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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 284 - No. 309 (1. Dezember - 31. Dezember)
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Samſtag, 11. Dezember

1869.









Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.











De „Maunheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage täglich als Abendblatt
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der

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Expedition CQ 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.





CZE;

schaftlichen Fragen werde durch Beſseitigung des nach | hh f jſtehert er glaube hiebei konſequenter denn An-

Badiſcher Landtag.

X Karlsruhe, 9. Dez. 31. Sitzung der Z wei
ten Ka m mer. Vorsitzender: Präſ. Hildebrandt.

Eingelaufen: Petition des national - liberalen Vereins

in Heidelberg um Einführung der Einwohnergemeinde
und Beibehaltung des Dreitlaſſenſyſtems.
! Fortſezung der Berathung der Gemeindegesctzesvor-
age.
. Abg. Schupp legt die von der Kommission dem
Autrage des Abg. Lamey entſprechend feſtgeſtellte Faſſung
des § 10 vor. Dieſelbe lautet: „Jn Gemeinden, welche
24 oder weniger Mitglieder haben, kann die Zahl der
Gemeinderäthe bis auf 3 herabgeſeßt werden. Die Faſſung
wird angenommen.

§ 183 die Klaſſenwahl betreffend.

_ Staats-M. Jolly: bemerkt, es ſei der Wunſch der
Regierung, daß auch für die Wahl des Gemeinderathes
das Dreiklaſſenſhſtem beibehalten werde.

Abg. Holtzma un: erläutert die Heidelberger natio-
nal-liberale Petition, welche die Beibehaltung der Drei-
klaſſenwahl befürworte. Es handle sich um eine Wah-
rung des Einfluſſes des Gewerbeſtandes , der am meisten
Steuern zahle, gegenüber dem andrängenden länd-
lichen Proletariate. Auch paſſe die Beibehaltung zu un-
ſerem jetzigen Uebergangsſtadium. .

Abg. E > hard: beantragt die vollständige Beseitiz
gung der Klasſenwahlen auch beim Ausſchuſſe.

Abg. Tritſcheller: unterſtizt den Antrag; er iſt
der Meinung, bei der jetzigen sozialen Frage würden wir
iu titzgen Jahren froh ſein, die. Klaſſenwahl beseitigt zu
aben. |

Abg. Mühlhä ußer: ſtimmt gegen die Klaſſenwahl
bei dem Gemeinderathe ; bei der Wahl zum großen Aus-
ſchuſſe würde er gerne in den größeren Städten die Klaſſen-
wahl zum Schutze des Kapitals beibehalten.

Staats- M. Jolly: Wenn die CEinwohnergemeinde
komme, ſo müſſe sie für Stadt und Land zugleich kom-
men; ſie komme indeſſen noch nicht ſo bald. Es ſei rich-
tig, daß das Gemeindeleben die beſte Schule für das po-
litiſche Lehen. Für eine Bevölkerung gibt es keine besſere
Schule des öffentlichen Lebens als die Verwaltung ihrer
Angelegenheiten. Allein es komme auf die Organisation
der Gemeinde an. Wenn in den Gemeinden nur nach
politiſchen Gesichtspunkten gewählt werde, müßte dies die
wirthſchaftlichen reellen Aufgaben der Gemeinde ſchädigen.
Es ſei ein Mißverſtändniß, daß alle Bürger vollkommen
gleiche Rechte haben. Unsere Gemeinden haben eine Dop-
pelnatur, ſie ſind aus Gemarkungsgenossenschaften beinahe
Einwohnergemeinden geworden. Jene haben ursprünglich
nur einſtimmig einen Fremden neu aufnehmen können.
Auch in den mittelalterlichen Städten war es noch ähn-

lich. Jetzt bestimmt die Gemeinde nicht mehr für ſich,
wen ſie als Bürger aufnimmt und wen nicht; wir haben
dieſe Bedingungen immer mehr erleichtert. Der Auf-
nahmsakt wird noch wegfallen und die bloße Niederlaſ-
ſung mit einer gewiſſen Dauer des Aufenthalts wird dem

Einzelnen das Recht in der Gemeinde ſchaffen (Einwoh-

nergerteinde). Deßwegen müſſen wir den jetzigen Bürgern

einen Schut ſchaffen ; die wirklich vorhandenen Intereſjen
ntüſſen berückſichtigt werden. Liberal, freifinnig iſt, wenn
man alle wirklichen Berhältniſſe ſo auffaßt! wie ſie ſind.

Das Klaſſenſyſtem beſteht faſt in ganz Europa. Keine

Gemeindeordnung geht so weit, als utiſere gehen würde,
wenn Sie das Klaſſetifyſteni beseitigen. Wir gehen in
der' Freigebung der Gemeinde von der Staatsaufſicht wei-
ter, als irgendwo gegangen wird. In einer Sache, von
der das Wohl des Staats so ſehr abhängt, einen Verſuch
zu machen, iſt ſehr gefährlich; es könnte uhs mit einem
Experiment gehen wie im Jahr 1831. Ich kann Sie
nicht genug davor warnen, weiter
. gierungsentwurf.

KAvg. Fiſcher: Man müsse das alte Klaſſenſhſtem
beseitigen; man dürfe überhaupt nicht die Niederstbeſteuer-
ten als im Kriegszuſtande gegen die andern Klassen be-
findend ſich vorſtelen. Den Beſit müſſe man auf den
ute Macht und seinem Willen enthaltenen Einfluß
. verweijen. z iu i'nß t ;

Abg. Eiſenlohr: Für das Klaſſenſyſtemn. Man
dürfe nicht aus politiſchen Gründen gegen das Dreillaſ-
ſenſyſtem Stellung nehmen; die Gemeinde werde ſtets nur
zu ihrem Schaden sich mit Politik beschäftigen.

Abg. Heilig: theilt die Bedenken gegenüber der
Aufhebung der Klaſſenwahl. Die Löſung vieler wirth- |

zu gehen als der Re-





Klaſſen gewählten Großen Ausſchuſſes erſchwert werden,
weil nach den Erfahrungen in der Schweiz die allgemeine
gleiche Wahl in den Gemeinden ſich ſchlecht bewährt habe,
weil durch Mißgunſt der Aermern der natürliche, nicht
durch das Gesetz geſchütte Einfluß der Beſizenden in der
Gemeinde zurückgedrängt werden könne.

Abg. Hebti ng: für Beseitigung der Klaſſenwahl,
wenn ſich jeßt meiſtens in den Gemeinden die Bürger
noch als Ganzes fühlten, so ſolle man diese Einheit nicht
durch ein vom Geset, künſtlich geſchaffenes Klaſſenbewußt-
ſein zerſeten.

Abg. Lenz: für den Regierungsentwurf. Er will
den Beſit) vor Ueberrumpelung durch die Besitzloſen ge-
ſichert wiſſen. Die Klaſſenwahl ſei auch nöthig, weil der
Gemeinderath, das geſetzlich haftbare Pfandgericht, aus
Beſitzenden beſtchen müſſe, damit der Kredit der Gemeinde
erhalten werde.

f Abg. v. F e d e r: Das Klasſenſyſtem werde befürwor-

| tet, um gegen das Ueberwuchern der untern Klaſſen einen

Schutzwall aufzurichten; dieser ſei aber ohne prattiſche Be-
deutung, wie die Erfahrung zeige. Wenn die Regierung
ferner villeicht durch das Klaſſenſyſtem die Gemeinde thei-
len und dadurch ihren Einfluß auf dieselbe verſtärken
wolle, so sei dieser Hintergedanke verwerflich. Gegen das
Klaſſenſyſtem spreche beſondere, daß daſſelbe in gehäſſiger
Weiſe Reich und Arm in eine Sonderſtellung bringe und
dadurch die soziale Erbitterung mehre. Wenn auch mit
Recht dahin geſtrebt werde, durch die Konſtituirung der
Gemeindebehörden eine gerechte Würdigung aller Interessen
und Ansichten in der Gemeinde zu garantiren, ſo geſchehe
dies nicht durch das Klaſſenſyſtem, ſondern durch die Ein-
führung der proportionalen Vertretung, bei welcher jede
Minderheit einen entſprechenden Vertreter finde. ;
Abg. Kiefer: Es handle ſich darum, das Klassen-
wahlsyſtem nach dem Regierungsentwurfe ~~ oder das-
ſelbe gar nicht anzunehmen. Er iſt gegen jede Klaſsen-
wahl. Dieselbe hindere die Geſammtbildung des Volkes
in der Gemeinde. Im gesunden Gemeindeleben wunzle
die Erziehung des Volkes, am Mangel desselben kranke
jeßt noch Frankreich, welches in keinem der aufgekomme-
nen Regime eine auf der Selbſtthätigkeit der Einzelnen
ruhende Gemeindereform durchgeführt habe und deßhalb
von Emeute zu Emeute geschleudert werde. Von diesem
Geſichtspunkte der Erziehung des Volkes zum öffentlichen
Leben sei die Gemeinde wirklich ein politiſches Inſtitut.
Wenn man im Jahre 1831 nicht mit Intriguen gegen
die friſche Entwicklung der Gemeinde operirt hätte, nicht
unter die junge Saat das Unkraut geworfen hätte, wäre
der Umsturz von 1849 bei uns nicht gekommen. Nur
wenn das Volk in der Gemeinde die öffentlichen Dinge
kennen lerne, nur wenn hier Vorkehrung getroffen sei,
daß nicht die eine Klaſſe als Hinterſaſſen durch. die andere
bevormundet und von pelitiſcher Vildung fern gehalten

werde, können auch große Stürme, ruhig an ein politiſch

gebildetes Volk herantreten. Daß die jetzt beſtehende „Volks-
partei“, deren Grundprinzip eigentlich die Ablehnung des
Staates , so weit verbreitet ſei , habe man besonders den
bureaukratiſchen Einrichtungen der Jahre 1851/60 zu-
zuschreiben ; diese haben das Gemeindeproletariat, die rustici
geſchaffen; und dem gegenüber müſſe man jetzt das Volk
gehen lernen, damit daſſelbe der Stimme vernünftiger
Ueberlegung und dem Betoußtſein ſeiner öffentlichen
Pflichten folgen könne. Die Gründung eines parlamen-
tariſchen Regierungsſyſtems verlange, daß die Eintheilung

inKlasſsſen auch in der Gemeinde falle, daß auch hier keine
bevormundete Klaſſe, auf welcher ein freies Staatsleben

nicht auferbaut werden könne, mehr erxiſtire.

Staats-M. Jolly: Der Vorredner habe zu ſtark
aufgetragen. Die Regierungsvorlage mache nicht einen
Theil der Gemeindebürger rechtlos; sie gebe nur einem
Theil ein etwas geſchmälertes Recht der Ausübung ſeines
Einfluſſese. Der Ständehaß werde ſelbſt in Frankreich
nicht so sein, wie Vorredner schilderte. Auch hätten wir
andere Gemeinden als Frankreich. Auch Halbheit exiſtire
nicht. Die Frage iſt hoch politiſch, aber die Gemeinde-
verwaltung hat keine politiſche, sondern eine wirthſchaft-
liche Aufgabe. :

Abg. Winter: für Aufhebung der Klaſſjenwahl beim
Gemeinderath, aber für Beibehaltung beim Ausschuß.

Abg. Lender verzichtet auf das Wore.

Abg. Nitolai: befürwortet die Befeitigung aller
Klaſſenwaeh. ;

Abg. Paravicini: hat den Muth für die Klassen-





Tr TT T sr - 72D. IIN

Abg. Blum: hält die Klasseneiatheilung im Prinzip
gerechtfertigt; wir hätten in Baden keme Erfahrung, wie
es ohne Klaſſen ausſehe. Klaſſenhaß eriſtire nicht.

Abg. Sch metzer : gegen das Klaſsenſyſtem.

Nachdem noch der Abg. v. Duſch gegen den Vor-
wurf, die allgemeine Wahl des Bürgermeiſters sei eine
I.teziequeng, geſprochen, wird um 1 Uhr die Sitzung bis

r vertagt.

In der Abendsitzung sprechen die Abgg. Kuſel, v.
Rottect, Hollmann, Eckhard, Schupp, v. Renk. Hierauf
wurde der Antrag des Abg. Holtzmann auf Herstellung
des Regierungsentwurfs bezüglich der §§ 18 und 14
verworfen, und der Antrag des Abg. Eckhard auf Weg-
fall des Klaſssensy s ems bezüglich der Wahl in den
Bürgerausſchus mit 42 gegen 14 Stimmen ange-
nommen.

Die 14 sind: Rokk, Renk, Lenz, Turban, Paravicini,
Kuſel, Poppen, Blum, Holtzmann, v. Duſch, Winter, v.
Frehdorff, Heilig. j ;

Intereſſant war es, daß sogar der Berichterſtatter der
Kommisſſion (Schupp) ſich ſchließlich gegen den Kommis-
sionsantrag erklärt.



Politiſche Ueberficht.
Mannheim, 10. Dezember.

* Die Zweite Kamtmer in unſerem Lande Baden
hat gestern einen Strich durch die Dreiklaſſenwaht
in den Gemeinden gemacht und damit für die Beſeitigung
einer Einrichtung ſich entſchieden, welche die Reaktion der
50er Jahre dem deutſchen Muſterſtaate entlehnte. Die
Miniſter Jolly und Freydorf waren diesem Beschluſſe ent-
gegen. Jolly ergriff mehrere Male das Wort, um die
Karnimer für den Regierungsentwurf, die Beibehaltung der
Klaſſenwahl zum Gemeinderathe und großen Ausſchuſſe
zu beſtimmen. Vergeblich. Die gewohnte Folgſamteit der
Mehrheit der Kammer versagte! Das Miniſterium hat eine
Niederlage erlitten ~ nach der wichtigſten Seite hin,
nach Innen, wo es ſtärk genug iſt, ohne fremdes Zu-
thun, prattiſche Politik zu fördern und Gutes zu schaffen..
Von einem Rücktritte der Miniſter verlautet indessen, trot
der erlittenen Niederlage noch nichts. Und doch hätte die
Bevölkerung dieſen Rücktritt ſo gerne verzeichnet, als den
geſtrigen Kammerbeſchlußk. Gelangt der Kammerbesſchluß
zur Geltung, so wird in den Gemein den Badens neues
Leben erblühen. Dem für die Gemeinden errungenen all-
gemeinen gleichen und direkten Wahlrechte wird ſich bin-
nen Kurzem das bis jett noch verweigerte direkte Wahl-
recht zum Landtage anſchlieken müſſen und der Wille
und die Geſinnung der Bevölkerung in der Gemeinde-
und der Landesvertretung zum Ausdrucke ~ zur Gel-
tung gelangen. Die Anhänger des Eintritts Badens in
den Nordbund, oder gar diejenigen, welche unter dieſem
öffentlich befürworteten Eintritt eigentlich nur das Auf-
gehen Badens in Preußen wollen, die Gegner der föderativen
freiheitlichen Gestaltung Deutschlands, werden freilich die
Köpfe hängen. Sie ſollen sie aber hängen und für uns
nicht dasselbe Lied anſtimmen, das man im Augenblicke
den thüringiſchen Staaten vorjammert: daß nämlich nur
Heil im preußischen Großſtaate zu suchen und zu finden,
daß die Tage der Kleinſtaaterei gezählt ſeien und es besſer
wäre, je eher je lieber aus dem Zuſtande der Seldäſt-
ständigkeit herauszutreten und ſich Preußen, d. h. dem
Zäſarismus in die Arme zu werfen. N.

Leute, nach Muſter der Leiter der Freiburger Zeitung
werden uns deßhalb wieder den Vorwurf machen, wir
ſtänden für das „Vielfürſtenthum“ ein. Dem iſt
nicht so. Wir wollen weder ein gewaltſames und bevor-
mundendes „Viel-“ noch Ein-Fürſtenthum; wir
wollen die freiheitliche, föderative Vereinigung der im In-
nern freiheitlich entwickelten einzelnen Staaten Deutſch-
lands. Wir wollen ein freies und starkes, auf der Selbſt-
ſtändigkeit seiner einzelnen Glieder aufgebautes Gesammt-
vaterland. Ist dies mit dem „Vielfürſtenthum“ nicht mög-
lich, so iſt es auch mit dem Einzelherrſcher nicht durch-
zuführen . . . und in dieſem Falle iſt wie überhaupt für
uns das Fürsſtenthum keinerläé Dogma; am wenigsten
aber noch dasjenige der Hohenzollern.

Wie es in dem von diesen Zollern beherrſchten Staate
aussieht und zugeht, darüber gibt neuerdings ein Brief
des Abg. Harkort an ſeine wahlt ath!ut. Friedrich
Hatktort ſagt: . . . „Das Celler Dentmal erſchien wie


 
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