M 87.
[
i Mittwoch, 14. April.
1869.
Manunhei
mer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
. HHH
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täg
f ; Anzeigen-Gebiühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Höchſt ſonderbar.
| Hätten die ſüddeutſchen Regierungen im Jahre 1866
nicht sämmtlich den Kopf verloren oder — weggeworfen,
so wäre der preußiſchen Anmaßung und der national-
liberalen Chauvinisterei schon viel früher ein Damm ent-
gegengeseßt worden. Preußen hatte viel zu viel mit der
Verdauung der Annektirten und der Höflichkeit gegen
Frankreich zu thun, um abermals in's Feld zu rücken
und wegen mangelhafter Ausführung der Allianzverträge
den Main zu überbrücken.
Die betreffenden Kammern konnten ſehr wohl diese
Verträge ablehnen und auf ein gemeinsames ſüddeutſches
Wehrshſtem dringen. Dieses gemeinſame Wehrsyſtem
dürfte natürlich blos die Militärkraft eines süddeutschen
Bundes vertreten, der ſich dem Nordbunde ohne Weiteres
entgegenſtellte. Sollten alsdann Verträge zum Schutz
der Integrität Deutschlands, für den Fall eines
Angriffskrieges, mit dem Norden geschloſſen werden,
so war Das Sache des ſüddeutſchen Bundesrathes und des
Parlaments. . Auch Oesterreich mußte früher oder ſpäter
zu dieſem „weiteren Bunde“ eingeladen werden. Wir
hatten alsdann die bekannte Trias als eine defensive,
aber unangreifbare Macht, die auf der bewohnten Erde
keinen Feind gefunden haben würde.
Aus einer ſolchen Sachlage erwüchſe aber noch ein
anderer unberechenbarer Vortheil. Der norddeutſche Bund
mochte alsdann Angriffskriege beginnen, so viel er wollte,
aber auf eigene Verantwortung, . und das ver-
größerte Preußen mochte verſuchen, ob es durch den Zu-
wachs von 4 Millionen meiſt Widersſpenſtiger wirklich an
f
Stärke gewachſen war. Es blieb in dieſem Falle wesent-
lich der inneren Entwicklung überlaſſjen, mußte den neu
aufgenommenen Elementen Rechnung tragen und konnte
nicht bei jeder Gelegenheit cäsarisſch den Degen ziehen,
um innere Aufwallung draußen abzukühlen. Mit Einem
Worte, das „Werk“ saß auf dem Iſolirſtuhl, und Graf
Bismarck konnte erſt recht ſagen: „Noch iſt das Spiel
nicht gewonnen, wir haben nur unsern Einsatz verdoppelt,
wir haben mehr zu verlieren als jemals.“ j
Wäre damals dieſer Weg eingeſchlagen worden, ſo
konnte auch bei der Erneuerung des Zollvereins ein
anderes Wort gesprochen werden. Bismarck, der rathloſen
Schwäche des Südens ſicher und gewiß, trotte damals,
ſprach wie ein Kavalier von der „Auflöſung“ des Zoll-
vereins, machte Miene, die Grenzen wieder abzuſtecten, +
als wäre Das für den Norden nur so ~ „Wurst“ ge-
weſen. Hätten die Südstaaten Ernſt gemacht mit der
Verwerfung der Zollverträge: wie raſch hätte man in
Berlin andere Saiten aufgezogen! Der Norden kann
nicht beſtehen ohne den Süden, der Süden aber ~ mit
andern Leuten.
Von Berlin aus wird jetzt die Möglichkeit eines süd-
deutſch-ſchweizeriſchen Zollvereins zugegeben, den
ſogar die Minister zu Nördlingen in's Auge gefaßt hät-
ten! Gs heißt zugleich, in B ern wäre man ſolchen Ideen
nicht abgeneigt. Glaubs wohl, die Schweiz produzirt ihre
Lebensbedürfniſſe nicht, Frankreich importirt faſt jährlich,
ſelbſt Spanien vielfach. Es ließe sich daher die Absper-
rung vom Norden wohl verſuchen, um ſo mehr, als uns
dieser bald goldene Brücken bauen würde. Komiſch ſind
uns ſchon längst die nationalliberalen Weinhändler in beiden
Pfalzen erſchienen, die beständig so thun, als ob Bismarck
den Norddeutſchen den Weinzahn ausziehen könnte. Für
unser Vergnügen trinkt man auch wahrlich den Wein
nicht im Norden, und wenn's einmal auf guten Konsum
ankommt, sind Blut und Eisen ohmächtig.
Alles, was die Natur der Dinge von ſelbſt ſo gegeben
hatte und was ein raſches Verſtändniß hätte am Schopf
ergreifen ollen, Das bringt jetzt plötzlich eine kriegeriſche
Möglichkeit in den Vordergrund. Wenn der Schlachten-
donner am hintersten Horizont grollt, da kommt der Ver-
ſtand haufenweiſe zu Markte : da iſt Jeder über Nacht
f hcisordeti und findet ſich im Nu in ganz uner-
jörte Dinge!
So locker und nichtig war dieſes ganze Gebäude, das
„Werk“ genannt, so ſehr auf Sand gebaut, daß es ohne
Verdienſt der Menschen, ohne Arbeit der Minirer, zu
wackeln beginnt, daß seine Mauern nicht dem erſten Wind-
ſtoß widerſtehen. Oder ist Das kein deutlicher Beweis,
daß Kündigung der Allianzverträge, Kündigung des Zoll-
Vereins, Bildung eines ſüddeutſch-schweizeriſchen Zollver-
bandes ganz offen und laut diskutirt werden ?
Die Offiziósen ſind kleinlaut, die Inſpirirten nergeln
im Cinzelnen und am Cinzelnen, der Fanatismus iſt in's
Hef
Wasser gerathen, ie tünſtliche Begeiſterung ſchwelcht ohne
Oel. Gebt dem s. nur noch einen kleinen Ruck, und
Ihr werdet sehen, wie bald es den Boden mißt, sieben
Schuh und länger.
Was Süddeutſchland durch die Altuianz-
verträge mit Preußen zugemuthet iſt.
(Aus dem Stuttgarter „Beobachter.") _
In Blättern, welche den blindergebenen Servilismus
gegen den Staat der Hohenzollern zum einzigen und
oberſten Lebensgesez der deutſchen Nation erheben wollen,
kurſiren seit einigen Tagen Auszüge aus der Schrift
eines „ſüddeutſchen Offiziers" (dem Vernehmen nach des
bayerischen Majors Puler) , in welcher dieser die Keulen-
ſchläge der Arkolayſchen Broſchüre wider die Verträge zu
pariren sucht. Von diesem in zweierlei Tuch ſteckenden
süddeutschen Borruſſlomanen wird zugegeben, was wir
immer , aus der gemeinverſtändlichen Natur der Dinge
heraus, behauptet haben: der preußische Vertheidigungs-
plan gipfelt + ohne Rückſicht auf die in den Schuh-
und Trutverträgen übernommene Pflicht zur Beſchütung
des Südens – in einem Offensivſtoß, der nach Frankreich
hinein mit der Richtung auf Paris zu führen ist; Mainz
bleibt troß der neueſten Vergrößerung des fridericianiſchen
Staats nach wie vor der linke Flügel der preußischen Auf-
ſtelung und Süddeutſchland wird zu Anfang des
Kriegs einſtweilen preisgegeben. Die übernom-
mene Beſchitzung Oberdeutschlands formulirt sich nur als
Pflicht der Wiederbefreiung durch einen die Franzoſen
zum Rückzug über den Rhein zwingenden Sieg in Frank-
reich. Mit aller wünſchbaren Deutlichkeit liegt dieß Zu-
geſtändniß ausgedrückt in folgendem Satze des preußen-
begeisterten ,„ſüddeutſchen Offiziers“ :
„Cs iſt im höchſten Intereſſe Süddeutschlands
gelegen, nicht in engherziger Weiſe um jede Scholle
okkupirten Landes zu jammern, sondern nach
kräftiger Bertheidigung ſich in eine even-
tuelle momentane Okkupation zu er-
geben und eher dorthin, wo die Hauptentſcheidung
auch für uns liegt, unsere Hauptkräfte mit zu
verwerthen, + nicht aber Alles zu zerſplittern
und uns dem Irrthum hinzugeben, mit einer
erſten Landesbeſezung sei der Krieg bereits un-
günstig für uns entſchieden."
Mir Süddeutsche, belehrt durch die Erfahrungen unserer
Väter, welche ein Jahrzehnt lang auf den ſiegreichen
Offensivſtoß zu warten und einstweilen ihre Länder der
franzöſiſchen Okkupation und Ausraubung zu überlassen
hatten, fragen nun, ob es denn gar keine ſtrategiſche Mög-
lichkeit gibt, die nicht erſt auf eine Wiederbefreiung von
französischer Invasion zielt, sondern uns vor dieser Invaſion
überhaupt bewahren will. Das heutige Geschlecht iſt zur
Stellung dieser Frage um ſo berechtigter, als die einzige
Kriegserfahrung, die es durchzumachen hatte , ihm den
Beweis liefert, daß troß dem halben Jahrhundert, das
ſeit den Kriegsbedrängnisſſen unserer Väter verfloſſen iſt,
eine Milderung in den Kriegsbräuchen nicht eingetreten, viel-
mehr die Barberei gegen beſette Länder, welche nothwendig mit
dem Krieg verbunden zu ſein ſcheint, ſich im Verhältniß des
Zuwachſes an Wohlstand und Glücksgütern , deren ſich
die lebende Generation erfreut , gewachſen iſt. Die Be-
handlung der Stadt Frankfurt durch das herrliche Kriegs-
heer der Hohenzollern und ſeine Feldherren iſt ein Erem-
pel, so gründlich abſchreckend, daß dem ganzen friedlichen
Bürgerthum Oberdeutſchlands vor der Möglichkeit der
Wiederholung feindlicher Okkupationen grauſt. Das Vas
victis, welches die preußiſchen Okkupationssoldaten ſelbſt
hier im Lande , zwiſchen Kocher und Jaxt , der unſchul-
digen Bevölkerung mit dem Rauch regquirirter Cigarren
höhniſch und beleidigend ins Gesicht geblaſen haben, iſt
hier nichts weniger als vergeſſen. Die Kontributionen
von acht und von dreißig Millionen Gulden, zu deren
Bezahlung uns der ſsiegreiche Ueberfall gezwungen hat,
spüren Schwaben und Bayerland noch heute in allen
Knochen, die sie anſtrengen mußten, um ihre erhöhten
Steuern zu erſchwingen. Allgemein drückt ſich des Volkes
Besorgniß in der Erwägung aus: Wenn wir Solches zu
erdulden hatten von einem deutſchen und deutsch-komman-
dirten Heer, welche Ansprüche erſt wird der fremde Er-
oberer machen, der sich in unsern Städten und auf unsern
Fluren einlagert. Werden nicht die Franzoſen auf einem
Raubzug in Deutſchland noch übertrumpfen ,
Preußen ſich erlaubt haben in Gebieten, welche , wenn
auch die Bundesverbindung von ihrem König für ge-
was die | s
brochen erklärt war, ihnen durch Blut und Sprache, durch
der Nationalität heiliges Bruderband verbunden blieben
und ewig verbunden bleiben ? .
Wahrlich, wenn ein das ſüddeutſche Heer repräſentirender
Angehöriger desſelben . nichts Besſſeres vorzubringen hat,
als den jämmerlichen Troſt, daß eine Okkupation auch
wieder einmal aufhören und die Franzoſen, wenn ſie nur
erst eine Weile bei uns gehauſt haben, ſchon wieder ab-
ziehen werden, sobald ihre Kameraden von den Preußen
— ſei's am Rhein,, sei's an der Saar , ſei's hinter den
Vogeſen oder gar im Wald von Argonne > geſchlagen
ſein werden, ſo wollen wir gar nicht einmal die Frage
erheben, ob's denn auch so bombensicher iſt, daß gerade
die Franzoſen die Schläge kriegen. Denn daß die Preußen
nach Königgrätz je wieder einmal besiegt werden könnten,
iſt ein nicht gedacht werden dürfender Gedanke , und wer
nur mit einem Hauche etwas wie einen Verdacht von
einer lciſen Vermuthung der entfernten Möglichkeit einer
preußischen Niederlage anzudeuten sich vermessen ſollte, ist
ein nichtswürdiger Verräther , hat kein deutſches Herz im
Buſen und ſollte sofort einem gemeinen Haustnecht gleich
wieder geſobbet und geputztit werden bis zur Verlöſchung
von seines Stammes Gedächtniß. cs
Wir fragen vielmehr, zu was wir eigentlich ein Heer
haben und wofür wir ſeit fünfzig Jahren nicht müde ge-
worden sind , für dessen Erhaltung und Ausbildung zu
zahlen und aber zu zahlen ? Welches Schulweſen hätten - ! ' | J
wir hinstellen , welches Straßenſyſtem, welches Eiſenbahn-
neß bis in die fernſten Thäler hinein hätten wir mit
all dem Geld erbauen können, das wir vonGeneration zu
Generation an unser Militär gerückt haben! Und welche
Entbehrungen am Nöthigſten legt uns erst recht das neue
Kriegsdienſtgeseß auf. Die natürliche Weisheit des Volkes,
man kann wohl ſagen , der Inſtinkt, der vom Schöpfer
ſeldſt in jedes Weſen gelegt ist, verlangt , daß die eigene
Scholle vertheidigt werde. Aber da kommt eine erbärm-
liche Kr'egskunſt, die jedenfalls nicht in der alten Helden-
ſchule ſüddeutscher Landesgeschichte erlernt iſt, und weill
uns weis machen: die Heimath preisgeben, den Feind
hereinlaſſen, draußen in Reſervepositionen abwartend hin
und wieder ziehen und in drohenden Flankenaufsſtellungen
ſcharmütelnd herumlungern, bis die Preußen geſiegt haben,
Das ſei das Wahre. Pfui über ſolch vertünſtelte Kunſt
und zum Teufel mit ſolch aberwitziger Wissenschaft! Das
mögen preußiſche Pfiffe sein, die dieſem angeblichen Offi-
zier in sein dreſſirtes Hirnchen eingetrichtert ſind, aus
einem geſunden bayeriſchen Eingeweid, aus einem kühnen
schwäbischen Herzen, aus eines deutschen Mannes gradem
Sinn kann ein solch schulfuchſiges Rezept zum Kriegs-
führen nicht erwachſen sein. Jedes Volk hat ein. ange-
borenes Recht, von seinem Staat den Schutz seiner Gren-
zen, seines Bodens, seines Eigens zu verlangen. und wenn
der Staat ein ſolcher Krüppel iſt , daß er diesen Schutz
nicht leisten zu können erklärt, ſo iſt er werth, daß er zu
Grunde geht. Besiegtiwerden in der Vertheidigung seiner Gren-
zen kann auch ein großer Staat, aber ſie gar nicht verthei--
digen wollen , von vornherein auf die Möglichkeit verzich-
ten – und Das und nichts Anderes iſt der Schuz- und
Trutzverträge Sinn ~ Das ist auch des kleinſten Staates
unwürdig und ein Verbrechen an ſich Jelbft.
Wenn es freilich kein Mittel gäbe, den Oberrhein
vor einem Uebergang und das alemanniſche Land vor
einem Einbruch der Franzosen zu ſchützen, wenn es gar kein
Wehr-Syſtem zu unserem direkten Schutz und keine Mög-
lichkeit, uns ſelber zu vertheidigen, gäbe, dann freilich
hätten wir ſehr Unrecht den Mund aufzuthun; dann wäre
es klug gethan, wir nähmen ſchweigend das Almoſen von
Schuß an, welches die großen Preußen für uns Kleine
noch übrig haben, sofern ſie mit der Bertheidigung ihrer
eigenen Städte und Fluren zurecht gekommen ſind. Aber
da es ein ſolches Wehrſyſtem und eine solche
Einrichtung zur Selbſtvertheidigung gibt,
ſo haben wir wahrlich keinen Grund, uns als das kleine
Michele hinter des großen Pickelhäublings Rockſchöße zu
verſteclen. Die Schweizer haben ein ſolches Syſtem, und
es hat sie ſeit fünfzig Jahren vorJdem Krieg bewahrt,
ſelbſt im Sturmjahr 1848, ſselbſt bei Konflikten, in die
das kleine Land mit zwei verschiedenen Großmächten ver-
wickelt war, 1838 mit Frankreich und 1856 mit Preun
ßen. Die Schweizer haben dieses Syſtem zu einer ſolchen
Vollkommenheit gebracht, daß, so unmächtig auch ihr Land
cheint, die Großmächte daſſelbe und seine Interessen mit
der größten Rücksicht behandeln und keine ſobald ſich bei-
gehen laſſen wird, der Eidgenossenſchaft irgend eine Un-
[
i Mittwoch, 14. April.
1869.
Manunhei
mer Abendzeitung.
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
. HHH
Die „Mannheimer Abendzeitung" wird mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täg
f ; Anzeigen-Gebiühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
lich als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
Bestellungen bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Höchſt ſonderbar.
| Hätten die ſüddeutſchen Regierungen im Jahre 1866
nicht sämmtlich den Kopf verloren oder — weggeworfen,
so wäre der preußiſchen Anmaßung und der national-
liberalen Chauvinisterei schon viel früher ein Damm ent-
gegengeseßt worden. Preußen hatte viel zu viel mit der
Verdauung der Annektirten und der Höflichkeit gegen
Frankreich zu thun, um abermals in's Feld zu rücken
und wegen mangelhafter Ausführung der Allianzverträge
den Main zu überbrücken.
Die betreffenden Kammern konnten ſehr wohl diese
Verträge ablehnen und auf ein gemeinsames ſüddeutſches
Wehrshſtem dringen. Dieses gemeinſame Wehrsyſtem
dürfte natürlich blos die Militärkraft eines süddeutschen
Bundes vertreten, der ſich dem Nordbunde ohne Weiteres
entgegenſtellte. Sollten alsdann Verträge zum Schutz
der Integrität Deutschlands, für den Fall eines
Angriffskrieges, mit dem Norden geschloſſen werden,
so war Das Sache des ſüddeutſchen Bundesrathes und des
Parlaments. . Auch Oesterreich mußte früher oder ſpäter
zu dieſem „weiteren Bunde“ eingeladen werden. Wir
hatten alsdann die bekannte Trias als eine defensive,
aber unangreifbare Macht, die auf der bewohnten Erde
keinen Feind gefunden haben würde.
Aus einer ſolchen Sachlage erwüchſe aber noch ein
anderer unberechenbarer Vortheil. Der norddeutſche Bund
mochte alsdann Angriffskriege beginnen, so viel er wollte,
aber auf eigene Verantwortung, . und das ver-
größerte Preußen mochte verſuchen, ob es durch den Zu-
wachs von 4 Millionen meiſt Widersſpenſtiger wirklich an
f
Stärke gewachſen war. Es blieb in dieſem Falle wesent-
lich der inneren Entwicklung überlaſſjen, mußte den neu
aufgenommenen Elementen Rechnung tragen und konnte
nicht bei jeder Gelegenheit cäsarisſch den Degen ziehen,
um innere Aufwallung draußen abzukühlen. Mit Einem
Worte, das „Werk“ saß auf dem Iſolirſtuhl, und Graf
Bismarck konnte erſt recht ſagen: „Noch iſt das Spiel
nicht gewonnen, wir haben nur unsern Einsatz verdoppelt,
wir haben mehr zu verlieren als jemals.“ j
Wäre damals dieſer Weg eingeſchlagen worden, ſo
konnte auch bei der Erneuerung des Zollvereins ein
anderes Wort gesprochen werden. Bismarck, der rathloſen
Schwäche des Südens ſicher und gewiß, trotte damals,
ſprach wie ein Kavalier von der „Auflöſung“ des Zoll-
vereins, machte Miene, die Grenzen wieder abzuſtecten, +
als wäre Das für den Norden nur so ~ „Wurst“ ge-
weſen. Hätten die Südstaaten Ernſt gemacht mit der
Verwerfung der Zollverträge: wie raſch hätte man in
Berlin andere Saiten aufgezogen! Der Norden kann
nicht beſtehen ohne den Süden, der Süden aber ~ mit
andern Leuten.
Von Berlin aus wird jetzt die Möglichkeit eines süd-
deutſch-ſchweizeriſchen Zollvereins zugegeben, den
ſogar die Minister zu Nördlingen in's Auge gefaßt hät-
ten! Gs heißt zugleich, in B ern wäre man ſolchen Ideen
nicht abgeneigt. Glaubs wohl, die Schweiz produzirt ihre
Lebensbedürfniſſe nicht, Frankreich importirt faſt jährlich,
ſelbſt Spanien vielfach. Es ließe sich daher die Absper-
rung vom Norden wohl verſuchen, um ſo mehr, als uns
dieser bald goldene Brücken bauen würde. Komiſch ſind
uns ſchon längst die nationalliberalen Weinhändler in beiden
Pfalzen erſchienen, die beständig so thun, als ob Bismarck
den Norddeutſchen den Weinzahn ausziehen könnte. Für
unser Vergnügen trinkt man auch wahrlich den Wein
nicht im Norden, und wenn's einmal auf guten Konsum
ankommt, sind Blut und Eisen ohmächtig.
Alles, was die Natur der Dinge von ſelbſt ſo gegeben
hatte und was ein raſches Verſtändniß hätte am Schopf
ergreifen ollen, Das bringt jetzt plötzlich eine kriegeriſche
Möglichkeit in den Vordergrund. Wenn der Schlachten-
donner am hintersten Horizont grollt, da kommt der Ver-
ſtand haufenweiſe zu Markte : da iſt Jeder über Nacht
f hcisordeti und findet ſich im Nu in ganz uner-
jörte Dinge!
So locker und nichtig war dieſes ganze Gebäude, das
„Werk“ genannt, so ſehr auf Sand gebaut, daß es ohne
Verdienſt der Menschen, ohne Arbeit der Minirer, zu
wackeln beginnt, daß seine Mauern nicht dem erſten Wind-
ſtoß widerſtehen. Oder ist Das kein deutlicher Beweis,
daß Kündigung der Allianzverträge, Kündigung des Zoll-
Vereins, Bildung eines ſüddeutſch-schweizeriſchen Zollver-
bandes ganz offen und laut diskutirt werden ?
Die Offiziósen ſind kleinlaut, die Inſpirirten nergeln
im Cinzelnen und am Cinzelnen, der Fanatismus iſt in's
Hef
Wasser gerathen, ie tünſtliche Begeiſterung ſchwelcht ohne
Oel. Gebt dem s. nur noch einen kleinen Ruck, und
Ihr werdet sehen, wie bald es den Boden mißt, sieben
Schuh und länger.
Was Süddeutſchland durch die Altuianz-
verträge mit Preußen zugemuthet iſt.
(Aus dem Stuttgarter „Beobachter.") _
In Blättern, welche den blindergebenen Servilismus
gegen den Staat der Hohenzollern zum einzigen und
oberſten Lebensgesez der deutſchen Nation erheben wollen,
kurſiren seit einigen Tagen Auszüge aus der Schrift
eines „ſüddeutſchen Offiziers" (dem Vernehmen nach des
bayerischen Majors Puler) , in welcher dieser die Keulen-
ſchläge der Arkolayſchen Broſchüre wider die Verträge zu
pariren sucht. Von diesem in zweierlei Tuch ſteckenden
süddeutschen Borruſſlomanen wird zugegeben, was wir
immer , aus der gemeinverſtändlichen Natur der Dinge
heraus, behauptet haben: der preußische Vertheidigungs-
plan gipfelt + ohne Rückſicht auf die in den Schuh-
und Trutverträgen übernommene Pflicht zur Beſchütung
des Südens – in einem Offensivſtoß, der nach Frankreich
hinein mit der Richtung auf Paris zu führen ist; Mainz
bleibt troß der neueſten Vergrößerung des fridericianiſchen
Staats nach wie vor der linke Flügel der preußischen Auf-
ſtelung und Süddeutſchland wird zu Anfang des
Kriegs einſtweilen preisgegeben. Die übernom-
mene Beſchitzung Oberdeutschlands formulirt sich nur als
Pflicht der Wiederbefreiung durch einen die Franzoſen
zum Rückzug über den Rhein zwingenden Sieg in Frank-
reich. Mit aller wünſchbaren Deutlichkeit liegt dieß Zu-
geſtändniß ausgedrückt in folgendem Satze des preußen-
begeisterten ,„ſüddeutſchen Offiziers“ :
„Cs iſt im höchſten Intereſſe Süddeutschlands
gelegen, nicht in engherziger Weiſe um jede Scholle
okkupirten Landes zu jammern, sondern nach
kräftiger Bertheidigung ſich in eine even-
tuelle momentane Okkupation zu er-
geben und eher dorthin, wo die Hauptentſcheidung
auch für uns liegt, unsere Hauptkräfte mit zu
verwerthen, + nicht aber Alles zu zerſplittern
und uns dem Irrthum hinzugeben, mit einer
erſten Landesbeſezung sei der Krieg bereits un-
günstig für uns entſchieden."
Mir Süddeutsche, belehrt durch die Erfahrungen unserer
Väter, welche ein Jahrzehnt lang auf den ſiegreichen
Offensivſtoß zu warten und einstweilen ihre Länder der
franzöſiſchen Okkupation und Ausraubung zu überlassen
hatten, fragen nun, ob es denn gar keine ſtrategiſche Mög-
lichkeit gibt, die nicht erſt auf eine Wiederbefreiung von
französischer Invasion zielt, sondern uns vor dieser Invaſion
überhaupt bewahren will. Das heutige Geschlecht iſt zur
Stellung dieser Frage um ſo berechtigter, als die einzige
Kriegserfahrung, die es durchzumachen hatte , ihm den
Beweis liefert, daß troß dem halben Jahrhundert, das
ſeit den Kriegsbedrängnisſſen unserer Väter verfloſſen iſt,
eine Milderung in den Kriegsbräuchen nicht eingetreten, viel-
mehr die Barberei gegen beſette Länder, welche nothwendig mit
dem Krieg verbunden zu ſein ſcheint, ſich im Verhältniß des
Zuwachſes an Wohlstand und Glücksgütern , deren ſich
die lebende Generation erfreut , gewachſen iſt. Die Be-
handlung der Stadt Frankfurt durch das herrliche Kriegs-
heer der Hohenzollern und ſeine Feldherren iſt ein Erem-
pel, so gründlich abſchreckend, daß dem ganzen friedlichen
Bürgerthum Oberdeutſchlands vor der Möglichkeit der
Wiederholung feindlicher Okkupationen grauſt. Das Vas
victis, welches die preußiſchen Okkupationssoldaten ſelbſt
hier im Lande , zwiſchen Kocher und Jaxt , der unſchul-
digen Bevölkerung mit dem Rauch regquirirter Cigarren
höhniſch und beleidigend ins Gesicht geblaſen haben, iſt
hier nichts weniger als vergeſſen. Die Kontributionen
von acht und von dreißig Millionen Gulden, zu deren
Bezahlung uns der ſsiegreiche Ueberfall gezwungen hat,
spüren Schwaben und Bayerland noch heute in allen
Knochen, die sie anſtrengen mußten, um ihre erhöhten
Steuern zu erſchwingen. Allgemein drückt ſich des Volkes
Besorgniß in der Erwägung aus: Wenn wir Solches zu
erdulden hatten von einem deutſchen und deutsch-komman-
dirten Heer, welche Ansprüche erſt wird der fremde Er-
oberer machen, der sich in unsern Städten und auf unsern
Fluren einlagert. Werden nicht die Franzoſen auf einem
Raubzug in Deutſchland noch übertrumpfen ,
Preußen ſich erlaubt haben in Gebieten, welche , wenn
auch die Bundesverbindung von ihrem König für ge-
was die | s
brochen erklärt war, ihnen durch Blut und Sprache, durch
der Nationalität heiliges Bruderband verbunden blieben
und ewig verbunden bleiben ? .
Wahrlich, wenn ein das ſüddeutſche Heer repräſentirender
Angehöriger desſelben . nichts Besſſeres vorzubringen hat,
als den jämmerlichen Troſt, daß eine Okkupation auch
wieder einmal aufhören und die Franzoſen, wenn ſie nur
erst eine Weile bei uns gehauſt haben, ſchon wieder ab-
ziehen werden, sobald ihre Kameraden von den Preußen
— ſei's am Rhein,, sei's an der Saar , ſei's hinter den
Vogeſen oder gar im Wald von Argonne > geſchlagen
ſein werden, ſo wollen wir gar nicht einmal die Frage
erheben, ob's denn auch so bombensicher iſt, daß gerade
die Franzoſen die Schläge kriegen. Denn daß die Preußen
nach Königgrätz je wieder einmal besiegt werden könnten,
iſt ein nicht gedacht werden dürfender Gedanke , und wer
nur mit einem Hauche etwas wie einen Verdacht von
einer lciſen Vermuthung der entfernten Möglichkeit einer
preußischen Niederlage anzudeuten sich vermessen ſollte, ist
ein nichtswürdiger Verräther , hat kein deutſches Herz im
Buſen und ſollte sofort einem gemeinen Haustnecht gleich
wieder geſobbet und geputztit werden bis zur Verlöſchung
von seines Stammes Gedächtniß. cs
Wir fragen vielmehr, zu was wir eigentlich ein Heer
haben und wofür wir ſeit fünfzig Jahren nicht müde ge-
worden sind , für dessen Erhaltung und Ausbildung zu
zahlen und aber zu zahlen ? Welches Schulweſen hätten - ! ' | J
wir hinstellen , welches Straßenſyſtem, welches Eiſenbahn-
neß bis in die fernſten Thäler hinein hätten wir mit
all dem Geld erbauen können, das wir vonGeneration zu
Generation an unser Militär gerückt haben! Und welche
Entbehrungen am Nöthigſten legt uns erst recht das neue
Kriegsdienſtgeseß auf. Die natürliche Weisheit des Volkes,
man kann wohl ſagen , der Inſtinkt, der vom Schöpfer
ſeldſt in jedes Weſen gelegt ist, verlangt , daß die eigene
Scholle vertheidigt werde. Aber da kommt eine erbärm-
liche Kr'egskunſt, die jedenfalls nicht in der alten Helden-
ſchule ſüddeutscher Landesgeschichte erlernt iſt, und weill
uns weis machen: die Heimath preisgeben, den Feind
hereinlaſſen, draußen in Reſervepositionen abwartend hin
und wieder ziehen und in drohenden Flankenaufsſtellungen
ſcharmütelnd herumlungern, bis die Preußen geſiegt haben,
Das ſei das Wahre. Pfui über ſolch vertünſtelte Kunſt
und zum Teufel mit ſolch aberwitziger Wissenschaft! Das
mögen preußiſche Pfiffe sein, die dieſem angeblichen Offi-
zier in sein dreſſirtes Hirnchen eingetrichtert ſind, aus
einem geſunden bayeriſchen Eingeweid, aus einem kühnen
schwäbischen Herzen, aus eines deutschen Mannes gradem
Sinn kann ein solch schulfuchſiges Rezept zum Kriegs-
führen nicht erwachſen sein. Jedes Volk hat ein. ange-
borenes Recht, von seinem Staat den Schutz seiner Gren-
zen, seines Bodens, seines Eigens zu verlangen. und wenn
der Staat ein ſolcher Krüppel iſt , daß er diesen Schutz
nicht leisten zu können erklärt, ſo iſt er werth, daß er zu
Grunde geht. Besiegtiwerden in der Vertheidigung seiner Gren-
zen kann auch ein großer Staat, aber ſie gar nicht verthei--
digen wollen , von vornherein auf die Möglichkeit verzich-
ten – und Das und nichts Anderes iſt der Schuz- und
Trutzverträge Sinn ~ Das ist auch des kleinſten Staates
unwürdig und ein Verbrechen an ſich Jelbft.
Wenn es freilich kein Mittel gäbe, den Oberrhein
vor einem Uebergang und das alemanniſche Land vor
einem Einbruch der Franzosen zu ſchützen, wenn es gar kein
Wehr-Syſtem zu unserem direkten Schutz und keine Mög-
lichkeit, uns ſelber zu vertheidigen, gäbe, dann freilich
hätten wir ſehr Unrecht den Mund aufzuthun; dann wäre
es klug gethan, wir nähmen ſchweigend das Almoſen von
Schuß an, welches die großen Preußen für uns Kleine
noch übrig haben, sofern ſie mit der Bertheidigung ihrer
eigenen Städte und Fluren zurecht gekommen ſind. Aber
da es ein ſolches Wehrſyſtem und eine solche
Einrichtung zur Selbſtvertheidigung gibt,
ſo haben wir wahrlich keinen Grund, uns als das kleine
Michele hinter des großen Pickelhäublings Rockſchöße zu
verſteclen. Die Schweizer haben ein ſolches Syſtem, und
es hat sie ſeit fünfzig Jahren vorJdem Krieg bewahrt,
ſelbſt im Sturmjahr 1848, ſselbſt bei Konflikten, in die
das kleine Land mit zwei verschiedenen Großmächten ver-
wickelt war, 1838 mit Frankreich und 1856 mit Preun
ßen. Die Schweizer haben dieses Syſtem zu einer ſolchen
Vollkommenheit gebracht, daß, so unmächtig auch ihr Land
cheint, die Großmächte daſſelbe und seine Interessen mit
der größten Rücksicht behandeln und keine ſobald ſich bei-
gehen laſſen wird, der Eidgenossenſchaft irgend eine Un-