Overview
Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI issue:
No. 206 - No. 231 (1. September - 30. September)
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0839

DWork-Logo
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext












z!

Organ der deulſch



:.
EN h H
o E ES B
5 BZ Eos Y

en Vollspartei in VPaden.







Die „Mannheimer Abendzeitung" wird –~ mit Ausnahme der Sonntage und JFeſitage + täglich als Abendblatt ausgegeben. — Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Pottanſtalten. tt







.



: A rf

Frankreich + Auf zwei Augen.

D. C. Wichtiger als seit lange das Kabinet der Tuilerien
war, iſt in der letzten Woche die Krankenſtube in St.
Cloud geworden. Zum ersten Mal iſt der Gesundheits-
zuſtand des Zäsſars an der Seine ohne Scheu in ganz
Frankreich öffentlich erörtert, hat die Börse offiziell aus
Angſt um. IHN gezittert, iſt der Telegraph thätig ge-

weſen, die Kunde der Ohnmachten des Nachtreters jenes

erſten Zäſar + der auchſeine Ohnmachten hatte – und
der Genesungszeichen durch Europa zu tragen. ,

Was mit der Krantheit wird, das zu sagen ſind Ne-
laton und Chelius berufen, nicht wir. Ob der leidige
Troſt, „unmittelbar“ hab's noch keine Gefahr wirklich
begründet iſt und wie lange er vorhält, das wissen wir
nicht. Was aber wir wisſſen und was die Welt weiß,
daß iſt nunmehr unzweifelhafte Thatſache: Frankreich
ſteht nur auf zwei Augen und falls der Kaiser ſtirbt,

glaubt im französſiſchen Volke Niemand an den Fortbe-

ſtand dieſes Regiments. Es giebt ein perſönliches Re-
giment in Frankreich, eine Dynastie nicht. Das Wort
eines befreundeten Franzoſen geht damit in Erfüllung,
welches er uns ſchon vor Jahresfriſt sagte : IHN ſelbſt
hält's wohl noch aus, aber dieſe Frau und dieses Kind
erträgt Frankreich nimmermehr.

Alſo ein Reich von dreißig Millionen auf zwei Augen,
und nachher – ja, wer weiß was nachher?! . Das iſt
das Ergebniß von achtzehn Jahren „Rettung der Ge-
ſellſchaft,“ mit so und so viel Bürgerblut, Menſchenblut,
mit einer Milliarde Schulden, einer Unendlichkeit von
Norruption. Offenbar die beſte Lockung für Deutschland,
den gleichen Weg zu wandeln, ben heimiſchen Zäſarismus
zu vollenden. Wie Donnerwort geht's von der Seine
durch alle Lande : hier, ſchaut, iſt der Anfang vom Ende!
hier, ſchaut, ſteht vor Euch, wohin Ihr kommt und der-
weil ſschwatten Großpreußen ihr ekles Geschwätz ruhig
weiter, wie groß Deutſchland geworden und noch werde
durch ähnliches Thun! :

Indeß, das beiher. Wichtiger als diese Betrachtung,
welch Jammerbild jeder solcher Staat iſt, der auf zwei
Augen ſich ſtellt, wichtiger und eindringlicher ſind die
praktiſchen Folgen, sobald, was heute nur gehofft oder
gefürchtet wird, eine vollendete Thatſache iſt. In Frankreich
beginnen die Gemüther ſich darauf vorzubereiten; auch
wir dürfen, müssen es.

Mit der Beseitigung Napoleons wird, ob nun die
Republik oder die Orleans auf ihn folgen, die römiſche

Frage sofort ſich erledigen im Sinne Italiens; denn auch

die tausendjährige weltliche Macht des Papſtthums ſteht

nur noch auf den zwei Augen in der Krankensſtube zu

St. Cloud. Danmiit vollzieht sich ein Creigniß von un-
ermeßlicher Tragweite : Eine Erſchütterung der Gemüther,
ein Anstoß zur Weiterentwicklung, Neugestaltung. Diesseits
der Alben wird ihn keine äußere Gewalt machen, aber
auch keine Staatsgewalt aufhalten oder beſchrtnken. Die
Zeiten ſind vorüber. Was ſich da entwickelt, wird ſich
frei entwickeln, und all das iſt uns willkommen. Der
Freiheitspartei iſt jeder Fortschritt erwünſcht auf jedem
Gebiet, kommt jeder zu Nut.

Der weltlichen Macht, die nun in Italien herrscht,
wird das Ende Napoleons außer für die römische Frage
in jeder Rücksicht ungelegen sein. Befesſtigt hat ſich die
Monarchie in Jtalien seit Cavours Tode mit nichten.
Selbſt durch den Gewinn von 1866 nicht. Kaum der
Aufdeckung der ersſchreckenden Korruption durch die Affaire
Lobbia u. dgl. hat es bedurft, um weithin das Gefühl
zu erregen, solide seien die Zuſtände drüben nicht. Die
radikalen Parteien sind je länger je weniger mit Viktor
Emanuel und den Seinigen zufrieden. Iſt erſt Rom
erledigt, so wird das nächste, was zur Erledigung kommt,
die Dynaſtie Savoyen mit ihrem Militarismus, ihren
Finanzſchäden, ihren abſolutiſtiſchen Hintergedanken sein.

In Spanien ist eine Folge unausbleiblich. Die
Königsmacherei wird aufhören, dieß elendeſte und von
jedem, ſetbſt dem mouarchischen Standpunkte aus gleich
widerwärtige halb Intriguen- halb Poſſenſpiel..

Kurz, für die romaniſche Welt bedeutet das Ende

Napoleons nichts Geringeres als das Große: der alten

Formen wird ſie ſich erledigen, und ein gewaltiges Gebiet
von Ländern wird in Süd- und Westeuropa werigſtens
äußerlich die Zukunft darſtellen, in der das Bürgerthum
alles iſt, der Militarismus nichts. Wir ſtehen nicht an,
zu ſsagen: in der Politik haben und behaupten, ſcheint's,

. -







GSC s
die romanischen Völker die Initiative; vom Süden und
Westen her wird das alte Europa sich aufrollen.

Und Deutschland ?! Da iſt die Sache nicht so einfach.
Zunächst: Dank Zollern hält Napoleon die Wacht am
Main. Wird das nicht-napoleoniſche Frankreich das Gleiche
thun ?! Die Orleans, wenn die seine Nachfolger sind,
können nicht mit einer Machtverminderung beginnen, kön-
nen nichts von auch nur scheinbarer „Gloire“" aufgeben,
ohne die Franzoſen an ihrem empfindlichſten Punkte zu

verleßen. Die Republik Frankreich wird die Zollerei nicht

vordringen lasſſen aus andern Gründen : für die franzö-
ſiſchen Republikaner wäre es Selbſtmord, wollten ſie neben
sich einen Militärſtaat entſtehen lassen, den sie zu ver-
hindern ein staatliches Anrecht haben durch die Verab-
redungen von Biarriß. Nicht Deutſchland, wohl aber
Großpreußen hat das Ende Napoleons zu fürchten. An-
greifend und eroberungsſüchtig wird Frankreich nach ihm
nicht ſein; jede Möglichkeit einer Verlegung der Integrität
des deutschen Bodens d. h. einer Kränkung unsrer natio-
nalen Ehre fällt weg; auch nach dieser Seite hin kann
unſere Freiheitspartei den freiheitlichen Fortschritt, den
Napoleons Ende bringt, freudigſt begrüßen.

_ Vor allem bezeichnend für die Art, wie die deutschen
Dinge mit und seit 1866 ſich geſtaltet haben, iſt die durch-
aus verschiedene Wirkung, welche die bevorſtehende Ver-
änderung in Frantreich für Oesterreich im Gegenſat von
Großpreußen haben wird. Möglich daß der Wegfall der
napoleonischen Machtpolitik in gewissen militärischen und
auch politischen Nreiſen Wiens ungelegen, unerwünſcht
iſt. Ersſchüttern aber wird dieß Ereigniß die öſterreichiſche
Politik so wenig wie den öſterreichiſchen Staat ~ wir
meinen den Gesammtſtaat. Vielmehr, das iſt der große
Gewinn der Neugeſtaltung Oeſterreichs, befeſtigen und
kräftigen wird es das. einmal begonnene Werk. Kein
Metternich iſt mehr zu beſeitigen: in die ſichere Bahn

geſetzlichen Fortschritts iſt der Staat geleitet; vorwärts

treibn – immerhin; aber störend und verwirrend wird
eine Umwälzung in Frankreich nicht diesseits noch jenseits
der Leitha wirken.

Von Süddeutſchland iſt in dieſem Zuſammenhange
am wenigsten beſtimmt zu reden. Wir kennen Minister
und. Regierungen , welche die bloße Angst vor dem Ein-
tritt des großen Ereigniſſes in Frankreich bestimmen
könnte, ſich Hals über Kopf zum Bismarck zu retten,
und wir sind unsererseits nicht ganz ſicher, ob die Be-
völkerungen nicht zu erschlafft und zu zerfahren sind, als
daß die Wirkung von 1848 bei ihnen dieſes Mal wieder ein-
träte, aber Freunde der „Dem. Korr.“, die den Süden genau
kennen und jenes Wunderjahr mit erlebten, tröſten ſie
und sprechen ihr den Muth der Hoffnung ein, daß wir
aus jetzt wieder „Zeichen und Wunder“ sehen werden.

Und so sollen wir denn aus dieſem Rundblick das
freudige Vertrauen heim nehmen, daß, wenn die zwei
Augen ſich schließen, welche zuzudrücken ſchon manches
wackern Mannes Hand in Frantreich zittert, der euro-
päiſche Freiheitsbund, den dann nichts mehr hindert, auch
den Süden Deutschlands in ſich begreifen wird als An-
fang und Bürgschaft des wiederbefreiten, wiedergeeinten
Gesammt-Vaterlandes.

Schließt euch, denn bald, ihr zwei Augen!

Politiſche Uebersicht.
Mannh e im, 2. September.

* Der von Berlin aus in Wien kundgegebene
Entschluß : Fernerhin die Erörterungen über den Artikel
Vier des Prager Friedens, betreffend die Stellung der
ſsüddeutſchen Staaten zum Nordbunde, nur noch im
„perſönlichen Verkehr zwiſchen dem preußiſchen Gesandten
in Wien und dem öjſterreichiſchen Staatskanzler fortzu-
führen,“ findet allseitig übereinſtimmende Verurtheilung.
Die Schroffheit, mit welcher die Wiener Vorschläge abge-
lehnt wurden, wird dadurch noch ſchroffer, als wenn man
ſie ganz unbeantwortet gelaſſen hätte.

In der Reihenfolge von Formen des dip lomati-
schen Verkehrs iſt die Verlesung ohne Bewilligung
einer Abſchrift nicht nur die kälteſte und mißtrauischſte
und mag in letzterer Beziehung ungefähr auf gleicher
Stufe mit der entgegengeſeßten Form des bürgerlichen
Verkehrs stehen, welche zur Glaubwürdigkeit stets das
Schwarz auf Weiß verlangt, sie iſt anch eine für die
Dauer absolut ungenügende. Will man denn = ſ|o
fragt daraufhin die Berliner „Zukunft“ — auf die ro-
mantiſchen Einfälle mittelalterlicher Diplomatie zurück- |







kehren und soll Graf Beuſt , so oft er einen Beſuch des
Hrn. v. Werther erhält, seine geheimen Stenographen
hinter der Tapete aufstellen, auf das Risiko hin , daß
der Vertreter Preußens von dem ſhakeſpearekundigen
Bundeskanzler den Auftrag hat, dieſe vorher mit der
Degenspite auf Ratten zu unterſuchen? Indem man
dem Grafen Beuſt auf solche Weiſe die Möglichkeit be-
nimmt , preußiſche Depeſchen mit Würdigung ihres In-
haltes zu beantworten, ſagt man ihm, er habe auch nur

zu hören, nicht aber selber zu ſprechen ~ und das scheint
uns über den Paletot Mentſchikoff etwas hinauszugehen.
Die letzte Zuſpitzung erhält die Sache aber dadurch, daß

auf das Anerbieten Oesterreichs, auch den Verkehr in
Berlin wieder anzuknüpfen, durch eine ſtumme Vernei-
nung geantwortet wird : nur von dem Grafen Beuſt und
Herrn v. Werther iſt die Rede, zwischen dem öſterreichi-
ſchen Gesandten in Wien und dem Grafen Bismarck iſt

das Tafeltuch vollständig zerschnitten. Allzuſcharf freilich

macht ſchartig und so wird man in Wien dieſe Anord-

nung vielleicht gar für ein stilles Zugeſtändniß deſſe. .
halten, daß in der Persönlichkeit des Grafen Bismarck

ein unschädlich zu machendes Element des Unfriedens
mit dem Nachbarsſtaate liege.
Die oſtſchw eiz eriſch en Demokraten haben zu Zürich

eine zweite Berathung über Bundesreviſion gehalten; es
waren etwa 250 Mann anwesend. . Die wichtigsten ihrer

bis jetzt gefaßten Beſchlüſſe ſind: direkte Betheiligung des
Volkes bei der Geſeßgebung des Bundes; Durchführung

eines Schweizerbürgerrechts, der Freizügigkeit und der

Gleichförmigkeit des Rechtsweſens ; Kultus- und Lehrfrei-
heit und Unabhängigkeit der bürgerlichen Rechte und

Pflichten vom Glaubensbekenntniß ; gänzliche Zentraliſaz

tion des Militärwesens, allgemeine Wehrpflicht und Ein-
reihung der Landwehr in die Bundesarmee ; Erweiterung
der Bundeskompetenz in Eiſenbahnſachen; Beseitigung des
Ohmgeldes.

In der franzöſiſchen Hauptſtadt iſt man der
Ansicht, daß die Diskuſſion, die geſtern im Senat be-
gonnen hat, nur eine geringe Anzahl von Sitzungen in
Anspruch nehmen werde. Man meint, die allgemeine

Diskussion werde zwei Tage ausfüllen und drei Sitzungen

würden für die Diskuſſion der Artikeln genügen. Es oll
hierauf der geſeßgebende Körper alsbald einberu fen wer-
den. Hiezu bemerkt der „Gaulois“ in ſarkaſtiſcher Weiſe:
„Was der öffentlich gesunde Menſchenderſtand trot ener-
giſcher Manifestation ſeines Willens nicht hatte durchſezen
können, dieß steht auf dem Puntte, der leichten Entzün-
dung eines kaiſerlichen Organs gewährt zu werden. Es
ſcheint heute ausgemacht, daß der geſetgebende Körper
einberufen werden wird, sobald der Senatus-Konſult voz
tirt iſt. Hr. Schneider verlangt die Einberufung, Hr.
Magne wünscht sie, Hr. v. Forceade widerſegt ſich ihr
nicht und Hr. Rouher giebt seine Einwilligung. Man
weiß, was der Stein in Cromwell’s. Blaſe alles wirkte.
Cin Rheumatismus iſt in der politiſchen Medizin nicht
weniger wirkſam, er wird jegt die Deputirten von der
Lähmung heilen, mit der man sie geſchlagen hatte. Oh,
glückseliger Rheumatismus! Wer kann den Einfluß be-
rechnen, den du auf die Geschicke Frankreichs ausübſt ?
Wir alle, die wir sprechen oder ſchreiben, wir wurden
seit zwei Monaten nicht müde, alle guten Gründe dar-
zulegen, welche für eine raſche Einberufung der Kammer

vorlagen. Wer jedoch kümmerte ſich um uns? Da er
ſcheinſt du, liebenswürdiger und vorausſichtiger Rheums“

tismus, reizeſt die Nerven, zuckſt in den Muskeln und
dein iſt der Sieg. Wunderbare Wirkung ! Selbſt die
Börse sinkt vor dir in den Staub und die Minister er-
klären sich von deinen Argumenten, die keine Widerrede
dulden, überzeugt. Nun aber, oh wohlthätiger Rheuma-
tismus ! vollende dein Werk und thue auch am Senat
deine heilſame Kraft kund.“

Deutſchland.

X Mannheim, 2. Sept. Der badiſche Le hr er-
ausſchuß ermahnt durch ſeinen Obmann, Hrn. Kiefer,
die Volksschullehrer des Landes, zu eifriger Fort-
bildung in ihrem Berufe und zu dem regen Streben nach
Vollkommenheit, um einen immer nützlicheren und achtungs-
wertheren Stand in der bürgerlichen Geſellſchaft zu bilden.
Als Gegenſtände der nächsten Konferenzverhandlungen
werden vor allen Dingen die neue Schulordnung und der
Lehrplan empfohlen, die beide richtig verstanden und ge-
wiſſenhaft durchgeführt werden ſollen. Ueber die Stellung
der Lehrer zum Klerus sagt er wörtlich: „Die offene und



|
|

o

e E

u

E [
e .


 
Annotationen