F 275.
Samſtag, 20. November
1869.
Die „Mannheimer Abendzeitung? wird + mit "us Bug §
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Hetitzeile
Maunhei
1snahme ver Sonntage und
Feſttage ---
mer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volksparlei in Baden.
z täglich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Voftanſtalten.
Das Marnifceſt der franzöſiſchen Linken.
* Endlich, tndljch ſind die Mitglieder der Linken in
Frankreich zu de Einſicht gekommen, daß das Abgeord-
netenhaus keine Revolution machen kann, daß es als
Produkt der von der Exekutive angeordneten Wahl eine
lediglich legale Criſtenz hat und daß es diese Exckutive
nur auf dem legalen Boden des Wortgefechtes bekämpfen
darf. Stelle sich Einer wie er will, schätze er den ge-
leiſteten Eid so niedrig als möglich, sei er sogar zum
Ungehorſam und zur thätlichen Empörung bereit : als
Abgrordneter kommt er aus dem fatalen Zirkel nim-
mer heraus, bleibt er dem Status quo verfallen, wie der
Fauſt der Volksſage dem Teufel. Es iſt ein Pakt.
Mit Heiterkeit, dieser legten Würze der Langeweile,
beobachten wir. seit Jahren dieses Verhängniß an der
Berliner Kammerophoſition. Am Reinſten bei der Fort-
ſchrittspartei, die bei allem in Preußen und von Preußen
Geschehenen gerade so mitschuldig iſt wie Graf Bismarck
und Hr. v. Roon und General v. Moltke, und die den-
noch von Zeit zu Zeit ein Gelüſte empfindet, gegen jenes
Geſchehene Front zu machen und das preußiſche Staats-
ſyſtem um und um zu wandeln. Man fährt aber keinen
andern Weg als das Schiff, in welches man eingestiegen;
man hebt sich nicht am eigenen Schopfe aus dem Moraſt
heraus, und wenn Hr. v. Münchhauſen das von ſich
ſelber erzählt, so hat er eine sehr böſe Satyre auf die
Kammeroppoſition geſchrieben.
Jetzt ſehen es auch die Pariſer Radikalen ein, wenig-
ſtens ein guter Theil von ihnen.. Die Herren Jules
Favre, Jules Simon, Ernſt Picard, Garnier-Pagés , die
vereidigte dynaſtiſche Linke , hatten. alſo Recht, und Eugen
Pelletan, der so verzweifelte Verſuche der Emanzipation
machte und mit „Dezemberverbrechen“ um ſich warf, leistet
dem „Verbrecher“ ganz gemüthlich zuerſt den Eid , um
ihm hernach tüchtig seine Meinung zu sagen und ſich
vom Herrn Präsidenten zur Ordnung rufen zu laſſen.
Aber auch ganz Wilde, total „Unversſöhnliche", haben
bereis das Licht von Damaskus erblickt und werfen ſich
vor dem Herrn nieder; Herr Bancel, der Großredner,
Hr. Esquiros, der radikale Stürmer, Hr. Jules Ferry
vom ,Avenir national“, Hr. Grévy, der allerlinkſte 1848er,
ja, der große Prinzipienmenſch Gambetta in eigener
erſon!
ß Man ſagt, sie ſeien vom Pöbel zurückgeschrectt worden,
der mob habe ſie kopfscheu gemacht, sie perhorreszirten die
ſchlechte Gesellſchaft der Klubs , die Erinnerungen an die
Commune de Paris, die Genossenſchaft der politischen
„Seiltänzer“, wie Laboulaye den Laternenträger Rochefort
titulirt.
Allerdings haben ſolche Antipathien mitgewirkt, aller-
dings ſind dieſe eine ſubjektive Veranlaſſung gewesen ; aber
der Grund liegt tiefer, der wahre Grund iſt die Position
des Abgeordneten zur . verfaſſungmäßigen Kammer des
Empire, die Zuſammengehörigkeit mit demselben Erdball,
an den man den Hebel legen möchte , über welche ſchon
Archimedes den bekannten Stoßseufzer verlauten ließ.
Leiſten sie den Cid nicht, so iſt ihnen die Thüre des
Palais Bourbon geschloſſen und ſie können nicht mitreden,
was ſie doch wollen. Man geht über sie zur Tagesord-
nung.
ihren Wählern, so stoßen sie auf Chaſſepots und Kartäts-
ſchen; ſie haben die bewaffnete und geladene Legalität
gegen sich. Das riskirt Keiner, denn das Empire 1ſt
blos moraliſch bankerott, nicht militäriſch, nicht materiell.
UWeollen sie alſo mitreden, ſo müſsen sie ihr bestes Theil,
ihr Gewiſſen, draußen laſjen, nachher ſind sie nur noch
halbe Männer, das Empire hat sie im Radkasten und
läßt fie mie die Cichtätchen im Kreiſe herumlaufen.
Wahrlich, der einfaci ſte Journaliſt mit abgeſchriebenem
Federſtumpf ist zehnmal mächtiger als der radikalſte Ab-
geordnete mit der vollendetſten Rednergabe. Die Kammer
_ iſt ein Kapua, der ſtolzeſie Karthager wird entnervt, nur
ohne jegliche Wolluſt. .
Vie zahm, wie lammfromm ist diese Linke geworden.
Sie hat ,die feſte Hoffnung, unterstüßt von der Zustim-
mung ihrer Mitbürger, auf friedlichem Wege die
Veränderungen durchführen zu können , welche die öffent-
liche Meinung gebieterisſch verlangt ! Ganz Virchow-
Duncker. — Das persönliche Regiment muß aufhören,
deßhalb , werden die Unterzeichneten eine Interpe ll a-
ti on mit motivirter Tagesordnung wegen der nicht zu
rechtfertigenden Verzögerung der Einberufung des geſetz-
gebenden Körpers einbringen." Ganz Duncker - Virchow.
Wollen sie mit Gewalt eindringen, gefolgt von.
~– Ferner „Interpellation“ wegen der „Ruhestörungen.“
O französiſcher Fortſchritt! ;
Dann ,Reform“ + natürlih, ~ „Wahl des geſeh-
gebenden Körpers“, „Wahlbezirke“, „Wahl der Maires“,
Unverantwortlichkeit der Staatsbeamten + endlich „Ab-
ſchaffung des Armeegesetzes", Entscheidung des „National-
willens" über Krieg und Frieden. Ganz und gar Vir-
chow-Duntker.
Und das Alles im Empire, mit dem Empereur, in
durchaus , friedlicher“ Weiſe. Paris ſoll einen Landtag
bekommen , und Frankreich wird parlamentariſch. Und
doch, die Hand aufs Herz, ſie können nicht anders , sie
marsſchircn in der Tretmühle.
Badiſcher Landtag.
** Karlsruhe, 18. Nov. 22. u. 28. Sigzung
der Zweiten Kammer.
Spezialdiskuſsion über den Gesetßentwurf, Einführung
der Zivileh e betr. :
Aus der Spezialdiskussion iſt nicht viel Bemerkens-
werthes zu erwähnen, da die ganze Debatte von zwei
Tagen nur formelle und Wort-Aenderungen bezweckte.
Die §§ 6466, welche von Verpflichtungen aus dem
Verlöbniſſe handeln, wurden gestrichen. Auffallend wurde
die Beſtimmung des § 40 befunden, wonach bei außer-
ehelichen Geburten die Muiter ferner nicht mehr ange-
halten iſt, ihren Namen im Gehurtsbuche eintragen zu
M Uu
Zur Chre des Abg. Näf sei bemerkt, daß ſich derselbe
besonders kräftig der armen Kinder annahm.
Ferner stellte Lender folgenden Antrag, welcher, wie
er begründete, die Gegenſäßze in unserem Lande ver-
mitteln würde: |
Der § 88 des Geseßentwurfes über die Schließung
der Ehe mbge lauten: „Zur rechtlichen Gültigkeit der
Ehe iſt die bürgerliche Trauung erforderlich. Den Ver-
lobten steht es frei, die bürgerliche vor der tirchlichen
Trauung vornehmen zu laſſen oder umgekehrt. Findet
die kirchliche Trauung zuerst statt, ſo muß die bürgerliche
Beurkundung noch am nämlichen Tageerfolgen ; die kirchliche
Trauung darf aber erſt geſchehen, wenn die in § 87
verlangten Vorbedingungen erfüllt sind. (Dieser § lautet:
Der Standesbeamte darf nicht zur Trauung schreiten, ehe
ihm die Vornahme der erforderlichen Aufgebote nachge-
wieſen und falls eine Einsprache erhoben wurde, die
Aufhebung derſelben vom Amtsgerichte eröffnet iſt.“
Dieser Antrag wurde unter Hinweis auf die staat-
liche Selbstſländigkeit abgelehnt gegen: Baumſtark, Biſsing,
Lender, Lindau, Roßhirt und das ganze Gesetz mit allen
„gegen Obige und Mühlhäußer ang enomm en.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 19. November.
* Ein merkwürdiges Schauſpiel hat sich in Berlin
im Herrenhauſe abgeſpiell. Der ehemalige Juſtizminiſter
Grafen zur Lippe, der, ſo lange er am Ruder war, keine
Ö | zu große Meinung für die preußiſche Verfa ss ung
an den Tag legte, hat sich dieser Verfaſſung den
Uebergriffen des Bundes gegenüber angenommen. Der
Bundeskriegsminiſter, Hr. v. Roon, hatte es übernommen,
über die verfaſlungswidrigen Pläne der Regierung zu be-
ruhigen. Er sagte : Es geſchehe Alles, was im| Nord-
bunde vorgenommen werde, ja nur für Preußen!
Ein recht artiger Vorgang zur Belehrung für die Natio-
nal-Lideraln in Süddeutſchland . . . wenn freilich
dieſelben noch im Stande wären, Vernunft anzunehmen.
Vir haben ſchon mitgetheilt , daß die Reiſe des Kö-
nigs von Württemberg nach München den Zweck gehabt
haben soll: den Sturz des zu sehr preußen-freundlicheu
Miniſteriums Hoheulohe herbeizuführen.. Nun folgt
eine weitere Mittheilung über ſüd d eu ts <e Regierungs-
politik und den Einfluß des württembergiſchen Ministers
Varnbüler auf dieſelbe. Es wurde einmal gemeldet,
auch der Großherzog von B a den werde -+ zum Besuche
der Kunſstausausſtelung – nach München kommen und
war dieſer Meldung die Bemerkung angeknüpft, die Kunst-
ausstellung werde deßhalb um einige Tage verlängert wer-
den. Letzteres iſt indeſſen nicht geschehen ~ und der
Beſuch unterblieb. Die aufgeworfene Frag-, ob der Be-
ſuch überhaupt beabsichtigt gewesen sei, wird b e ja ht und
wegen der Unterlaſſung desselben erklärt: Nach dem effekt-
voll in Szene gesetzten Empfang des Königs von Würt-
temberg in München habe der Großherzog nicht wohl in
cognito nach München gehen können . . . und als es ſich
darum gehandelt habe, ob der König von Bayern auch
dem Großherzoge gegenüber zu gleich großen Aufmerklſam-
keiten geneigt sein werde, da ſcheine nicht, daß man in
dieser Beziehung ganz günſtige Ausſichten gehabt habe.
Daraufhin sei der Beſuch unterblieben und nur Sorge
getragen worden, daß die Ankündigung des Beſuchs „von
München aus“ widersprochen worden wäre. Auch wird
in Paranthese beigefügt, der Widerſpruch in der „Alg.
Ztg." sei durch den badiſchen Geſandten in München,
Hrn. v. Mohl erfolgt. Wenn die Sache richtig iſt, ſo
muß sich die Karlsruher Diplomatie, um mit Hrn. Jolly
zu sprechen, doch recht dupirt (zu deutsch: überliſtet) vor-
gekommen ſsein. ;
Das öſterreichiſch e Miniſterium des Auswärtigen
hat unterm 7. Nov. ein Rundſchreiben an die Vertreter
Osterreichs im Auslande erlaſſen , welches über die zwi-
schen Oesterreich und der Türkei bezüglich des Auf-
standes in Dalmatien getroffenen Vereinbarungen Auf-
schluß gibt. Aus dem Attenstücke geht hervor, daß im
Intereſſe der Ordnung die Türkei die Benützung des
türkischen Gebietes für die Operationen öſterreichiſcher
Truppen gestatte. Das Rundſchreiben beſtätigt ferner,
daß Oesterreich und die Pforte Abmachungen zur Auf-
rechterhallung der Sicherheit und Ordnung in ihren
Grenzprovinzen getroffen haben, und enthält ein die In-
tegrität des türkiſchen Reiches in jeder Beziehung vor-
aussſeßendes Programm der orientaliſchen Politik der öſter-
reichiſch - ungariſchen Monarchie. Das Zirkular dementirt
auch die über die Haltung Rußlands verbreiteten beun-
ruhigenden Gerüchte und ſpricht hiebei wohl allzu ver-
trauensſelig von der Neutralität Montenegro's, wenn es
ganz ohne Schatten von Mißtrauen verzeichnet, der Fürſt
von Montenegro habe die besſtimmteſte Verſicherung ge-
geben, daß er angesichts des in Dalmatien ausgebroche-
nen Konflikts die vollständigste Neutralität beobachten werde
und diese Gelegenheit benütte, „um sein Mißvergnügen
Denjenigen kundzugeben, die Zweifel an seiner und der
Montenegriner Loyalität zu erheben sich erlaubten.“ Ge-
kränkte Unschuld, Du.
Der Bundesrath der Sch weiz hat beſchloſſen, die
mit den sſüddeutſchen Staaten am 16. Oktober ver-
einbarten Verträge über den Schuyt des literariſchen und
künſtleriſchen Eigenthums, welche sich in ihrem Wortlaute
vollſtändig der über den gleichen Gegenstand zwischen der
Schweiz und dem norddeutſchen Bunde bestehenden Üeber-
einkunft anschließen, der nächſten Bundesverſammlung vor-
zulegen und zur Genehmigung zu empfehlen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 19. Nov. Amtliches.
mann 1. Klasse M. Freih. von Amerongen im General-
ſtab wurde zum Major befördert und Oberſtleutenant
W. Freih. von Stengel vom Armeekorps zur Wahrneh-
mung der Geschäfte des Kommandeurs des JInvalidenkorps
in Schwetzingen kommandirt. Sekondel. Philipp Würten-
berger vom (1) Leib-Grenadier-Regiment, zur Dienſtlei-
ung zur Zeughaus-Direktion kommandirt, tritt in das
Regiment zurück.
. Waldhhut, 17. Novbr. Die Kreisver-
ſammlu ng hat die Berathung des Entwurfs einer
Kranken- und Stlterbkasse vertagt; sie will das Schictſal
des Armengeseßes abwarten. Für Hebung der Landwirth-
ſchaft und des landwirthſchaftlichen Unterrichts wurden
nicht alle vom Ausschusse gestellten Anträge genehmigt.
Bewilligt wurde der für Ausbildung in der Landwirth-
schaft überhaupt geforderte Betrag von 400 fl. ; ferner
die Anforderungen für Hebung des Wieſenbaues und der
Winterſchule. Als Reiſegeld für Zöglinge der Obſtbau-
ſchule wurden 95 fl. genehmigt u. 150 fl., welche als Prämien
an Lehrer, die Obstbau lreiben, verwendet werden ſollen.
Die Gemeinde Erzingen wünſcht den Bau einer Straße
von Erzingen nach Oftringen; die Gemeinden Rheinheim,
Dangſtetten, Küstnach und Bechtersbohl befürworten die
Verlegung der Straßenſteige bei Bechtersbohl und Here
stellung einer feſten Brücke zwischen Rheinheim und Zur-
zach. Beide Gesuche wurden befürwortend an das Mi-
niſterium des Jnnern überwiesen. Der Antrag, zum Be-
huf der Errichtung einer Kreis-Waisenanſtalt den An-
kauf des Gutes Albführen oder des Schlosses Rötheln,
beide im Amtsbezirk Jestetten zu beschließen, wurde ver-
worfen, dagegen ein Verpflegungs-Beitrag von 3521 fl.
für arme, in Familien unterzubringende Kinder bewilligt.
Mit einer Kreisumlage von 2°%1o kr. (statt 4 des Jahres
Haupl-
Hur
N
Samſtag, 20. November
1869.
Die „Mannheimer Abendzeitung? wird + mit "us Bug §
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Hetitzeile
Maunhei
1snahme ver Sonntage und
Feſttage ---
mer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volksparlei in Baden.
z täglich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition 0 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Voftanſtalten.
Das Marnifceſt der franzöſiſchen Linken.
* Endlich, tndljch ſind die Mitglieder der Linken in
Frankreich zu de Einſicht gekommen, daß das Abgeord-
netenhaus keine Revolution machen kann, daß es als
Produkt der von der Exekutive angeordneten Wahl eine
lediglich legale Criſtenz hat und daß es diese Exckutive
nur auf dem legalen Boden des Wortgefechtes bekämpfen
darf. Stelle sich Einer wie er will, schätze er den ge-
leiſteten Eid so niedrig als möglich, sei er sogar zum
Ungehorſam und zur thätlichen Empörung bereit : als
Abgrordneter kommt er aus dem fatalen Zirkel nim-
mer heraus, bleibt er dem Status quo verfallen, wie der
Fauſt der Volksſage dem Teufel. Es iſt ein Pakt.
Mit Heiterkeit, dieser legten Würze der Langeweile,
beobachten wir. seit Jahren dieses Verhängniß an der
Berliner Kammerophoſition. Am Reinſten bei der Fort-
ſchrittspartei, die bei allem in Preußen und von Preußen
Geschehenen gerade so mitschuldig iſt wie Graf Bismarck
und Hr. v. Roon und General v. Moltke, und die den-
noch von Zeit zu Zeit ein Gelüſte empfindet, gegen jenes
Geſchehene Front zu machen und das preußiſche Staats-
ſyſtem um und um zu wandeln. Man fährt aber keinen
andern Weg als das Schiff, in welches man eingestiegen;
man hebt sich nicht am eigenen Schopfe aus dem Moraſt
heraus, und wenn Hr. v. Münchhauſen das von ſich
ſelber erzählt, so hat er eine sehr böſe Satyre auf die
Kammeroppoſition geſchrieben.
Jetzt ſehen es auch die Pariſer Radikalen ein, wenig-
ſtens ein guter Theil von ihnen.. Die Herren Jules
Favre, Jules Simon, Ernſt Picard, Garnier-Pagés , die
vereidigte dynaſtiſche Linke , hatten. alſo Recht, und Eugen
Pelletan, der so verzweifelte Verſuche der Emanzipation
machte und mit „Dezemberverbrechen“ um ſich warf, leistet
dem „Verbrecher“ ganz gemüthlich zuerſt den Eid , um
ihm hernach tüchtig seine Meinung zu sagen und ſich
vom Herrn Präsidenten zur Ordnung rufen zu laſſen.
Aber auch ganz Wilde, total „Unversſöhnliche", haben
bereis das Licht von Damaskus erblickt und werfen ſich
vor dem Herrn nieder; Herr Bancel, der Großredner,
Hr. Esquiros, der radikale Stürmer, Hr. Jules Ferry
vom ,Avenir national“, Hr. Grévy, der allerlinkſte 1848er,
ja, der große Prinzipienmenſch Gambetta in eigener
erſon!
ß Man ſagt, sie ſeien vom Pöbel zurückgeschrectt worden,
der mob habe ſie kopfscheu gemacht, sie perhorreszirten die
ſchlechte Gesellſchaft der Klubs , die Erinnerungen an die
Commune de Paris, die Genossenſchaft der politischen
„Seiltänzer“, wie Laboulaye den Laternenträger Rochefort
titulirt.
Allerdings haben ſolche Antipathien mitgewirkt, aller-
dings ſind dieſe eine ſubjektive Veranlaſſung gewesen ; aber
der Grund liegt tiefer, der wahre Grund iſt die Position
des Abgeordneten zur . verfaſſungmäßigen Kammer des
Empire, die Zuſammengehörigkeit mit demselben Erdball,
an den man den Hebel legen möchte , über welche ſchon
Archimedes den bekannten Stoßseufzer verlauten ließ.
Leiſten sie den Cid nicht, so iſt ihnen die Thüre des
Palais Bourbon geschloſſen und ſie können nicht mitreden,
was ſie doch wollen. Man geht über sie zur Tagesord-
nung.
ihren Wählern, so stoßen sie auf Chaſſepots und Kartäts-
ſchen; ſie haben die bewaffnete und geladene Legalität
gegen sich. Das riskirt Keiner, denn das Empire 1ſt
blos moraliſch bankerott, nicht militäriſch, nicht materiell.
UWeollen sie alſo mitreden, ſo müſsen sie ihr bestes Theil,
ihr Gewiſſen, draußen laſjen, nachher ſind sie nur noch
halbe Männer, das Empire hat sie im Radkasten und
läßt fie mie die Cichtätchen im Kreiſe herumlaufen.
Wahrlich, der einfaci ſte Journaliſt mit abgeſchriebenem
Federſtumpf ist zehnmal mächtiger als der radikalſte Ab-
geordnete mit der vollendetſten Rednergabe. Die Kammer
_ iſt ein Kapua, der ſtolzeſie Karthager wird entnervt, nur
ohne jegliche Wolluſt. .
Vie zahm, wie lammfromm ist diese Linke geworden.
Sie hat ,die feſte Hoffnung, unterstüßt von der Zustim-
mung ihrer Mitbürger, auf friedlichem Wege die
Veränderungen durchführen zu können , welche die öffent-
liche Meinung gebieterisſch verlangt ! Ganz Virchow-
Duncker. — Das persönliche Regiment muß aufhören,
deßhalb , werden die Unterzeichneten eine Interpe ll a-
ti on mit motivirter Tagesordnung wegen der nicht zu
rechtfertigenden Verzögerung der Einberufung des geſetz-
gebenden Körpers einbringen." Ganz Duncker - Virchow.
Wollen sie mit Gewalt eindringen, gefolgt von.
~– Ferner „Interpellation“ wegen der „Ruhestörungen.“
O französiſcher Fortſchritt! ;
Dann ,Reform“ + natürlih, ~ „Wahl des geſeh-
gebenden Körpers“, „Wahlbezirke“, „Wahl der Maires“,
Unverantwortlichkeit der Staatsbeamten + endlich „Ab-
ſchaffung des Armeegesetzes", Entscheidung des „National-
willens" über Krieg und Frieden. Ganz und gar Vir-
chow-Duntker.
Und das Alles im Empire, mit dem Empereur, in
durchaus , friedlicher“ Weiſe. Paris ſoll einen Landtag
bekommen , und Frankreich wird parlamentariſch. Und
doch, die Hand aufs Herz, ſie können nicht anders , sie
marsſchircn in der Tretmühle.
Badiſcher Landtag.
** Karlsruhe, 18. Nov. 22. u. 28. Sigzung
der Zweiten Kammer.
Spezialdiskuſsion über den Gesetßentwurf, Einführung
der Zivileh e betr. :
Aus der Spezialdiskussion iſt nicht viel Bemerkens-
werthes zu erwähnen, da die ganze Debatte von zwei
Tagen nur formelle und Wort-Aenderungen bezweckte.
Die §§ 6466, welche von Verpflichtungen aus dem
Verlöbniſſe handeln, wurden gestrichen. Auffallend wurde
die Beſtimmung des § 40 befunden, wonach bei außer-
ehelichen Geburten die Muiter ferner nicht mehr ange-
halten iſt, ihren Namen im Gehurtsbuche eintragen zu
M Uu
Zur Chre des Abg. Näf sei bemerkt, daß ſich derselbe
besonders kräftig der armen Kinder annahm.
Ferner stellte Lender folgenden Antrag, welcher, wie
er begründete, die Gegenſäßze in unserem Lande ver-
mitteln würde: |
Der § 88 des Geseßentwurfes über die Schließung
der Ehe mbge lauten: „Zur rechtlichen Gültigkeit der
Ehe iſt die bürgerliche Trauung erforderlich. Den Ver-
lobten steht es frei, die bürgerliche vor der tirchlichen
Trauung vornehmen zu laſſen oder umgekehrt. Findet
die kirchliche Trauung zuerst statt, ſo muß die bürgerliche
Beurkundung noch am nämlichen Tageerfolgen ; die kirchliche
Trauung darf aber erſt geſchehen, wenn die in § 87
verlangten Vorbedingungen erfüllt sind. (Dieser § lautet:
Der Standesbeamte darf nicht zur Trauung schreiten, ehe
ihm die Vornahme der erforderlichen Aufgebote nachge-
wieſen und falls eine Einsprache erhoben wurde, die
Aufhebung derſelben vom Amtsgerichte eröffnet iſt.“
Dieser Antrag wurde unter Hinweis auf die staat-
liche Selbstſländigkeit abgelehnt gegen: Baumſtark, Biſsing,
Lender, Lindau, Roßhirt und das ganze Gesetz mit allen
„gegen Obige und Mühlhäußer ang enomm en.
Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 19. November.
* Ein merkwürdiges Schauſpiel hat sich in Berlin
im Herrenhauſe abgeſpiell. Der ehemalige Juſtizminiſter
Grafen zur Lippe, der, ſo lange er am Ruder war, keine
Ö | zu große Meinung für die preußiſche Verfa ss ung
an den Tag legte, hat sich dieser Verfaſſung den
Uebergriffen des Bundes gegenüber angenommen. Der
Bundeskriegsminiſter, Hr. v. Roon, hatte es übernommen,
über die verfaſlungswidrigen Pläne der Regierung zu be-
ruhigen. Er sagte : Es geſchehe Alles, was im| Nord-
bunde vorgenommen werde, ja nur für Preußen!
Ein recht artiger Vorgang zur Belehrung für die Natio-
nal-Lideraln in Süddeutſchland . . . wenn freilich
dieſelben noch im Stande wären, Vernunft anzunehmen.
Vir haben ſchon mitgetheilt , daß die Reiſe des Kö-
nigs von Württemberg nach München den Zweck gehabt
haben soll: den Sturz des zu sehr preußen-freundlicheu
Miniſteriums Hoheulohe herbeizuführen.. Nun folgt
eine weitere Mittheilung über ſüd d eu ts <e Regierungs-
politik und den Einfluß des württembergiſchen Ministers
Varnbüler auf dieſelbe. Es wurde einmal gemeldet,
auch der Großherzog von B a den werde -+ zum Besuche
der Kunſstausausſtelung – nach München kommen und
war dieſer Meldung die Bemerkung angeknüpft, die Kunst-
ausstellung werde deßhalb um einige Tage verlängert wer-
den. Letzteres iſt indeſſen nicht geschehen ~ und der
Beſuch unterblieb. Die aufgeworfene Frag-, ob der Be-
ſuch überhaupt beabsichtigt gewesen sei, wird b e ja ht und
wegen der Unterlaſſung desselben erklärt: Nach dem effekt-
voll in Szene gesetzten Empfang des Königs von Würt-
temberg in München habe der Großherzog nicht wohl in
cognito nach München gehen können . . . und als es ſich
darum gehandelt habe, ob der König von Bayern auch
dem Großherzoge gegenüber zu gleich großen Aufmerklſam-
keiten geneigt sein werde, da ſcheine nicht, daß man in
dieser Beziehung ganz günſtige Ausſichten gehabt habe.
Daraufhin sei der Beſuch unterblieben und nur Sorge
getragen worden, daß die Ankündigung des Beſuchs „von
München aus“ widersprochen worden wäre. Auch wird
in Paranthese beigefügt, der Widerſpruch in der „Alg.
Ztg." sei durch den badiſchen Geſandten in München,
Hrn. v. Mohl erfolgt. Wenn die Sache richtig iſt, ſo
muß sich die Karlsruher Diplomatie, um mit Hrn. Jolly
zu sprechen, doch recht dupirt (zu deutsch: überliſtet) vor-
gekommen ſsein. ;
Das öſterreichiſch e Miniſterium des Auswärtigen
hat unterm 7. Nov. ein Rundſchreiben an die Vertreter
Osterreichs im Auslande erlaſſen , welches über die zwi-
schen Oesterreich und der Türkei bezüglich des Auf-
standes in Dalmatien getroffenen Vereinbarungen Auf-
schluß gibt. Aus dem Attenstücke geht hervor, daß im
Intereſſe der Ordnung die Türkei die Benützung des
türkischen Gebietes für die Operationen öſterreichiſcher
Truppen gestatte. Das Rundſchreiben beſtätigt ferner,
daß Oesterreich und die Pforte Abmachungen zur Auf-
rechterhallung der Sicherheit und Ordnung in ihren
Grenzprovinzen getroffen haben, und enthält ein die In-
tegrität des türkiſchen Reiches in jeder Beziehung vor-
aussſeßendes Programm der orientaliſchen Politik der öſter-
reichiſch - ungariſchen Monarchie. Das Zirkular dementirt
auch die über die Haltung Rußlands verbreiteten beun-
ruhigenden Gerüchte und ſpricht hiebei wohl allzu ver-
trauensſelig von der Neutralität Montenegro's, wenn es
ganz ohne Schatten von Mißtrauen verzeichnet, der Fürſt
von Montenegro habe die besſtimmteſte Verſicherung ge-
geben, daß er angesichts des in Dalmatien ausgebroche-
nen Konflikts die vollständigste Neutralität beobachten werde
und diese Gelegenheit benütte, „um sein Mißvergnügen
Denjenigen kundzugeben, die Zweifel an seiner und der
Montenegriner Loyalität zu erheben sich erlaubten.“ Ge-
kränkte Unschuld, Du.
Der Bundesrath der Sch weiz hat beſchloſſen, die
mit den sſüddeutſchen Staaten am 16. Oktober ver-
einbarten Verträge über den Schuyt des literariſchen und
künſtleriſchen Eigenthums, welche sich in ihrem Wortlaute
vollſtändig der über den gleichen Gegenstand zwischen der
Schweiz und dem norddeutſchen Bunde bestehenden Üeber-
einkunft anschließen, der nächſten Bundesverſammlung vor-
zulegen und zur Genehmigung zu empfehlen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 19. Nov. Amtliches.
mann 1. Klasse M. Freih. von Amerongen im General-
ſtab wurde zum Major befördert und Oberſtleutenant
W. Freih. von Stengel vom Armeekorps zur Wahrneh-
mung der Geschäfte des Kommandeurs des JInvalidenkorps
in Schwetzingen kommandirt. Sekondel. Philipp Würten-
berger vom (1) Leib-Grenadier-Regiment, zur Dienſtlei-
ung zur Zeughaus-Direktion kommandirt, tritt in das
Regiment zurück.
. Waldhhut, 17. Novbr. Die Kreisver-
ſammlu ng hat die Berathung des Entwurfs einer
Kranken- und Stlterbkasse vertagt; sie will das Schictſal
des Armengeseßes abwarten. Für Hebung der Landwirth-
ſchaft und des landwirthſchaftlichen Unterrichts wurden
nicht alle vom Ausschusse gestellten Anträge genehmigt.
Bewilligt wurde der für Ausbildung in der Landwirth-
schaft überhaupt geforderte Betrag von 400 fl. ; ferner
die Anforderungen für Hebung des Wieſenbaues und der
Winterſchule. Als Reiſegeld für Zöglinge der Obſtbau-
ſchule wurden 95 fl. genehmigt u. 150 fl., welche als Prämien
an Lehrer, die Obstbau lreiben, verwendet werden ſollen.
Die Gemeinde Erzingen wünſcht den Bau einer Straße
von Erzingen nach Oftringen; die Gemeinden Rheinheim,
Dangſtetten, Küstnach und Bechtersbohl befürworten die
Verlegung der Straßenſteige bei Bechtersbohl und Here
stellung einer feſten Brücke zwischen Rheinheim und Zur-
zach. Beide Gesuche wurden befürwortend an das Mi-
niſterium des Jnnern überwiesen. Der Antrag, zum Be-
huf der Errichtung einer Kreis-Waisenanſtalt den An-
kauf des Gutes Albführen oder des Schlosses Rötheln,
beide im Amtsbezirk Jestetten zu beschließen, wurde ver-
worfen, dagegen ein Verpflegungs-Beitrag von 3521 fl.
für arme, in Familien unterzubringende Kinder bewilligt.
Mit einer Kreisumlage von 2°%1o kr. (statt 4 des Jahres
Haupl-
Hur
N