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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 1 – No. 26 (1. Januar – 31. Januar)
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" Rechte . . .

F 23.



Organ der deulſchen

Donnerſtag, 28. Januar.



Volksp

arlei in 1



Z
s

aden.



Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage täg
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr.

lich als Abendblatt ausgegeben. –~ D

, bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition CQ 1 Nr.

er Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.





Ein klein Stück ſoziale Frage.

D, C. Es ſpielt ſich täglich vor Hunderten und Tau-
ſenden ab, das Stück soziale Frage, welches wir meinen;
es drängt sich den Blicken und der Unterſuchung eines

Jeden auf, der sehen und hören will; es läßt ſich ergrün-
den mit ein Paar Fragen, die man zum bloßen Zeitver-
Wir sprechen von
der Stellung der Eiſenbahnbeamten, die den Dienst im
Freien haben, der Lokomotivführer, Heiter, Schaffner,

treib stellt ~ auf einer Spazierfahrt.

Bahnwärter, Weichenſteller.

Kürzlich hat sich der Abgeordnete Becker in Berlin das
Verdienst erworben, die Beseitigung einer so greulichen Un-
menſchlichkeit anzuregen und durchzuſeßzen, daß man nach-
iräglich kaum begreift, wie sie in unseren Tagen hat auf-
kommen und ſich halten können, ~ die Beseitigung des
ſchamloſen Mißbrauchs, daß Ciſenbahngeſellſchaften diejeni-
gen ihrer Beamlen, die am Häufigsten Unglücksfällen aus-

geſezt ſind, nur unter der Bedingung anſtellten, daß dieſe
vertragsmäßig auf die ihnen bei solchen Unglücksfällen ge-
ſetlich zuſtehenden Entſchädigungsansprüche verzichteten.
Dergleichen Vertragsbeſtimmungen sind fortan gesetllich un-
giltigz. Cs war Zeit, dieſer ausgesucht ſchnöden Manier,
das Crwerbsbedürfniß fleißiger Menſchen so auszubeuten,
daß sie eintretenden Falles geradezu an den Bettelſtab kom-
men, ein Ende zu machen; und nichts als billig und
menſchlich wäre es, wenn der Staat mit ausreichender Ent-
ſchädigung nachträglich auch Denen hülfe, für die er
versäumt hat, bei Zeiten eillzutreten, die er unterlassen
hat, gegen eine abgefeimte und wahrſcheinlich böswillige
Umgehung seines Geseßes zu ſchüteen, da er doch tie Pflicht
hatte, die CEiſenbahngeſellſchasften, die nur durch seine Kon-
zeſſion beſtehen, zum Respekt gegen das geschriebene Geset
zu zwingen, wenn sie das ungeſchriebene Geſeßz, der
Menſdchlichkeit nicht kannten, nicht achteten. Bedenkt man
dabei, wie fireng die Verantwortung der Beamten eintreten-

den Jalles zu ihren Ungunslen genommen wird, und be-
denit man ferner, taß es ſich zur ehrlichen Crfüllung der
Vorſehriſten des Gescßes ſehr wahrscheinlich nur um Sum-
men handelte, die ſür den Etat einer Ciſenbahngeſellſchaft
gering sind, die in der Tibitende vielleicht noch nicht ein-
mal ein Viertelprozent beiragen, so kann nur die Rückſicht,
daß man abgettane Sünten lieber abgethan sein läßt, von

einem weitern Wort verdienter Verdan mung zurückhalten.
Cs bleibt aber Pflicht der Preſſe, die Augen offcn zu hal-

ten und rückhalilos aufzudecen, was sie an ähnlichen

Mißbräuchen, nein Unlhaten, findet. Nicht bloß um einen

Akt der Menſgthlichkeit handelt es sich dabei, obſckon Tas
allein ausruickender Grund zur Machsſamkeit wäre; hier gilt
es, einen böſen Keim zu böser Jrucht vernichten. Tenn

wo Solches geſchieht, da darf man ſich freilich nicht wun-

dern, wenn in den Herzen der „Arkteiter“ die bitterſten

Cmpfindungen ſich feslſeßen gegen das ausbeutende Kapital;
da iſt vielmehr zu verwundern, daß das beleidigte, das

entwürdigte Menſekcngeſühl sich nicht längſt zu Ausbrüchen

hat hinreißen laſſer, die, in ihrer Form beklagenswerth, ja
ſlraſbar, in ihrem ſittlid en Erunte toch unendlich achtungs-

werther wären, als die Raſfinir: heit Derer, welche menſch-

liches und göttliches Gesch zu umgehen und zu verletzen

. förmlich ausklügeln wegen ~ ein Paar Groſchen. Auf dcr

einen Seite ein erſpartes, ein ergaunertes Viertelprozent:

auf der andern Lerttüppelung, Atrbeitsunfähigkeit, Ruin des

Einzelnen, Ruin einer Tamilie, das Unglück des fleißigen

Damilienraters fortwirkend zum Clend auf Jahre hinaus

~ walhuüaſtig, unſer Kriminalgeset, hat eine Lücke!

Noch mitten in ter Freude über den von Becker in
Berlin erſcchtenen Sieg leſen wir eine Notiz von demſelben
Gebiete tes Ciſct balntict (s, die nur zu ſehr in unseren

Gedankengang paßt.

Stunden in Tiensſt befurt en hat.

an deren genaucr Verrichtung das Leben von so und so
vicl Menſcken hängt. Und wenn nach dreißigstündigem
Dienſt ein Unglück geschieht, dann macht man den er-
ſchépften Beamten verantwortlich und stellt ihn vor Ge-
richt. Die Verwaltung müßte vor Gericht, Das wäre das

Von dem einzelnen Fall abgesehen: in Ländern, wie
Baden, missen die Ciſenbahnen möglichst viel Geld ein-
bringen. Die Politit Beyer bedarf viel Geld. Die Ber-
liner Anforderungen sind gar koſlbar. Da wird denn ge-
ſpart bei Allem, außer beim lieblichen Kriegsheer; da wird

; Ta iſt in Mannheim bei einem
Prozeß wegen eines Zuſan mcnsioßes zweier Züge ermittelt
worden, daß der hetrcfſer de Hucmeiſter sich mehr als dreißig
| ; Bei dreißigstündigem
Tienſt alſo fordert man vcn tem Beamten eine Leiſlung,

in der Zahl der Eiſenbahnbeamten möglichſt geknauſert,
und die angestellt ſind, müſſen Dienſt thun bis zur Er
ſchöpfung. Aehnlich bei den ſachlichen Ausgaben. Wer
einmal in Appenweier, wo die westöstlichen Züge zu den
südnördlichen stoßen, bei Sonnengluth oder Regen auf

hat warten ſehen bei allem Wind und Wetter, Der vergißt
so bald nicht, daß die Antwort, warum denn keine Schuh-
halle da sei, schon seit lange lautet: dazu iſt kein Geld da. Und
wer in Heidelberg und Mannheim das Getrceibe mit dem
koloſſalen Verkehr auf dem eingepreßten Bahnhof gesehen
hat, der eines Umbaues ſchon seit Jahren bedarf, Der be-
hält auch im Gedächtniß, daß „dazu“ kein Geld da ist.

welcher Mensch etwa zu Schaden kommt, Der ist groß
preußiſcher Invalide. Nur daß der großpreußiſche Militär-
ſtaat eine Pension nicht zahlt. Bei Leibe nicht! Das
haßt er.

Genug.
Beher-Jolly, in Deutſchland Zollern. Es ruht sicher und
warm unter des großpreußiſchen Adlers mächtigem Fittig
~ sub umbra alarum tuarum!

Politiſche Ueberſicht.

Dies Stück soziale Frage heißt in Baden



Mannheim, 27. Januar.

* Ueber die Aufnahme, welche der Konferenzbeſchluß
bei dem griechiſchen Kabinet gefunden, kreuzen ſich noch
immer die widerſbrechendſten Gerüchte. Den Ungeduldigen,
die durchaus etwas wissen wollen, wird vom geſtrigen fran-
zöſiſchen „Amtsblatt“ ein Verweis ertheilt, indem es daran
erinnert, daß der Ueberbringer der Konferenzerklärung noch
nicht einmal in Athen, eine Rückantwort von da ; alſo um
so wen’ger in Paris eingelroffen sein könne. Was auch
wir, amtlichen Belehrungen stets zugänglich, uns gesagt sein
laſſen wollen. Und Das um ſo geduldiger, als ſelbſt die
ergebenſte Annahme des Konferenzbeſchluſſes durch die grie-
chiſche Regierung jcnes Mißtrauen nicht beseitigt, welchem
der alle Saß : „graeca fldes – nulla fides“ („griechische
Treue ~ keine Treue") einen so bezeichnenden Ausdruck
gegeben hat.

Aus Sp a ni en kommt auf dem Umweg über Lon-
don die Nachricht, daß nach einem in Madrid verbreiteten

und daß man den Ausbruch eines Zwiſtes unter den Mit-
gliedern der provisſoriſchen Regierung und in Jolge Dessen
eine „plötßliche Veränderung“ besorge. Dem Nuntius eine
glückliche Reiſe! Was nill er auch noch in dem gottloſen
Lande, das sich ſogar mit Klöſteraufhebung abgibt. Auf
den zw:iten Theil der Nachricht hat bereits eine Madrider
Korrespondenz der „Liberte“" vorbereitet, wonach unter Zu-
stimmnng und Anschluß Prim’'s und Rivero’'s eine große
Zahl von Republikanern, wie von Demokraten und Pro-
greſsiſten sich vereinigt haben, um Vorsorge zu treffen, daß
die Nation nicht um die Früchte ihrer Crhebung betrogen
werde. Trügen nicht alle Zeichen, so iſt die Ruhe in
Spanien, von der die Berichte der letzten Tage ſprachen,
nur die Windstille, die dem Sturm vorausgeht. Utber die
gestern gemeldete Mordthat in Burgos liegt heute eine et-
was aussührlichere telegraphiſche Depesche vor, welche auf
religiöſen Fanatismus als Ursache des Mordes hinzuweisen
scheint. Die Depesche lautet: „Der Zivil-Gouverneur in
Burgos iſt ermordet worden, als er im Begriffe war, ein
Inventar der Archive der Kalhedrale, erhaltenen Weiſungen
zuſolge, anzufertigen. Das Verbrechen hat große Entrüstung
hervorgerufen. Die Freiwilligen der Freiheit haben ſich
sofort zur Verfügung der Obrigkeit gestellt, die bürgerlichen
Behörden ihre Befugniſſe in die Hände der Militärbehörden
niedergelegt. Die richterliche Untersuchung hat begonnen
und mehrere Verhaftungen ſind vorgenommen worden.“
Der gesetzgebende Körper Frankre ich s hat seine Un-
terhänigkeit unter den Regierungswillen neuerdings bethä-
tigt. Die Interpellation des Abg. Jules Simon über die
Vorfälle auf der Neunions-Inſel ist in der gestrigen Si-
tung dem Verlangen des Marineminiſters entſprechend durch
einfachen Ucbergang zur Tagesordnung begraben worden.
Liegen doch auch die bei diesen Vorfällen Erschoſſenen im
Sarge! Und der Kaiser liebt es nicht, die Geister herauf-
zubeſchwören. Ganz besonders nicht Die vom 2. Dezember.
Cr beschäftigt sich ~ wie ein meistens gut unterrichteter
Pariser Korreſpondent demBerner „Bund“ ſchreibk ~ gegen-
wärtig mit dem Gedanken, eine Geschichte des 2. Dezembers



offenem Perron hat warten müſſen, Frauen und Kinder

So freilich erküren sich die dreißig Dienstſtuuden und was
sſonſt dahin gehört. Sind ja blos Ziviliſten! Was an
Schaden entſteht, ſchreiblt's auf Berliner Rechnung, und

Gerüchte der päpſtliche Nuntius das Land verlassen wolle

zu schreiben, die ihn „vor der Rachwelt rechtfertigen ſoll,
die militäriſchen Oherationen des Staatsſtreichs, der Hin-
richtungen und Deportationen aber unerwähnt "l aſſen“
wird. Das Werk soll, nach den Angaben des erwähnten
Gewährsmannes, ,hauptſächlich die Geschichte, vielleicht die
geheime Geschichte seiner Präſidentſchaft und seine Reihun-
gen mit der Nationalverſammlung enthalten und daraus
die logiſche Nothwendigkeit des Staatsſtreichs beweiſen!“ . .

In Portugal, wo in Folge der Kortesauflöſung neue
Watlen bevorſtehen, iſt ein neues Agitationsmittel zu Het-
beiführung „guter“ Wahlen aufgekommen. Der König
hat der Staatskaſſe einen Theil seiner Zivilliſte abgetreten.
Das wäre auch anderer Orten nicht übel: die Erſcheinung
iſt aber nicht ansteckender Natur.

Die Konkordatsfreunde in und außer Oeſterreich mö-
gen trauern. Der oberſte Gerichtshof in Wien hat den
Artikel 14 des Konkordates, welcher von den Biſchöfen und
Erzbiſchöfen des Kaiserreiches bisher als ein Wall betrach-
tet wurde, der sie dem Arme des bürgerlichen Geseßes un-
nahbar mache, als hinfällig erklärt. Hinfüro werden die
hohen geistlichen Würdenträger ebenſo und tvegen derselben
Handlungen gerichtlich verfolgt werden können, wie bisher
~ leider oft im Uebermaß + die anderen Menſchenkinder,
die keinen Biſchofsring an den Fingern tragen. Nachdem
durch die Schul- und konfessionellen Geſeze die gemein-
ſchädlichſten Auswüchſe des Konkordatsbaumes bereits be-
ſeitigt waren, ist diesem durch den jetzigen Gerichtsſpruch
abermals ein giftiger Aſt abgeschlagen worden. Die Kon-
kordatsfreunde mögen mit allem Recht nun im bitterſten
Klageton jammern: „Fallen ſeh’ ich Zweig auf Zweig“:

Bälde der ganze Baum mit Stumpf und Stiel gefällt
Uh ut geworfen werden, wohin er gehört ~ zum



Deutſchland.
L. Mannheim, 27. Jan. In dem Streite „ob
Kommunalſchulen, ob Konfeſſionsſchulen
erlaube ich mir, meine Meinung] kurz und bündig auszu-
drücken:

1) Was iſt eine Volksſchule? Antwort: eine Schule
für das Volk. Aus was beſteht das deutſche Volk? Aus
Katholiken, Proteſtanten, Juden. Was ist also eine deutſche
Volksschule? Cine Schule, welche von Katholiken, Pro-
teſtanten und Juden besucht wird, alſo von ſämmtlichen
Mitgliedern der Gemeinde, der Kommune, alſo eine Kom-
munalſschule! ,

j ple! sind Konfessionsſchulen? Antwort: Schulen
für die Konfessionen. Wie so entſtanden die Konfessionen?
Durch Streitigkeiten über nicht zu bezeichnende Religions-
punkte. Was entslanden durch die Konfeſſionoa?n” Die
Kirchenspaltungen, die Setlen. Was sind also Konfessions-
schulen? Antwort: Kirchenſchulen.

3] Was thut die Kommunalschule? Antwort: ſie
vereint die durch die Konfeſſion getrennten zutkünsſtigen
Bürger des Staats durch die Bande der Freundſchaft und
der geiſtigen Bildung.

4) Was thut die Konfesſſionsſchule? Sie errichtet
schon in frühester Jugend den Kindern Scheidewände, die
während des ganzen Lebens kaum vollsländig niederzu-
reißen sind.

j h yr. nützt die Kommunalſchule? Dem deutschen
Staate und der Menſchheit!

6) Wem nützt die Konfesſionsſchule? Rom und der
Prieſterſchaſt. ~ Wähttlet! ; ;

* Mannheim, 27. Jan. Die „Offenburger
wollen eine lithographirle Korrespondenz herausgeben. Wir
ſind neugierig, der liberal-nationalen Konsequenz im „Ueber-
druck“ zu begegnen. – In Waldshut hat die am Sonn-
tag „wegen Gründung des liberalen Landesvereins“ abge-
haltene „kleinere, aber für Jedermann zugängliche" Ver-
sammlung einen kurioſen Verlauf genommen. Herr
Hebting erläuterte das Offenburger Programm. Hierauf
erklärte der Ausſchuß des „Vereins für gemeinnützige In-
tereſſen“, daß der mit dem Programme der Offenburger
„vollkommen“ einverſtandene Ausschuß „lediglich aus Grün-
den der Thunlichkeit, in Berücksichtigung des einmal bei
einer Mehrzahl seiner Mitglieder vorhandenen Mißtrauens
gegen die Beweggründe der Offenburger Beſtrebungen,
ohne den Beſtand des Vereins ſelbſt zu ſchädigen, zur
Zeit den Cintritt in den liberalen Landesverein nicht zu
befürworten im Stande, dagegen aber zur Unterſtügzung
der Offenburger Bestrebungen im gegebenen Falle nach
jeweiliger Prüfung und vorbehaltlich der Zuſtimmung der



ſind die Zweige einmal alle gefallen, dann wird in


 
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