F}. 210.
Yiaunheimer
Sonntag, 5. September.
Organ der deulſchen Volkspartei in Paden.
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Die ſüddeutſche Feſtungs-Kommiſsion.
D. C. Der alte Bundestag lebt wieder auf. In
Augsburg entſchlafen, iſt er in München erstanden. Er
brauchte zu dem Wunder drei Jahre, langſam auch im
Wunder, im Tode noch ſich ſelber treu.
In dieser Festungs-Kommission liegt das Ergebniß
des Cinigungsverſuches vor, an welchem drei deutſche Re-
gierungen seit drei Jahren arbeiten und mit welchem ſie
nun glücklich ſo weit gediehen ſinn, um der Welt ver-
künden zu können, daß sie wirklich etwas erreicht, etwas
Gemeinſames geſchaffen haben. Es verlohnt sich der
Mühe, das mühſam Errungene genauer anzusehen.
Eine zwar ständige, aber nicht stetig versammelte Kom-
mission, über deren faktiſches Zuſammentreten also die
betreffenden drei Regierungen sich in jedem einzelnen Fall
je nach dem vorliegenden Stoff erſt werden einigen müſ-
ſen. Gegenstand: die Feſtungen und sonstige militärische
Sicherheitsmaßregeln. Zusammensetzung: Vertreter der
drei betrefffnden Regierungen, jeder natürlich mit ſeiner
besondern Instruktion und folgeweiſe in der Nothwendig-
keit der Berichterſtattung an seine Regierung zum Behuf
ſpezieller Inſstruktions-Einholung in beſonderen Fällen;
endlich im Hintergrund ein ſtellenweiſe um seine „An-
sichten“ zu befragendes Preußen, reſp. Nordbunds-Präſsi-
dium. Sitz der Kommission : wechſelnd von Jahr zu Jahr
zwiſchen München, Stuttgart, Karlsruhe.
_ Es hat zunächſt etwas Anheimelndes, die ſüddeutſchen
Regierungen mit solcher Pietät an den alten Formen der
Vorzeit hangen zu sehen. Der Geiſt der alten Bundes-
Millitär-Kommission = ſie hat ſich ja 1866 so glänzend
bewährt! ~ schwebt ſsegnend über der neuen Einrichtung,
und niemand wird begreifen, weßhalb sie nicht sofort
ihren Sit dauernd im Eſchenheimer Palais aufschlägt.
Wenn die drei qſüddeutſchen Mitglieder zuſammentreten
ſollen, müssen sich erſt die drei Regierungen einigen, und
über das Was und Wie ihrer Verhandlungen und Be-
qm
ſchlüsse ebenfalls. Drei Regierungen! deutſche Regierungen !
Wohlgemerkt, nicht bloß die drei Kriegsminiſter! Denn
da jeder Beſchluß der Feſtungskommission seine Finanz-
seite hat, so spielen die Finanzminiſter auch mit, und bei
Feſtungsbauten u. dgl. wird der Minister des betr. Lan-
des, auch wohl für Rechtsfragen der Juſtizminiſter, zu
Rath zu ziehen seien. Mit diesem Material ausgerüstet
verhandeln dann drei Vertreter, und mit der preußiſchen
„Ansicht“ nehmen sie noch ferneres Material hinzu. Die
Art der Entscheidung wird nicht angegeben ; wie wir ver-
muthen, erfolgt die Beſchlußfaſſung nicht durch Majo-
rität; das giebt gewiß herrliche Gelegenheit zu fortgesetzter
Inſtruktions-Einholung, und darüber dann wieder Ein-
holung der preußiſchen „Ansicht“, falls man ſich nicht
begnügt, in dem bad iſ < en Votum ſsie ſchon vorweg zu
kennen.
All dies ist offenbar so ſinnreich wie praktiſch und
kann in Deutschland, wo man die Erfahrungen von der
oben erwähnten Bundes-Militär-Kommission noch nicht
vergeſſen hat, des beruhigendſten Eindrucks in Bezug auf
die Sicherheit und Integrität des vaterländiſchen Bodens
nicht versehlen. Cs begreift ſich vollkommen, daß die
hohenloheſche Preſſe den Mund etwas voll nimmt.
Die Politik ihres Herrn und Meiſters, sonſt die ſtete Nie-
derlage, kann ſich hier wirklich einreden, sie habe einen
Erfolg, wenn ſchon sie sich nicht soweit berauſchen follte,
nunmehr von einem g,deutſchen Berufe Bayerns“ zu
ſprechen. Verständiger und ruhiger iſt die Darstellung
in dem (allerdings nie aufgeregten) württemberg. Staats-
anzeiger. Die Badenser machen nicht viel Wesens von
der Sache; man ſagt, sie hätten für Preußen viel mehr
verlangt, als ihnen zugestanden iſt. Und doch verſtehen
wir das kaum. Uns macht die Sache im Gegentheil
den: Eindruck, als ob in dieser Feſtungskommission wieder
ein hübſcher Erfolg vorläge derjenigen Politik, die darauf
aus iſt, den Süden zu erſchleichen, nachdem sie
ihn ehrlich zu erwerben ſich die Hände gebunden. Denn
wie ſteht die Sache ?
Stellen wir die beiden entscheidenden Gefichtspunkte
gleich hier voran: 1. Die Feſtungs-Kommission macht die
militäriſche Ausſchließung Oefterreichs . zur
Thatsache und vollendet damit die militärisch e Ohn-
macht Südd eutſchla nds; 2. die Feſtungskommisson
erschwert und ſchneidet faſt ab die politiſche Einigung der
Südstaaten und vollendet damit die politiſche Ohnmacht
des Südens.
Das erſte iſt klar auf den erſten Blick; von Oster-
reich iſt bei der ganzen Sache nicht die Rede; Preußen
dagegen wagt sich ~ außer mit seinem Baden ~ mit
seiner „Ansicht“ hinein in das ſüddentſche Vertheidigungs-
ſyſtem. Das will heißen : Arkolay hat für die miniſte-
riellen Militärs Süddeutschlands umſonſt geschrieben ; die
deutsche Hülfe, auf welche die Südstaaten angewiesen ſind,
verſchmäht man in dieſen Kreiſen, und die preußiſche
Hülfe, die dem Süden im Fall der Entſcheidung niemals
wird, niemals nütt, die genehmigt man. Ein ſolches
Thun iſt mit den ſtärkſten Ausdrücken noch zu milde be-
zeichnet; es iſt der baare Hohn zünftleriſchen Hochmuths
gegenüber einer wissenſchaftlich begründeten Strategie, und
als wolle man förmlich sich fangen laſſen von der Er-
ſchleichung, die immer aufs neue ihre Künste treibt, ſo
ſteitt man sich gegen das Einfache, Handgreifliche, Rechte.
Nach dieſer Seite hin iſt ja alles ſo gründlich erörtert,
die Arkolay’schen Ausführungen haben ſsich gegen alle
Verſuche so siegreich behauptet, daß man hätte meinen
sollen, für jede Form der Verständigung mit Preußen
über eine gemeinſame deutſche Vertheidigung würde die
gleichzeitige Verständigung mit Oesterreich zur Voraus-
seßzung, zur Vorbedingung gemacht sein. Aber an ge-
wiſſen Regionen geht wie 1848 so auch 1866 ſpurlos
vorüber und man ſcheint da entſchloſſen, dem Volke ſtets
nicht zu glauben als bis man es fühlt.
Vollends deullich tritt das bei dem zweiten Punkte
hervor, bei der verhängnißvollen Bedeutung nämlich, welche
die neue Probe miniſterieller Weisheit für die Frage der
politiſchen Einigung der Südstaaten hat. Dieſe Frage
der politiſchen Einigung iſt die Frage des Beſtandes der
Südſtaaten. Wie die Dinge einmal stehen, knüpfte ſich
die lezte Hoffnung, den ſüddeutſchen Regierungskreiſen das
deßfallſige Intereſſe ihrer Staaten klar zu machen, an
die Möglichkeit, daß sie für die Machtſeite der Sache
Sinn haben würden. Preußen hat es verſtanden, auch
da einen Stock vorzuſtecen. Schritt für Schritt lockt es
die ſüddeutſchen Regierungen auf eine falſche Bahn. In
den nichtsſagenden Formen des alten Bundestages hält
es sie feſt, damit sie um so ſichrer die rettenden Formen
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ihrer Staaten anzuvertrauen ~ das forderte die Sache,
und darum fordern wir's; aber die Regierungen haben
vorgezogen, ihre Zukunft auf papierne Verträge zu ſtellen.
Einem Parlamesite und einer verantwortlichen, organischen,
einheitliche Behörde die milikäriſchen Einrichtungen, die
Vorkehrungen gegen den Krieg und für den Krieg an-
heimzugeben – das ruft als warnende Lehre jede Er-
innerung der Vergangenheit den Regierungen zu ; aber
sie wiſſen nichts, als ihre Staaten nur zur Hälfte wehr-
haft zu machen in den Formen der Zollerei, mit allen
Lasten der Zollerei, und alles zum Besten der Zollerei,
die den wirklich wehrhaften Süden niemals , den Hohen-
lohe-Wagner-Beyerſchen Süden jeden Augenblick verſpeiſt,
sowie die Lage der Grenzländer im Westen und Osten
die Möglichkeit dazu offen läßt. Eine solche Politik ſteht
unter einem tödtlichen Bann zur Verblendung ; für sie iſt
die Geſchichte von Hannover , Heſſen, Naſſau nicht ge-
schrieben , und in welchen Formen auch immer die Liſten
und Ränke sich wiederholen, mit denen der Staat des
deutſchen Betruges das Jahr 1866 vorbereitete + einer
Staatskunst gegenüber, die nicht mit ihrem Volke zu
gehen unter allen Umſtänden entschloſſen iſt, hat dieser
selbe Staat auch nach 1866 gewonnen Spiel und wird
tj habes bis ans Ende der Miniſterien , der Dynastien,
er Staaten.
Politische Uebersicht.
Mannhgÿheim, 4. September.
* Die Berlin er Of fiziösen beschränken ſich für
heute auf die einzig bemerkenswerthe Thätigkeit, günſtige
Auslaſſsungen der auswärtigen Presse über die Frank-
furter Ausweisungsangelegenheit zu verzeichnen. Was
dieselben Offiziöſen außerdem in den lettten Tagen ge-
meldet haben, daß mit dem Druck des Budgets ſchen 'in
acht Tagen begonnen werden könne , bedarf der Berichti-
gung., Was ſsodann die an bezeichnete Mittheilung ge-
knüpfte Hoffnungen auf eine große Verminderung des
Defizits betrifft, ſo wird der „A. Allg. Ztg.“ geschrieben,
man wuerde jedenfalls gut thun, die Erwartungen nicht
allzuhoch zu spannen , wenn autch verſchiedene Einnahme-
zweige in den letzten Monaten einen erfreulichen Auf-
ſchwung erfahren haben. Wie knapp es immer noch mit
diesen Geldverhältniſſen beſtellt ſein muß , ergiebt ſich
daraus, daß die pre ußi ſch e Regierung noch keine Mittel
zur Verwirklichung des Lehrer- Wittwen - Pensſionsgeſetzes
flüssig machen kann, daß sie kein Geld beſitt, um der
ſchwer belaſteten Königsberger Kommune eine Erleicht e-
rung der seit 50 Jahren auf ihr ruhenden Kriegsſchuld
von 1,200,000 Thlrn. zu verſchaffen , und daß sie il.
nicht einmal dazu entſchließen kann, den Rettungsſtatio- w
nen für Schiffbrüchige die erforderlichen Rettungsraketen
zu geben, die in dem Kriegslaboratorium zu Spandau
angefertigt werden. ;
In dem Lande B ay ern iſt eine Oper Wagners fertig ge-
worden. Da greift König Ludwig ein und die etlichen
Millionen Menschen, die in Bayern wohnen, erwachen zu
dem Bewußtsein, daß sie doch wirklich Bürger eines
monarchiſchen Landes ſind. Sonst , daß König Lud-
wig mit seinen Miniſtern gearbeitet hätte, hört man
kaum. Die Beziehungen zwiſchen ihm und der Haupt-
ſtadt des Landes ſcheinen ſich auf Theaterbeſuche zu be-
ſchränken. Die Welt geht den Fürſten nur soweit an,
als seine perſönlichen Liebhabereien in Betracht kommen.
In Seelenruhe tragen seine Miniſter die Verantwortlich-
keit für eine Politik, in der nichts geſchicht. In Seelen-
ruhe schauen Hauptstadt und Land dieſem ſeltſamen Trine. m
ben zu. Gleichgültigkeit oben , Theilnahmloſigkeit und
Trägheit unten + ja , daß so einem Staatswesen in heutiger
Zeit keine fünf Jahre mehr zu geben ſind, das ſieht doch
ein Nind. Von den Angehörigen dieſes Staates erwar-
ten, daß sie in der Stunde der Noth ein Interesse
nehmen an seiner Erhaltung, hieße Uebermenſchliches ver-
langen. Von den näheren oder ferneren Nachbarn er-
warten daß sie Achtung vor dem Bestand und Fortbe-
stand ſolches Staates haben ſollen , hieße ſich auslachen
laſſen. Der ,„Demotratiſchen Korreſpondenz“ ſcheint die
Frage nur noch die zu ſein, w er das ernſte Wort
sprechen wird , welches mit diesem Bayern gesprochen
werden wird, so sicher dieß geſchrieben, und sie wünſcht,
das Volk selbſt möge es Jein.
Das „Komite des Dr. Wittmann-Vereins" in Mainz
versendet soeben einn Aufr uf an die deutſche
Nation. In demſelben heißt es: Einigt Euch, Ihr
Demokraten, Ihr Männer des Fortschritts, einigt Euch
Ihr Laſſalleaner und Arbeiter im Garten der Selbsthülfe
und stimmt mit uns ein in den Ruf: du deulſches
Parlament mußt einberufen werden! Alle Männer, die
es ehrlich mit dem schwer geprüften tVaterlande meinen,
sollen sich entſchließen, in vereinter Kraft mit „allen ge-
ſetzlicheu Mitteln“ bei den Regierungen dahin zu wirken,
daß, nachdem durch Verträge das Zollparlament kon-
ſtituirt, nun auch das deutſche Parlament seine Wieder-
auferſtehung feiere, um ebenso eine einheitliche freie po-
litiſche Entwickelung zu erzielen. .
Obwohl der Aufruf Hermanns Geiſt, den G eiſt der
Freiheit anruft, so läßt er doch vollſtändig unklar
über die Ziele der beabsichtigten Agitation. Er unter-
scheidet nicht, ob das einzuberufende Parlament die Blut-
that von 1866 anerkennen ſoll, oder nicht; ob dasſelbe
in die Dienſte des Hohenzollernthums treten, ob es dem
Hohenzollern in zweiter Auflage die Kaiſerkrone bieten ~
oder ob es zuſammentreten ſoll, im Namen und Auftrag
des souveränen Volkes. Und für ein anderes als ein
solches Parlament, wird sich das deutſche Volk kaum im '
Bewegung sezen; dieß mag man in Mainz bedenken.
In Paris iſt man nicht der Ansicht, daß, wie der
„Constitutionnel“ angegeben hatte, der Kaiſer ſich mit
den in der Rede des Prinzen Napoleon entwickelten Ideen
ſehr einverſtanden erklärt hätte. Wenn geſagt wird, daß
der Prinz vorgeſtern Nachmittag eine Unterredung mit
dem Kaiser gehabt habe, ſo legt man dieſer Zuſammen-
kunft keine zu große Bedeutung bei, weil man weiß, daß
am selben Tage des Morgens der Miniſter des Innern
zum Kaiſer entboten worden war, und daß diesem der
Kaiser seine wärmſten Glückwüüſche für die am Tage
vorher gehaltene Rede ausgeſprochen hat. Der Kaiser,
meint die „Patrie“, könne recht wohl dem. Prinzen nur
ſeinen Dank für die in der Rede ausgeſprochene dyna-
ſtiſche Anhänglichkeit ausgeſprochen haben; aber ſie habe
allen Grund, zu behaupten, daß man ſich sehr irre, wen:
man annehme, die vom Prinzen verfochtene Politik
vom Kaiser gebilligt worden. :
In diesen Tagen ſollen die letzten offiziellen Schri
zur Russifizirung Polens geſchehen ; es soll Wa
ſch au in eine Feſtung erſten Ranges verwandelt werdei
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