F. 124.
ttz. : d Y E ; sz ,:
y v . : B : ph [s OH Eì
. B E B W: w w E
f ; H j s w L H H
L n Ce
der deutſchen Vol
Organ
r Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
Freitag, 286. Mai.
1869.
N
als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
E Auf die » ,„„Mannheimer Abend-
zeitung“ kann noch für den Monat I u n i
bei allen Poſterpeditionen und Landpoſt-
boten abonnirt werden. Verlagspreis -
20 kr.
Alle Neune!
P.C. Im Süden schwatt die Lüge, im Norden platzt
die Lüge! Denn während der großpreußische Lügentram
in Bayern besonders in Bezug auf die preußiſchen Steuer-
segnungen, mit ſolcher Zungenfertigkeit betrieben wird —
„Profeſſoren müſſen überall dabei sein“ — , daß unser
alter Kolb ſeine Autorität als Statistiker öffentlich auf-
. bieten muß, um die Wähler zu versichern, wie theuer die
Bollern ſind, da kommen gleichzeitig, wie gerufen, die
biedern Bismark-Heydt und geben's den Leuten ſchwarz
auf weiß, wie tief und dauernd der herrliche ' Zollern-
ſtaat im Desizit ſtectt und wieviel neue Steuern er nöthig
hat, um nur erſt wieder auf dem Papiere zu einer ge-
regelten Finanzwirthschaft zu gelangen. :
Alle Neune ! Vor vierzehn Tagen zählten wir irriger
Weise erſt fünf neue Steuern, dann mußten wir uns
zum Siebengestirn versſteigen, heute zählt Preußen alle
Neune“ , und wer weiß. ob nicht noch in dieſer Session
die zehn Gebote erreicht werden, um dann in kurzer Friſt
auf das volle Dutzend zu kommen. Hat ja doch der
Finanzminiſter v. d. Heydt bereits erklärt, ganz werde
das vorliegende Defizit durch die neuen neun Steuern
auch noch nicht gedeckt, und hat doch Graf Bismark ge-
äußert, das Defizit, sei mit den 10% Millionen noch zu
gering veranſchlagt! . B
Die Denkschrift, welche die neun Steuern motivirt,
enthält ein reiches Material zur Beurtheilung und Ver-
urtheilung der zollerſschen Finanzwirthſchaft und bietet
viele Seiten der Beſprechung. Einig ſind alle Blätter
in bem Entſegen über das grelle Licht, in welchem mit
einem Male der Finanzzuſtand des ſparſamen, des muſter-
haft verwalteten , des siegreichen , des großen und ver-
größerten Preußen erscheint, und einig auch darin, die
Quelle dieses Jammers in der Ueberlaſtung des Milita-
rismus zu suchen. O b sch on die Dent ſchrift da-
von. gar nichts sagt! Denn so wunderbar wie be-
zeichnend: bei aller Ausführlichkeit ihrer phraſenreichen
Darstellung schweigt ſie sich über diesen entſcheidenden
Puntt vollständig aus. Cine einzige Stelle ausgenommen,
wo eine Etatsüberſchreitung von 1/2 Millionen erwähnt
wird, kommt der Vielfraß „Millitärverwaltung“ gar nicht
vor, ſo daß nach diesem Kunststück von miniſterieller Denk-
ſchrist das liebe Preußen als der reine Friedensengel da-
steht, der mit nichts als Zivilverwaltung gesegnet iſt und
auf eine völlig unbegreifliche Weiſe ſeine Blöße nicht
decken kann!
Die wesentlichen Ziffern sind : Budget des Nord-
bunds für 1868 beträgt 75,790,000 Thlr., für 1869
~ 77,700,000 Ihlr. ; davon bedarf der Vielfraß Militär
nebſt Marine rund 75 Mill. resp. 7628 Milllion!!
Damit weiß der Leſer allerdings, woran er sich zu halten
hat auf der einen Seite. Auf daß er sich aber auch
an der andern Seite halten könne, ſeien einige weniger
ungeheure Ziffern hinzugefügt. Die Dentſchrift erinnert
daran, wieviele Bedürfniſſe in Bezug auf Beſoldungen
von Beamten und Lehrern, auf Gerichte und Strafan-
ſtalten, auf Seminctrien und Universitäten, auf Chauſſeen,
Häfen, Flüsſſe und dergleichen Verkehrsmittel zu haben,
das Land so unverſchämt und geltend zu machen die
Landesvertretung so unbeſcheiden sei. Sollten in allen
diesen Richtungen „nur die dringensten Bedürfnisse" be-
friedigt werden, so ſind dazu für 1870 erforderlich minsz
destens –~ wieviel wohl? Ganze zwei und eine
halb e Million!! und die Denkschrift läßt ziemlich
deutlich erkennen, daß ohne die {neuen Steuern dieſe
„dringenſten Bedürfniſſe“ unbefriedigt bleiben, da jene
75 Millionen für zollerſche Bedürfniſſe zu Waſſer und zu
Lande natürlich vorgehen und feſt ſind für ewige Zeiten
— d. h. feſt als Minimum!
In dem ÜUithte dieser Vergleichung von unproduktiven
Militärausgaben und produktiven Zivilausgaben muß man
überhaupt die ganze Frage von den ,„heydtenmäsſig viel
neuen Steuern auffaſſen, wenn man ſie richtig verstehen,
ihre politiſche Bedeutung genau würdigen will. Preußen
war ſiegreich, erbeutete Gelder aus ganz Deutschland, er-
oherte neue Provinzen; Der Krieg war so kurz, daß er an
ſich die Erwerbskraft des Volkes nicht auf lange hinaus
ſchädigte. Und trotz Kontributionen, Annexionen, Steuer-
erhöhungen nun dies Defizit, nun dieſe Steuern!
Der Militarismus hat aufgebraucht, was Bürger-
fleiß geschaffen hatte! er iſt in der Nothwendigkeit, neue
Opfer aufzulegen, und das Defizit, welches ſein Werk
und sein Fluch iſt, iſt zugleich ſein Rechtsanſpruch, den
Segen der Arbeit nimmermehr zu belasten. Was am
Nächsten läge: Verminderung der Mititärlaſten, daran
iſt kein Gedanke. Alles, nur Das nicht. Von dem Wi-
derſtand, den der Militarismus bei dieser Sorte Volks-
vertretung finden wird, reden wir nicht. Wenn die Waldeck
u. Gen. jetzt von der gesetzlichen Beſchränkung des Mili-
tär-Etats eifern, so iſt Das ein kindiſches Gerede, das man
nur bemitleiden kann. Schlimmstenfalls laſſen Bismarck-
Heydt schon mit ſich handeln; ſie kennen ihre Leute und
schlagen tüchtig vor um nachher was abzulaſſen. Die
Menſchen, die den Bruderkrieg zu hindern nicht einmal
verſuchten, Die warlich werden ihr Volk vor den Folgen
nicht retten, welche Blut und Eisen mit einer Nothwen-
digkeit verhängt.
Politische Ueberficht.
Mannheim, 27. Mai.
* Zwei Momente treten bei den Pariſe r Wahlen
besonders auffallend hervor. Das Cine ist die seit 1852
ſtets und in gewaltigen Sprüngen anwachſende Zunahme
der auf die Oppoſitionskandidaten fallenden Stimmen.
Bei der erſten Wahl nach dem Staatsstreich hatten in
der Hauptſtadt 86,101 Wähler gegen die Regierung ge-
ſtimmt; im Jahre 1857 bereits 101,207 ; ſechs Jahre
ſpäter war die Zahl auf 149,406 gestiegen und nun
nach weiteren sechs Jahren hat sie 231,027 betragen.
In gleich großem Maße, als ſie gewachſen, hat die Op-
poſition ~ und Das iſt das zweite bedeutende Moment
und gilt nicht bloß für Paris, sondern faſt ausnahmslos
für alle Wahlbezirke, in denen die Regierung unterlegen
it + ihren Charakter geändert. Die legitimisſtiſche Partei
iſt ganz vom Schauplatz verſchwunden, die „zahme“ Op-
poſition iſt der radikalen Demokratie unterlegen. Bancel,
Raspail und Gambetta sind die Verkörperung der Ab-
ſageworte, die Paris durch seine Wahlen dem Kaiser in
die Ohren gedonnert; kein Tranſigiren, kein Ausgleich
mit Dir, Mörder der Republik; was Du auch bieten
mögesſt, von Dir wollen wir nichts; weg mit Dir, wir
fordern unser Recht zurück: Das iſt die Signatur des
Pariser Wahlergebnisſes, das ein dortiges Blatt als einen
„Sieg der Verachtung“ bezeichnet.
Aus Kuba hat die ſpaniſche Regierung, wie Serrano
in der vorgesſtrigen Kortesſizung mittheilte, neuerdings ihr
günstige Nachrichten erhalten. Weniger Grund zum Froh-
ſinn bietet ihr die Haltung der sſpaniſchen Armee im
Lande, wie aus einem kürzlich veröffentlichten Tagesbefehle
des Marsſchals Prim hervorgeht, worin dieser ſich ſehr un-
zufrieden darüber ausspricht, daß eine große Anzahl von
Offizieren der Artillerie, des Ingenieurkorps und des Ge-
neralſtabs öffentlich regierungsfeindliche Meinungen kund-
gegeben hätten. Der Gedanke an Einsetzung einer Regent-
ſchaft ſcheint bei der Kortesmehrheit an Boden zu ge-
winnen; die Königswahl soll bis zum Oktober, wo die
Blätter von den Bäumen zu fallen beginnen, vertagt
werden.
Als Urheber des in Livorno auf den öſterreichiſchen
Kammerherrn Graf Crenevill e unternommenen Atten-
tates, bei welchem desſen Begleiter ums Leben kam, wird
ein gewisser Negri genannt. Aus dem Umſtande, daß
dieſer ſchon in einer früheren Zeit ~ vielleicht während
Crenneville im Jahre 1849 zur Zeit des Belagerungszu-
ſtandes das Kommando in Livorno führte ~ wegen
eines politischen Verbrechens verurtheilt worden, will man
auf politische Motive des Attentates ſchließen.
Ein neuer lehrreicher Beitrag zu der Geſchichte des
Denunziantenthums wird aus Konſt antinopel gemel-
det. Dort war lürzlich den Behörden angezeigt worden,
daß in Pera im Auftrag zweier hoher türtiſcher Würden-
träger Orsinibomben angefertigt würden, mit denen ein
Attentat auf den Sultan bewerkſtelligt werden ſollte.
Bald jedoch hat ſich erwieſen, daß der Besteller dieser
Bomben Niemand anders gewesſen, als der Denunziant
ſelbſt, und dieser hat für ſeine Erfindung = gerade ſo,
wie kurz zuvor aus ganz gleichem Grunde der Theater-
direktor in Kairo – ſtatt der erwarteten Belohnung eine
Verwahrung hinter Schloß und Riegel gefunden. Der | z
Denunziant war derſelbe Engländer Palmer, der im
Jahre 1866 während der Anwesenheit des Kaiſers von
Osterreich in Prag sich das Verdienst zugeſchrieben hatte,
durch das Niederschlagen eines von einem Schneidergeſellen,
Namens Puſt, bereits zum Schuſſe erhobenen Piſtols das
Leben des Kaisers gerettet zu haben, was eine langwierigr
Unterſuchungshaft Puſt's hervorgerufen, ſchließlich abee
sich als eine ſchmähliche Lüge erwiesen hat. Nach drei
Jahren findet man nun den ſauberen Patron auf der-
selben Fährte; er hat offenbar Passion für sein nobles
Handwerk und verdient, den Reptilienjägern bestens em-
pfohlen zu werden.
A tout seigneur tout honneur + ganz ,nach
Stand und Würden“, so hat wohl das Linzer Landes-
gericht gedacht , als es sich darum handelte , den Betrag
der Strafsumme festzuſeßzen, mit welcher der Biſchof
von Linz eine abermalige Nichtbeachtung der ihm zuge-
gangenen Vorladung bezahlen sollte. Es iſt ein rundes
und nettes Sümmchen: nicht weniger und nicht mehr
als fünf h undert Gulden. Was wird der Biſchof
thun, nachdem er ~ laut einer offenbar aus ganz guter
Quelle fließenden Mittheilung in der „N. Fr. Pr." —
in dem Schreiben, worin er ſeine Ablehnung der gericht-
| lichen Einladung motivirte, sich ausdrücklich auch auf eine
„Anordnung“ des Papſtes berufen hat, welche ihm , wie
„auch anderen Biſchöfen“ das perſönliche Erſcheinen vor
einem weltlichen Gerichte in Strafsachen „nicht geſtattet“ !
Wir denken, er wird kommen; ein häufigerer Verbrauch
derartiger, wahrſcheinlich den Vorſchriften über Anwendung
des Gradationsſtempels entsprechender Einladungskarten
mag ihm doch leicht zu kostspielig erſcheinen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 27. Mai. Amtlich es. Die erledigte
Richterſtelle bei den Amtsgericht Karlsruhe wurde Kreis-
gerichtsrath Eiſen zu Offenburg, unter Ernennung deſſelben
zum Oberamtsrichter verliehen.
Der „Staatsanzeiger“ Nr. 15 enthält die
Bekanntmachung : Die Einberufung des Zollparlaments
auf Donnerſtag 3. Juni d. J. betr.
Das Geſ eßes- un d Verordnungsblatt Nr.
12 enthält Verordnungen über: 1) Die Organſsation
der Großh. Hofverwaltung; 2) Die Aufhebung der Ueber-
gangsabgabe vom Tabak im Gebiete des Norddeutſchen
Bundes vom 1 Juli d. J. an; 3) Die Vergütung der
Zugskosten der ohne Staatsdiener-Cigenſchaft angeſtellten
Bediensteten der Zivilſtaats Verwaltung.
* Aus Baden , 27. Mai. Unsere Großpreußen
im Lande gebehrden ſich na < Offenburg wie toll. Ihre
Blätter strozen in Uebermuth , und wie ſchwer es ihnen
wird, die Grenze zwiſchen Sinn und Unqſinn zu behaup-
ten, beweiſt u. A. das ,„Donaueſch. Wchbl.“, indem es
den Ultramontanen zuruft, ſie möchten nicht vergessen :
„daß der Hochruf wahrer Religion und ächter Vaterlands-
liebe laute: „Großherzog Friedrich Hoch ! Ministerium
Jolly Hoch !“ Dieser blühende Servilismus iſt das wür-
dige Seitenstück zur „gesetzlichen Vaterlandsliebe“ des
„Mannheimer Kerns". Diesem haben sich eine Anzahl
Bürger aus Stein ,mit freudigem Herzen“ angeschloſſen,
in der feſten Ueberzeugung, „daß sie dadurch dem ge-
liebten Fürsten und Vaterland einen Dienſt der Treue
und Ergebenheit leiſten.“ Domänenverwalter Fecht und
Oekonom W. Paravieini von Bretten haben den Steinern
in einer Versammlung das Licht der „Erkenntniß" ange-
zündet. Die „Mannen“ der Regierung ſind überall
thätig geworden; es iſt ihnen gelungen, die „Offen-
burger“ wieder als Stütze des Miniſteriums zu gewinnen,
eine Koalitionspartei aller Schattirungen des Großpreußen-
thums zu ſchafen , damit dieses den Kampf mit der
Volkspartei führe . . . welche der Verpreußung des Landes
widerſtrebt, welche die Durchführung der angebahnten Refor-
men, die Selbſtbeſtimmung des Volkes verlangt. Der
Bureaukratismus arbeitet mit Denen gemeinschaftlich,
welche die auswärtige Politik des Ministeriums gutheißen,
und der Einfluß der Verbündeten auf den sogenannten
ruhigen Bürger iſt nicht zu unterschäten. Wie Viele ſind
es doch, die aus geschäftlichen Rücksichten Scheu tragen,
ihre politische Meinung offen zu bekennen; wie Viele stehen
u Staats- und Gemeindestellen geradezu mm einem Ab-
hängigkeitsoerhältniß; auf wie Viele findet der Ausspruch:
Wer die Stadt hat, der hat mich, seine traurige Anwen-
dung . . . und wie Viele laſſen ſich durch die fortgeſetz-
ten Lügen von einem Bunde der Rothen mit den Schwar-
en bethören und irre führen , von dem stets bereit ge-
haltenen rothen Geſpenſte erschrecken. Trotz Alledem und
ttz. : d Y E ; sz ,:
y v . : B : ph [s OH Eì
. B E B W: w w E
f ; H j s w L H H
L n Ce
der deutſchen Vol
Organ
r Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.
Freitag, 286. Mai.
1869.
N
als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Beſtellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
E Auf die » ,„„Mannheimer Abend-
zeitung“ kann noch für den Monat I u n i
bei allen Poſterpeditionen und Landpoſt-
boten abonnirt werden. Verlagspreis -
20 kr.
Alle Neune!
P.C. Im Süden schwatt die Lüge, im Norden platzt
die Lüge! Denn während der großpreußische Lügentram
in Bayern besonders in Bezug auf die preußiſchen Steuer-
segnungen, mit ſolcher Zungenfertigkeit betrieben wird —
„Profeſſoren müſſen überall dabei sein“ — , daß unser
alter Kolb ſeine Autorität als Statistiker öffentlich auf-
. bieten muß, um die Wähler zu versichern, wie theuer die
Bollern ſind, da kommen gleichzeitig, wie gerufen, die
biedern Bismark-Heydt und geben's den Leuten ſchwarz
auf weiß, wie tief und dauernd der herrliche ' Zollern-
ſtaat im Desizit ſtectt und wieviel neue Steuern er nöthig
hat, um nur erſt wieder auf dem Papiere zu einer ge-
regelten Finanzwirthschaft zu gelangen. :
Alle Neune ! Vor vierzehn Tagen zählten wir irriger
Weise erſt fünf neue Steuern, dann mußten wir uns
zum Siebengestirn versſteigen, heute zählt Preußen alle
Neune“ , und wer weiß. ob nicht noch in dieſer Session
die zehn Gebote erreicht werden, um dann in kurzer Friſt
auf das volle Dutzend zu kommen. Hat ja doch der
Finanzminiſter v. d. Heydt bereits erklärt, ganz werde
das vorliegende Defizit durch die neuen neun Steuern
auch noch nicht gedeckt, und hat doch Graf Bismark ge-
äußert, das Defizit, sei mit den 10% Millionen noch zu
gering veranſchlagt! . B
Die Denkschrift, welche die neun Steuern motivirt,
enthält ein reiches Material zur Beurtheilung und Ver-
urtheilung der zollerſschen Finanzwirthſchaft und bietet
viele Seiten der Beſprechung. Einig ſind alle Blätter
in bem Entſegen über das grelle Licht, in welchem mit
einem Male der Finanzzuſtand des ſparſamen, des muſter-
haft verwalteten , des siegreichen , des großen und ver-
größerten Preußen erscheint, und einig auch darin, die
Quelle dieses Jammers in der Ueberlaſtung des Milita-
rismus zu suchen. O b sch on die Dent ſchrift da-
von. gar nichts sagt! Denn so wunderbar wie be-
zeichnend: bei aller Ausführlichkeit ihrer phraſenreichen
Darstellung schweigt ſie sich über diesen entſcheidenden
Puntt vollständig aus. Cine einzige Stelle ausgenommen,
wo eine Etatsüberſchreitung von 1/2 Millionen erwähnt
wird, kommt der Vielfraß „Millitärverwaltung“ gar nicht
vor, ſo daß nach diesem Kunststück von miniſterieller Denk-
ſchrist das liebe Preußen als der reine Friedensengel da-
steht, der mit nichts als Zivilverwaltung gesegnet iſt und
auf eine völlig unbegreifliche Weiſe ſeine Blöße nicht
decken kann!
Die wesentlichen Ziffern sind : Budget des Nord-
bunds für 1868 beträgt 75,790,000 Thlr., für 1869
~ 77,700,000 Ihlr. ; davon bedarf der Vielfraß Militär
nebſt Marine rund 75 Mill. resp. 7628 Milllion!!
Damit weiß der Leſer allerdings, woran er sich zu halten
hat auf der einen Seite. Auf daß er sich aber auch
an der andern Seite halten könne, ſeien einige weniger
ungeheure Ziffern hinzugefügt. Die Dentſchrift erinnert
daran, wieviele Bedürfniſſe in Bezug auf Beſoldungen
von Beamten und Lehrern, auf Gerichte und Strafan-
ſtalten, auf Seminctrien und Universitäten, auf Chauſſeen,
Häfen, Flüsſſe und dergleichen Verkehrsmittel zu haben,
das Land so unverſchämt und geltend zu machen die
Landesvertretung so unbeſcheiden sei. Sollten in allen
diesen Richtungen „nur die dringensten Bedürfnisse" be-
friedigt werden, so ſind dazu für 1870 erforderlich minsz
destens –~ wieviel wohl? Ganze zwei und eine
halb e Million!! und die Denkschrift läßt ziemlich
deutlich erkennen, daß ohne die {neuen Steuern dieſe
„dringenſten Bedürfniſſe“ unbefriedigt bleiben, da jene
75 Millionen für zollerſche Bedürfniſſe zu Waſſer und zu
Lande natürlich vorgehen und feſt ſind für ewige Zeiten
— d. h. feſt als Minimum!
In dem ÜUithte dieser Vergleichung von unproduktiven
Militärausgaben und produktiven Zivilausgaben muß man
überhaupt die ganze Frage von den ,„heydtenmäsſig viel
neuen Steuern auffaſſen, wenn man ſie richtig verstehen,
ihre politiſche Bedeutung genau würdigen will. Preußen
war ſiegreich, erbeutete Gelder aus ganz Deutschland, er-
oherte neue Provinzen; Der Krieg war so kurz, daß er an
ſich die Erwerbskraft des Volkes nicht auf lange hinaus
ſchädigte. Und trotz Kontributionen, Annexionen, Steuer-
erhöhungen nun dies Defizit, nun dieſe Steuern!
Der Militarismus hat aufgebraucht, was Bürger-
fleiß geschaffen hatte! er iſt in der Nothwendigkeit, neue
Opfer aufzulegen, und das Defizit, welches ſein Werk
und sein Fluch iſt, iſt zugleich ſein Rechtsanſpruch, den
Segen der Arbeit nimmermehr zu belasten. Was am
Nächsten läge: Verminderung der Mititärlaſten, daran
iſt kein Gedanke. Alles, nur Das nicht. Von dem Wi-
derſtand, den der Militarismus bei dieser Sorte Volks-
vertretung finden wird, reden wir nicht. Wenn die Waldeck
u. Gen. jetzt von der gesetzlichen Beſchränkung des Mili-
tär-Etats eifern, so iſt Das ein kindiſches Gerede, das man
nur bemitleiden kann. Schlimmstenfalls laſſen Bismarck-
Heydt schon mit ſich handeln; ſie kennen ihre Leute und
schlagen tüchtig vor um nachher was abzulaſſen. Die
Menſchen, die den Bruderkrieg zu hindern nicht einmal
verſuchten, Die warlich werden ihr Volk vor den Folgen
nicht retten, welche Blut und Eisen mit einer Nothwen-
digkeit verhängt.
Politische Ueberficht.
Mannheim, 27. Mai.
* Zwei Momente treten bei den Pariſe r Wahlen
besonders auffallend hervor. Das Cine ist die seit 1852
ſtets und in gewaltigen Sprüngen anwachſende Zunahme
der auf die Oppoſitionskandidaten fallenden Stimmen.
Bei der erſten Wahl nach dem Staatsstreich hatten in
der Hauptſtadt 86,101 Wähler gegen die Regierung ge-
ſtimmt; im Jahre 1857 bereits 101,207 ; ſechs Jahre
ſpäter war die Zahl auf 149,406 gestiegen und nun
nach weiteren sechs Jahren hat sie 231,027 betragen.
In gleich großem Maße, als ſie gewachſen, hat die Op-
poſition ~ und Das iſt das zweite bedeutende Moment
und gilt nicht bloß für Paris, sondern faſt ausnahmslos
für alle Wahlbezirke, in denen die Regierung unterlegen
it + ihren Charakter geändert. Die legitimisſtiſche Partei
iſt ganz vom Schauplatz verſchwunden, die „zahme“ Op-
poſition iſt der radikalen Demokratie unterlegen. Bancel,
Raspail und Gambetta sind die Verkörperung der Ab-
ſageworte, die Paris durch seine Wahlen dem Kaiser in
die Ohren gedonnert; kein Tranſigiren, kein Ausgleich
mit Dir, Mörder der Republik; was Du auch bieten
mögesſt, von Dir wollen wir nichts; weg mit Dir, wir
fordern unser Recht zurück: Das iſt die Signatur des
Pariser Wahlergebnisſes, das ein dortiges Blatt als einen
„Sieg der Verachtung“ bezeichnet.
Aus Kuba hat die ſpaniſche Regierung, wie Serrano
in der vorgesſtrigen Kortesſizung mittheilte, neuerdings ihr
günstige Nachrichten erhalten. Weniger Grund zum Froh-
ſinn bietet ihr die Haltung der sſpaniſchen Armee im
Lande, wie aus einem kürzlich veröffentlichten Tagesbefehle
des Marsſchals Prim hervorgeht, worin dieser ſich ſehr un-
zufrieden darüber ausspricht, daß eine große Anzahl von
Offizieren der Artillerie, des Ingenieurkorps und des Ge-
neralſtabs öffentlich regierungsfeindliche Meinungen kund-
gegeben hätten. Der Gedanke an Einsetzung einer Regent-
ſchaft ſcheint bei der Kortesmehrheit an Boden zu ge-
winnen; die Königswahl soll bis zum Oktober, wo die
Blätter von den Bäumen zu fallen beginnen, vertagt
werden.
Als Urheber des in Livorno auf den öſterreichiſchen
Kammerherrn Graf Crenevill e unternommenen Atten-
tates, bei welchem desſen Begleiter ums Leben kam, wird
ein gewisser Negri genannt. Aus dem Umſtande, daß
dieſer ſchon in einer früheren Zeit ~ vielleicht während
Crenneville im Jahre 1849 zur Zeit des Belagerungszu-
ſtandes das Kommando in Livorno führte ~ wegen
eines politischen Verbrechens verurtheilt worden, will man
auf politische Motive des Attentates ſchließen.
Ein neuer lehrreicher Beitrag zu der Geſchichte des
Denunziantenthums wird aus Konſt antinopel gemel-
det. Dort war lürzlich den Behörden angezeigt worden,
daß in Pera im Auftrag zweier hoher türtiſcher Würden-
träger Orsinibomben angefertigt würden, mit denen ein
Attentat auf den Sultan bewerkſtelligt werden ſollte.
Bald jedoch hat ſich erwieſen, daß der Besteller dieser
Bomben Niemand anders gewesſen, als der Denunziant
ſelbſt, und dieser hat für ſeine Erfindung = gerade ſo,
wie kurz zuvor aus ganz gleichem Grunde der Theater-
direktor in Kairo – ſtatt der erwarteten Belohnung eine
Verwahrung hinter Schloß und Riegel gefunden. Der | z
Denunziant war derſelbe Engländer Palmer, der im
Jahre 1866 während der Anwesenheit des Kaiſers von
Osterreich in Prag sich das Verdienst zugeſchrieben hatte,
durch das Niederschlagen eines von einem Schneidergeſellen,
Namens Puſt, bereits zum Schuſſe erhobenen Piſtols das
Leben des Kaisers gerettet zu haben, was eine langwierigr
Unterſuchungshaft Puſt's hervorgerufen, ſchließlich abee
sich als eine ſchmähliche Lüge erwiesen hat. Nach drei
Jahren findet man nun den ſauberen Patron auf der-
selben Fährte; er hat offenbar Passion für sein nobles
Handwerk und verdient, den Reptilienjägern bestens em-
pfohlen zu werden.
A tout seigneur tout honneur + ganz ,nach
Stand und Würden“, so hat wohl das Linzer Landes-
gericht gedacht , als es sich darum handelte , den Betrag
der Strafsumme festzuſeßzen, mit welcher der Biſchof
von Linz eine abermalige Nichtbeachtung der ihm zuge-
gangenen Vorladung bezahlen sollte. Es iſt ein rundes
und nettes Sümmchen: nicht weniger und nicht mehr
als fünf h undert Gulden. Was wird der Biſchof
thun, nachdem er ~ laut einer offenbar aus ganz guter
Quelle fließenden Mittheilung in der „N. Fr. Pr." —
in dem Schreiben, worin er ſeine Ablehnung der gericht-
| lichen Einladung motivirte, sich ausdrücklich auch auf eine
„Anordnung“ des Papſtes berufen hat, welche ihm , wie
„auch anderen Biſchöfen“ das perſönliche Erſcheinen vor
einem weltlichen Gerichte in Strafsachen „nicht geſtattet“ !
Wir denken, er wird kommen; ein häufigerer Verbrauch
derartiger, wahrſcheinlich den Vorſchriften über Anwendung
des Gradationsſtempels entsprechender Einladungskarten
mag ihm doch leicht zu kostspielig erſcheinen.
Deutſchland.
* Karlsruhe, 27. Mai. Amtlich es. Die erledigte
Richterſtelle bei den Amtsgericht Karlsruhe wurde Kreis-
gerichtsrath Eiſen zu Offenburg, unter Ernennung deſſelben
zum Oberamtsrichter verliehen.
Der „Staatsanzeiger“ Nr. 15 enthält die
Bekanntmachung : Die Einberufung des Zollparlaments
auf Donnerſtag 3. Juni d. J. betr.
Das Geſ eßes- un d Verordnungsblatt Nr.
12 enthält Verordnungen über: 1) Die Organſsation
der Großh. Hofverwaltung; 2) Die Aufhebung der Ueber-
gangsabgabe vom Tabak im Gebiete des Norddeutſchen
Bundes vom 1 Juli d. J. an; 3) Die Vergütung der
Zugskosten der ohne Staatsdiener-Cigenſchaft angeſtellten
Bediensteten der Zivilſtaats Verwaltung.
* Aus Baden , 27. Mai. Unsere Großpreußen
im Lande gebehrden ſich na < Offenburg wie toll. Ihre
Blätter strozen in Uebermuth , und wie ſchwer es ihnen
wird, die Grenze zwiſchen Sinn und Unqſinn zu behaup-
ten, beweiſt u. A. das ,„Donaueſch. Wchbl.“, indem es
den Ultramontanen zuruft, ſie möchten nicht vergessen :
„daß der Hochruf wahrer Religion und ächter Vaterlands-
liebe laute: „Großherzog Friedrich Hoch ! Ministerium
Jolly Hoch !“ Dieser blühende Servilismus iſt das wür-
dige Seitenstück zur „gesetzlichen Vaterlandsliebe“ des
„Mannheimer Kerns". Diesem haben sich eine Anzahl
Bürger aus Stein ,mit freudigem Herzen“ angeschloſſen,
in der feſten Ueberzeugung, „daß sie dadurch dem ge-
liebten Fürsten und Vaterland einen Dienſt der Treue
und Ergebenheit leiſten.“ Domänenverwalter Fecht und
Oekonom W. Paravieini von Bretten haben den Steinern
in einer Versammlung das Licht der „Erkenntniß" ange-
zündet. Die „Mannen“ der Regierung ſind überall
thätig geworden; es iſt ihnen gelungen, die „Offen-
burger“ wieder als Stütze des Miniſteriums zu gewinnen,
eine Koalitionspartei aller Schattirungen des Großpreußen-
thums zu ſchafen , damit dieses den Kampf mit der
Volkspartei führe . . . welche der Verpreußung des Landes
widerſtrebt, welche die Durchführung der angebahnten Refor-
men, die Selbſtbeſtimmung des Volkes verlangt. Der
Bureaukratismus arbeitet mit Denen gemeinschaftlich,
welche die auswärtige Politik des Ministeriums gutheißen,
und der Einfluß der Verbündeten auf den sogenannten
ruhigen Bürger iſt nicht zu unterschäten. Wie Viele ſind
es doch, die aus geschäftlichen Rücksichten Scheu tragen,
ihre politische Meinung offen zu bekennen; wie Viele stehen
u Staats- und Gemeindestellen geradezu mm einem Ab-
hängigkeitsoerhältniß; auf wie Viele findet der Ausspruch:
Wer die Stadt hat, der hat mich, seine traurige Anwen-
dung . . . und wie Viele laſſen ſich durch die fortgeſetz-
ten Lügen von einem Bunde der Rothen mit den Schwar-
en bethören und irre führen , von dem stets bereit ge-
haltenen rothen Geſpenſte erschrecken. Trotz Alledem und