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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 232 - No. 258 (1. Oktober - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1009

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Mittwoch, 20. Oktober.

1369. '







F 248.



Yiannhei

mer Abendzeitung.

Organ der deulſchen Volksparlei in Paden.





Die „Mannheimer Abendzeitung? wird ~ mit Ausnahme der Sonntags und Feſttage + täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
; G Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.







Zur Kritik der ſüddeutſchen Groß-
. Preußen.

D.C. Es war ein guter und geschickter Griff der
Frankfurter, ihren Vertreter dießmal nicht aus der eige-
nen Mitte zu nehmen, wo allerlei perſönliches Getreibe
in die ſachlich wichtige Entschei ung sich miſchte. Indem
ſie auf einen Auswärtigen hielten , stellten ſie ihre Wahl
hinweg über alles Perſönliche und Lotale, stellten sie sie,
so zu sagen in's Freie. In der Richtung, in der sie
offenbar wählen wollten, konnten sie's besser nicht treffen,
als daß sie Weiß wählten. Es war ein deutlicher, ein
würdiger Proteſt gegen Großpreußen. Es war ein derber
Schlag auf alle die Lügner, welche die treue deutsche
Reichsſtadt in den ſchnöden Verdacht ſtellten, als habe
ſie ſich verpreußen laſſen, als sei es ~ ganz wie vor
1866 — nur eine kleine Schaar „radikaler Schreier“,
die gegen Zollern ständen. Die Bürgerschaft hatte ge-
ſprochen, das Zeugniß stand da vor aller Welt, die Lüg-
ner mußten sich anders zu helfen ſuchen. Und sie suchten.
Weiß ſei Oeſterreicher, sei Katholik, hieß es. Zwei schwere
Verbrechen mit eins. Jencs ein Verbrechen in dem Staat
des deutſchen Berufs, dieſes in dem Staat der Toleranz,
Aufklärung, Humanität. Aber die großpreußiſche Presse,
zumal hier im Süden, druckte es als Beweis fü: die
Schändlichkeit der Frankfurter eiliggt nach. Nun iſst's
nicht einmal richtig. Weiß iſt Preuße und Protestant.

So muùuß ein anderes helfen: die Frankfurter That-
ſache iſt gar zu lautes Zeugniß gegen Großpreußen. Und
wenn die Lüge am größten, iſt die „Kreuzztg.“ am nächsten ;
ſie bringt über die Wahl von Weiß eine kurze Notiz,
deren wesentlicher Inhalt ist: das beſitende Frankfurt
werde ſchon empfinden, was dieſe Wahl ſsagen wolle;



Weiß sei Sozial-Demokrat. Und auch das wird hier

im Süden einfach nachgedruckt; der „Schwäb. Merkur“
z. B. giebts ohne jeden erläuternden, oder gar beſchwich-
tigenden Zuſatß. Nicht als ob es in unseren Augen der
Beſchwichtigung bedürfte , verſteht sich; aber wie es da
hingeſtellt iſt, ſoll es den Eindruck machen wie „Kommu-
niſt“, ſoll dem guten Bürger zu Gemüthe führen, wie
Schreckliches er von denen zu erwarten hat , die nicht
Großpreußen ſind. G

Iudem wir diese Ausfälle gegen Weiß und ſ seine
Frankfurter Wähler regiſtriren, . wollen wir damit nicht
ſeſtſtellen, wie erfreulich unangenehm allem Großpreußen-
ihum die handfeſte Niederlage iſt, die sie erlitten haben.
Wir zielen auf ein anderes.

Man versteht im Norden oft nicht ganz , daß der
Kampf der Volkspartei hier im Süden ſo erbittert , ſcho-
nungslos, derb geführt wird. Selbſt in Kreiſen , wo
man uns in der Sache nur zu gut verſteht und nur zu
ſehr Recht giebt, kann man das lebhafte Gefühl der
perſönlichen Entrüſtung und Erbitterung nicht begreifen,
welches dabei zum Ausdruck gelangt. Kurz geſagt, man
würdigt eben nicht genugſam in dieſen Kreisen mit wel-
cem Menſchen wir uns herumſchlagen müsſſen. Und da
hat man denn hier ein Pröbchen, das manches ertlärt.

In der Partei, die uns hier im Süden gegenüber-
ſteht, ſind gerade viele der Wortführer auf politischem
Gebiete so auserlesen würdelos, so über alles Denken und
Verſtehen zerfalea mit jedem Gebot von grundsätzlicher
Treue von perſönlicher Schicklichkeit, sind vollends Wort-
flihrer in der Preſſe so ganz aller Bescheidenheit baar,
die ihnen der flüchtigſte Blick in ihre Vergangenheit zur

Pflicht machen müßte, so ganz und gar anstandslos in
ihren Angriffen auf die, welche treu geblieben, so gerade-
zu pxunktend mit Wort- und Treubruch, davon die Zeugen
und Opfer zum Theil ihre intimſten Genoſſen von langen
Jahren sind, daß zu dem berechtigten politischen Zorn
über das, was jene über ihr Land gebracht haben und
bringen, ein gleich berechtigtes menſchliches Gefühl von
Yherſönlicher Empörung tritt. Jeder von uns z. B. kennt
Weiß persönlich oder politisch. Auf der Gegenſeite müſsſen
ihn die Wortſührer politiſch kennen, kennen sie ihn ganz
gewiß. Und kaum ist er gewählt, so erlebt die Volks-
partei ſchwarz auf weiß: auch den lügen sie wieder an !
auch über ihn tragen sie ihre Lügen von Haus zuHaus ;
durch Bayern, Schwaben, Baden ſchnurrt's wie am Fäd-
chen über Stadt und Land.
Begreift man an diesem einen Beispiel, warum hier
die Hiebe ſcharf fallen?!

Indeß , was bedarf’'s dieses einen Beiſpiels ? Da,

leſt ſelbſt: drüben in München der Völk eifert, donnert

J . L ä;



gegen ~ ja, es iſt wörtlich wahr, buchſtäblich wahr
der Völk eifert gegen Renegatenthum !!

Uns scheint, das genügt. Man wird's in Nord-
deutſchland lesen; die sämmtlichen großpreußiſchen Organe
werdens natürlich abdrucken. Vielleicht giebt das dem
einen und andern Freunde drüben Anlaß , für die heute
ertheilte Belehrung sich zu revanchiren. Mit der Löſung
eines Räthſels nämlich, vor welchem wir rathlos stehen.
Es ist folgendes :

Wenn die Gewalt alle Scham verloren hat, das be-
greift sich. Ihre Mittel erlauben ihr das. Sie hat
gewagt, gekämpft , gesiegt. Aber daß die, welche nie ge-
wagt, gekämpft. gesiegt, nichts eingeſett und nichts er-
reicht . helft uns, sagt uns, ihr Freunde, wie kommt's,
daß auch die alle Scham verloren ?!

Badiſcher Landtag.

* Karlsruhe , 18. Ott. 12. öffentliche Sitzung
der Zweit en Ka mmer unter dem Vorsit, des Präsi-



denten Hildebrand. Auf der Regierungsbank Miniſterial-

Proſident Ellſtätter, Geh. Referendär Regenauer.

Die hohe Versammlung kann erſt nach längerem
Warten durch Herbeiholen mehrerer Mitglieder beſchlußfähig
gemacht werden.

Nach Eröffnung der Sitzung werden Mittheilungen
aus der 1. Kammer gemacht und darauf folgende Peti-
tionen angezeigt :

1) Eine solche von Pfohren 2c. wegen des Baues

einer Höllenthalbahn,

2) eine Petition von Pforzheimer Fabrikarbeitern um

Einführung des allgemeinen direkten Wahlrechts,

3) eine solche der Wirthe von Ferbach wegen des

Wirthschaftsgesetzes. ß

Zunächſt ergreift Herr Miniſterial- Präsident Ell-
ſtätter das Wort, um bezüglich des Gesetzes über die
Beſteuerung der Wanderlager gegen den Kommissionsan-
trag zu sprechen, und den Regierungsvorſchlag als ge-
rechter und billiger zu empfehlen.

Die Komm ssion beſtimmt für einen Geſchäftsbetricb
von 1914 Tagen Halbjahres-Steuer, für einen solchen
über 14 Tage ganze Jahres-Steuer, und überhaupt nicht
mehr als Jahresſteuer und das Ende des Steuerjahres
als Grenze.

Die Regierungsvorlage wünſcht dagegen bei 7tägigem
Betrieb die Vierteljahres-Steuer, bei IAtägigem Betrieb
die Halbjahres-Steuer , bei Betrieb von 14021 Tagen
die °14 Jahres-Steuer und so fort. Durch Annahme des
Kommisſsionsantrages würden die Wanderlager-Besitzer eher
zu längerem Verbleiben veranlaßt. Der Regierungsent-
wurf ſchließge sich direkt an das Geſez vom 26. Mai
1866 an, welches durch den Kommissionsantrag alterirt
werde. Dieser lasſe die Steueranlage sowie die Straf-
beſtimmung unbeſtimmt und setze Alles statt auf die
Zeit der Anmeldung auf die Dauer des Betriebs.

La me y glaubt, daß die nöthige Aenderung bezüg-
lich der Strafbeſtimmungen leicht zu bewerkstelligen seien
und schlägt vor, den Entwurf an die Kommission zurück-
zugeben, nachdem ſich die Kammer ſchlüsſsig gemacht habe,
ob sie den Kommissionsantrag annehme oder nicht. Kusel
wünscht, daß der Begriff von Steuerjahr näher terminirt
werde.

Geh. Referendär R egen auer meint, daß der In-
haber eines Wanderlagers bei jeder Anmeldung eben von
Neuem die Steuer zu zahlen habe.

Tritſcheller: Die Kommission habe sich nur mit
der von der Regierung vorgeschlagenen höheren Steuer befaßt.

v. G ul at wünſcht einen Zuſatz, durch den die bedeu-
tend billigere Jahresſteuer, namentlich bei den Verhältnissen
Badens (der Stadt), erhöht werde.

Hummel findet die Meinungsversſchiedenheiten nur
formeller Natur.

Kirsner empfiehlt, daß die Kommission darüber be-
rathe, ob die Jahressſteuer überschritten werden dürfe.

M.-Pr. Ellstät ter: Das Steuerjahr als Grenze der
Besteuerung fesſtzuſchen, sei mit Unzuträglichkeiten ver-
bunden. Ein Nachtrag zu dem Zwecke, die nicht zu dem
Kommiſſionsantrag paſſenden Strafbeſtimmungen mit dem-
ſelben in Einklang zu bringen , sei schwieriger als sich
der Abg. Lamey vorstelle; unbillig ſei aber jedenfalls
der Afache Jahresbetrag als Strafe.

Kölle unterſtitt den dahin gehenden Wunsch von
Gulats, daß es zwar bezüglich der ersten 14 Tage beim
Komniſssionsantrag bleiben , für jede weitere Woche aber

eine Vierteljahrsſteuer bezahlt werden solle, da sonſt leicht



aus einem ſolchen Wanderlager ein Geschäft mit.. feſtem
Wohnsitz werden könne, und stellt bezügl. Antrag.

Ki ef er hält den Regierungsvorſchlag, sowohl was
das Maximum als was das Minimum der Steuer be-
treffe, für billige. Grundsätzlich solle allerdings die
Jahresſteuer für Wanderlager eine höhere Summe rehräsz
sentiren als die für ansässige Geschäfte. Er stellt deßhalb
den Antrag auf Herſtellung des Regierungsentwurfs.

M.-Pr. Ellstätter bemerkt, was Kölle wünſche, sei
gerade der Sinn des Regierungsvorschlags.

Kuſel warnt davor, eine höhere Steuer als die für
ein Jahr zu beſtimmen, da doch Niemand mehr zahlen
würde.

v. Ro tteck unterſtißt Kiefer. Sollte jedoch der
Kommissionsantrag zur Annahme gelangen, so ſolle
höchſtens die Dauer von 3 Monaten angenommen
werden.

S eiz: Die Wanderlager gingen ja von Ort zu Ort
und würden überall besteuert; die Kammer habe aber
nicht allein die ansässigen Kaufleute, sondern auch die
Wanderlager zu ſchüten. ;

G erwi g hält den Kommissionsantrag für milder
als den Regierungsentwurf und ist deßhalb für letzteren,
da er die Wanderlager beſchränkt wünſcht.

Richter hätte noch höhere Besteuerung derſelben
gerne gesehen. :

_ Tritſcheller weiſt auf die Fabrikbevölkerung hin,
welcher sehr an billiger Kleidung gelegen sein müsse.
Man ſolle alſo die Wanderlager nicht zu sehr belaſtenn.

Kiefers Antrag auf Herstellung des Regierungsentwurfs
wird ſchließlieh, mit 26 (gegen etwa 15) Stimmen und
bei der namentlichen Abſtimmung das ganze Geseßz mit
allen gegen 1 (Heidenreichs) Stimme angenommen.

Schluß der Sitzung. Nächſte Sitzung Donnerstag ,
den 21. d. Mts., Vormittags 10 Uhr. j

Gegenstände : Berathung des Berichts des Abg. Kölle
über die mit Jtalien und der Republik Liberia abge-
ſchloſſenen Verträge und des Berichtes des Abg. Buſch
über den mit dem norddeutschen Bund abgeschlossenen
Vertrag über Behandlung des beweglichen Eigenthums
der vormaligen Bundesfestungen.

Politiſche Uebersicht.
Mannheim, 19. Oktober.
* Die „Berliner National-Zeitung“ belehrt uns , der
bekannte Münchener Brief in der „Augsb. Alg. Ztg.“
bediene sich mit Unrecht einer Wendung, als wenn



zwiſchen der „deutſchen Politik“ der badiſch en und der
bay eriſch en Regierung kein Unterschied beſtände. Der
Hauptinhalt der langgeſtrecktten diplomatiſchen Ausführuug
geht dahin, daß Hr. v. Freydorf nicht allein den Eintritt
Badens in den Nordbund ersſtrebt, sondern den Eintritt
all er ſüddeutſchen Staaten, und daß Hr. v. Freydorf
ſich nicht zu der von Bayern befolgten Politik „einer
föderativen Einigung unter Wahrung der Selbhstſtändigs
keit der einzelnen Staaten“ bekennt; daß er vielmehr
sich für „eine bundesstaatliche Einigung aller deutschen
Staaten ausgeſprochen.! Wenn der badiſche Minister
zwiſchen ciner „föderativen Einigung“ und einer ,vollen
bundesstaatlichen Einigung“ unterscheidet, ſo kann dieß

| nur auf Kosten der „Wahrung der Selbſstſtändigkeit der

einzelnen Staaten“ gemeint sein. Die „volle“ bundes-
staatliche Einigung des Hrn. v. Freydorf tönnte darnach
eben nur als die vorbehaltloſe Unterordung unter die
norddeutſche Bundesverfaſſung angesehen werden. Diese
iſt aber, wie ſchon zur Genüge bekannt, ganz darauf an-
gelegt, den „Bundesstaat“ nach und nach in den Einz
heitsſtaat hinüberzuführen. Der Nothſchrei, der in der
ſächſiſchen Thronrede und der Rede des Präſidenten der
1. Kammer enthalten , das ſächsiſche „bis hieher und nicht
weiter“ giebt darüber, wenn es noch,verlangt werden ſollte,
unwiderlegbaren Nachweis. Die ,deutſche“ Politik des
Miniſters v. Freydorf iſt demnach aber einfach nur eine
großpreu ßiſche. In Baden iſt dieſelbe ſeit lange er-
kannt und von der großen Mehrheit des Volkes beſtritten.
In Deutschland iſt ſie überal, wo man deutſch ~
nicht aber großpreußiſch ~ denkt und fühlt, verurtheilt.

In Groß preußen flatterten geſtern die schwarz-
weißen Fahnen auf öffentlichen Gebäuden. Sie ſaollten
die Bevölkerung an die ſiegreiche Schlacht von Leipzig,
die Befreiung des Vaterlandes aus der Fremdherrſchoft
erinnern. Sie erinnerten aber auch an das vergosſſene
Blut, an die That der Väter, und an die Verheißungen,
welche die damals bedrängten Fürſten dem Volke gemacht








 
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