Sonntag, 6. Juni.
1869.
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird — mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage — täglich als Aben
' Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen
dblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtansſtalten.
Der Großherzogliche Brief.
I Die beiden durch die „Karlsruher Zeitung“ ver-
öffentlichten Aktenſtücke, der Brief des Großherzogs an
den Staatsminister Jolly und die Veröffentlichung dieses
Briefes durch denselben Staatsminister, gehören jedenfalls
zu den Außerordentlichteiten konstitutioneller Praxis. Der
Brief hat große Aehnlichkeit mit den bekannten Briefen,
gez. „Napoleon“, welche am Schluſſe den Adresſaten „dem
heil. Schuße Gottes empfehlen“ ; und der Staatsminiſter
„veröſſentlicht“" blos einen Brief, den er empfangen.
Herr Jolly hätte diesen Brief wohl gegenzeichnen dürfen,
da derſelbe offenbar in dem obwaltenden Parteisſtreite ſelbſt
Partei ergreift und unter den drei wesentlichen Richtungen
im Lande die eine dirett und beſtimmt zu der ſeinigen
macht. Nun darf zwar ein Miniſter, beſonders ein
parlamentariſcher , der mit der Majorität steht und fällt,
Partei ergreifen ; iſt er ja doch nur der: Ausdruck der
grade herrſchenden Partei ; anders iſt es aber offenbar
mit dem Landesfürſten, der morgen ein Ministerium der
zweiten oder dritten Richtung ernennen tann, und der |
ſich folglich die Hände unmöglich binden darf.
Die zu Offenburg versammelten Männer vertreten
die Partei der Fusion zwiſchen der Linken in der Kammer
und dem ſtreng minisſteriellen Zentrum ; daneben exiſtirt
eine äußerste Linke, vertreten durch einen oder zwei Abge-
ordnete , welche mit der Demokratie oder Volkspartei im
Lande gehen; außerdem gibt es noch eine katholiſche Partei,
gleichfalls in der Kammer nur dürftig vertreten, im Lande
aber, nach dem Ausdruck der Gegner ſelbſt, „nicht zu
unterschätzen“, ja nach dem Geſständniß des Konstanzer
Bürgermeisters mehr als eine Partei, nämlich eine „Macht“!
Alle drei Parteien haben den Weg der Adresse an
den Großherzog eingeschlagen, die Offenburger waren nur
zuerſt da und zwar mit 655 Unterſchriften. Dieſe 655
erhalten nicht nur unverweilt Antwort , sonden zuſtim-
mend e Antwort, ja „Dank“ für die „hingebende, that-
kräftige Unterſtißung der freiſinnigen und nationalen
Regierungspolitik.“ Damit iſt zugleich ausgeſprochen, daß
die beiden andern Adreſſen entweder nur tadelnd oder
gar nicht beantwortet werden können, daß sie, die ſich im
Gegenſaj zu der Offenburger Adreſſe bewegen , keinen
„Dank“ ernten werden. Verkümmert ein ſolches Auftreten
nicht geradezu das Recht der Adresse , macht es die Frei-
heit des ehrerbietigen Verkehrs mit dem Landesfürsten
nicht illuſoriſch ?
Gestüt auf das Offenburger „Vertrauen“ von 655
Unterſchriften, soll es „gelingen, ein freies Staatsleben im
Innern und muthige, entſchloſſene Theilnahme an der
nationalen Wiedergeburt Deutſchlands“ zu erzielen. Die
beiden anderen Adresſen, die nicht Daſſelbe mit den Offen-
burgern wollen, sind alſo wohl einem „freien Staatsleben
im Innern“ entgegengeſeßt und wollen von einer „Wieder-
geburt Deutschlands“ nichts wissen ! Und das iſt ſicher
und gewiß, noch ehe man sie gehört !
655 Mann, und wären ſie die bedeutendſten und
angeſehenſten Männer, ſind doch nicht das Land , und
wenn noch zwei Nullen angehängt würden ~ und es
gibt noch gar viele Nullen im Lande ~ ſo kann doch
noch Niemand sagen, welche Zahl die beiden andern
Adresſen aufbringen werden.
Run heißt es aber gar, es werde „mit der Kraft,
welche die C intracht verleiht, gelingen" tc. Die Ein-
tracht? zwischen welchen Faktoren des Staatslebens ?
Doch nicht etwa zwiſchen der gegenwärtigen Regierung und
dem Volke ? Die eben steht in Frage, die eben herzu-
zustellen ist die Aufgabe , welche ſich ein ſehr bedeutender
Theil des Volkes geſtelt hat! Sagen doch die Offen-
burger selbſt, die Cintracht zwiſchen dem Minſsterium
und dem alten Wahlkörper genüge nicht mehr; diese
Wahlkörper müßten ſchlechterdings erweitert werden !
Sind doch die Offenburger zwar einverſtanden mit der
„nationalen“ Politik der Regierung, keineswegs aber mit
der „freiſinnigen“, die sie vielmehr weit freiſinniger
zu wünſchen ~ wenigstens vorgeben!
Was bleibt jezt den andern Parteien zu thun übrig ?
Zweierlei; erſtens ſich mit Reſignation in die indirekte Ab-
lehnung ihrer Forderungen zu fügen , zweitens , durch
eine ſteigende Maſſe von Unterschriften den Mangel der
„Eintracht“ zu konſtatiren und von dem übelunterrichteten
Großherzog an den besser unterrichteten zu appelliren.
Nur nicht die Hände in den Schooß gelegt, nur das
für recht Erkannte behaupten, die richtige Cinſicht mann-
haft verbreiten, bis das heute Verurtheilte zu der ihm
gebührenden Geltung und Anerkennung gelangt! Cs
kann ja auch etwas Anderes einmal „zur öffentlichen
Kenntniß“ gebracht werden , wenn es auch nicht gerade
durch Hrn. Jolly geschieht.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 5. Juni.
* Am morgigen Sonntag soll in ganz Spanien
die neue Verfaſſung verkündet werden, nachdem ſie in den
beiden leßten Tagen von ihren Vätern und den wider-
willigen Zeugen ihrer Geburt unterzeichnet worden iſst.
Aus ſilbernen Federn, deren eine jedes Kortesmitglied von
der Regierung zugestellt betommen hat und als Erinne-
rungszeichen mit sich forttragen darf, ſind [die Unter-
schriften gefloſſen. Ein koſtſpieliges Dokument, dieſe
Verfaſsungsurkunde. Und einen noch werthvolleren Preis
vielleicht, als ihre Ausfertigung, wird ihre Durchführung
kosten; da mag anderem Metall, als Silber, eine betlagens-
werthe Aufgabe zufallen. Von den republikaniſchen Mit-
gliedern der Kortesverſammlung hatten bis vorgeſtern neun
ihre Unterſchrift verweigert; den übrigen iſt für den Fall,
daß sie ihre Namen beiſeßen ſollten, von den republikani-
schen Vereinen der Hauptstadt die Ausstoßpung aus der
Partei angedroht. Am ersten Tage der nächſten Woche
ſoll der Antrag auf Einsezung einer Regentſchaft und
auf Uebertragung derſelben an Serrano den Kortes vor-
gelegt werden. :
In Widerſpruch mit den jüngſten Ableugnungen
offiziöſer Pariſer Blätter wird jetzt über London aus Hon-
kong gemeldet, daß die Ohrfeige, welche der franzöſiſche
Geſandte in C h ina von einem dortigen hohen Würden-
träger erhalten, eine fühlbare Thatsache gewesen sei. Die
Nachricht iſt zwar neueren Datums (11. Mai), und von
der in beſtimmter Form auftretenden Angabe begleitet,
daß die diplomatiſchen Kollegen des französischen Ohr-
feigenempfängers die chineſiſche Regierung zu einer binnen
drei Tagen zu gewährenden Genugthuung aufgefordert
haben : dennoch glauben wir in dieſem Falle ausnahms-
weiſe den offiziöſen franzöſiſchen Widerſpruch für nicht
unwahr halten zu müssen.
Dem Grafen von Flandern, einzigen Bruder des
Königs von Belgien, iſt vorgeſtern ein Sohn geboren
worden. Damit hat der Mannsstamm des belgischen
Königshauſes, welcher seit dem Tode des Kronprinzen (da
der König nur dieß einzige Kind und sein Bruder bis-
her nur weibliche Nachkommen gehabt hatte) auf 4 Augen
ſtand, Hoffnung auf Fortbestand erhalten. Das Erlöſchen
des Mannsſtamms war, nach vielen Anzeichen zu ſchließen,
eine von Napoleon in den Kreis seiner politiſchen Be-
rechnungen gezogene Eventualität, und daß die belgiſche
Bevölkerung in dieſer Beziehung nicht beſorgnißfrei ge-
blieben, beweiſt der Umstand, daß bald nach dem Tode des
Kronprinzen das Verlangen nach Zulaſſung weiblicher
Thronfolge ſich kundgab. Aus diesem Grunde iſt der
prinzlichen Geburt Bedeutung beizumessen.
Die gemischte Kommission, zu deren Berufung die
belgiſche Eiſenbahnangelegenheit Anlaß gegeben,
iſt vorgeſtern in Paris zu ihrer erſten Sitzung zuſammen-
getreten. Daß nicht, wie früher angekündigt worden, der
französische Miniſter des Aeußern, ſondern ein Mitglied
der Kommission ſelbſt, ein Abtheilungs-Chef im Handels-
ministerium , den Vorſiß übernahm, kann als ein neues
Anzeichen gelten, daß die Verhandlungen, mit Ausschluß
aller politiſchen, sich auf national-ökonomische Fragen be-
schränken werden. j
An einer anderen Stelle dieses Blattes findet ſich der
Wortlaut des militäriſchen Freizügigkeitsver-
tra g es, den mit dem Nordbund abzuschließen die badische
Regierung sich gedrungen gefühlt hat. Daß derſelbe im
norddeutschen Reichstage vorgeſtern beifällig aufgenommen
worden, iſt bereits berichtet; es übrigt nur noch, den
Jubelhymnus mitzutheilen, den der Herr v. Bennigsen
darüber angeſtimmt hat und bei welchem wir uns zweifelnd
fragen, was mehr Bewunderung verdient : die Ignoranz des
Redners, der eine bereits erfolgte Zuſtimmung des ba-
dischen Landtags zu dem Vertrage mit seiner Wünſchel-
ruthe hervorzaubert; oder die Selbſttäuſchung , womit er
an einer Stelle von einer Uebereinſtimmung zwischen Volk
und Ministerium in Baden und an einer anderen Stelle
von „andern süddeutschen“, nach dem Eintritt in den
Nordbund lüsternen Regierungen spricht; oder endlich die
entsegliche Naivetät seines Geständnisses in Betreff „neuer
und bedeutender Opfer“, die Baden zu bringen habe.
Also sang, laut einem Berichte in der „Köln. Ztg., ver
frühere Präsident des weiland Nationalvereins : „Wir
begrüßen in der Vorlage von Neuem einen wichtigen,
praktischen Fortschritt auf der Bahn der größeren politi-
schen Einigung des Südens mit dem Norden. Es kann
uns nicht Wunder nehmen , daß dieſer gemeinsame Fort-
schritt mit dem Norddeutſchen Bunde gerade von der
badischen Regierung gemacht wird. Noch in dieſen Tagen
hat der Großherzog von Baden der erleuchteten patriotiſchen
Gesinnung, die seine Regierung beſeelt, und der Ueberein-
stimmung (!) die auf diesen Gebieten zwiſchen der Re M
gierung und der Bevölkerung herrscht, in einem Erlasse MMI
an sein Staatsminiſterium einen Ausdruck gegeben.
Wir müſsſen der badiſchen Regierung u nd der badiſchen
Landesvertretung beſonders und deßhalb dankbar
sein, daß sie ſich nicht geſcheut hat, einen ſolchen Vertrag
mit dem Norddeutschen Bunde abzuſchließen, weil dieser
Vertrag und die ganze nationale Haltung der dortigen
Regierung und Landesvertretung zunächſt dem Lande
Baden nur neue und bede ut ende Opfer auferlegt.
Sie tragen die Opfer gern in der Hoffnung , daß dem-.
nächſt eine vollſtändige politische Einigung Badens mit
dem Bunde hergestellt werden kann; sie tragen sie doch
aber nur in dieser Hoffnung in dem Augenblicke , wo sie
uicht in der Lage sind, an den werthvollen Vortheilen,
die der vollständige Eintritt in den Nordbund ihnen ge-
währen würde, vollſtändig Theil zu nehmen. Volle An-
erkennung verdient eine ſolche Haltung eines Landes, das
schon einmal in den Dreißiger und Vierziger Jahren an
der Spitze der Reformbewegung in Süddeutſchland und
in ganz Deutschland gestanden hat, einer Reformbewegung
auf dem Gebiete des inneren politischen Lebens in Deutsch-
| land, welche, damals vielfach angefochten von den deutschen
Regierungen und von den konservativen Parteien , doch
das Ergebniß gehabt hat, daß faſt alle wesentlichen For-
derungen dieſer Bewegung niedergelegt sind in die Ges
sammtverfaſsung Deutschlands und anerkannt und der
Hauptſache nach unangefochten auch von der Regierung
und der konſervativen Partei, daß sie das gemeinſame
deutſche Staatsrecht geworden ſind. Aus diesen Vor-
gängen der früheren Zeit laſſen Sie uns die Hoffnung
schöpfen, daß das entſchloſſene nationale Vorgehen des
Landes Baden auch in den anderen Ländern Süddeutſch-
lands, wo wir theils Regierungen (welche ?), theils große
(1) politische Parteien haben, die einen ähnlichen Weg zü
heſchreiten bereit ſind, tiefere Wurzeln ſchlagen wird für
das Bedürfniß und die Nothwendigkeit einer vollſtändigen
politischen Einigung der ſüddeutſchen Staaten mit dem
Norddeutschen Bunde: ein Bedürfniß und eine Nothwendig-
keit, welche wir niemals verkannt und ſtets offen aufrecht
erhalten haben. Wir sind dem badischen Lande und dem
badischen Volke für diesen Vorgang Dant schuldig ; wir
entnehmen daraus aber auch für uns die Zuversicht, daß
unsere, der Deutschen, eigenſte Aufgabe : die Wiederher-
stellung einer gesammtdeutſchen Verfaſſung, in dem geeig-
neten Augenblic ohne den Einſpruch Unberechtigter eine
friedliche und glückliche Löſung finden wird."
Zu den „andern ſüddeutſchen“ Regierungen, die Ben-
nigſen auf den „nationalen“ Pfaden der badischen
einherwandern ſehen möchte, iſt die bayeriſche Regierung,
wenn sie jemals eine Lockung auf dieſen „nationalen“
Weg empfunden habeu ſollte, jedenfalls jett nicht mehr
zu zählen. Die gestern mitgetheilte Stelle des Hohen-
lohe’sſchen Rundſchreibens, worin die Abneig ung gegen
den Eintritt in d en Nordbund wörtlich konſtatirt
iſt, ſchließt jeden Zweifel hierüber aus. In den Worten,
mit denen der bayerische Miniſter geſtern für seine Erwäh-
lung zum Vizepräsidenten des Zollparlamentes dankte, iſt
denn auch keinc Spur klein-deutscher Anklänge zu finden.
„Verständigung, Versöhnung und Eintracht der deutschen
Stämme“ : so formulirte er die Ziele ſeines Strebens.
Dieß Programm unterzeichnen auch wir, wenn wir auch,
größerer Bestimmtheit halber, das Wort : d er vor „deut-
ſchen Stämme“ in das Wort: aller umſezen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 5. Juni. Der Staatsanzeiger
Nr. 16 enthält: Karl Fried. Schmidt in Hügelheim hat
einen Namen in Bürgelin umgeändert. Aktuar M. Haas
in Boxberg wurde aus der Liſte der Attuare geſtrichen.
Notariatsverwalter Heinrich Forſtmeyer im Obrigheim
wird zum Notar ernannt und ihm der Diſtrikt Billigheim
übertragen. Notar Adolph Dietrich in Billigheim wird
auf den Notariatsdiſtrikt Obrigheim versetzt.
1869.
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird — mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage — täglich als Aben
' Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen
dblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtansſtalten.
Der Großherzogliche Brief.
I Die beiden durch die „Karlsruher Zeitung“ ver-
öffentlichten Aktenſtücke, der Brief des Großherzogs an
den Staatsminister Jolly und die Veröffentlichung dieses
Briefes durch denselben Staatsminister, gehören jedenfalls
zu den Außerordentlichteiten konstitutioneller Praxis. Der
Brief hat große Aehnlichkeit mit den bekannten Briefen,
gez. „Napoleon“, welche am Schluſſe den Adresſaten „dem
heil. Schuße Gottes empfehlen“ ; und der Staatsminiſter
„veröſſentlicht“" blos einen Brief, den er empfangen.
Herr Jolly hätte diesen Brief wohl gegenzeichnen dürfen,
da derſelbe offenbar in dem obwaltenden Parteisſtreite ſelbſt
Partei ergreift und unter den drei wesentlichen Richtungen
im Lande die eine dirett und beſtimmt zu der ſeinigen
macht. Nun darf zwar ein Miniſter, beſonders ein
parlamentariſcher , der mit der Majorität steht und fällt,
Partei ergreifen ; iſt er ja doch nur der: Ausdruck der
grade herrſchenden Partei ; anders iſt es aber offenbar
mit dem Landesfürſten, der morgen ein Ministerium der
zweiten oder dritten Richtung ernennen tann, und der |
ſich folglich die Hände unmöglich binden darf.
Die zu Offenburg versammelten Männer vertreten
die Partei der Fusion zwiſchen der Linken in der Kammer
und dem ſtreng minisſteriellen Zentrum ; daneben exiſtirt
eine äußerste Linke, vertreten durch einen oder zwei Abge-
ordnete , welche mit der Demokratie oder Volkspartei im
Lande gehen; außerdem gibt es noch eine katholiſche Partei,
gleichfalls in der Kammer nur dürftig vertreten, im Lande
aber, nach dem Ausdruck der Gegner ſelbſt, „nicht zu
unterschätzen“, ja nach dem Geſständniß des Konstanzer
Bürgermeisters mehr als eine Partei, nämlich eine „Macht“!
Alle drei Parteien haben den Weg der Adresse an
den Großherzog eingeschlagen, die Offenburger waren nur
zuerſt da und zwar mit 655 Unterſchriften. Dieſe 655
erhalten nicht nur unverweilt Antwort , sonden zuſtim-
mend e Antwort, ja „Dank“ für die „hingebende, that-
kräftige Unterſtißung der freiſinnigen und nationalen
Regierungspolitik.“ Damit iſt zugleich ausgeſprochen, daß
die beiden andern Adreſſen entweder nur tadelnd oder
gar nicht beantwortet werden können, daß sie, die ſich im
Gegenſaj zu der Offenburger Adreſſe bewegen , keinen
„Dank“ ernten werden. Verkümmert ein ſolches Auftreten
nicht geradezu das Recht der Adresse , macht es die Frei-
heit des ehrerbietigen Verkehrs mit dem Landesfürsten
nicht illuſoriſch ?
Gestüt auf das Offenburger „Vertrauen“ von 655
Unterſchriften, soll es „gelingen, ein freies Staatsleben im
Innern und muthige, entſchloſſene Theilnahme an der
nationalen Wiedergeburt Deutſchlands“ zu erzielen. Die
beiden anderen Adresſen, die nicht Daſſelbe mit den Offen-
burgern wollen, sind alſo wohl einem „freien Staatsleben
im Innern“ entgegengeſeßt und wollen von einer „Wieder-
geburt Deutschlands“ nichts wissen ! Und das iſt ſicher
und gewiß, noch ehe man sie gehört !
655 Mann, und wären ſie die bedeutendſten und
angeſehenſten Männer, ſind doch nicht das Land , und
wenn noch zwei Nullen angehängt würden ~ und es
gibt noch gar viele Nullen im Lande ~ ſo kann doch
noch Niemand sagen, welche Zahl die beiden andern
Adresſen aufbringen werden.
Run heißt es aber gar, es werde „mit der Kraft,
welche die C intracht verleiht, gelingen" tc. Die Ein-
tracht? zwischen welchen Faktoren des Staatslebens ?
Doch nicht etwa zwiſchen der gegenwärtigen Regierung und
dem Volke ? Die eben steht in Frage, die eben herzu-
zustellen ist die Aufgabe , welche ſich ein ſehr bedeutender
Theil des Volkes geſtelt hat! Sagen doch die Offen-
burger selbſt, die Cintracht zwiſchen dem Minſsterium
und dem alten Wahlkörper genüge nicht mehr; diese
Wahlkörper müßten ſchlechterdings erweitert werden !
Sind doch die Offenburger zwar einverſtanden mit der
„nationalen“ Politik der Regierung, keineswegs aber mit
der „freiſinnigen“, die sie vielmehr weit freiſinniger
zu wünſchen ~ wenigstens vorgeben!
Was bleibt jezt den andern Parteien zu thun übrig ?
Zweierlei; erſtens ſich mit Reſignation in die indirekte Ab-
lehnung ihrer Forderungen zu fügen , zweitens , durch
eine ſteigende Maſſe von Unterschriften den Mangel der
„Eintracht“ zu konſtatiren und von dem übelunterrichteten
Großherzog an den besser unterrichteten zu appelliren.
Nur nicht die Hände in den Schooß gelegt, nur das
für recht Erkannte behaupten, die richtige Cinſicht mann-
haft verbreiten, bis das heute Verurtheilte zu der ihm
gebührenden Geltung und Anerkennung gelangt! Cs
kann ja auch etwas Anderes einmal „zur öffentlichen
Kenntniß“ gebracht werden , wenn es auch nicht gerade
durch Hrn. Jolly geschieht.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 5. Juni.
* Am morgigen Sonntag soll in ganz Spanien
die neue Verfaſſung verkündet werden, nachdem ſie in den
beiden leßten Tagen von ihren Vätern und den wider-
willigen Zeugen ihrer Geburt unterzeichnet worden iſst.
Aus ſilbernen Federn, deren eine jedes Kortesmitglied von
der Regierung zugestellt betommen hat und als Erinne-
rungszeichen mit sich forttragen darf, ſind [die Unter-
schriften gefloſſen. Ein koſtſpieliges Dokument, dieſe
Verfaſsungsurkunde. Und einen noch werthvolleren Preis
vielleicht, als ihre Ausfertigung, wird ihre Durchführung
kosten; da mag anderem Metall, als Silber, eine betlagens-
werthe Aufgabe zufallen. Von den republikaniſchen Mit-
gliedern der Kortesverſammlung hatten bis vorgeſtern neun
ihre Unterſchrift verweigert; den übrigen iſt für den Fall,
daß sie ihre Namen beiſeßen ſollten, von den republikani-
schen Vereinen der Hauptstadt die Ausstoßpung aus der
Partei angedroht. Am ersten Tage der nächſten Woche
ſoll der Antrag auf Einsezung einer Regentſchaft und
auf Uebertragung derſelben an Serrano den Kortes vor-
gelegt werden. :
In Widerſpruch mit den jüngſten Ableugnungen
offiziöſer Pariſer Blätter wird jetzt über London aus Hon-
kong gemeldet, daß die Ohrfeige, welche der franzöſiſche
Geſandte in C h ina von einem dortigen hohen Würden-
träger erhalten, eine fühlbare Thatsache gewesen sei. Die
Nachricht iſt zwar neueren Datums (11. Mai), und von
der in beſtimmter Form auftretenden Angabe begleitet,
daß die diplomatiſchen Kollegen des französischen Ohr-
feigenempfängers die chineſiſche Regierung zu einer binnen
drei Tagen zu gewährenden Genugthuung aufgefordert
haben : dennoch glauben wir in dieſem Falle ausnahms-
weiſe den offiziöſen franzöſiſchen Widerſpruch für nicht
unwahr halten zu müssen.
Dem Grafen von Flandern, einzigen Bruder des
Königs von Belgien, iſt vorgeſtern ein Sohn geboren
worden. Damit hat der Mannsstamm des belgischen
Königshauſes, welcher seit dem Tode des Kronprinzen (da
der König nur dieß einzige Kind und sein Bruder bis-
her nur weibliche Nachkommen gehabt hatte) auf 4 Augen
ſtand, Hoffnung auf Fortbestand erhalten. Das Erlöſchen
des Mannsſtamms war, nach vielen Anzeichen zu ſchließen,
eine von Napoleon in den Kreis seiner politiſchen Be-
rechnungen gezogene Eventualität, und daß die belgiſche
Bevölkerung in dieſer Beziehung nicht beſorgnißfrei ge-
blieben, beweiſt der Umstand, daß bald nach dem Tode des
Kronprinzen das Verlangen nach Zulaſſung weiblicher
Thronfolge ſich kundgab. Aus diesem Grunde iſt der
prinzlichen Geburt Bedeutung beizumessen.
Die gemischte Kommission, zu deren Berufung die
belgiſche Eiſenbahnangelegenheit Anlaß gegeben,
iſt vorgeſtern in Paris zu ihrer erſten Sitzung zuſammen-
getreten. Daß nicht, wie früher angekündigt worden, der
französische Miniſter des Aeußern, ſondern ein Mitglied
der Kommission ſelbſt, ein Abtheilungs-Chef im Handels-
ministerium , den Vorſiß übernahm, kann als ein neues
Anzeichen gelten, daß die Verhandlungen, mit Ausschluß
aller politiſchen, sich auf national-ökonomische Fragen be-
schränken werden. j
An einer anderen Stelle dieses Blattes findet ſich der
Wortlaut des militäriſchen Freizügigkeitsver-
tra g es, den mit dem Nordbund abzuschließen die badische
Regierung sich gedrungen gefühlt hat. Daß derſelbe im
norddeutschen Reichstage vorgeſtern beifällig aufgenommen
worden, iſt bereits berichtet; es übrigt nur noch, den
Jubelhymnus mitzutheilen, den der Herr v. Bennigsen
darüber angeſtimmt hat und bei welchem wir uns zweifelnd
fragen, was mehr Bewunderung verdient : die Ignoranz des
Redners, der eine bereits erfolgte Zuſtimmung des ba-
dischen Landtags zu dem Vertrage mit seiner Wünſchel-
ruthe hervorzaubert; oder die Selbſttäuſchung , womit er
an einer Stelle von einer Uebereinſtimmung zwischen Volk
und Ministerium in Baden und an einer anderen Stelle
von „andern süddeutschen“, nach dem Eintritt in den
Nordbund lüsternen Regierungen spricht; oder endlich die
entsegliche Naivetät seines Geständnisses in Betreff „neuer
und bedeutender Opfer“, die Baden zu bringen habe.
Also sang, laut einem Berichte in der „Köln. Ztg., ver
frühere Präsident des weiland Nationalvereins : „Wir
begrüßen in der Vorlage von Neuem einen wichtigen,
praktischen Fortschritt auf der Bahn der größeren politi-
schen Einigung des Südens mit dem Norden. Es kann
uns nicht Wunder nehmen , daß dieſer gemeinsame Fort-
schritt mit dem Norddeutſchen Bunde gerade von der
badischen Regierung gemacht wird. Noch in dieſen Tagen
hat der Großherzog von Baden der erleuchteten patriotiſchen
Gesinnung, die seine Regierung beſeelt, und der Ueberein-
stimmung (!) die auf diesen Gebieten zwiſchen der Re M
gierung und der Bevölkerung herrscht, in einem Erlasse MMI
an sein Staatsminiſterium einen Ausdruck gegeben.
Wir müſsſen der badiſchen Regierung u nd der badiſchen
Landesvertretung beſonders und deßhalb dankbar
sein, daß sie ſich nicht geſcheut hat, einen ſolchen Vertrag
mit dem Norddeutschen Bunde abzuſchließen, weil dieser
Vertrag und die ganze nationale Haltung der dortigen
Regierung und Landesvertretung zunächſt dem Lande
Baden nur neue und bede ut ende Opfer auferlegt.
Sie tragen die Opfer gern in der Hoffnung , daß dem-.
nächſt eine vollſtändige politische Einigung Badens mit
dem Bunde hergestellt werden kann; sie tragen sie doch
aber nur in dieser Hoffnung in dem Augenblicke , wo sie
uicht in der Lage sind, an den werthvollen Vortheilen,
die der vollständige Eintritt in den Nordbund ihnen ge-
währen würde, vollſtändig Theil zu nehmen. Volle An-
erkennung verdient eine ſolche Haltung eines Landes, das
schon einmal in den Dreißiger und Vierziger Jahren an
der Spitze der Reformbewegung in Süddeutſchland und
in ganz Deutschland gestanden hat, einer Reformbewegung
auf dem Gebiete des inneren politischen Lebens in Deutsch-
| land, welche, damals vielfach angefochten von den deutschen
Regierungen und von den konservativen Parteien , doch
das Ergebniß gehabt hat, daß faſt alle wesentlichen For-
derungen dieſer Bewegung niedergelegt sind in die Ges
sammtverfaſsung Deutschlands und anerkannt und der
Hauptſache nach unangefochten auch von der Regierung
und der konſervativen Partei, daß sie das gemeinſame
deutſche Staatsrecht geworden ſind. Aus diesen Vor-
gängen der früheren Zeit laſſen Sie uns die Hoffnung
schöpfen, daß das entſchloſſene nationale Vorgehen des
Landes Baden auch in den anderen Ländern Süddeutſch-
lands, wo wir theils Regierungen (welche ?), theils große
(1) politische Parteien haben, die einen ähnlichen Weg zü
heſchreiten bereit ſind, tiefere Wurzeln ſchlagen wird für
das Bedürfniß und die Nothwendigkeit einer vollſtändigen
politischen Einigung der ſüddeutſchen Staaten mit dem
Norddeutschen Bunde: ein Bedürfniß und eine Nothwendig-
keit, welche wir niemals verkannt und ſtets offen aufrecht
erhalten haben. Wir sind dem badischen Lande und dem
badischen Volke für diesen Vorgang Dant schuldig ; wir
entnehmen daraus aber auch für uns die Zuversicht, daß
unsere, der Deutschen, eigenſte Aufgabe : die Wiederher-
stellung einer gesammtdeutſchen Verfaſſung, in dem geeig-
neten Augenblic ohne den Einſpruch Unberechtigter eine
friedliche und glückliche Löſung finden wird."
Zu den „andern ſüddeutſchen“ Regierungen, die Ben-
nigſen auf den „nationalen“ Pfaden der badischen
einherwandern ſehen möchte, iſt die bayeriſche Regierung,
wenn sie jemals eine Lockung auf dieſen „nationalen“
Weg empfunden habeu ſollte, jedenfalls jett nicht mehr
zu zählen. Die gestern mitgetheilte Stelle des Hohen-
lohe’sſchen Rundſchreibens, worin die Abneig ung gegen
den Eintritt in d en Nordbund wörtlich konſtatirt
iſt, ſchließt jeden Zweifel hierüber aus. In den Worten,
mit denen der bayerische Miniſter geſtern für seine Erwäh-
lung zum Vizepräsidenten des Zollparlamentes dankte, iſt
denn auch keinc Spur klein-deutscher Anklänge zu finden.
„Verständigung, Versöhnung und Eintracht der deutschen
Stämme“ : so formulirte er die Ziele ſeines Strebens.
Dieß Programm unterzeichnen auch wir, wenn wir auch,
größerer Bestimmtheit halber, das Wort : d er vor „deut-
ſchen Stämme“ in das Wort: aller umſezen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 5. Juni. Der Staatsanzeiger
Nr. 16 enthält: Karl Fried. Schmidt in Hügelheim hat
einen Namen in Bürgelin umgeändert. Aktuar M. Haas
in Boxberg wurde aus der Liſte der Attuare geſtrichen.
Notariatsverwalter Heinrich Forſtmeyer im Obrigheim
wird zum Notar ernannt und ihm der Diſtrikt Billigheim
übertragen. Notar Adolph Dietrich in Billigheim wird
auf den Notariatsdiſtrikt Obrigheim versetzt.