1869. .
A 245.
Organ der deulſchen Volksparlei in Vaden.
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Vettern sind ſie Beide.
*) Von den badiſchen Nationalliberalen iſt es Herr
Kiefer, welcher ausgeſprochen, die Fürſten werden dem
Volke die Freiheit nicht bringen, diese muß sich das Volk
selbſt erringen. Herr Kieser hat keinem der Fürsten einen
Vorzug eingeräumt und er dachte wohl, als er den be-
zeichneten Ausspruch that: Vettern sind sie Alle.
_ Der „Nürnberger Anzeiger" gelangte bei einer ange-
ſtellten ähnlichen Betrachtung zu dem gleichen Schlusse.
Er sagt: Man kann es den Völkern zum zehntauſend-
sten Male sagen, daß seine „Angeſtammten“ nur in der
äußerstenNoth sich zu einerfreihei.lichen Konzession herbeilassen
und: – sie werdens 1mmer noch nicht glauben. Der trau-
rigſte Beweis dieses unſeligen Unglaubens liegt im Augen-
blick in der, man darf wohl sagen dummen Vertrauens-
duſelei, welche das deutſche Volk, geſtüßt auf Phrasen
von Einheit und Schwindel von nachfolgender Freiheit,
dem König von Preußen en'gegenbringt. Der Einheit
werde die Freiheit folgen ~ mit kgl. Wilhelm’scher Ge-
nehmigung von Allerhöchster Gnade ! Natürlich !
Es iſt Angesichts dieſer beklagenswerthen Kunzſichtig-
keit des Volkes vielleicht belehrend, wenigstens für Manchen,
die nachſtehende Enthüllung zu hören, welche im Prozeß
gegen den bekannten Prof. Greuter vor dem Innsbrucker
Landesgericht zu Tage getommen iſt ~ nicht gegen den
preußiſchen König, ſondern gegen den öſterreichi-
ſch en Kaiser, der mit gleich großem Unrecht wie Wilhelm
für deutſchgesſinnt gehalten wird. Im Anſchluſſe an Er-
innerungen aus den Jahren 1848 und 1859, welche die
Thätigkeit der peußiſchen Königsgewalt berühren, sprechen
wix aus: Vettern ſind sie Beide!
Nach Greuters Mittheilungen, an deren Richtigkeit der
Gerichtshof nicht gezweifelt zu haben scheint, war Kaſſer
Franz Joſeph. I., der am Abend des 3. Juli 1866 ,zu-
ſammenbrach“, wie ein Augenzeuge in der ,„OÖeſsterreich-
ſchen Militärzeitung“ verſichert, im Frühjahre 1868
wieder ſoweit gestärkt, daß er das Volk von Wien zu-
sſammenſchießen laſſen wollte, wenn es sich erhöbe, um der
Herrſchaft des Konktordats ein Ende zu machen! Er er-
klärte, daß er dem Schul-, dem Ehe- und dem interkon-
feſſionellen Geſeß seine Sanktinan nicht . ertheilen könne,
da er durch seinen mit dem Oberhaupt der Kirche abge-
ſchloſſenen Vertrag gebunden ſei. Auf den Wunſch des
Kaiſers sollte Graf Mensdorff (Minister der auswärtigen
Angelegenheiten im Jahre 1866) im Herrenhauſe einen
Bertagungsantrag einbringen, um jene Gesetze auf die
lange Bank zu schieben. Die Erzherzöge, der Obersthof-
meiſter Fürst Hohenlohe, Graf Leo Thun t2c. waren für
dieſes Auskunftsmittel. Die Gegenvorſtellungen des Mi-
niſlers v. Beuſt und des Baron Lichtenfels, welche die
_ Gefahren hervorhoben, die bei der großen Aufregung des
Volkes aus einer weiteren Verzögerung hervorgehen könn-
ten, beantwortete der Kaiſer mit der Erklärung, er werde
den Kriegsminiſter befragen, ob er sich unter allen Um-
ſtänden auf die Garniſon von Wien verlassen könne.
Gliüctlicherweiſe lautete die Antwort des Baron Kuhn ſo,
daß Franz Joſeph I. vorzog, sich nach Ofen zu begeben
. und der Sache ihren Lauf zu laſſen. Der Kriegsminiſter
ſoll nämlich gesagt haben, die Stimmung in der Armee
und besonders im Offizierskorps sei eine solche, daß in
dem vorliegenden Fall höchſtens eine sehr laue Aktion
gegen einen Volksaufstand zu erwarten sei, ja es wäre
ſogar eine offene Verweigerung des militäriſchen Gehor-
ſams nicht unwahrscheinlich.
Erſt wenn die „ultima ratio regum“ ~ dieKanone
_ — den Dienst verſagt, kommt das Volk zu seinem Recht.
Preußen sorgt bei Zeiten dafür, daß sie den Dienst nicht
verſag, – wann alſo, glaubt man, daß das Volk
prvhttergen zu seinem Recht, zu ſeiner Freiheit kommen
erde ?
Badischer Landtag.
+ Narlsruhe , 14. Oktober. 10. Situng der
Zweiten Ka mmer.
Vom Sekretariat wird das Einlaufen einer Eingabe
von Beierthol wegen der Verwaltung des Pfarrzehntens,
und gleichlautende Petitionen von Gemeinden des
_ Amtsbezirks Pfullendorf wegen des Baues einer Höllen-
thalbahn angezeigt.
J Abg. Kölle macht Mittheilung, daß die Berichte
über den Schifffahrtsvertrag mit Italien und der Freund-
ſchaftsvertrag mit der Republik Liberia fertig ſeien und
erſucht vom Druck derſelben Umgang zu nehmen.
Abg. Tritſch eller meldet die Druckfertigteit des
Kommissionsberichtes über die Besteuerung der Wander-
lager.
j Den Hauptgegenstand der Tagesordnung bilden:
1) Der Bericht des Abg. Lamey über die Rechnungs-
nachweisung des Groß. Kriegsminiſteriums für die Jahre
1866 und 1867.
Darnach beläuft ſich die Ausgabe des
ordentlichen Etats auf 6,8183,818 fl.
des außerordentlichen Etats auf itt 4,319,367 fl.
szuſammen 11,1338,180 fl.
Der sich hier zeigende Mehraufwand von 4,855,676 fl.
betrifft größtentheils das Kriegsjahr 18'6 ; doch hat auch
im Jahr 1867 die Luxemburger Angelegenheit einen un-
vorhergeſehenen Aufwand für Kriegsbereitſchaft im Bes-
trage von etwa 160,000 fl. veranlaßt.
Der Antrag der Kommission geht auf Genehmigung
und wird angenommen. Cine Diskuſſion findet nicht
ſtait.
2) Der Bericht des Abg. Friderich über die Rechnungs-
nachweisungen der Großh. Verkehrsanſtalten gibt für
1866/67 folgende Rundzahlen für die Gesammtreinein-
nahme :
a) Postverwalunn
(400,000 fl. mehr als vorgesehen).
b. Ciſenvahnbetriebsverwaltung 8,970,000 fl.
(ein Plus von gegen 2,000,000 fl.)
920,000 fl.
e. Main-Neckarbahnbetrieb 294,000 fl.
(mehr 64,000 fl. als im Budget).
d. Bodenſeedampfschifffahrt 9,600 fl.
(ein Ausfall von 9,600 fl. gegen den Vor-
anschlag).
Bei der Abtheilung Postverwaltung erwähnt der Abg.
v. Feder einer ihm gelegentlich seines Umzugs vonOffen-
burg nach Mannheim zur Kenntniß gekommenen Um-
schreibgebühr ' für Zeitungen von mehreren Gulden , die
man wohl fallen laſſen dürfe. Die Regierungskommissäre
verſprechen zwar Recherche, halten jedoch, wie auch der
Abg. Lamey und der Berichterſtatter Friderich , die
Exiſtenz einer Gebühr in ſo hohem Betrage für unwahr-
scheinlich. ;
Es wird darauf Seitens der Kammer die beantragte
Nichtbeanſtandung auch dieser Rechnungsnachweiſungen
ausgeſprochen. Schluß der Sitzung.
Nächſte Sitzung Samſtag, den 16. d. Mls.
Politiſche Ueberſ.cht.
Mannheim, 15. Oktober.
* Ueber die in der Gotthard -=Konferenz, welche
am 183. d. geschloſſen wurde, erzielten Reſultate iſt ein
Berner Korrespondent des „Fr. Journ.“ folgende Mit-
theilung zu machen im Stande: Italien zahlt 45 Mill.,
wovon Grnua 10 ; betheiligte Schweizer Kantone und
Eiſenbahngesellſchaften 20 Millionen; auf Preußen, Würts-
temberg und Baden fallen 20 Millionen; jedoch iſt die
Summe noch nicht feſt, weil Preußen nur eine Quote
zahlen will, die im Verhältnisse zu Baden steht und dies
nur 3 Millionen zugeſtanten hat. Jedoch iſt anzunehmen,
daß dies keine neue Schwierigkeit bieten wird. Der Er-
trag über 7 pCt. wird unter die ſubventionirenden Staa-
ten repartirt; überſteigt derſelbe 9 pCt., so werden die
Tarife ermäßigt. Letztere ſind von der Konferenz festge-
sekt. Die ſubventionirenden Staaten werden in der zu
bildenden Akttiengesell)chaft lediglich von den betr. schweize-
riſchen Kantonen vertreten, indem die andern Staaten auf
das Stimmrecht verzichtet haben.
: Das Bundeskanzleramt hat den Bundesregie-
rungen einen Bericht des in Newyork angestellten Bundes-
General - Konſjuls mitgetheilt. Derselbe giebt Aufschluß,
in welchen Formen die Gerichte der Vereinigten Staa-
ten Nordamerika’'s wegen Zeugenvernehmungen und Eides-
abnahmen, welche vor Gerichten des Norddeutschen Bundes
anhängig ſind, erſucht werden müssen. Die Gerichte haben,
unter Anderem, auf genaue Bezeichnung des Staates und
des Bezirkes (county), in welchem ſich die zur Zeugen-
ſchaft oder zum Eide zu ladende Perſon befindet, aufhält,
zu achten, weil sonst die Reguiſitionen nicht wohl aus-
führbar sind.
_ Drr ungariſche NMiniſterpräſident Graf Andraſſy geht,
wie die offizielle Liſie des Gefolges des Kaisers erweiſt,
nun doch mit Letzterem nach Konstantinopel. Daß Reichs-
kanzler v. Beuſt über die Orientreiſe des Kaiſers ein
Rundschreiben vorbereite, wie von Pest gemeldet
nach der „N. Fr. Pr.“ gänzlich unbegründet. 14 g.
Kaum hat der preußiſche Kronprinz Wien verlassen,
und schon beginnen in einem Theil der preußiſchen.
Preſſe wieder die alten Nergeleien gegen Oesterreich. Wohl.
auch ein. Zeichen dafür, was von der bis zur „Annähes
war, iſt
rung“ bereits zuſammengesſchrumpften „Verständigung“ zu
alten iſt.
h I e ounihſiat zur Grenzregulirung zwiſchen R u-
mänien und O eſterreich erzielte ein befriedigendes.
Resultat.
(% ungarische Reichstag wird Feine Verhandlungen
morgen beginnen. '
Der Widerstand, welcher sich in Süddalmatien
gegen die Rekrutirung ins Werk gesetzt hat, beſchränkt
ſich nach den neueſten Nachrichten nicht blos auf Kattaro,
ſondern hat noch vier weitere Bezirke ergriffen und
wurde überdieß durch bewaffneten Zuzug aus Montenegro
unterſtützt. Der Fürst dieses Landes ſoll der öſterreichiſcha '
Regierung seine Dienste zur Beſchwichtigung der widerſtrebenz
den Bevölkerung von Boccche (?) angeboten haben, welches
Anerbieten aber von Wien aus mit dem Bedeulen erwidert
worden sei, die kaiserliche Regierung werde mit aller Ener-
gie Ruhe und Geſetlichkeit herzustellen wiſſen. In welcher
Weiſe dieß zu verstehen iſt, dürfte aus der Meldung zu
entnehmen sein, daß den Weibern und Kmdern der AufÄ
ständischen gestattet worden sei, sich auf montenegriniſches
Gebiet zurückzuziehen.
Das von der türkis < e n Regierung erlaſſene neue
Schulgeſeß macht den Unterricht in den Elementarſchulen
obligatorisch, dagegen ſollen dieselben nach Konfessionen
getrennt sein, während die höheren Lehranstalten + Lys
ceen ~ einen gemischten Charakter tragen werden. Hiernach
hat, was den erſten Punkt, die Verpflichtung zum Beſuch
des Unterrichts anbelangt, die Türkei die bezüglichen Be-
stimmungen in Frantreich und ſelbſt im „freien“ Engtand
überholt, in welchen beiden Ländern eine geſetliche Vere
pflichtung zum Besuch der Schule bis jett noch nicht
besteht. ; !
Der engliſche Konſul Kirk in Zanzibar hat einen
Brief von Living ſtone vom See Banglewo, datirt
8. Aug. 1868, erhalten. Livingstone ſchreibt, er habe die
Quellen, welche er für diejenigen des Nil halte, zwiſchen
dem zehnien und zwölften ſüdlichen Breitegrade gefunden.
Sein Geſundheitszuſtand ſei befriedigend. Weitere Rach--
richten aus Bombay vom l1I. d. theilen mit, daß dort
ein Brief Kirk's aus Zanzibar veröffentlicht wurde, in
welchem derſelbe die Ankunft der Caravane anzeigt; Liz
vingſtone befinde ſich in Uſiſi. ;
Die Nachricht von einer allgemeinen Entwaſff-
n ung, welche Napoleon UI. bei Eröffnung der Kammer
ankündigen werde, hat bekanntlich eine ſehr ungläubige
Aufnahme gefunden. Auch die „Times" gehört nicht zu
den Gläubigen, und kann denn auch die Gelegenheit nicht
vorübergehen lassen, ohne die oft gehörte Klage über allzu
große Rüstungen aufzunehmen und zu jammern darüber,
daß so viele Menschen während des Militärdienstes neben-
hei auch für friedliche Beſchäftigungen untauglich werden.
Für dieſes letztere Uebel und für die unbeſchäftigten Stun-
den der Krieger weiß die „Times“ ein treffliches Abhülfs-
mittel: Statt die Leute stets auf den Wirthshausbänken
herumlungern, Lederzeug anstreichen und Meſsſingbeschläge
putzen zu laſſen , verwende man lie bei öffentlichen und
landwirthschaftlichen Arbeiten, auf daß ihre Maſſse dem
Gemeinwohl zu gute komme und der gemeine Soldat den
Gebrauch der Hacke und des Spatens nicht vergeſſe.
Deutschland. F
* Manmnheim, 14. Okt. Das Schickſſal der Ver-
faſſungs- und Wa hlref orm, ſowie der Gemeinde-
reform liegt in mehr als bedenklichen Hätnden. Dort
ſind es die Herren Kusel und Näf, welchen die Aufgabe
geworden ist, die Sache innerhalb der von der Regierung
ſelbſt vorgezeichneten Gränze zu halten, jedenfalls aber
einem weitergehenden Begehren entgegenzutreten, und hier
iſt es ſchon die Zuſammenseßung der Kommission, welche
Unheil verkündet. Schupp (Oberamtmann), Berichterſtat-
ter, Renk (Oberſchulrathsdirektor, früherer Oberamtmann
und Landeskommissär), Turban (Miniſterialrath), Conrad
(Bürgermeiſter), Heidenreich (Altbürgermeister), Paravicini
(Bürgermeister), Hoff (Gemeinderath), Weber (Altbürger-
meiſter), Nicolai (Miniſterialrath), Blum (ein die ruſſiſche
Abstammung hoffentlich verleugnender Volksvertreter), Eckz
hard und Lichtenberger haben das Geſet über die Gemeinde-