strafwürdiger aber nicht beſtrafter Artikel
in 27 Nummern der „Konstanzer Zeitung" aus den
Jahren 1865 bis 1869 zu übcrgeben. Auch der zufällig
anwesende Herr Staats-Minisſter Jolly möge sich davon
überzeugen, daß die Art. 583 und 631a hierauf An-
wendung zu finden hätten. . i
Staats-M. Jolly verlangt den Weg der Motion,
da das Ministerium mit einzelnen Deputirten in keinem
Verkehr stehe.
Berathung des vom Abg. Weber erstatteten Berichts
über das Ge noſsenſchafts ge set.
In der allgemeinen Diskuſſion empfiehlt der Abg.
K ölle den Beschluß der Solidarhaft.
Abg. M orſtadt erkläct, $ 35, welcher den Verwal-
tungsbehörden ein Recht verleihe, auf Grund des Vereins-
geseßes eineGenossenschaft zu verbieten, sei deßwegen nicht
bedenklich, weil auch die konstitutionellſte Regierung ein
Mittel haben müsse,, um ſtaatsgefährliche Vereine , die
einen solchen Deckmantel suchen , zu beseitigen. Abg. v.
F e de r wünscht die Konsumvereine von der Solidarhoft
auszunehmen.
Bei der Spezial-Diskusſion stellt Abg. Näf den An-
trag, bei § 1 die Fassung des Regierungsentwurfes wie-
| Konsumvereine und Produltions- Genossenschaften, reinen
Verkehr nach Außen haben müßten. Der Antrag wird
verworfen.
§ 3 über den Inhalt des Gefellſchaftsvertrags ent-
hält unter Abſ. 12 die Bestimmung, daß alle Genoſsen-
schafter für die Verbindlichkeiten der Genoſsenſchaft ſoli-
dariſch und mit ihrem ganzen Vermögen haften. Der
vom Abg. von Feder beantragte Strich wurde ver-
worfen.
§ 11, der ausſpricht, daß Genossenschaften im Sinn
des allgemeinen deutſchen Handelsrechts als Kaufleute
gelten (Abs. 3 Fauſtpfandgeschäfte) ward der Kommission
zurückgegeben, um in einem weiteren Absatz Vorſchläge über
die Anwendung der Art. 3099311 des deutſchen Han-
delsgeseßzbuches auf den Verkehr der Genossenschaften mit
ihren Mitgliedern zu machen, und die Berathung ſowie
Abstimmung über das ganze Gesetz auf nächsten Freitag
1/1210 Uhr verſchoben. (Hiernach ſcheint die Petition des
Mannheimer Konſumvereins Berückſichtigung finden zu
sollen, welche verlangt, daß ausdrücklich im Geseße aus-
geſprochen werde, diejenigen Mitglieder von Konsſumver-
eine, welche nicht Kaufleute ſind , seien bei Fauſtpfand-
geſchäften von den Formalitäten der Art. 309~2311 des
allgemeinen deutſchen Handelsgeſetbuches befreit und nur
denen für wirkliche Kaufleute unterworfen. d. R.)
(An diesem Tage wird dann auch das Miniſteranklage-
verfahren zur Berathung kommen.)
Bezüglich des § 35, welcher diese Vereine auch dem
Vereins- uad Verſammlungsricht unterwirft, wird vom
Abg. Baumtftark Strich beantragt, was aber, wie auch
ein Antrag Näfs auf veränderte, mildere Faſſung ver-
worfen wird. Ebenso wurde bei § 70 ein Antrag Kuſels
verworfen, welcher darauf gerichtet war, daß die bis jetzt
bestehenden Genossenschaften diesem Geſeß nicht mehr untere |
worfen werden ſollten.
Nächſten Samſtag 9 Uhr Sitznng der Erſten Kammer
über bürgerliche Standesbeamtung und Zivilehe , wobei
Biſchof Kübel ein Separatvotum einbringen wird.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 2. Dezember.
* Einem aufgeklärten Proteſtanizimus wird das
preußiſch e Kultusminiſterium niemals Vorschub leisten.
Von diesem, von dem preußiſchen Kultusminister in der
Sitzung des preußiſchen Abgeordnetenhauſes vom 30.
Novbr. ausgeſprochenen Grundsatze ausgehend, leiſtet das
preußische Miniſterium dem Ankämpfen der Nationallibe-
ralen und Fortſchrittler Widerſtand, welche im Interesse
des preußiſch-proteſtantisch-deutſchen Einheitsſtaats dje Auf-
hebung der in der Provinz Hannover beſtehenden Pro-
vinzialkonſiſtorien „von Gewaltswegen“ verlangen. Bei
der bezüglichen Debatte wurden den Alt- und Neupreußen,
welche die „Ergebnisse des Krieges“ anerkennen uw mlt |
vollem Herzen sich Preußen anschloſſen, „eben weil Preußen
nationale deutſche Politik getrieben“ ~ treffliche Wahr-
heiten geſagt, wenn auch von Seiten, die sonst zu be-
kämpfen. So äußerte Windthorsſt, er begreife nicht, wie
Männer, wie Miquel und Bennigsen, die ihr ganzes
Leben lang „angeblich“ für die Freiheit gekämpft haben,
jezt an die Gewalt appelliren können. Man habe auch
an die verstorbenen Könige appellirt . . . er glaube,
wenn dieſe wieder auflebten und die Reden jener Herren
hörten, ſo würde der , hiſtoriſche Krückſtoc“ gewaltige
Arbeit bekommen . . ÿ . Und Wantrup, er sagte: Ich
verlange Freiheit für Alle und lasse Jeden glauben, was
er will. Es ist mir einerlei, ob aus den Herren von
Bennigsen und Miquel, die dem Eroberer von Hannover
entgegengekommen, ob aus ihnen, den früheren Demokraten, -
Nationalliberale geworden. Ich stimme auch nicht ein
in das scharfe Urtheil Lord Byrons :
Sie haben Königsmördern Ruhm verlieh'n
i Und später alle Könige gelobt,
Sie haben „Hoch die Republik“" geſchrieen
Und ſspäter gegen Republik getobt.
Jetzt ſind sie liberal ~ doch ſtets erbötig
Den Rock zu wechſeln . . . .
Da brauſeten sie auf + die Nationalliberalen und Fort-
schritiler und verlangten den Ordnungsruf. Der Prä-
ſident ertheile ihn nich. Unseres Erachtens er-
theille ihn nach anderer Seite freilich Graf Renard, in-
dem er aufmerksam machte auf die unangenehme Tempe-
ratur im Sitzungssſaale, eine Temperatur, die allenfalls
für ſolche sich eigne, die einen geringeren Grad von Le-
benswärme besäßen.
Er bat den Präſidenten, dafürzu - 1
Manuuheimer
Freitag, 3. Dezember
bend;
der deutſchen Volksparlei in Baden.
1869.
Organ
Die „ üuerttzeimer
j mit
ÜUbendzeitung] wird - Ausnaetme
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Betitzeite 8
ver Sonntage und Feſttage -
täglich als Abendblatt ausgegeben. - Der Abonnementspreis vierteljätriich Ein Gulden, ohne Vofſtauſſchlag
kr., bei Nokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
M m n
Das Berliner Regiment.
Das Celler Denkmal ſcheint vom Schicfsal ausersehen,
das deutſche Volk ſo recht mit der Nase darauf zu stoßen,
wie groß die Narrheit iſt, an den zoller'ſchen Rechtsſtaat
zu glauben. Drei Minister auf einmal, die alten Seelen
Roon und Culenburg und die neue Seele Leonhardt ver-
eint, haben das ſchwere Stück Arbeit vollbracht , die ur-
alte Mühle von Sanssouci mit Zubehör endlich aus der
Welt zu ſchaffee. Daß der Miniſter des Innern vor
offener Volksvertretung erklärt, er werde den Schutz eines
gerichtlichen Mandats so wenig reſpektiren , daß er den
Träger des Mandats hinauswerfen lasſſe, könnte haar-
ſträubend erſcheinen, wenn nicht der Juſtizminiſter wäre,
der die gewaltthätige Selbſthife und Mißachtung der
Gerichte, die ſein Kollege nur erſt in Aussicht stellt, sei-
nerſeits als vollendete Thatſache vor sich hat und sie doch
mit advokatoriſchen Spitfindigkeiten rechtfertigt. Wenn
ſelbſt Schwerin einmal wieder zu der Erkenntniß kommt,
Gewalt geht vor Recht in ſeinem Preußen, so muß cs
weit gekommen ſein. Uebrigens hat das natürlich weiter
keinen Zweck ; die geheimen Fonds sind demſelben Culen-
burg doch bewilligt von demſeiben Schwerin, der es sagte,
und von denſelben National-Liberalen, die es bejubelten.
Nur Lasker hat den Verſuch gemacht, ein zürnender
Achilles zu ſein. Muß ihm gut ſtehen.
In vino veritas, das heißt: in der Leidenschaft läßt
man ſich gehen, ſagt man , was man denkt, spricht man
die Wahrheit. Seit dem Eintritte Camphauſen’'s ins
preußiſche Miniſterum gewann es. nach und nach den
Anſchein, als ob die Regierung in eine neue oder besſer,
eine alte Bahn eingelenkt hätte ; denn Viele, die jezt am
Ruder ſtehen, ſind aus der freiheillichen Richtung, in
welcher ſie zu Anfang wanderten , in die reaktionäre , in
welcher ſie jezt einherſchreiten , übergeſprungen. Indeß,
Camphauſen iſt „klug und weise“. Alle seine Reden
ohne Ausnahme ſind über denselben Leiſten geschlagen.
Und dieſer Leiſten heißt: „Sie haben ganz Recht, meine
Herren Abgeordneten, ich ſtimme mit Herrn Virchow, mit
Herrn Miquel, mit Herrn Lasker sogar vollkommen über-
ein; gegen den Antrag dieser Herren läßt ſich eigentlich
auch nichts ſagen, und ich meinerſeits bin auch weit ent-
fernt, denſelben prinzipiell betämpfen zu wollen, aber –*
und dann kemmt ein Gründchen , eine Opportunitäts-
Rüctſicht, die den armen , liberalen Miniſter zwingt, an-
ders zu ſtimmen , als er eigentlich ſtimmen möchte , und
ſo gerne ſtimmen würde, wenn nicht ~ u. ſ. w. Und
dann lacht Herr Camphauſen ſelbſt mit vollem Geſichte,
und dann schmunzeln die Konservativen und nicken Bei-
fall, und dann ſehen die Herren Laster und Miquel ganz
gläubig und vertrauensvoll zu dem liberalen Finanzminister
hinauf, hoffen im JInnerſten, ihm einſt als Kollegen die
Hand drücken zu können, und stimmen gegen ihr Prinzip
und für ſein „Aber“, für ſein „Wenn“, ſo lange es nur
eben möglich iſt.
Eine Weile ſchien es in der That, als ob die liberale
Richtui.g des Finanzminiſters in den Regierungsphären
Mode werden tönne. Und warum auch nicht! Konnte
doch Herr Camphanſen ſeinen Kollegen als gutes Beispiel
dienen. Gelang es ihm doch, mit ſo Wenigem ſo viel zu
erreichen, mit dem Scheine emes Zugeſtändnisses sich die
Liebe , das Vertrauen des Abgeordnetenhauſes zu gewin-
nen. Das war verführeriſch. Und das böſe Beispiel hat
auch wirtlich eine Weile an|teckend gewirkt. Als der Fi-
nanzminiſter ſeinem Kollegen, dem Kultusminiſter, den
bösen Streich spielte, die 60,000 Thaler für die Wittwen
der Lehrer demſelben durch eine kleine Ueberraſchung vor
die Füße zu legen, da glaubte alle Welt, daß es sich
eigentlich mit dem Kultusminiſter am Ende sei. Wir ſelbſt
glauben ~ aus anderen Gründen ~ noch heute , daß
Herr v. Mühler am längſten geherrſcht hat. Aber am
andern Tag kam der Kultusmmiſter und nit ihm das
ganze Miniſterium und erklärten, daß sie alle mit dem
Herrn Finanzminiſter einverſtanden seien, und ddie
60,000 Thaler für die Schullehrerswittwen gerne bewil-
ligten. Herr Camphauſen wird sie belehrt haben , daß
es oft klug iſt, mit einem kleinen Opfer einen großen
Gewinn zu ſichern, mit 60,000 Thalern für die Witt-
wen des Lehrſtandes sich die freudige Zuſtmmung zu den
Millionen für die Söhne des Wehrſtandes zu sichern.
_ Aber war das Miniſterium wirklich in einer liberalen
Richtung, einer liberalen Stimmung, als es kam, um die
Mazgregel betreffs der Stellvertretungskosten , welche die
Beamten - Abgeordneten selbst tragen ſollten , zurücktz meh-
U
men ? Man ist in den Abgeordnetenkreiſen oft wunder- | der herzuſtellen, da es Genoſſenſchaften gebe , welche, wie
bar naiv. Je mehr Beamie in der Kammer, desto we-
niger Selbstſtändigkeit der Regierung gegenüber. Das
Zahlen der Stellvertretungskoſten durch die Abgeordneten
selbſt vermindert die Zahl der Beamten in der Kammer,
iſt alſo eher eine liberale Maßregel; das Bezahlen der
Stellvertreter aus Slaatsmitteln dagegen gibt den Beam-
ten einen neuen Sporn und macht es ihnen leichter, ſich
wählen zu lassen. Die Regierung kommt nun und er-
klärt, daß in Zukunft wieder der Staat die Selbstvertre-
tungskosten übernehmen werde, und siehe, die Abgeord- |
neten rufen Bravo! und rechnen der Regierung auch
diesen Schritt ~ einzig in ihrem Interesſſe geſchehen
als eine liberale Maßregel an.
Genug , man glaubte, die Regierung lenke ein und
wolle nach der liberalen Seite hin ihre Richtung nehmen.
Da fiel die Celler Denkmalbombe zwiſchen ihnen nieder
und platzte in einer Weiſe, daß die ſchönen Hoffnungen
mit dem Pulverdampfe in die Luft flogen . . . und wie
Eingangs bemerkt, selbſt der alte Schwerin auftrat und
im Zorne ausrief: „So geht alſo Gewalt vor Recht!“
Diese Aeußerungen waren denn für die Geduld des
Kriegsministers eine zu große Probe. Er erhob sich von
neuem, antwortete im Zorne dem Grafen Schwerin und
vergaß sich ſo weit, daß er ihm vorwarf , durch das
Schlagwort: „Gewalt geht vor Recht !“ sich in leichter
Weise den Beifall der Menge gewinnen zu wollen. Der
Menge > der Ton mehr uoch als das Wort ſelbſt recht-
fertige den Ordnungsruf, den der Präsident von Forcken-
beck gegen den Kriegsminister aussprechen zu müssen für
Pflicht hielt. ;
In der Leidenschaft spricht Jeder, wie er denkt, und
es iſt gut –~ daß mitunter die Leidenſchaft die luftigen
Schleier zerreißt, an welchen die feine Klugheit der Staats-
künſtler wie Camphauſen spinnt, um dos eigentliche An-
gesicht zu verdecken, das in jedem ,Militärſtaate" immer
wieder uns angrinſt, wenn wir ihm unverhüllt begegnen,
und das da heißt: „Gewalt über Recht !“
Badiſcher Landtag.
X Karlsruhe, 1. Dez. 28. Sitzung der Zwei-
ten Kammer. Vorsitzender: Präs. Hildebrandt.
Herr Staatsminister Dr. Jolly legt folgende Gesetzes-
entwürfe vor: 1. Aufhebung der Schulpatronate; 2. die
Konfession der an Gelehrtenſchulen anzuſtellenden Lehrer
betrffsfd. Zu erſterem Gesetentwurfe haben eine Reihe der
Standesherren im Voraus ihre Zustimmung ertheilt.
Bericht des Abg. Hoff über die am 17. Okt. 1868
mit den Rheinufer-Staaten vereinbarte revidirte Rhein-
ſchifffahrts-Akte. Antrag der Kommission auf Geneh-
migung.
Die Abgg. Hum m el und Lenz dankten der Re-
gierung, daß die Rheinschifffahrt endlich von allen Laſten
befreit wurde. Abg. Turban ſ|tellte den Antrag, den
Kommissionsbericht nachträglich zu drucken. Dieser An-
trag und der Antrag der Kommission wurden einstimmig
angenommen.
Nach Erledigung der erſten Regierungsvorlage erhält
d.xr Abg. Baumſstark das Wort, um einem früher ge-
gebenen Versprechen gemäß dem Hrn. Min.-Pr. Obtircher
eine Blumenlese strafwürdiger aber nicht beſtrafter Artikel
in 27 Nummern der „Konstanzer Zeitung" aus den
Jahren 1865 bis 1869 zu übcrgeben. Auch der zufällig
anwesende Herr Staats-Minisſter Jolly möge sich davon
überzeugen, daß die Art. 583 und 631a hierauf An-
wendung zu finden hätten. . i
Staats-M. Jolly verlangt den Weg der Motion,
da das Ministerium mit einzelnen Deputirten in keinem
Verkehr stehe.
Berathung des vom Abg. Weber erstatteten Berichts
über das Ge noſsenſchafts ge set.
In der allgemeinen Diskuſſion empfiehlt der Abg.
K ölle den Beschluß der Solidarhaft.
Abg. M orſtadt erkläct, $ 35, welcher den Verwal-
tungsbehörden ein Recht verleihe, auf Grund des Vereins-
geseßes eineGenossenschaft zu verbieten, sei deßwegen nicht
bedenklich, weil auch die konstitutionellſte Regierung ein
Mittel haben müsse,, um ſtaatsgefährliche Vereine , die
einen solchen Deckmantel suchen , zu beseitigen. Abg. v.
F e de r wünscht die Konsumvereine von der Solidarhoft
auszunehmen.
Bei der Spezial-Diskusſion stellt Abg. Näf den An-
trag, bei § 1 die Fassung des Regierungsentwurfes wie-
| Konsumvereine und Produltions- Genossenschaften, reinen
Verkehr nach Außen haben müßten. Der Antrag wird
verworfen.
§ 3 über den Inhalt des Gefellſchaftsvertrags ent-
hält unter Abſ. 12 die Bestimmung, daß alle Genoſsen-
schafter für die Verbindlichkeiten der Genoſsenſchaft ſoli-
dariſch und mit ihrem ganzen Vermögen haften. Der
vom Abg. von Feder beantragte Strich wurde ver-
worfen.
§ 11, der ausſpricht, daß Genossenschaften im Sinn
des allgemeinen deutſchen Handelsrechts als Kaufleute
gelten (Abs. 3 Fauſtpfandgeschäfte) ward der Kommission
zurückgegeben, um in einem weiteren Absatz Vorſchläge über
die Anwendung der Art. 3099311 des deutſchen Han-
delsgeseßzbuches auf den Verkehr der Genossenschaften mit
ihren Mitgliedern zu machen, und die Berathung ſowie
Abstimmung über das ganze Gesetz auf nächsten Freitag
1/1210 Uhr verſchoben. (Hiernach ſcheint die Petition des
Mannheimer Konſumvereins Berückſichtigung finden zu
sollen, welche verlangt, daß ausdrücklich im Geseße aus-
geſprochen werde, diejenigen Mitglieder von Konsſumver-
eine, welche nicht Kaufleute ſind , seien bei Fauſtpfand-
geſchäften von den Formalitäten der Art. 309~2311 des
allgemeinen deutſchen Handelsgeſetbuches befreit und nur
denen für wirkliche Kaufleute unterworfen. d. R.)
(An diesem Tage wird dann auch das Miniſteranklage-
verfahren zur Berathung kommen.)
Bezüglich des § 35, welcher diese Vereine auch dem
Vereins- uad Verſammlungsricht unterwirft, wird vom
Abg. Baumtftark Strich beantragt, was aber, wie auch
ein Antrag Näfs auf veränderte, mildere Faſſung ver-
worfen wird. Ebenso wurde bei § 70 ein Antrag Kuſels
verworfen, welcher darauf gerichtet war, daß die bis jetzt
bestehenden Genossenschaften diesem Geſeß nicht mehr untere |
worfen werden ſollten.
Nächſten Samſtag 9 Uhr Sitznng der Erſten Kammer
über bürgerliche Standesbeamtung und Zivilehe , wobei
Biſchof Kübel ein Separatvotum einbringen wird.
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 2. Dezember.
* Einem aufgeklärten Proteſtanizimus wird das
preußiſch e Kultusminiſterium niemals Vorschub leisten.
Von diesem, von dem preußiſchen Kultusminister in der
Sitzung des preußiſchen Abgeordnetenhauſes vom 30.
Novbr. ausgeſprochenen Grundsatze ausgehend, leiſtet das
preußische Miniſterium dem Ankämpfen der Nationallibe-
ralen und Fortſchrittler Widerſtand, welche im Interesse
des preußiſch-proteſtantisch-deutſchen Einheitsſtaats dje Auf-
hebung der in der Provinz Hannover beſtehenden Pro-
vinzialkonſiſtorien „von Gewaltswegen“ verlangen. Bei
der bezüglichen Debatte wurden den Alt- und Neupreußen,
welche die „Ergebnisse des Krieges“ anerkennen uw mlt |
vollem Herzen sich Preußen anschloſſen, „eben weil Preußen
nationale deutſche Politik getrieben“ ~ treffliche Wahr-
heiten geſagt, wenn auch von Seiten, die sonst zu be-
kämpfen. So äußerte Windthorsſt, er begreife nicht, wie
Männer, wie Miquel und Bennigsen, die ihr ganzes
Leben lang „angeblich“ für die Freiheit gekämpft haben,
jezt an die Gewalt appelliren können. Man habe auch
an die verstorbenen Könige appellirt . . . er glaube,
wenn dieſe wieder auflebten und die Reden jener Herren
hörten, ſo würde der , hiſtoriſche Krückſtoc“ gewaltige
Arbeit bekommen . . ÿ . Und Wantrup, er sagte: Ich
verlange Freiheit für Alle und lasse Jeden glauben, was
er will. Es ist mir einerlei, ob aus den Herren von
Bennigsen und Miquel, die dem Eroberer von Hannover
entgegengekommen, ob aus ihnen, den früheren Demokraten, -
Nationalliberale geworden. Ich stimme auch nicht ein
in das scharfe Urtheil Lord Byrons :
Sie haben Königsmördern Ruhm verlieh'n
i Und später alle Könige gelobt,
Sie haben „Hoch die Republik“" geſchrieen
Und ſspäter gegen Republik getobt.
Jetzt ſind sie liberal ~ doch ſtets erbötig
Den Rock zu wechſeln . . . .
Da brauſeten sie auf + die Nationalliberalen und Fort-
schritiler und verlangten den Ordnungsruf. Der Prä-
ſident ertheile ihn nich. Unseres Erachtens er-
theille ihn nach anderer Seite freilich Graf Renard, in-
dem er aufmerksam machte auf die unangenehme Tempe-
ratur im Sitzungssſaale, eine Temperatur, die allenfalls
für ſolche sich eigne, die einen geringeren Grad von Le-
benswärme besäßen.
Er bat den Präſidenten, dafürzu - 1