Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI Heft:
No. 76 - No. 101 (1. April - 30. April)
DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0391

DWork-Logo
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
N. 97.

1869.











Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird – mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der
igen-Gebühr : die einspaltige Petitzeile 8 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

Anzei





Organ der deutſchen Volkspartei in B

Bestellungen bei der Expedition 0 1 Nr.








Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag

15 in Mannheim und bei allen Poftanstalten.



Lettern als Spitzkugeln.

D. C. Was für gefährliche Spitzkugeln die kleinen
Lettern sind, Das zeigen wieder einmal recht deullich die
Enthüllungen über 1866, welche in dem vierten Bande
des öſterreichiſchen Generalſtabswerkes über den deutſchen
Bruderkrieg enthalten ſind.

Was ist der Inhalt dieſer neuesten Enthüllungen?
Die Hauptpunkte mögen genügen :

1. Waffenſtillſtand für den deutschen Waffengefährten
aus 1864 bewilligt König Wilhelm aus Rückſicht für
den ausländiſchen Kaiſer Napoleon; ~ es hatte
alſo Rückſichten zu nehmen auf das Ausland und es
nahm Rückjichten auf das Ausland, die er für das deutſche
Inland nicht nahm + König Wilhelm.

2. Bedeutender Territorialerwerb in Norddeutſchland
war dabei beſtimmte Vorausſcezuug des ~ Königs Wil-
helm.

3. Vor Allem auf Annexionen legte Werth + König
Wilhelm.

4. Auch Sachſen wollte zerſtückeln, wenn nicht ganz
verſchlucen – König Wilhelm.
zu; Auch von Österreich wollte ein Slück ~ König
Wilhelm. |

6. Ohne bedeutenden Ländererwerb wollte abdanken
. Küönig Willhelm.

7. Zur Ausführung dieser von reinſtem Deutsſchthum
eingegebenen Drohung berief scmmen Kronprinzen ~ Kö-
nig Wilhelm.

Soweit der Kriegsherr im deutschen Bruderkrieg +
der König Wilhelm. Wer glaubhaft nachwiese, daß er
in ſolcher Politik wirklich noch den Schatten eines deut-

schen Motivs erblicke, Der könnte ſich sehen laſſen und

ein ſchön Stück Geld verdienen.

Wenden wir uns zum Urheber, Anzettler, Auslands-
bündler deſſelben deutschen Bruderkrieges, dem Grafen
Bismarck. Er übermittelt alle dieſe Deutſchheiten dem
Gesandten in Paris ohne die leiſeſte Gegenbemerkung, er
prägt sie ihm ein zu genaueſter Nachachtung; allein diese
ſo höchſt patriotiſchen, so höchſt nationalen Gesichtspunkte
sollen den Gesandten leiten bei ſeinen patriotischen, natio-
nalen Bemühungen. Der Minister ist seines Königs werth.
Daneben behandelt Graf Bismarck eine Seite der Sache
durchaus ſelbsſiſtändig, die italienische nämlich. Und wie
behandelt er ſie? Wie Preußen seine Verbündeteu zu
behandeln gewohnt iſt, wenn es ſie nicht mehr braucht,
~ wie Preußen noch ſo eben seinen Verbündeten aus
1864, das deutſche Oesterreich, behandelt hatte, ſo nun
Italien. „Ohne Rücksicht“ auf etwaige Schwierigkeiten,
die Italien erheben möge, werde er ſich „mit Oesterreich
verständigen“, erklärt Graf Bismarck ausdrücklich, — der-
ſelbe Graf Bismarck, der den Italienern, als ſie nach
ihrer Niederlage auf die napoleoniſche Vermitilung einzu-
gehen und für den Erwerb Venetiens von OÖeſterreich ab-
zulaſſen Miene machten, amtlich durch seine Agenten und
öffentlich durch seine Skribenten zu Gemüthe führen ließ,
sie müßten aushalten.

Neben diesen, aklenmäßig aus Preußens eigenen Wor-
ten und Thaten erwiesenen Dingen stehen da noch einige,
einſtweilna nur behauptete, aber schwerlich unbegründete
Notizen, die auch recht ſpitkugelartig drein schlagen :

1. Der große Pfordten hat an dem Bismarckſchen
Länderhandel raſch Geschmack gefunden; für etwaige baye-
riſche Abtretungen an Preußen hat er sich (wahrscheinlich
wegen der Umsicht seiner Vorbereitungen und des Glanzes
ſeiner Erfolge) ſchadlos halten wollen an Oesterreich +
eine Reminiszenz, deren öffentliche Auffriſchung in Mün-
chen ihres Eindrucks nicht verfehlen kann; sie bedeutet :
„Wir kennen uns, und wenn's denn sein ſoll: die Zeit
der Rücksſichten iſt vorüber.“

2. Die Angesichts der preußiſchen Bergrößerungen
von Frankreich angeregte Frage wegen Wiederhersſtellung

der Grenzen von 1814 [Landau, Saarlouis, Luremburg]

iſt „nach glaubwürdigen Nachrichten“ einer beſtimmten

Ablehnung bei Preußen nicht begegnet. Der erste

Akt des Nachſpiels, bei welchem Luxemburg in die Brüche

ging, iſt bereits öffentlich aufgeführt; ob der zweite Lan-

dau, Saarlouis, oder wie sonst heißt, belehrt uns wahr-

-t bald eine Interpellation von Bennigsen oder
iquel. -

3. Unbefangen und harmslos präſentirt ſich als
Schlußſaß der Enthüllung (soweit sie bis jetzt vorliegt)
die Bemerkung: „Streng genommen“ sind die Auguſtver-
träge „durch den Prager Frieden ungiltig geworden.“

Daß Das in einer Schrift des öſterreichiſchen Generalstabs
auf deutſch heißt: ſo b ald wir's streng nehmen ftönnen,
geht's an dieſe Verträge, Das liegt auf der Hand. In-
zwischen muß Bismarck oder müssen andre Leute ein
Vorgefühl davon gehabt haben : die Verträge ſind unter
der Hand hinfällig geworden.

Die Nr. 4 fehlt diesmal noch. Wir fühlen uns ver-
ſucht, sie zu prophezeien. Sie wird lauten: ,„Streng
genommen“ besteht der deutſche Bund noch; denn nach
seinen Grundgeſeten konnte er nur aufgelöst werden durch
die einſtimmige Zuſtimmung aller seiner Glieder; die Zu-
ſtimmung aber fehlt von Holstein, Hannover, Hesſſen,
Naſſau, Frankfurt. Und die Nr. 4 wird auf deutſch
heißen: Da wir's ſtreng nehmen können, so geht's
nunmehr an diese Frage.

Soweit für heute. Wir haben den Inhalt dieses
hoch bedeutſamen Stückes Geschichte von 1866 sachlich
klar ſtellen zu müſſen geglaubt. Die YBollern-Politit iſt
des undeutſcheſten Sinnes , der allergewöhnlichſten Erobe-
rungssucht, der allerunpatriotisſchſten, aller antinationalsten
Hausmachts-Gelüſte, der ausgeſuchteſten Rückſichtsna h me
gegen das Ausland Frankreich, der heiſpielloſeſten Rück-
ſichtslo ) ig keit gegen den Allirten Italien nicht mehr
blos angeklagt, sondern durch ihre eigenſten Worte über-
führt. Vor Allem König Wilhelm ſelbſt ſteht nunmehr
vor Mit- und Nachwelt da als Das, was er ist: ein
hohenzoller scher Eroberer, der L and will, aber von
D eutſc<land nichts weiß. Sein eigener Minister ist's,
der ihn so hinſtell. Sein Bismarck iſt's, der ſeine iges
heimſten Gcdanken, seine innerſte Seele, seine wahre
Natur in der vollen Unbefangenheit eines vertraulichſten
Schreibens an einen Vertrauten ſchildert. Der König
gezeichnet durch ſeinen Miniſter ~ ja, dies Porträt iſt
getroffen; es iſt ſein wahres Anttit!!

Man begreift, daß die Großpreußen ſchweigen. Wenn
Die jett ſchweigen, wahrlich, ſie wiſſen warum. Wie
zerſchmettert ſteht die ganze Bande. Kein Laut. Sie
ivagt nicht zu zucken. Leugnen f> undenkbar! Lügen
unmöglich! unmöglich für sie, ſie! Welche Wendung
nehmen?! Den König ſchüten vor den Offenherzigkeiten
seines Miniſters? Den Minister decken mit der Sieger-
laune seines Königs ? Aber wenn der Minister Jenes
der König Dieses nicht will? So hole Dieser und
Jener die unbequemen Thatsachen! Da heißt's warten,
bis Bismarck hilft und Braß. Aber nicht einmal ſie
wiſſen Hilfe. Das Cinzige, wozu sie ſich aufſchwingen,
iſt einzelne Ausdrücke zu bemängeln, resp. zu berichtigen,
die in der öſterreichiſchen Entzifferung der in Chiffren
telegraphirten Original-Depesche fehlerhaft sein mögen;
dieſe Ausdrücke sind höchſt gleichgiltig, ſie ändern nichts
am Geſammteindruck; auf ſie ſich ſteifen, heißt nur erſt
recht beweisen, wie tief getroffen haben diese Spitzkugeln
von Lettern.

Politiſche Ueberſicht.
j Mannheim, 24. April.

* Im gesetzgebenden Körper Frankreichs hat die
demokratische Opposition vor einigen Tagen abermals
einen erfolglosen Verſuch zu Herbeiführung freiheitlicher
Fortschritte gemacht. Picard und Simon ſtellten Anträge
auf Beseitigung der Beſchränkungen des Drucker- und
Buchhändlergewerbes, auf Verweiſung der politiſchen Ver-

gehen vor die Schwurgerichte und auf Aufhebung der
| drei noch in Kraft beſtehenden Artikel des allgemeinen
Sicherheitsgeſehes vom Jahre 1858 , durch welche der
Verwaltung noch heute über alle „Verdächtigen“, namentlich
über alle wegen „Umtriebe im Innern“ verurtheilten Per-
sonen eine faſt ſchrantenloſe Gewalt eingeräumt ist. Die
regierungsergebene Mehrheit hatin üblicher Weiſe (mit 180
gegen 46 Stimmen) sämmtliche Anträge verworfen; was



das imperialistische Regiment will und thut, Das ist ihr
recht; aus ſerviler Stumpfheit sie aufzurütteln vermögen
ſelbſt die ſchauderhafteſten Ecinnerungen nicht. An folchen
Erinnerungen konnte es bei diesem Anlaße den Mitglie-
dern des geſez gebenden Körpers wahrlich mcht fehlen, da
ie Zeuge gewesen waren der fürchterlichen Anwendung,
welche der nach dem Orsſiniattentat 1858 zum Minister
des Innern ernannte General Espinaſſe dem berüchtigten
„allgemeinen Sicherheitsgeseßze" gegeben. In welcher
Weise dieser Helfershelfer Napoleons beim Staatsſtreiche
vom 2. Dezember damals gewüthet, darüber gibt eine
kürzlich unter dem Titel: „Die Verdächtigen im Jahre
1858" erschienene Broſchüre Tenots haarſträubende Auf-
ſchlüſſe. Deportation der Verdächtigen: Das war







das Radikalmittel, zu dem ſich Espinaſſe bekannte. Für
jedes Departement sezte er im Voraus die Zahl der zu
Deportirenden feſt; w er deportirt wurde, war ihm gleich-
giltig , wenn nur die Geſammtziffer ſtimmte. Das geht
u A. deutlich aus einem kurzen Verhaftsbefehle hervor,
den Tenot auf Seite 1983 mittheilt und welcher folgen-
dermaßen lautet: „Sie werden Depera, Sohn, verhaften,
wenn er nicht verheirathet ist; wäre er es, ſo verhaften
Sie den Pharmazeuten Desforges zu Paray-leMoanial."
Nach der Schablone dieses Verhaftbefehles wurden bei-
spielsweiſe im Departement Herault nicht weniger als
2166 Staatsbürger dem Schoße ihrer Familie entriſſen.
Davon waren 10 zur Deportation nach Cayenne, 798
nach Algerien beſtimmt, für 776 war man über einen
geeigneten Strafort nicht einig ; vor Kriegsgerichte wurden
97 gestellt, von französischer Erde vertrieben 37, zeitweilig
entfernt 9, internirt 42, in Freiheit geſezt 55, der poli-
zeilichen Ueberwachung überlassen 327, an die Zuchtpolizei
geſchict 15. Hweitauſend einhundert ſechsundſechszig
Personen aus einem einzigen Departement verfielen dem
Sicherheitsgeseße und wurden momentan durch den kaiſer-
lichen Gewaltakt, den General Espinasse, als „treuer
Diener seines Herrn“, in Vollzug ſetzte, vogelfrei
erklärt.

Aus der Bundesſtadt der nordameritaniſchen
Union wird als ein Beweis für das Wachſen der Sym-
pathie für den Aufstand auf Kuba berichtet, daß in einer
der lezten Senatssitungen der Kaplan in das Eröffnungs-
gebet eine Fürbitte für den Erfolg der Erhebung einge-
flochten hat.

Wie aus einem heute eingetroffenen Bericht über die
Sitzung der Kortes vom 20. erhellt, iſt die gestern mit-
getheilte Ankündigung des Ministers Zorrilla, daß der künf-
tige König wohl früher, als die Republitaner dächten,
bekannt sein werde, durch eine Aeußerung des Republika-
ners Figueras hervorgerufen worden. Da die königsbe-
gehrlice Mehrheit, hatte dieser bemerkt, keinen
Kandidaten finden könne, so werde wohl nichts
übrig bleiben, als KRückberufung der Bourbonen
oder Verkündigung der Republik. Keines von Beidem,
erwiderte Zorrilla; die Bourbonen ſeien unmöglich und
gegen deren Widerkehr, so wie gegen jede Reaktion über-
haupt würden Regierung, Kortes und Volk gemeinſchaft-
lich sich erheben; die Republik aber müsse als ein Un-
glück für das Land zurückgewiesen werden. Wenn die
rechte Zeit komme, werde die Kortesmehrheit ſich über den
zu wählenden König verständigen, und der Name desſel--
ben werde früher, als man im republikaniſchen Lager es
vermuthen möge, zur Kenntniß kommen.

Deutschland.

* Aus Baden, 24. April. Der ſtändiſche
Aus ſchuß iſt gestern in Karlsruhe zusammengetreten,
um die gesetzlich vorgeſchriebene Prüfung der Rechnungen
der Amortiſationskaſſe, der Zehntschuldentilgungstasse und
der Ciſenbahnschuldentilgungskasse für das Jahr 1868
vorzunehmen. In dieſem langweiligen Geschäfte mögen
die betreffenden Herren Erholung suchen , indem sie die
Anstrengungen der regierungsfreundlichen Blätter ver-
folgen , mit welchen dieſe die von demokratiſcher Seite
angeregte Wahlreformhewegung zu hemmen und zu ver-
läſtern suchen. Die Erfindung der „Narlsr. Zlg.!, die
„demokratiſch-ultramontane Partei beabsichtige an Pfingsten
Maſsſenverſammlungen zu Gunsten des allgemeinen Stimm-
rechts zu halten,“ wird heute von einem wohlbe ~ kannten
Mannheimer Zeilenſchreiber der „Bad. Ldsztg.“ unter-
ſtützt, durch die Meldung, unter den am 21. d. zu
Mannheim angekommenen Fremden habe man die Herren
Sarachaga - Uria und Frhr. Rod. v. Stotzingen bemerkt
und es sei dahin geſtellt, ob dieselben in Angelegenheiten
des „Maimarktſports" oder der von den Strengvertrau-
lichen in Aussicht gestellten demokratiſch. und ultramon-
tanen Pfingſthezjagd gegen die Regierung nach Mann-
heim gekommen ſ|eien. Wir nehmen hievon nur Notiz,
um zu zeigen, wie bei geeigneter Gelegenheit die Preß-
knechte ſich allewärts rühren, um ſich der Regierung gefällig
zu zeigen, . . . und um die Anmerkung daran zu
knüpfen , daß von der Ahsicht, Pfingſtverſammlungen ab-
zuhalten, vorerſt in den Kreiſen Derjenigen, welche die
Wahlreformbewegung in die Hand genommen haben,
nichts bekannt iſt. — Zu gleicher Zeit sei bemerkt, wie
komiſch es ſich macht, daß Blätter verſchiedener Farbe bes
müht ſind, klar zu ſtellen , wer von den hin und wieder
Genannten an der Versammlung in Achern Theil ge-








 
Annotationen