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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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1869.





F 274.



der deulſchen Volkspartei in VPaden.

Freitag, 19. November













Organ

Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme ber
?nzelgen-Gebühr : die einſpailtige

VPetitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

Sunntage und Festtage + täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnewentspreis vierteljätrlicßh Ein Gulden, ohne Voſtauſſchlag
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Badiſcher Landtag.

** Farlsruhe, 16. Nov. 2lte öffentl. Sitzung
der Zweiten K a mme r.

Fortſezung und Schluß des Berichts.

Abg. Kiefer: Lenders Getlehrſamkeit sei unnütz ver-
_ ſchwendet worden, denn der Kommiſſionsbericht wolle in
der nach einer Form abgesſchloſſenen Che keinen bloßen
Vertrag sehen. Selbſt der Gedanke von Savigny's gehe
dahin, daß die Che durch Vertrag entſtehe, wenn auch
deren Wesen in ungetheilter Lebensgemeinſchaft beſtehe.
Der Kommissionsbericht sage nur, daß die tkatholiſche
Lehre vom Sakrament ihre letzte feierliche Erklärung in
dem Konzil von Trient erhalten habe. Das französiſche
Konkordat und die von Lender angeführten organiſchen
Artikel bildeten ein untrennbares Ganzes. Pius VII.,
obgleich ebenso gut katholiſch als Lender, habe dennoch
daſſelbe unterzeichne. Ueber Materielles später mehr.
Doch müsse er sich Lenders Anspielung aut Gottesleug-
nung verbitten. Offenheit müsſſe herrschen, wenn man
nicht dem Vorwurf der Feigheit verfallen wolle : er pro-
teſtire gegen die Unterstellung.

Abg. v. Gulat: kann als Chriſt, Katholik, Deiſt
und Abgeordneter der Zivilehe zuſtimmen. Der faktiſche
Zuſtand mache die Einführung der Zivilehe nothwendig,
die ohnehin seit 1810 bestehe.

und ſuche noch andere Zwecke zu erreichen; der andere
Theil betrachte die Frage einfach von dem Standpuntte
der Zwectmäßigkeit. Sowohl er als die Kommission seien
frei von Hintergedanken. Wenn die obligatoriſche Zivil-
ehe irgendwie den Rechten der Katholiken, der Sitte und
Moral Eintrag thun würde, gienge er zur Minderheit
über.

Abg. B a u mſt ark weist zunächſt den vom Abg.
Kiefer dem Abg. Lender und dessen Parteigenossen ge-
machten Vorwurf der Feigheit zurück und erklärt ſich
gegen den Gesetzentwurf. Der Bericht enthalte eine Un-
richtigkeit, wenn er sage, die Kirche habe die Ehe als
Vertrag aufgefaßt. Die Kirche habe allerdings die Zu-

ſtimmung der beiden Chegatten als das wesentliche Mo-

ment bei der Eheschließung angenommen, allein hiebei an
die Zivilehe nicht gedacht. Etwas anderes sei die zur
Zeit der franzöſiſchen Revolution eingeführte und die
jezt bei uns betriebene Zivilehe. Die franzöſiſche Revo-
lution habe das Chriſtenthum beseitigen wollen; als man
aus ihren unerträglichen Zuſtänden herauskam, ließ man
die Zivilehe beſtehen, hob aber die Cheſcheidung auf.
Das hat ſich die katholiſche Kirche eher können gefallen
laſſen. In unserer Zeit werde die Zivilehe verlangt auch
von Leuten, welche keine Religion und Moral wollen,
welche in dem Menſchen nicht ein Ebenbild Gottes, son-
dern einen etwas herangebildeten Affen erkennen. Die
alten Heiden, die eine untheilbare Lebensgemeinschaft in
der Che erblickten, ſtanden höher als Gneiſt, der nur von
einer Geſchlechtsgemeinſchaft weiß und das ist im Grunde
nur ein Konkubinat. Die formale Berechtigung der
Staatsgewalt zu diesem Gesetz erkenne er vollkommen an,
dagegen wiſſe man nicht, warum man eine neue Wunde
zu den vielen bereits klaffenden hinzufügen wolle. Man
lu t tvarten, bis die Zivilehe im Nordbunde ein-
geführt ſei.

Abg. Tritſcheller ſchließt ſich den Rednern, die
für das Gesez gesprochen, an und fordert den Abg.

Lender auf, er ſolle mit ſeinen Amtshrüdern dafür sorgen,

daß das Volk über das wahre Wesen der Zivilehe auf-
geklärt werde. Die obligatoriſche Zivilehe sei ein Haupt-
grundſaß des modernen Staates, deßhalb stimme er für
den vorliegenden Gesetzentwurf.

Abg. Linda u: verweiſt darauf, daß er schon auf
dem vorigen Landtag die Regierung gewarnt habe, einen
ſolchen Gesetzesentwurf vorzulegen. Die obligatorische Zivil-
ehe ſei kein Bedürfniß für das Volk : sie werde von dieſem
verworfen, weil es in ihr das religiöse Moment vermisse.
Die Kirche werde niemals den durch die Zivilehe geſchloſ-
ſenen Vertrag als Ehe anerkennen.

Abg. La me y: der Abg. Mühlhäußer habe richtig

bemerkt, die Gesekgebung von 1860 habe den Konflikt,

; us > Kirche durch einen gütlichen Ausgleich beseitigen

Ausgleich gehörten zwei Parteien die beide billig ſein
müßten. So lange es noch etwas von Macht zu theilen
gegeben, sei es ziemlich gut gegangen: als aber der

Von Denjenigen, welche
die Zivilehe verlangten habe ein Theil Hintergedanken

wird: als der Bantbruch des Unternehmens . .

i Man habe die Kirche frei ſtellen aber auch die |
Freiheit des Staates durchführen wolln Zu einem



] Staat ſeine Rechte in Anspruch genommen, habe die

Kirche ihre Freiheit mißbraucht, um sich gegen den Staat
aufzulehnen. Da ſei die Durchführung der Trennung
eine Nothwendigkeit; der Staat müſſe anders auftreten,
um seine Bürger in die Freiheit zu führen, denn die |
Freiheit sei das Ende der Kirchenherrſchaft. Er ſelbſt |
ſei nicht für die raſche Einführung der Zivilehe gewesen;
er habe an ſich gegen die falkultative Zivilehe nichts,
auch nichts gegen die Geiſtlichen als bürgerliche Standes-

heamte, allein die Geiſtlichen hätten sich dieſes Amtes

würdig zeigen sollen, was sie nicht gethan hätten; deßhalb
sei die Regierung genöthigt gewesen , andere bürgerliche
Standesbeamte zu fuchen. ;

Die Ehe iſt göttlich, aber nicht kirchlich. Diejenigen
ſchaffen die Che, die sich miteinander verbinden. Bis
zum tridentiniſchen Konzil hätten sich die Bauern ohne
kirchliche Trauung verheirathet. Die Einſegnung in der
Kirche sei eine schöne heilige Sitte, aber nicht durchaus
nothwendig. Die Kirche aber wolle nicht blos die Che-
schließung, sondern auch das Standesbuch behalten. Man
könnte zwar auch die kirchliche Trauung vorhergehen
laſſen, allein es wäre keine Bürgschaft vorhanden, daß
nicht der Staat gehänselt würde. Es gebe keine Zivilehe
und keine andere Che, ſondern nur Eine Ehe mit ver-
schiedener Art der Eingehung. Darum Fei der Ausdruck
„Konkubinat“ von derZivilehe eine Lästerung. Diejenigen,
welche die Form der Che frei machen wollten, kämpfen
für wirkliche Freiheit und man werde sehen, ob das Volk
nicht dieſe Freiheit binnen Jahresfriſt liebgewinnen
werde.

Abg. Biss ing: Die Zivilehe sei das Zugeständniß,
das die Regierung der Offenburger Partei gemacht habe.
Die obligatorische Zivilehe sei aber nicht nothwendig; es
seien keine desfallſigen Wünſche an die Kammern ge-
kommen; wohl aber Eingaben, die sich gegen das Gesetz
erklären. Das Volk wolle in der Ehe keinen Handels-
vertrag, sondern die Weihe erkennen.

Abg. Eck h ard: Die Regierung habe das Gesetz ein-
gebracht, um sich mit alten Freunden wieder in ein
richtiges Verhältniß zu bringen. . Heute sei es ihm ver-
gönnt, von seiner Ausſaat (bezügliche Motion) die Ernte
zu haben, raſcher als er gehofft. Auf dem Lande feien
Viele gegen die Zivilehe. Allein die eingekommenen
Petitionn von Männern und Jungfrauen ſseien
häufig von Andern verfaßt worden. Viele von den
Unterzeichnerinnen würden einſt froh sein, ihr stilles „Ja“
vor dem Bürgermeister ſprechen zu können.

Abg. R oß hir t: Die Frage ſei nicht unbedeutend.
Die Mivorität in der Kammer habe in dieſer Frage die
Mehrheit im Lande. Die Zivilehe verdanke bei uns
ihr Dasein der Theorie; die Anschauung, daß man die
Che religiös eingehen solle, reiche über das Chriſtenthum
hinaus. Er sei gegen das Gesetz, weil er in demselben
einen weitern Schritt gegen die Kirche erblicke.

Das Haus dbeſchließt Schluß der Debatte, worauf
noch der Abg. Kiefer als Berichterstatter spricht und die
Annahme des Gesetzes befürwortet. Die Kammer jolle
der Aufgabe des Staats getreu bleiben und die Rechts-
ordnung ſchaffen, auf welche der Staat ein Recht habe.

Bolitiſche Ueberſicht.

, Mannheim, 18. November.

* Gestern waren Kaiſer und Kaiserinen, künftige Kö-
nige und Prinzen an den Ufern des Nils verſammelt,
um der Eröffnung des Suez -Kanals beizuwohnen,
welcher das Mittel- Meer mit dem Rothen Meer verbindet
und den Weg nach Ostindien und China um tauſend
Meilen abkürzt, dem Weltverkehre und der Zivilisation
neue Bahnen eröffnet! ~ Freilich iſt mit der offiziellen
Eröffnung des Kanals derselbe noch nicht thatſächlich er-
öffnet und es dürfte noch großer Opfer bedürfen, um den
Kanal in Wirkichkeit zu dem zu machen, für was er in der
Theorie gilt. Ob es dahin kommen wird, Viele wünſchen
und erſtreben es; Viele werfen schweren Zweifel in die
Waage und ſind der Ansicht, daß die egyptiſchen Feſtlich-
keiten raſch vergehen und nach ihnen nichts übrig bleihen
. und
der französischen Politik, die heute noch scheinbar schütend
und weihevoll über ihm waltet.Ö

In Dalmatien haben am Montage die Operatio-
nen der Truppen gegen die noch im Ausſtande begriffe-
nen Bezirke begonnen. Als b eſtim mt wird hiezu aus
Wien gemeldet, daß die Truppen ſofort das türkische



Gebiet betreten und auf dem kürzesten Wege den Auf-

dt t zu Neapel zu einem Hochverraths-Prozeſe |

den als für den Kapitaliſten nützlich gezeigt.



stand im Rücken faſſen. Die türkiſchen Grenztruppen
sollen gleichzeitig Befehl haben, sich etwas tiefer ins Land
zu ziehen und die Operationsbasis vollständig frei zu
laſſen.

Man braucht weder Revolutionär noch Prophet zu
sein, um zu sehen, daß in Fran kre ich das Kaiserreich
mit wachſender Schnelle bergab geht und dem Punzel-
baum entgegeneile.. Wenigstens iſt das Kaiserreich noch
fkränker 1als. der Kaiſer .. . . so wird der „Frtf. Zig.
über die paolitiſche Lage in Frankreich aus Paris be-
richtet und dieſe keineswegs dem Bonapartismus günſtige
Aussicht, in folgenden Sätzen begründet: . . . ,, Während

es in Frankreich eine feſtgeſchloſſene , wenn auch hoffs

nungslose legitimistiſche, eine kleine mehr oder weniger
versteckte orleaniſtiſche, eine große und offenkundige republi-
kaniſche Partei gibt, reduzirt ſich die bonapartiſtiſche auf
ein Dutzend alter Lederhoſen und grauer Schnauzbärte,
sagenhafte Ueberbleibſel napoleoniſchen Ruhmes. Das
Kaiserreich hat keine Anhänger, es hat nur Altionäre,
wie der Kaiſer ſelber nichts als der Spekulant auf dem
Thron ist, der das Regieren treibt wie der Bantier sein
Börsengeſchäft. Man ſpricht allerdings von gemeinnützigen
Unternehmungen, wenn man Compagnien gründet und
Attien ausgibt, aber ſobald der Profit eingeſackt iſt, mag
aus der Gemeinnützigkeit werden, was da kann. So
macht das Kaiſerthum in Freihandel und Völkerbefreiung,
in Städteverſchönerung und Friedenskongreß ; aber das
Alles iſt ein prinzip- und zuſammenhangloſser Umtrieb,
der nur den Zweck hat, das Haus Bonaparte u. Co.
zu festigen und zu mehren. Solche Spekulationen können
freilich manchmal auch Gutes bewirken, aber dieſes wird
vom Publikum immer theurer bezahlt als es werth iſt,
wiegt niemals das Ueble auf , das daneben entſteht und
schließlich nimmt der ganze Schwindel einEnde mit Schrecken.
Die Aktionäre der Pereire und Mirés wissen etwas davon
zu erzählen und den Aktionären des Kaiserreichs wird
es um kein Haar besſſer gehen. Sie fangen bereits an,
so was zu wittern; ein böſes Flüſtern geht um, wie
am Vorabend eines Bankerotts und ein Liquidationsduft
verbreitet sich, der nicht nach Moſchus riecht.

In It alien nehmen die politiſchen Prozeſſe kein
Kaum iſt Lobbia abgeurtheilt, so rüſtet ſich ſchon

gegen nicht weniger als 44 Persſonen. Unter den Ange-
klagten befindet ſich außer 19 Soldaten und einem
Prieſter auch der alte Agitator Guiſeppe Mazzini, gegen
den natürlich in conbumaciam vorgegangen wird.

JIn der belgiſchen Deputirtenkammer erwiderte der
Miniſter Frere Orban auf eine an die Regierung ge-
ſtellte bezügliche Anfrage : Der französiſch-belgiſche (Eiſens-
bahnfrages) Zwiſchenfall habe zwar einige Empfindlichkeiten
hervorgerufen -~ aber man müsse ſich doch zu diesem
Zwiſchenfalle gleichſam Glück wünſchen, denn er habe
nur dazu gedient, die Beziehungen zu Frantreich freund-
licher als je zu geſtalten. Die abgeſchloſsenen Uebereinkünfte
seien vom dbpolitiſchen Gesichtspunkte aus zurückhaltend
und den induſtriellen Intereſſen günſtig. ~ Die Leutchen
verhalten sich wie Brautleute; ein Bischen Zerwürfniß
und die Eintracht lodert in reinerem Feuer.



Deutſchland.

~ Lörrach, 17. Nov. Die Kreisverſamm-
lung unſeres Kreiſes hat bezüglich der Kreishypotheken-
bank beſchloſſen : als Einzahlung des Kreiſes die Summe
von 10,500 fl. in den Voranſchlag aufzunehmen. Der
Geſammtumsat, dieſer Anstalt betrug bis 30. September

d. J. 1,100,421 fl. 48 kr. Es wurden ausgeliezn .

340,644 fl. 21 kr. und vertheilen ſich die Empfänger
der Darlehen auf 47 Ortſchaften des Kreiſes. Es wurden
der Bank in versſchiedener Weiſe anvertraut 193,376 fl..
22 kr. Die Anftalt hat sich sowohl für den hcfucet:
Fine An-
frage,, ob der Provisionszuſchlag von "'2 pCt. zu.
den feſtgeſeßten 5 pCt. Zinſen nicht weggelasſen werden
könne, wurde verneint, weil dieses "/» pCt. zur Bestrei-z
tung der Bureaukoſten nothwendig sei. ~ Der Aufwand
für die Viehzuchtansſtalten des Kreiſes wurde für nächſtes
Jahr auf 1200 fl. veranschlagt. Für Heilung und Pflege
armer Augenkranken wurden wieder 300 fl. bewilligt.
Für Abgabe von Zuſchüſſen an arme Schulpräparanten
wurden 100 fl. bewilligt. Zur Aneiferung tüchtiger
Viehzüchter im Amte Schönau wurden 100 fl. ausge-
worfen. Der Antrag, die Regierung zu erſuchen, den


 
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