1869.
Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.
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15 in Mannheim und bei allen Pofltanttalten.
Spanien.
h Seit den holden Sehtembertagen hat das „Land der
Kastanien“ bei Vielen vielfach an Interesse verloren, nicht
ganz mit Recht. Wer ſich freilich einbildete, Spanien werde
Europa befreien oder auch indirekt sofort den Anstoß zu
ähnlichen Bewegungen in Frankreich geben, der mußte bald
seines Irrthums Buße tragen. Es wäre reizend bequem,
wenn die Freiheit ſo auf dem Weihnachtstiſche gefunden
würde, und wir müßten keinen unserer cäsariſchen Appa-
rate in Thätigkeit erblicen, um den bevorstehenden Kampf
als Kinderspiel zu nehmen.
Spanien hat doch wenigstens gezeigt, daß es keine ver-
rotteten und verlorene Länder mehr gibt, daß die Idee des
19. Jahrhunderts, die Demotratie, allenthalben opfermuthige
Vertheidiger zählt, daß das Königthum von Gottes Gnaden,
ſelbſt wo es auf der ſolideſten religiösen Grundlage ruht,
feinen Augenbiick seines Lebens sicher iſt. Wer wußte denn
vor 6 Monaten, daß in Spanien nicht uur republikanische
Nöpfe und Theorien, sondern republikaniſche Massen exiſtirten,
daß es blos einer Gelegenheit bedürfte, um eine republi-
kaniſche Partei in Schlachtoronung aufzuſtellen , die ge-
ſchloſſener, ja zahlreicher iſt als jede andere Partei oder
Fraktion?
Oder wären etwa die Monarchiſten geſchloſſener und
zalreichee? Aber es giht allerhand Monarchiſten; die
wahren und einzig echten, die legitimiſtiſchen Jſabellinos,
haben gar keine Ausſicht, und Marſchall Serrano hat ſie
ein für allemal mit dem Keulenworte niedergeſchlagen: Ich
verbiete den Kortes, einen Selbstmord zu begehen." Kommen
die Zweckmäßigkeitsmenschen, spaniſche Gothaer, Fortſchrittler,
Nationalliberale; dieſe w a < se n nicht mit ihren Zwecken,
ſondern theilen ſich nach ihren Privatzwecken. Drei Kan-
didaturen für den Zweckmäßigkeits - Thron tauchten auf ;
der König Ferdinand von Portugal, der Herzog von Aoſta,
der – Herzog von Montpengier, geborener Orleans ,
verheiratheter Bourbon ält. Linie.
Die Republikaner waren dagegen von vorherein ohne
jegliche Spaltung, ohne Schattirung; sie standen und ſtehen
ſämmtlich auf dem Programm des Genfer und Berner
Friedenskongresses, nebenbei ein glänzendes Zeugniß für die
Nütlichkeit dieser permanenten Inſtitution. Sie bil-
den nicht nur die imposſanteſte Minderheit der Kortes, son-
dern ſie haben auch durch ihre Konsequenz und durch iyre
natürliche Wahlverwandtſchasſt mit dem geſunden Theile der
Progresſiſten ſchon Manches durchgesetzt und Manches ver-
hindert.
Angesichts dieſer prinzipiellen Schaar, von Einem Geiste
ge rieben, ſahen ſich die Zweckmäßigkeits-Kohorten gezwun-
gen, nur noch das M ögl ich e als das Vernünftige zu
erſtreben, und so iſt es denn heute kein Geheimniß mehr,
daß der einzig denkbare Kandidat der Monarchiſten der
Herzog von Mo nt pe n ſi e rx, Sohn Louis Philippe's, ist.
Die Regierung selbſt hat ihn und nur ihn in petto.
Topete, das enkant terrible auf der Regierungsbant,
platzte sogar direkt damit heraus, und wenn der gemäßigte
Serrano, der einzige Regierunggsmann mit ſtaatsmänni-
ſcher Haltung, begütigend auf die Souveränetät der Kortes
hinwies, ſo heißt Das eben nichts Anderes als : Wir wollen
Cuch ſchon kriegen, Ihr ſollt selbſt für den Montpensier
stimmen !
Daß die Republikaner für keinen Thronkandidaten,
folglich anch gegen den Montpensier, sind, versteht ſich von
ſelbſte Ihnen werden ſich die Jſabellinos und die Ultra-
katholiken anſchließgen. Wie viele von den ehrlichen Pro-
greſſiſten ſich dazu gesellen, bleibe dahingestellt. Immerhin
wäre es denkvar, daß Montpensier mit einer nur kleinen
Mehrheit durchdränge. Und für diesen Fall hat der Sohn
ſeines Vaters ſchon klüglich vorgebaut ; er erklärt näulich,
die Krone nur dann anzunehmen, wenn sie ihm von einer
be d eut ende n Mehrheit entgegentragen würde. Insoweit
h.! sie die „konigloſe, die schreckliche Zeit“ noch immer
Ausſicht.
Käme aber der Montpensſier wirklich auf den Thron,
ſo hätte er unbedingt mit einer höchst gewichtigen und be-
î wußten Oppoſition zu kämpfen und seine Füße würden
aum je auf Roſen wandeln. Spanien hätte alsdann
ein 1830 gemacht, aber unter unendlich glücklicheren Be-
dingungen, als das Juli-Franktreich.
Die Opposition wider die Monarchie wäre zunächſt eine
offizielle, in den Kortes mächtig repräſentirte ; ſie brauchte
ſich nicht in Verschwörungen, oder bei Leichenbe-
gängnisſjen geltend zu machen, ſie könnte offen ihr Banner
entfalten, offen Progaganda machen und graden Wegs auf
ihr Ziel lossſchreiten.
Dann aber ſtehen die Dinge in Europa doch etwas
anders als 1830. Frankreich war damals allein an der
Spitze der Bewegung, nur Belgien rührte sich auf der
Flanke, und Polen verblutete im fernen Often nach ritter-
lichen Kämpfen. Die Befreiung von Montpensſier würde
keine 18 Jahre auf sich warten laſſen, denn der große
demokratiſche Gedanke kennt keine Grenzen mehr und ſtrömt
wie ein unaufhaltſames Fluidum über den Erdtheil.
Wären wir daher Montpensier, ſo würden wir nicht
mit Fiesko sagen: „Es iſt namenlos groß, eine Krone zu
~ nehmen“, sondern : Es iſt namenlos bequem, eine Krone
in extremis auzszuſchlagen. Ä
Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 22. März.
* Aus Spanien meldet d.r Telegraph, daß ein Erlaß
des Bürgermeiſters von Madrid den Beginn der Aushe-
hung in der Hauptstadt auf geſtern feſtgeſett, zugleich aber
angekündigt hat, der Gemeinderath werde, nach einem be-
reits gefaßten Besſchluſſe, alle vom Looſe Betroffenen vom
Heeresdienſte loskaufee. Was die Andalusier verlangten
und wofür sie mit ihrem Blute einsſtanden: Werbung ſt:.tt
Aushebung, ist alſo in Madrid zugeſtanden: ein klarer
Beweis für die Allgemeinheit und Stärke des gegen die
Konſkription bestehenden Widerwillens, vor dem ſich die
Regierung beugen muß. Von den Fortschritten des mit Aus-
arbeitung des Verfaſsungsentwurfes beauftragten Fünfzehner-
Ausschusses der Kortesmehrheit verlautet, daß deren Ergeb-
niß. erst nach Oſlern zur Vorlage kommen werde. Die
durch den Ausſchuß-Vorſitzenden Olozaga bewirkte Heran-
ziehung eines Erzbiſchofs und eines Bischofs zu der Bera-
thung der auf die kirchlichen Verhältnisse bezüglichen Ber-
faſſungsartikel hat vielsſeits böses Blut gemacht und die
Befürchtung erregt, daß Olozaga, dem man das bisherige
religiöſe Grundſäte in die Verfaſſung einzuſchmuggeln
trachte.
Nach langem Zögern, in dessen Folge, wie mehrmals
berichtet, eine große, einem Ausbruch nahe Aufregung in
Portugal entſtanden war, hat der König vorgeſiern das
neue Wahlgeſeß bestätigt. Die Vornahme der Wallen iſt
auf den 11. April angesett.
Im geseßgebenden Körper Fra nkr ei ch s hat vorge-
ſtern die Bcrathung des Gesetßentwurfes über die dießjäh-
rige Aushebung begonnen und bis zur Annahnite der zwei
erſten Artitel desſeciben geführt. Der Obppositionsantrag,
ſtatt 100,000 nur 80,000 Mann zu bewilligen, wurde in
üblicher Weiſe (mit 195 gegen 24 Slimmen) beseitigt.
Im Lauſe der Debatte kam der Kriegsminiſter auf die
neue Heeresorganiſation zu ſprechen. Sie werde, bemerkte
er, Frankreich eine größere militärische Macht verleihen, als
dasſeibe je beſeſsſen. Wenn sie auch noch nicht gänzlich
durchgef. hrt sei, ſo würde doch einestheils, falls irgend eine
Kriegsgefahr drohte, Alles sehr raſch bereit sein, anderer-
ſeits erſcheine eine besondere Beschleunigung dermalen nicht
geboten, da troß einiger am Horizont der äußeren Politit
wahrnehmbarer Wolken nichts die Sicherheit Frankreichs
bedrohe. Weniger beruhigend, als diese lezten Worte, lautete es
aber, wenn der Kriegsminiſter unmittelbar darauf davor
warnte, Angr'ffe auf die ncue Heeresorganiſation zu machen in
einem Augenblicke, wo man ,niedergeworfene Mächte und
annektirt. Völker“ sehe. An Entwaffnung solle man nicht
denken. Frankreich kenne zwar keinen Haß, werde aber
niemals eine Beleidigung dulden, dürfe sich alſo der Ge-
fahr nicht aussezen, in entwaffnetem Zustande eine ſolche
ſich widerfahren zu sehen. Und in dieſem Punkte denke
das französiſche Volk, wie ſeine Regierung, und würde die
leßtere ſtürzen, sobald sie sich hierin eines Versäumnisses
ſchuldig machte. ~ Nach einer dem Kammerausschuß zuge-
ſtellten Note des Kriegeminiſters sollen im Dienste bei der
Fahne einige Erleichterungen eintreten. Die Soldaten
werden künftig nur 49, und diejenigen unter ihnen, welche
ſich durch Schießtüchtigkeit auszeichnen, nur 36 Monate
dienen müſſen. An alle Armeeabtheilungen ist der Befehl
ergangen, daß die ihnen angehörigen Beurlaubten, deren
Urlaub jezt zu Ende geht, bis auf Weiteres zu Hauſe zu
belaſſen ſeien. Gleichzeitig mit dieser, allenfalls als ein
Anzeichen von friedlicher Anschauung der Lage zu betrach-
tenden Maßregel hat die franzöſiſche Regierung iu der
Budgetkommission die Erklärung abgegeben : „Der Friedens-
gedante beherrſche die Lage." Der Friede möge erhalten
Scheitern der vollen Kultusfreiheit zur Laſt legt, reaktionäre
bleiben : mit diesem Verlangen hat die Kommission in ihrem
Berichte geantwortet.
Cinstweilen iſt die b elgiſch-fr a nzösiſche Dif f e-
renz ihrer Ausgleichung nahe gerückt. In halbamtlichen
Mittheilnngen wird gemeldet, daß die belgiſche Regierung
den (etwas modifizirten) französischen Vorſchlag, den ökono-
miſchen Theil der Ciſenbahnenfrage und die Verträge ſelbſt
der Prüfung einer nach Oſtern in Paris zuſammentreten-
den gemischten Kommission zu unterbreiten, angenommen
und daß das Pariſer Kabinet bereits ſeine „Vefriedigung
über das den peinlichen Zwischenfall beseitigende und die
guten Beziehungen zwiſchen beiden Ländern wiederherstel-
lende Ergebniß der Verhandlungen in den herzlichſten und
vertrauensvollſten Ausdrücken ausgeſprochen“ habe.
In den beiden letzten Tagen der vergangenen Woche
hat das Unterhaus Englands die zweite Leſung der
irischen Kirchenbill begonnen. Da diese Frage es geweſen
iſt, welche den Rücktritt des Miniſteriums Disraeli veran-
laßt hat, und da die letzten Unterhauswahlen, , bei denen
dieselbe Frage im Vordergrund stand, eine große Regierungs-
mehrheit ergeben haben , erſcheint die Annahme der frag-
lichen Bill als bereits vollſtändig gesichert. Darnach wird
vom 1. Januar 1871 an die anglikanische Kirche in Ir-
land ihre Privilegien verlieren, und ihr Gesammteigenthum
wird in den Besitz des Staates übergehen. In ersterer
Beziehung erliſcht ihre Berechtigung zu einer Vertretung
durch ihre Biſchöfe im Oberhaus und zu geiſtlicher Gerichts-
barkeit und sie wird allen übrigen Bekenntniſſen im Range
völlig gleichgeſtelt. Cine g ä n z l i < e Trennung der
anglikaniſchen Kirche vom Staate tritt jedoch nicht ein, da
der die Stelle der Biſchöfe, welche bisher das Kirchenregiment
geübt, einnchmende , aus Geistlichen und Laien gebildete
Verwaltungsrath als die gesetzliche Fortſetung und Nachs
folge der alten Kirche fungiren und mit der Krone ver-
handel wir. In Bezug auſ das bisherige, faſt aus-
ſchließlich aus früher katholiſchen Vermögenstheilen bestehende,
beiläufig 16 /e Millionen Pf. St. betragende Geſamnts-
eigenthum der anglikaniſchen Kirche verfügt die Bill, daß
etwas über 6 9/2 Mill. zu Gunsten der anglikanischen,
2 Millionen zu Gunten der katholiſchen Kirche, der Reſt
zu außertirchlichen Wohthätigkeitsanstalten Irlands verwendet
werden sollen. In. Anbetracht ter Art und Weise, wie
die anglikanische Kirche in den Besſit, ihres Cigenthums
gakommen war, und noch mehr in Anbetracht des Umſtan-
der, daß die Zahl der Anglikaner in Irland nur !/2, die
den Katholiken 7 Millionen beträgt, erſcheint jedenfalls
die anglikanische Kirche durch den von der Bill aufgeſtellten
Vertheilunggmodus noch immer bedeutend bevorzugt, und
es steht demnach nicht außer Zweifel, ob das neue Gesetz
die Klagen der katholiſchen Iren verstummen machen wir.
In Preußen feiert in Bezug auf Vereinsverſamm-
lungen die: Zenſur ein Auferſtehungsfeſt. Dort werden
Versammlungen nicht wegen Desſen, was geſprochen worden,
sondern wegen Dessen, was geſprochen werden könnte, por
lizeilich aufgelöst. Bekanntlich war iu Kaſſel am 5. Jan.,
nachdem bereits Morgens eine zur Erinnerung an die von
diesem Tage datiren e Verfaſſung von 1831 in Landes-
farbe gedruckte Zeitung konfiszirt worden, Abends eine zur
Auffriſchung derſelben Erinnerung bestimmte Versammlung
des ,d eu ts chen Volks verein s“ vom Polizeibeamlen
„in höherem Auftrage“ aüfgelöst worden, e h e noch ein
Jtedner geſprochen hatte. Vom Vereinsvorstand war darauf
eine Beschwerde bei der Regierung eingereicht worden, und
auf dicſe iſt nun der Bescheid erfolgt, daß die Auflöſung
der Verſammlung als gerechtfertigt und den geseglicheu
Beſtimmungen entsprechend“ angesehen werden miſſe, weil
~ Hört! > die Vorau sset ung der Polizeibehörde,
daß das zur Verhandiung beſtimmte Thema nur deshalb
gewählt worden sei, um zur Unzufriedenheit mit den ber
ſtehenden Zuſtänden und mittelbar zu ſtrafbarem
Handeln anzureizen, „nicht mißbilligt“ werden könne. :
Der Muſterſtaat iſt Preußen aber doch, wie erst die
neueſte Nummer der „Nordd. Allg. Ztg.“ uns neuerdings
belehrt. Sie bringt an der Spitze ihres Blattes eine Ab-
vendigkeit einer Reform der nord-
litäreStrafgeſetß g ebung
dahin, daß die Militärpersonen wegen alle r von ihnen
verübten Vergehen ~– mit Ausnahme etwa der Zuwi er-
handlungen gegen Finanz-, Poſt-, Polizei , Forſt- und
dergleichen Geſeßze ~ der Militär- Rechtspflege zu Unter-
werfen sind. Und ſie will, daß dieſe Reform recht bald
eintrete, damit — da fkftiecktt der Muſterſtaat ~ die ſüd-
deutschen Staaten, welche gleichfalls mit einer Reform des
Militärſtrajrechtes ſich tragen, „ein Militärſtrafrecht Nord-
handlung über die Nothw
deutſchen einheitlichen M i