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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 1 – No. 26 (1. Januar – 31. Januar)
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Y 26.



Organ der deulſchen Volkspartei in



Die „Mannheimer twstetuut. cf uumaqui rewe

, bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr.



d – mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

15 in Mannheim und bei allen Poſftanſtalten.







Eine preußiſche Antwort an Bismarck.

Die Preußen ſind den Südwestdeutschen zu liberal und
sind ihnen um Jahrzehnte voraus. Das hat uns Bis-
marck verkündet. Die Südweſtdeutſchen haben geschwiegen
und – gelacht. Selbſt im Berliner Abgeordnetenhauſe
will man damals ein Kichern vernommen haben. Etwas
später hat Graf Bismark, als in demſelben Hauſe die Rede
auf den Liberalismus in Oeſterreich kam, die Meinung ge-
äußert, daß dieser zwar jünger, aber nicht viel weiter her
ſei, als der preußische. Die Streitfrage hat uns tühl ge-
laſſen; jezt wird ſie von einem Berliner Blatte aufgenom-
men und zu Gunſten Österreichs entschieden. Die ,Volks-
zeitung" ~ wohl ein unverdächtiger Zeuge, da ihr, als auf
dem linken Flügel der Fortſchrittspartei ſtehend, einestheils
Verſtändniß der freiheitlichen Forderungen nicht abzusprechen,
anderntheils, als auch vom Großpreußenthum angefressen,
eine blinde Parteinahme für Oesterreich nicht zur Laſt zu
legen iſt + ſchreibt in ihrer vorgeſtrigen Nummer:

„In Oesterreich ~ Das ist das Charakteriſtiſche unserer
Zuſtände –~® geht man energiſch an den Fortbau der
Staatsreform! Dort, in Wien, exiſtiren ganze Reihen
Gesetze von so gesundem Fundament, daß wir sie fertig
wie ſie ſind dereinſt bei guten Zeiten werden mit bestem
Erfolge kopiren können, um ſsie ſehnell zur Geltung zu
bringen. Es bereitet sich eine ſo merkwürdige Umtehr der
Verhältnisse von ehedem vor, daß wir bei einem Syſtem-
wechſel in Preußen gerade von dorther werden den Fort-
ſchritt einführen können, von wo uns stets der Rücfſchritt
importirt. wurde.

Vir brauchen ein Minister - Verantwortlichkeits : Geset!
Das öſterreichiſche fertig und vollständig und in voller
Geltung darf für uns muſtergiltig sein. Ein besseres ver-
langen wir gar nicht!

Vir brauchen eine endliche Aufhebung der Befugnisse
der Geistlichkeit, Trauungen zu vertdeigern, wenn eite
frühere Che aus richterlichen Gründen geſchieden worden
iſt; in Oesterreich iſt diese Angelegenheit vollständig geord-
net. Will ein Geistlicher eine Trauung, der ſtaatsrechtlich
kein Hinderniß in dem Weg steht, nicht vornehmen, so thut
Dies der Zibilrichter, ohne daß das Brautpaar nöthig hat,
aus seiner Konfejſſion zu treten. Wir streben nach end-
licher Cinführnng der Zivilehe, welche ſchon seit zwanzig
Jahren durch die Verfaſſung verheißen iſt. In Obſterreich
schreitet man auf das gleiche Ziel los, und es iſt Hundert
gegen Eins zu wetten, daß es uns hierin auch muſter-
giltig voranſchreiten und in der Durchführung überflügeln
werde.

Mir streben nach Schulen ohne konfeſſionellen Charak-
ter, ohne Beaufsſichtigung von Geiſtlichen, nach Schulen,
in welchen nur der Religions-Unterricht und sonst kein an-
derer Lehrzweig zur Angelege..heit der Konfession gemacht
wird; in Oesterreich exiſtiren und wirken solche Schulen
ſchon ſeit dem Oktober vorigen Jahres. Die betreffenden
Gesetze ſind rundweg für uns annehmbar.

Wir quälen uns ab mit den Entwürfen über die
Volksſchule und sind froh, ſie zu verwerfen, um nur nicht
in ſchlimmere Lage als die beſtehende zu gerathen, – in
Deſterreich wird jeßt ein Volksſchulgeſez vorbercitet, dessen
Entwurf ſchon muſterhaft iſt und desſen Durchführung
das Beſte erwarten läßt, was wir je gewünſcht haben und
erreichen wollen.

Unſere Preßgeſeßzgebung zu verbessern ßoll „nicht op-
portun“ sein, wie die Redensart seit der unfruchtbaren
neuen Aera lautet, wo man vor lauter „JInopportunität“
ſich selber das Grab gegraben hat. In Oebtterreich sind
die Dinge, um tvelche wir uns vergeblich abmühen, rund-
weg in der glücklichſten Löſung begriffen. Politiſche und
Preßprozeſſe werden den Geſchwornen überwieſen. Das
Geſet hierüber, das möglicherweise noch im dortigen Her-
renhauſe hätte ſcheitern können, hat jetzt die ſichere Aus-
ſicht auf Annahme und Geltung, nachdem ein neuer Pair-
ſchub von liberalen Männern aus der Sphäre des Richter-
ſtandes und der Industriellen den Herren von der reaktio-
nären Sorte den Beweis liefert, daß es der, Regierung
Ernſt sei mit Durchführung liberaler Institutionen.

Was bei uns aus der Kreisordnung wird ~ mag
der licbe Himmel wissen; nur das Cine iſt ſicher, daß
wir uns ganz vergeblich abmühen werden eine ſo geſunde
FUr zu erhalten, wie sie bereits in Oeſfterreich
ich gilt. ;

_ DOisziplinar-Geseße und Kompetenz-Konflikte, wie wir
ſie beſizen, hat Osterreich nicht, sondern die unabyängige
richterliche Entſcheidung gilt nicht bloß über alle Streitig-

keiten des Fiskus gegen Private, ſondern auch in allen
Fällen des Streites über staatsrechtliche Fragen zwischen
Volktsrertretung und Regierung!“ tt

Ganz unbedingt möchten wir, namentlich in Bezug auf
einzelne Geseße, dem Lob der „Volkszeitung“ uns nichi
anschließen; noch weniger aber vermögen wir, in den Chor
Jener einzuſtimmen, die für die öſterreichiſchen Reform-
Bestrebungen und Reform-Erfolge ~ ſei es nun, weil ſie
die Wichtigkeit derselben für die Entwicklung und Gestal-
tung des ganzen Deutschlands unterschätzen, oder weil ſie
eines alten Mißtrauens sich nicht entäußern können ~
nichts Anderes haben, als Geringschätzung und ſpöttelnden
Zweifel. Treffend bemerkt in leßterer Beziehung die „De-
mokratiſche Korreſpondenz“" :

„Es iſt wahrhaft zum Erstaunen, was alles von Wien
aus selbst gcleiſtet wird in der Schwatzmalerei. Die Zuck-
ungen und Stoctungen und Irrungen bei der koloſſalen
Reformarbeit, in der Oeſterreich sich emporringt, beſchäftigen
eine Anzahl publiziſtischer Kleinkrämer und Nergelmeier ſo
unablässig und ausschließlich, daß ihnen gar kein Blick
bleibt für die großen Züge der Bewegung nach vorwärts,
die denn doch kein Mensch von geſunden Sinnen leugnen
kann. Es ist immer die alte Geschichte von Leſſing und
dem Paſtor Göte. Wenn Jener sagte: „es iſt sieben Uhr
vorbei“, so sagte Dieser: „aber es iſt doch noch nicht
Mitternacht“. Genau nach ſelbigen Muſter arbei-
ten jene Kleinkrämer. Wenn die Thatsache iſt: das
Konkordat stirbt ab, so iſt ihre Darſtellung: ja, aber es
wird doch nicht todtgeſchlagen. Wenn die Thatſache iſt:
die Ultramontanen rühren sich, ſo iſt ihre Darstellung: die
Regierung wird mit den Ultramontanen nicht fertig. Wenn
die Thatsache iſt: die Regierung macht wieder einem Kleri-
kalen den Prozeß, so iſt ihre Darſtellung: neues Symptom
von der Renitenz der Kleritalene. Ein Preßprozeß (unsre
Ansicht über Preßprozesſe kennt man) iſt ihnen ein Beweis
dagegen, daß es überhaupt Preßfreiheit giebt; eine Verur-
theilung ein Beweis, daß es mit dem Verfassungsſtaat
nichts iſt, und wenn die Verurtheilung zehnmal der Nies
derſchlag iſt sür die wirklich verfassungsfeindliche Bewegung
der Feudaley oder Klerikalen. „Der Ausgang mit Ungarn
kommt nie zu Stande,“ heißt's heute; morgen iſt er zu
Stande, da g,hält er nicht ein Jahr,“ er hält ein Jahr
und darüber: ,ja freilich, die Ungarn werden ihn nicht
fahren lassen, so sind sie bevorzugt." In der That, wir
machen uns anheiſchig, aus mehr als einem und zwar un-
abhängigen deutschen Blatt den Nachweis zu führen, „daß
nach dem Zeugniß solcher Skribenten seit zwei Jahren kaum
eines der Geseßze zur Annahme und Verkündigung gekom-
men sein kann, die nun ſämmtlich in Kraft und ſegens-
reicher Wirksamkeit ſind. Wir sagen Alles, wenn wir er-
wähnen, daß dieſer Tage sogar Aufhebens gemacht wurde
von dem Halsbande eines Beuſt'ſchen Hundes, weil darauf
die Grafenkrone eingravirt sei!! Das heißt denn doch
wirklich mit der Publiziſtik auf den Hund kommen. . .
Wir denken, es wird noch Geschmack und Einsicht genug
in der deutſchen Preſſe sein, daß der Staatsmann zu Ehren
kommt gegen die Flohfänger, und in unabhängigen Blättern
hoffen wir fortan „seines Geiſtes einen Hauch zu ſpüren“
in einer größeren Erfaſſung der wahrhaft großen Bewegung,
die ſich in der öſterreichiſchen Monarchie vollzieht.“



Politiſche Ueberſicht.

Mannheim, 30. Januar.
* Der mit der Ueberbringung der Konferenzerklä-
rung an die griechiſche Regierung beauftragte Graf Wa-
lewsti iſt vorgeſtern in Athen angekommen: Das ist die
einzige positive Nachricht, welche heute in Bezug auf den
griechiſch-türkiſchen Konflikt vorliegt. An Muthmaßungen
über die zu erwartende Antwort iſt dagegen auch heute
kein Mangel. Die gestrige Nachricht der „Patrie" von
einem Rücktrit des Miniſteriums Bulgaris hat zwar noch

nung der Blitter geht aber dahin, daß man in Athen, wo nach
einer Mittheillng aus Konstantinopel von Rußland
eine versöhnliche Antwort „eifrig“ empfohlen werden ſaoll,
ſich fügen werde. Der ,Ctendard“ hält es für „wahr-
ſcheinlich“, daß Griechenland bei Annahme der Konferenz-
erklärung die Wiederaufnahme der diplomatischen Beziehun-
gen zu der Pforte von ter Zurückziehung der türtiſchen
Ausweiſungsmaßregeln gegen griechiſche Landesangehörige
abhängig machen werde. Auf einen solchen En schluß ſcheint
der Umſtand hinzudeuten, daß die griechiſche Regierung in
ihrer an die Schußgmächte ergangenen Dentſchrift besonders



keine anderweite Bestätigung erhalten: die allgemeine Mri-|Norddeutſchland!

über diese Ausweiſungen, als eine im Frieden unerhörte,
den Grundsätzen des modernen Vöüölkerrechts widerſprechende
Mazßregel, scharfe Klage erhoben hat. Bei der faſt durch-
gängigen Vorausseßzung einer Zuſtimmung Griechenlands
zum Konferenzbeſchluß beschäftigen sich nurzwei Pariser Blätter,
der „Public“ und die „France“, mit der Frage, wie ſich
die Konferenzmächte, wenn der türkiſch-griechiſche Zwist un-
erwarteterweiſe doch zu einem kriegeriſchen Vorgehen führen
ſollte, verhalten würden. Beide Blätter stellen für diesen
Fall die ſtrengſte Neutralität in Aussicht.

Ueber die Rolle Preußens auf der Konferenz
bemerkt die „Zukunft“ : „Betrachten wir die Berichte über
die Vorbesprechungen und über die sechs Sitzungen.
Ach, von Preußen wird gar nichts erwähnt, nichts
Türkenfreundliches, nichts Türkenfeindliches, nicht Russisches,
nichts Unruſsiſchee. Man kennt ziemlich genau die Stel-
lung, die jede Macht auf der Konferenz eingenommen, ihre
Bestrebungen und den Anklang, den sie gefunden. Von
Preußens Theilnahme an den Verhandlungen reden die
ihm ergebenen, wie die ihm feindlichen Organe genau ſo,
als ob Preußen auf der Konferenz überhaupt gar nicht
vertreten gewesen wäre. Hat man auf ſolche Erſcheinungen
hin nicht ein gewiſſes Recht zu der Meinung, daß Europa
denn doch für den erſtaunlichen Machtunterſchied zwiſchen
dem heutigen Preußen und dem von 1856 noch gar ſehr
blind sein muß oder ~ daß die Machterfolge von 1866
in der That mehr trügeriſche als wirkliche waren, indem
ſie Preußen auf der einen Seite zwar etwas verstärkten,
auf der anderen Seite aber iſolirten und dadurch in noch
höherem Maße ſchwächten? Und dann wird die zudring-
liche Neugier vielleicht gar mit der Frage kommen, wofür
denn eigentlich unsere Soldaten 1866 gesiegt haben und
geſtorben sind..

Das preußiſche Abgeordnetenhaus hat die Be-
ſchlagnahme des Vermögens des Königs von Hannover,
soweit solches preußischem Griffe erreichbar iſt, gutgeheißen!
. . . Es war von diesem Hauſe nichts Anderes zu erwar-
ten; daß aber (man vergl. unter Berlin an einer anderen
Stelle dieses Blattes) Graf Bismarck, der Verschwörer von
Biarriz und der Bundesgenosse des Wälſchen, das Wort
„VBerſchwörung mit dem Auslande“ in den Mund zu neh-

Anrufung des Völkerrechtes durch die griecgiſche Regie-
rung.

In dem katholiſchen Steiermark iſt den Gläubigen
durch einen Hirtenbrief ans Herz gelegt worden, keteriſchen
Irrlehrern, wie Ronge u. a., die Höflichkeit eines Grußes
zu verſagen, und im protesſtantiſchen H annover verfällt
man, wie Dieß kürzlich dem Rektor in der oſtfrieſiſchen
Stadt Eſens widerfahren iſt, wegen mangelhaften Kirchen-
beſuchs und Nichttheilnahme am Abendmahl in Unterſuchung.

Deutschland.

BH. Manmnheim, 29. Januar. Wie uns die ,„Heſ-
sische Morgenpost“ berichtet, soll unter den Volksſchulleh-
rern Norddeutschlands ein Verein gegründet werden, der

hilfsbedürftigen Lehrerfamilien es möglich macht, nach Nord-
Amerika auszuwandern. Wir vermögen nicht die Gefühle
zu beschreiben, die diese Nachricht in uns erzeugt. So weit
iſt es alſo mit Deutschlands Lehrern gekommen! Nach
jahrelanger mühevoller Arbeit, nach ſorgenvoll durchlebten
Tagen, nach raſtloſem Streben um Weiterbildung zwingen
ſie – Nahrungssorgen (o ſchreckliches Wort!), das Land zu
verlaſſen, das sie geboren, die Stätte zu meiden, an der
ſie gelehrt, die Heimath zu fliehen, die ihnen und ihren
Lieben theuer war. Man denke ſich an die Stelle eines

solchen Lehrers und Familienvaters gcſett, der heute seinen

Wirkungskreis verläßt, um als geſtandener Mann mit Fa-

milie morgen einen neuen, vielleicht sehr in Frage stehenden

zu suchen. Und Dies geschieht im Jahre des Heils 1869!

Es geschieht in dem uns ſo oft zum Vorbilde hingeſtellten

Wird nicht Herr v. Mühler auch Mit-

glied des Vereins sein? Ebenso wäre es intereſſant, zu er-

fahren, ob unter dem norddeutſchen Offizierkorps ein ähn®

licher Verein besteht oder Veranlaſsung iſt, einen solchen

zu gründen. .'

F Heidelberg, 29. Jan. Die Freude über den
Sieg der Menſchheit, den eben die Cinwohnerſchaft
Mannheims errungen, wird gewiß nirgends wärmer mit-
empfunden als in ihrer Schweſterſstadt. Ciner begrüßt den
Andern hier in der Straße mit der Siegesbotſchaft. Nur
Pietiſten und Jesuiten machen lange Geſichter. Ganz be-
ſonders hat es uns, den Mitgliedern der Volkspartei

?





men wagte, Das iſt.. + nur zu vetrgleicha mit dee


 
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