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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1141

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HManuheim

Organ der deulſchen Yolkspartei in Baden.

Samitag, 27. Novembwver

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Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr.,

Ausnahme der Sonntage und Jefitage
bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der (Expedition 0 1 Nr. 15 in

täglich als Abendblait ausgegeben. —

Der

Abonnementspreis vierteljzätriice &1n Gulden, ohne Voftauſichtas
Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.













IU

Ein gefährlicher Prätendent.
+ Der gefährlichſte Thronbewerber in unf
unruhigen Jahrhundert wäre derjenige, der zu den
Maſſen des Volkes hinträte und ſagte: „Ich beſiße das
Mittel, Euch alle frei zu machen und die Noth des Ar-
men und des Arbeiters zu beſeitigen. Dieſes Mittel iſt
so friedlicher Natur , daß die beſtehende Ordnung und
Geſellſchaft keinen einzigen Augenblick gestört, keine Erfin-
dvug und Produktion gehemmt, kein Menſch ärmer und
nur viele wohlhabender gemacht werden ſollen. Ich ver-
lange zur Durchführung dieser politisch-ſozialen Reform
keine Armee, keine Steuererhöhung, keinerlei Diktatur,
keine Unverantwortlichkeit, sondern lediglich das Recht der
Initiative oder des Geſetzvorſchlags. Gebt mir diesſcs
Recht au! zeht? Jahre ; ſpäter , wenn Alles im richtigen
Zuge iſt, trete ich herzlich gerne zurück , verlange weder
Pension noch Erbfolgerecht, ich will mich wie der gute



| in der jüngsten Zeit kaum von dort vernommen.

| Zweiten Kam mex:





Arzt überflüſſig machen.“
Das wäre eine Kandidatur, vor der jeder „Angeſtammte“"
spurlos verschwinden würde; der Hader zwischen Bour-

goiſie und Proletariat hätte mit Einem Schlage aufgehört

und einstimmig würde das Volk einen solchen Mann an
die Spitze des Staates stellen. Auf die politiſche und
ſoziale Frage begänne die politische und ſoziale Antwort,
und das hochklopfende Herz Europa’'s, welches so mächtig
auf das Gehirn des Erdtheiles zu reagiren beginnt, er-
freute ſich plöglich eines normalen Schlages.

Elin ſolcher Mafkn eriſtirt natürlich nicht und wird
auch nicht exiſtiren. Die Zeit der Offenbarungen ist vor-
über, es fehlt der Glaube. Unser demokratisches Geschlecht
iſt dazu verurtheilt, im Schweiße seines Antlitzes , durch
Iurthümer und Zweifel hindurch, auf Kosten von hundert
Täuſchuugen nd tauſend Umwegen, sich das Heil selbst
zu erobern. In der Demotratie noch weit mehr als
unter jeder andern politiſchen Konstellation iſt der Mann
ſelbſt seines Glückes Schmied.

Louis Napoleon präſentirte sich indessen bekanntlich
mit einer sozialen Penacée, mit einem Büchlein über die

kaner. Er war ſo ſehr Republikaner, daß er die Re-
publik in die Taſche steckte, und ausgerottet hat er vom
Pauperismus bisher nichts als seinen eigenen und den
seiner Schildknappen, die bis zum Dezember 1851 so
ziemlich zum Proletariate gehörten.

Etwas großartiger, ſolider und trotz aller Enttäu-
ſchungen gefährlicher, kandidirt soeben der Graf von
Paris vor Frankreich und Europa. Das engliſche Par-
lament hatte eine soziale Kommission ernannt zur Anfer-
tigung einer eingehend ſten Statiſtik über Ar-
beits- und Lohnverhältni sse. Diese Konmisſſion
hat mit ächt engliſcher Genauigkeit 22,000 Fragen aufge-
worfen und sich ſelbſt 22,000 Antworten geholt. Sie iſt
hinabgeſtiegen in die kleinſten Einzelheiten der Arbeitswelt
und der Arbeits- und Lohnverhältniſſe und hat Alles
gebraucht, was namentlich im Bereiche der Trades-Unions
oder Gewerksvereine nur zu erforſchen und zu erfahren
war. Das Resultat dieser humanen und gründlichen
Arbeit liegt in 10 Foliobänden vor.

Aber 10 Joliobände zu studiren, ist lange nicht Jeder-
manns Sache und ſelbſt beim besſtenWillen reicht die Zeit
von Einem auf Hunderttauſend nicht hin, sich in ein
solches Studium zu vertiefen. Wer gibt uns einen ge-
drängten, wahrhaften Auszug , wer konzentrirt die 10
Foliobände auf einen handlichen Oktavband? Wer popu-
lariſiit das unſschäßbare Produkt engliſchen Eifers und
engliſcher Gewiſſenhaſtigkeit ?

Wer? Niemand anders als der Graf von Paris
der Sohn des Herzogs von Orleans und der medlenbur:
giſchen Helene, der Enkel Louis Philipps, der Kronpräten-
ss; ft Ftetteeih, der Nebenbuhler des „Kindes von

rankreich!“

Der Graf von Paris iſt unter die Sozialisten ge-
gaugen. Wenn die republikanische Partei noch lange so
forthadert und fortschwäßt, wenn in Paris nichts Ge-



]

| welches die Arbeits- und Lohnfrage nicht poſitiv zu hand-
joten. 1 haben den Willen und das Zeug hat.

Phrasen thun’'s nicht mehr, Anderes aber haben qir |
Der |
Graf von Paris ift nicht im Beſiße der Panac6se, aber |
die Maſſen könnten’'s glauben. ~ Sein interessantes Buch |
iſt übrigens auch in Berlin d e u tſch erſchienen, j

Badiſcher Landtag.
* Karlsruhe, 25. Nov. 26. Sitzung der

Diskuſſion des Berichtes des Abg. Näf über Aende-
rung einiger Verfaſſungsbeſtimmungen. Derſelbe bean-
tragt : den von der Erſten Kammer beſchloſſenen Zusatz- |
artikel zu streichen.

Abg. T urban: Die Kommission glaubt, durch die
von der Erſten Kammer beliebte Faſſung des § 15 werde
den Grundherrn ein doppeltes politiſches Recht eingeräumt;
bei der Universitätsprofeſſoren und den 8 vom Großherzog

| ernannten Mitgliedern der Erſten Kammer iſt dieß auch
| der Fall. Nach Reorganisation der Erſten Kammer wür-

den Großgrundbesiter auch in die Erſte Kammer kommen,
dabei ihr aktives Wahlrecht zur Zweiten Kammer daneben
ausüben. Zur Zeit, als die Verfaſſung orlaſſen wurde,
hatten die Grundherrn eine große Zahl von Ver-
rechten und waren aus demſelben Grund ausgeschloſſen,
wie jezt die Bezirksbeamten. Jene Schrank n ſind aber
gefallen. Die Zweite Kammer umfaßt alle Staatsbürger,
soll Niemanden ausschließen, und die Grundherrn, die
auf ihre seitherigen Sonderrechte verzichten, am wenigsten.
Die Zweite Kammer solle den Zuſatartikel genehmigen.

Abg. Kölle unterſtißt den auf Annahme der Faſ-
sung der Erſten Kammer gerichteten Antrag; ebenso
Staatsminister J oll y und

Abg. v. Fe d er. Dieser bemertt, daß in der Ver-
fas ungsfrage die Erſte Kammer einen freieren Stand-

| punkt als die Zweite eingenommen habe. Man hat zu



ſcheidteres herauskommt, als die Wahl Rocheforts, der
doch politiſch unter den Strich gehört, so könnte derGraf
von Paris leicht einen Strich durch die republikanische
Rechnung machen. Denn es ſtockt in Frankreich die Be- |

[ Eigenschaften des reichsſtändiſchen alten Adels ,

fragen, was im Intereſſe des Volkes liege. Nachdem ſo
viele Schranken gefallen sind, muß auch diese fallen, denn

„Ausrottung des Pauperismus“ und als ächter Republi- | das Volk wünſcht, möglichſt große Wahl zu haben. Das

Staatsintereſſe iſt zwar nicht ganz eminent, aber jeden-
falls ist es der Liberalität nicht entgegen, die Grundherren
zu gemeinsamer Arbeit heranzuziehen.

Abg. Baumstar kt: Auch nach seiner Ansicht gibt
es keinen Grund, die Grundherren ferne zu halten. Nur
als Großgrundbesitzer wird der Adel noch besondere Rechte
haben. Parteilichkeit leitet uns nicht, denn viele Grund-
herren theilen unsere Ansicht nicht; doch erkennen wir
die Vortrefflichkeit auch solcher an. Wir haben die Ver-
anlaſſung in dem von der Erſten Kammer gewünſchten
Entgegenkommen einen erſten Schritt zur erſtrebten Reor-
ganisation zu sehen.

Abg. Kiefer: vermißt in Turbans Ausführung
eine sichere poſittve Grundlage. Geboten iſt die Aende-
rung nicht; die Standesversſchiedenheit bildet noch heute
öffentliches Recht und es entſpucht nicht dem demoktrati-
ſchen Gleichheitsprinzip, die bevorrechtete Stellung des
Adels zu verſtärken. Ich leugne durchaus den Patrio-
tismus des anderen Hauſes nicht; gewiß wird es nie den
Forderungen des Volkes entgegenſtehen. Antizipiren ſoll
man aber in einer ſolchen Kleinigkeit nicht. Er paßt
nicht zu der uns hier vorliegenden Aufgabe. Mein Stand-
punkt ist der der Kommission.

Abg. Mühl h äuß er ſehließt sich Turban an. Es
handelt sich nicht darum, den Gru ndherrn eine Ver-
tretung in dieſem Haus zu verſchaffen, ſondern um ein
Recht des Wählers auf einen g ößeren Wahlkreis. Cine
Kombpenſation durch die Verstärkung konservativer Inte-
reſſen iſt am Platze. Diese Schranke muß fallen.

Abg. v. Gulat will Kiefer noch neue Gründe nen-
nen, da er geſagt hat, daß er ſich dann andeis ent-
ſchließen könne. Wenn hier ein Privilegium vorliegt , iſt
es ein Privilegium der Wähler. Die 8 Grundherrn ſind |
von jeder paſſiven Wählbaikeit in die Zweite Kammer
ausgeſchloſſen, nachdem ſie für die Erſte Kammer ange-
nommen haben. Wohlhl liegt der Schwerpuukt auf den
aber diese

Leute waren doch Grundbeſiter. Weinpatent und Zenſus
. ſind gefallen; das dirette Wahlrecht wird noch Anderes

zum Wegfall bringen. Man ſoll z. B. auch seinen Ober-

wegung nur deßhalb, weil die Bewegungspartei um die | amtmann ſchicken tönnen. Doppelvertretung läßt ſich doch

ſoziale Frage herumgeht wie die Kaße um den heißen nicht vöttig beſeitigen.





Grundherrn können ja auch vom

Brei. Es sieht aber geschrieben, daß in unserer induſtriel. Landesherrn und Universitäten gewählt werden.

len Welt kein Regime auf Dauer Anspruch machen darf, |

Abg. H eilig wünſcht gleichmäßige Vertheilung der !

öffenlichen Laſten; darum wünſcht er auch Gleichheit de

öffentlichen Rechte.

Abg. Winter iſt zu anderem Resultat ‘als Gulat
gekommen. Die Grundherrn findet er sehr privilegirt.
Sie wählen /s der Erſten Kammer uind zwar können
dieses wieder nur Grundherren sein. Der Landesherr
wählt ohne Beschränkung, und ebenso brauchen die Uni-

| verſitäten nicht allein Profeſſoten zu wählen. Unter allen

Umständen müſſen 8 Mitglieder der Erſten Kammer adelig

| sein. Wir branchen kein Unrecht gut zu machen, denn

wir sind die Ursache der Ungleichheit nicht. Ich fürchte
nicht Feinde unserer Sache zu bekommen , doch soll man
auf die Aenderung des andern Hauſes warten.

Abg. K uſel: So lang die Grundherrn ein Priviler
gium in Erſter Kammer haben , beſißen ſie kein Rechts-
anſpruch auf Wählbarkeit in die Zweite Kammer.

Abg. Bau mſtart ſtellt das Amendement auf Tar-
bans Antrag : Man ſoll sagen: „Niemand kann Mit-
glied beider Kammern ſein."

Abg. Jolly iſt entſchieden gegen Baumſtarks Mei-
nung, wünscht aber Gestattung des aktiven Wahlrechts
für Grundherren. Entgegenkommen iſt doch nöthig. Die
paſſive Wählbarkeit kann man etwa noch b.schränken, so
sehr die Annahme von Turbans Antrag zu wünſchen
wäre.

Abg. Huf fs < mid : Das Entgegenkommen können
wir später in viel kräſtigerer Weiſe bethätigen, doch laſjen
wir zuerſt die Schranken fallen, die jetzt noch beſtehen.
Die konservativen Elemente gehören besonders in die
erſte Kammer. Das Privilegium iſt ein Standesprivile-
gium. Das wichtigſte der adeligen Vorrechte iſt das des
untheilbaren und unzugreifbaren Grundbesitzers. So
lange solche Privilegien vorhanden sind, bestehen auch
Standesintereſſen. Auch sind die Chancen der Wahl
größer in Erster Kammer. Zuerst Verzicht auf das Pri-
vilegium, dann erst Ertheilung weiterer Rechte.

Abg. Ki ef er iſt durch den Abg. v. Gulat nicht
bekehrt. Nur das wurde geſagt, daß die 8 Grundherrn
von 160 Wählern gewählt werden. Bei Zollparlaments-
wahlen waren es 180,000 Wähler. Grundherren und
deren Beamte haben große Bedeutung, die man nicht
zu verſtärken, und Privilegien noch privilegirter zu
machen brauche. Das andere Haus wird uns verſtehen,
wenn wir nicht auf Turbans Antrag eingehen. Entſcheiden
wir nach den Grundsätzen des bestehenden Rechts. Auch
in England fügte man immer mehr demotratiſche Prin-
zipien in die Verfaſſung, doch läßt man den Adel auch
dort nicht ins Unterhaus.

Abg. Roß h irt iſt mit dem Bericht nicht ganz ein-
verſtanden und glaubt, der Staalsminister hätte einen
Vorschlag machen sollen. Wir wollen möglichst allge-
meines aktives und paſſives Wahlrecht. Edle, hoche und
freiſinnige Männer hat der Adel ſchon viele aufgewieſen.
In England dürfen wenigstens die nachgeborenen Söhre
von Peers ins Unterhaus kommen. Dem Abg. v. Feder
wurde früher gesagt: die Kammer habe die Initiative
noch nicht, die erſte nahm sie sich. Mögen wir bald in
den Besitz der Jnitiative kommen, denn dringende Fragen
stehen uns bevor.

Abg. Eckha r d iſt für den Kommissionsantrag; lheilt

auch im Allgemeinen Roßhirts Wünſche auf Initiatwe.

Die Sache ſelbſt hat aber eine rechtliche und eine poli-
tische Seite. Ich theile in Bezug auf die erſte Kuſcls
Ansicht.

Die von uns immer unterſlütte Reorganiſation des
anderen Hauſes muß vorangehen; doch will ich damit
nicht als unfreundlich gegen die Erſte Kammer erſcheinen.
Heiligs Grund iſt einmal nicht haltbar, dann aber auch
ſur diese große Sache zu klein. Der auf die Grund-
herren bei Theilung der Zahl von 160 mit 68 fallende
Stimmentheil iſt nur zu klein. Faſt jeder meiner
Herren Gegner (Mühlhäußer, Bauniſtark, v. Feder) hat
meiner Anſicht nach schon einen ganz bestimmten Mann
vor sich.

t v. Feder macht den Vorſchlag, den Grund-
herren nicht das aktive Wahlrccht, sondern die paſſive
Wählbarkeit zu geben, wenn nian einen Vergleich «in-
gehen wolle.

Abg. Le nder: Gegen den Kommiſssionsantrag.

Abg. La me y stimmt für den Nommiſsionsantrag;
man könne die jetzige Beſtimmung des § 35 nicht ohne
eine größere Reform autheben.

Nachdem ter Abgeordnete Näf als Brrichtaf atter
nochmals dcn Kommiſsionsantrag vertheitigt hatte, wurden


 
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