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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 51 - No. 75 (2. März - 31. März)
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Freitag, 26. Märgz.











F. 72.



Organ der deulſchen Volkspartei in B







aden.





Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen bei der Expedition CQ 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.







Morgen erſdcheint kein Blatt.

Graf Ueberall.

D. Q. Vom dpreußiſchen Volke noch zu sprechen, muß
man so unbefangen und wohlwollend sein, wie wir. Von
der preußiſchen Volksvertretung noch zu ſprechen, erfordert
eine böotiſche Gutmüthigkeit, die kaum Jemand priäſtiren
zu können scheint, und Das iſt ein recht erfreuliches Pfand
für den im Stillen anwachsenden Verſtand der Nation.
Was aber ziemlich auffallend iſt für die preußiſchen Dinge,
von König Wilhelm ſpricht man auch ka um
me hr. In der öffentlichen Diskussion Curopa's iſt
er wie verſchwunden hinter seinem Miniſter. In Preußen
und im nvrddeutſchen Bund iſt Graf Bismarck Alles. Er
weiß es auch. Vorüber ſind die Zeiten der erſten Liebe,
wo nichts als König Wilhelms Namen auf seinen Lippen
war. Wie klang Dos früher! „Seine Majestät hat die
Gnade, meine Ansicht zu hören“ oder „die Könige von
Preußen sind. ihre eigenen Miniſter des Auswärtigen“, von
der Reorganiſation als „des Königs eigenſtem Werk“ ganz
zu schweigen. Jett nichts mehr davon. Schon längſt nicht.
Manteuffel in die Luft geſprengt, Roon bei Seite geſchoben,
Usedom wie weggeblasen, bei jeder Gelegenheit schmollender
Rückzug nach Varzin, wahrlich, thatſächliche Beweiſe genug
für einen miniſteriellen Absolutismus ohne Gleichen. Auch
in ſeinen Worten macht Graf Bismarck Teſſen kein Hehl.
„Drängen Sie mich nicht“ ~ /,Legen Sie mir nicht



den Zwang auf!“ –~ „me ine Politik" -–~ „meine Er-
folge" ~ es klingt beinahe etwas durch wie das bekannte
„Ich und mein König“, und in der That bezeichnen diese
Worte vollkommen den Stand der Dinge. Wir sind ſchon
gefaßt, auf dieses sein Verhältniß zum König nachſtens
einen jener der Reitbahn entlehnten Vergleiche angewendet
j ssc die so ſehr im Geiſte des märtiſch-pommersſchen
jzrafen ſind.

Hand in Hand mit der Allmacht im Innern geht
eine Allgegenwart des Grafen Bismarck außerhalb Preußens,
wie ſie ähnlich bei keinem Silerblichen sonſt ſtattfindet.
Für das außerpreußiſche Deutſchland iſt Graf Bismark
der vertörperte Preßprozeß. Von Josias Plüskow in Meck-
lenburg über Dresden bis nach Darmſtadt, Stutgart,
München zieht sich eine Kette prozesſſualiſcher Memento's,
deren Träger seine Agenten ſind. Das ist so ſeine Art,
die vielfach mißverſtandene Lehre von, den moralischen Er-
oberungen allen Deutschen klarzumachen; er läßt Nieman-
den im Zweifel, daß die National-Liberalen ihn in dem
einen Punkte durchaus richtig begriffen haben: die Einheit,
die er bringt, iſt von keiner Freiheit verunstaltet. Oeſter-
reich iſt bis jetzt verſchont geblieben; dort führt man ſeine
Stöße, auch die ins Herz, auf andere Weiſe. Auch die
müctſicht, allmählich alle deutſchen Richter an preßhaſte
Verurtheilungen zu gewöhnen, braucht man dort nicht zu
nehmen; der Preßprozeß iſt leider ſo ſchon heimisch.

In ihrer vollen Pracht indeß zeigt sich die Allgegen-
wart des preußiſchen Premier auf dem Gebiet der eigent-
lich großen Politik. Cs iſt gar nicht zu sagen, was er
da leiſte. In Rumänien, in Ungarn, in GCzechien, in
Belgien, bald als Publiziſt und Maezen von ,Korrespon-
denzen“ u..d „Monatsſchriften“, bald als Reptilienjäger an
der Spißze ~ ,wie sehr's ihm auch die Seele ſchaudernd
mag empören“ ~ einer Spionage, bald als Intereſſent an
Wahlen von Volksvertretern und (je nachdem) Kronenträgern
~ er iſt üverall. Wasgerrückt iſt von Andern; er drückt's
an's Herz, wie umgekehrt, was er am Herzen hat, ſich ge-
drückt fühlt o h n e Andere. Heute karreſſirt er die Czechen
gegen die Deutſchen in Oesterreich, morgen die Ungarn in
Bauſch und Bogen gegen Cisleithanien , dann die Deat-
Partei gegen Beuſt, endlich die Linke gegen die Deak-Partei.
Bald werden die Rumänen verſehen mit Kanonen und
ſonstigem Ackergeräth, und gloriösſe Drommetenklänge vom
daco-rumäniſchen Reich berau chen ihr Ot.r; bald wieder
lehrt er ſie artig sein und „wiegt ſie zwiſchen Ernſt und
Spiele auf ſchwanker Leiter der Gefühle.!" Mit Rußland
hält er eine gute Freundschaft, von der man in Polen zu
erzählen weiß und an der preupiſch-ruſſiſchen Gränze nicht
minder ; gleichzeitig geht seine bewundernde Anerkennung

über's Meer zu dem Republikaner Grant, der die Neger

humaniſirt, ſtatt ſie zu brutaliſiren, der ſein Vatertand mit
vermehrter Freiheit neu geeinigt hat , statt es zu zertheilen,
und der zu uns herüber das troſtreiche Wort gesprochen,
î die ſchlagendſte Widerlegung der Zollern - Politik ſei ihre
Durchführung.

In der That, wir wüßten in vielen Jahrzehnten keinen
Staatsmann von einer ſo ſeltſamen Vielgeſchaſtigteit wie

den Grafen Ueberall: ſie umfaßt großk Weiten und geht
doch sehr ins Kleinliche; ſie hat was ſchätzenswerth Ner-
vösſes, was erfreulich Ungeſundes. Wir denken zu erleben,
daß, wer die Finger in ſo vielen Schüſſeln hat, möglichst
viel auf die Finger kriegt.



Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 25. März.

* Den Frauen in Madrid, die ihre Stimmen gegen
die Aushebung in S p an i e n erhoben, hat Prim am
22. mit d.r Androhung eines Einschreitens der bewaffneten
Macht ~ dem von ter republikaniſchen Partei eingebrachten
Antrage auf Abschaffung der Konſkription hat die Kortes-
mehrheit Tags darauf mit einem Nein geantwortet. Was
das Vokk verlangt, wird abgeſchlagen; was es nicht will,
wird ihm auferlegt ~ eine neue Anleihe von einer Milliarde
Realen iſt vom „Imparcial“ angekündigt. Daneben tritt
eine größere Entfaltung der Militärmacht an den Tag.
In Madrid ſelbſt sind auf den öffentlichen Plätzen verstärkte
Posten aufgeſtellt, und zwei fliegende Truppenabtheilungen
haben Befehl erhalten, in Andalusien zu operiren. Nach-
dem der ſoldatiſche Apparat hiemit fertig iſt, ſcheint der
Verfasſſungskommission die rechte Zeit gekommen , mit ihrer
Arbeit herauszurücken. Nach einer telegraphiſchen Madrider
Depeſche war die Vorlage des Verfaſſungsentwurfes auf
geſtern Abend festgesekt. Als Grundzüge dieſes Entwurfes
bezeichnet dieſelbe Depeſche: Monarchiſche Regierungsform,
Zwei-Kammer-Syſtem, erwählte Senatoren, Provinzialräthe,
aus allgemeiner Abſtimmung hervorgegangene Abgeordnete,
Preß- und Verſammlungskfreiheit, endlich das Erforderniß
des 18. Lebensjahres zur Ausübung der königlichen Ge-
walt. Der Throntkandidat der Kortesmehrheit ſoll, nach
anderen telegr. Mittheilungen, jeßt der König Ferdinand
von Portugal sein. Ueber dieſe Wahl scheint man ſich in
einer, am 22. März auf Anregung Serrano’s und Prim's
ſtattgehabten Versammlung , zu welcher die leitenden Per-
ſönlichkeiten der Kortes und eine Anzahl von Vertretern
der Armee , der Geistlichkeit und der höheren Beamtenwelt
eingeladen waren, geeinigt zu haben. In dieser Versamm-
lung jollte gewissermaßen probeweise über den even uellen
König abgeſtimmt werden, und zwar in nachſtehender
Reihenfolge: zuerſt über den Herzog von Maontpenſier,
dann über deu König Ferdinand von Portugal und end-
lich über den Herzog von Aosta. Der Pariser „Franzö-
ſiſchen Korreſpondenz“, der wir diese Nachricht entnehmen,
wird von ihrem Madrider Berichterſtatter über das muth-
maßliche Ergebniß dieſer Probeabſtimmung geschrieben: „Man
ſiehi voraus, daß die größte Stimmenzahl dem portu-
gieſiſchen Fürſten zufallen wird , da dieſe Kandidatur ſich
ncben der großen Zahl ihrer Anhänger noch von allen
jenen mehr oder wenig republikaniſch gesinnten oder geheime
Pläne nährenden Personen unterstützt sehen dürfte , welche
ein Inlercſſe haben, die Thronfolge in suspenso zu er-
halte , und welche im Stillen hoffen, daß Dom Ferdinand
auch die ihm mit einer impoſanten Mehrheit angetragene
Krone ablehnen werde. Bestätigt sich die letztere Erwar-

tung ~ und die neuesten Berichte aus Lisſſabon ſtellen
Dom Jerdinand spröder als je dar + so würde für den

Augenblick die Kandidatur Montpenſier ohne Zweifel das
Feld behaupten. Aber auch unbefangene Leute verhehlen
ſich nicht, daß die Regierung dieses Fürsten auf äußerst
ſchwachen Füßen stehen würde. Als nächste Folge ſeiner
Thronbeſteigung sieht man eine tiefe und gefährliche Spal-
tung der Armee voraus , in welcher dieser Prinz gründlich
unbeliebt iſt. Dieß iſt auch der Grund, warum Prim, der
weit cher ein Werkzeug, als ein Meister der Armee iſt, sich
beim beſten Willen nicht mit dieser Kandidatur befreunden
fann. Außerdem würde Montpensier beſtändig mit den
Intriguen des Tuilerienhofes zu kämpfen haben, der ab-
wechſelnd und je nach der Gelegenheit den Jsabellisſten, den
Karliſten oder en Unioniſten seine Guniji schenken würde. Die
Wahl des Herzogs von Montpenſier würdedemnach höchst wahr-
ſcheinlich nnr ein neues Provisorium ſchaffen, und deßhalb
halten Olozaga und Feine weitblickenden Freunde ihren dritten
Kandidaten in petto, der möglichſt lange nur ein Name ohne
Programm, ein unbeschriebenes Blatt bleiben soll‘. Dem
jeßigen Zuſlande würde demnach, ſelbſt in den Augen der
Monarchiſten, nur ein abermaliges Interim zu folgen haben.
„Das Interim hat den Schelm hinter ihm“ + was wird
aus ihm werten? Veielleicht finden wir die richtige Ant-
wort in einer dem Berner „Bund“ aus Madrid, 19. März,



zugekommenen Mittheilung eines unbefangenen Privatman-

nes, welcher u. A. schreibt: „Dank der vieljährigen ſchmähs
lichen Bou.bonenherrſchaft iſt Spanien auf eine ſo tiefe
Stufe herabgesunten, haben Nepotismus und Korruption
so in allen Schichten der Bevölkerung, vom Minister bis
zum Portier hinab, sich eingefreſſen, jede Idee und jedes
Gefühl von Recht und Gerechtigkeit erſtickt, daß kein König
der Recht und Gerechtigkeit erſtict, daß kein König der
Welt mehr im Stande ist, das Land zu heben; ſondern
allein eine totale Umwälzung, eine von der bisherigen ganz
verſchiedene Regierungsform, die das Volk fühlen läßt, daß
es sich selbſt angehört. Das wissen alle ehrlichen Männer
des Landes, aber die Herren Minister und ihre Trabanten
haben dem Herzog v. Montpensſier gegenüber Verpflichtun=-
gen zu erfüllen; er hat Geld für die Revolution gegeben,
er hat an Alle Geld, viel Geld gespendet, er hat den
Thron kaufen wollen; ich verſichere Sie aber, die Beſitzz
nahme seines erkauften Cigenthums wird viel, ſehr viel
Blut koſten. Andalusien, Aragonien und Katalonien wer-
den sich von dem gemeinsamen Vaterlande losſagen, ſobald
man ihnen einen König aufdringeu will.“

Unverhüllter und stärker, als in der geſtern nach ihrem
wesentlichſten Inhalte mitgetheilten Rede des Kaisers von
Frantkr ei c an den Staatsrath, hat ſich der cäſariſche
Gedanke, die Omnipotenz des persönlichen Willens wohl

noch selten ausgesprochen. „Wenn man ~ und wer außer
Ihm ist gegenwärtig „man“ in Frankreich ~ alle nühs

lichen Verbesserungen eingeführt und Alles gethan hat,
hält man die Ordnung mit mehr Autorität aufrecht, weil
ſich die Kraft alsdann auf das Bewußtsein eines beruhigten
Gewissens stütt." Was der absolute Herrſcher mit den
Worten: „ear tel est mon plaisir“ ansgeſprochen hatte,
verkündet der Mann des ,allgemeinen Stimmrechtes“ mit
der Berufung auf sein „beruhigtes Gewiſſen!“ Mit Dem,>
was mir nütlich scheint, iſt der Kreis alles Nüplichen;
mit Dem , was ich für gut halte , der Kreis alles Guten
abgeschloſſen. Wehe Dem , der Anderes oder mehr ver-
langt: mein „beruhigtes Gewissen“ gestattet mir, die Ord-
nung mit noch „mehr Autorität“ aufrecht zu halten: ins
Deutliche überseßt, die Unzufriedenen durch Flinten und
NKatätſchen zum Schweigen zu bringen. – Die ſo beson-
ders . raſch angeordnete Veröffentlichung der kaiserlichen Zu-
ſtimmung zur Abschaffung der unwürdigen ,„Arbeitsbücher“
iſt übrigens ein weiteres Anzeichen jener in letzterer Zeit
manchfach an den Tag getretenen Liebäugelei des Kaisers
mit dem ſogenannten vierten Stande, die auch > der
Cäſarismus ist sich überall gleich ~ der preußiſchen Re-
gierung mitunter als ein ſehr brauchbares Miitel erſcheint.
Die heute eingetroffene Ankündigung des „Conſtitutionnel“,
daß demnächſt eine „von hoher Seite inſpirirte" Schrift
über die sozialen Fortschritte seit dem zweiten Kaiſerreich er-
ſcheinen werde, mag wohl auf dieselbe Absicht deuten.

Aus Preußen wird angekündigt, daß Graf Bismarck
den beabsichtigten Oſter - Ausflug auf sein Tusculunt
Varzin unterlassen und daß ~ ob's damit in einem
Zuſammenhange steht, verſchweigtt man uns = die
Zeitungsheßze gegen Oesterreich wieder losgehen wird.
Der in der Bismarck schen Presſſe ſeit einigen Wochen
eingetretene Waffenstilltand in der Polemik gegen die
öſterreichiſche Politik wirv von der g„Norddeulſchen
Allgemeinen Zeitung“ in ihrer neueſten Nummer in beſter
Form aufgekündigt. Sie habe die Feindſeligteiten natür-
lich unter der Bedingung einer Gegenseitigkeit eingeſtellt;
die „Neue Freie Preſſe“ aber, über deren Inhalt, wie ſie
bestimmt wisse, Graf Beuſt „unbedingt verfüge“, habe mit
ihren Hetereien gegen Preußen ſchon wieder angefangen.
Cinige auf das angebliche französisch-italieniſch-österreichiſche
Bündniß bezügliche Mittheilungen des Wiener Blattes ſind
es besonders, die der „Nordd. Allg. Ztg.“ den patriotiſchen
Zorneskamm in die Höhe treiben. Dieſer Anlaß iſt ſchlecht
gewählt, denn die erſten, hauptqächlichſten ud am Ofteſten
wiederholten Angaben über das fragliche Bündniß ſind in
der „Köln. Ztg.“ erſchienen, deren Vollblut - Preußenthum
doch über jeden Zweifel erhaben iſt. „Karnickel hat ange-
fangen“, erklärt troßdem das edle Bismarck'ſche Blatt, und
wir haben demnach eine reiche Aussicht auf beſtgelungene
Schimpfereien. Für dießmal begnügt ſich die „Nordd.
Allg. Ztg.“ mit der Verſicherung, daß Preußen und der
Norddeutsche Bund sich um Oſterreichs Gunſt nicht bes
werbe und auf deſſen Jseindſelige Gesinnung gefaßt ſei.
In Norddeutschland, erklärt ſie, iſt Jedermann mit dem
Gedanken vertraut, daß Preußen und ſeine Bundesgrnoſſen
ſich auf die Feindſchaft Oesterreichs haben einrichten müſſen,
und das Vertrauen, womit man in Norddeutschland in die



Zukunft blickt, wird durch dieſen Gedanken in keiner Weiſe








 
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