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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 180 - No. 205 (1. August - 31. August)
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1868.















9

Organ der deutſchen Vol

Samſtag, 28. Auguſt.





LE | T

ksparlei in



Paden.















Tie „Mannheimer Abendzeitung“ wird mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage ~ tä
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

glich als Abendblatt ausgegeb
Beſtellungen bei der Expedition Q 1 Nr.

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15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.





RR

Die soziale Teufelei.

fi Thüringen iſt ein unheimliches Sputkland; in
Eiſenach und Umgegend treibt der Teufel seit Jahrhun-
derten sein Spiel. Luther ward auf der Wartburg von
ihm heimgeſucht, warf ihm aber sehr philoſophiſch das
Tintenfaß an den Kopf ; denn vor dem geflügeltenWorte
beſteht keine Teufelei. Letzthin spuckte der ſoziale Teufel
zu Cisenach, und auch dieser muß mit etwas Tinte und
Druckersſchwärze ausgetrieben werden.

Unter dem ſozialen Teufel verſtehen wir natürlich
nicht die soziale Frage, die eine hochheilige Angelegenheit
und die wichtigſte Sache des Jahrhunderts bedeutet. Be-
r achtet man nur den Grundzug jener von England
ausgehenden Bewegung, welche die Industrial Partnerchip
oder die Betheilig ung des Arbeiters am Rein-
gewinn heißt; sieht man von der Unvollkommenheit
der bisherigen Versuche, von ſämmtlichen dabei zu Tage
tretenden Mängeln ab: so liegt in der Industrial Part-
nerchip die Löfung der sozialen Aufgabe angedeutet.
Der Arbeiter wird Mit-Kapitaliſt, der ſchroffe Unterſchied
zwischen Arbeiter und Unternehmer wird ausgeglichen, die
Lebensstellungen der Menſchen nähern sich allmählich ein-
ander.

Hier liegt ein großer Gedanke vor, würdig jeder
wiſſenſchaftlichen und praktiſchen Anstrengung der Zu-
ſammenwirkung aller Freiheits- und Menſchenfreunde,
und dieser Gedanke, der die Krönung des paolitiſchen
Gebäudes in ſich enthält, iſt wahrlich keine Teufelei. Im
Gegentheil, er iſt der Engel mit der Friedenspalme.

Wenn aber Menſchen von der anrüchigſten Vergan-
genheit sich in die soziale Frage mischen um ſich. hier Riemen
zu ſchneiden; wenn die widerwärtigsten Persönlichkeiten
auf dieſem Gebiete den Tummelplatz ihrer Leidenſchaften
ſuchen ; wenn die Fäden einer gewissenlosen Staatspolizei
ſich deutlich bis hierher ziehen ; wenn vom Arbeiter,
ſeinem Interesse, seiner Zukunft gar keine Rede iſt, son-
dern nur noch von der Befriedigung des schmuzigſten,
nicht einmal mehr zweideutigſten Ehrgeizes ; so iſt das
die soziale Teufelei und eine wahre Satanswirthschaft.

Der Skandal, den die Schweitzeriſchen jüngſt in Eiſe-
nach aufgeführt haben, sollte für alle anständigen und
redlichen Menschen eine Mahnung und Warnung sein.
So etwas paſſirt nur in Deutschland; wir betonen es
mit Bedacht und mit Schmerz, sſo etwas waſſirtt
nur in Deutſchland. Der ,rohe“ Engländer hat
viel zu viel Achtung vor der Freiheit des Andern, und
viel zu viel Vertrauen zu der Güte ſeiner Sache, um
solche Szenen in einer politiſchen und sozialen Agitation
herbeizuſsühren oder zu dulden; das paßt allenfalls zu
religiös-kirchlichen Händeln, wo ohnehin der Verſtand nicht
zu Hauſe iſt. Der „frivole“ Franzoſe würde eine Partei
oder Faktion nicht aufkommen lassen, deren Führer ſolche
Antezedentien hätten ; das Anſtandsgefühl verbietet ihm,
solchen Individuen die Ehre des Wortes einzuräumen.
Nur wir Deulſche sind gut genug, die Tribunen und
Priesterinnen aus Sodom und Gomorrha zu dulden. Wir,
das biedere, sittliche, gründliche, ernste Volk par excellence
laſſen wir die Arbeiterfrage verderben und ſehen zu, daß
Schaaren von Arbeitern rettungslos korrumpirt werden !
Darf das ſo fortgehen, oder iſt es endlich Zeit, den
Stall des Augias zu fegen?

Das Verdammungsurtheil über die Bismarck sche Po-
litik kann nicht schärfer formulirt werden und nicht weg-
werfender ausfallen, als wenn man ſagt, daß diese Be-
ſudelung der heiligſten Angelegenheit, dieſe Beſchmußung
des Reinsten, dieſe Korruption des Sittlichſten von jener
Politik als Mittel zum Zweck e vernußt und gewissen-
los ausgebeutet wird. Nicht einmal das Buhlen mit
dem Auslande, der „Stoß ins Herz“, der Vaterlands-
verrath erreichen diesen Gipfel der Verworfenheit; denn ein
Stück Landes läßt ſich zurücterobern und auch die Cavour ſche
Politit fußt auf ſolch bedenklichem Wagniß. Daß aber
die Frage der Cmanzipation der zahlreichſten Volksklasſe,
der moraliſchen und wirthschaftlichen Hebung einer ganzen
Welt Schergendienſte bei der Durchführung eines junker-
lichen Cäſarismus leiſten, zu nichts Anderm dienen ſoll, als
einen Abenteurer über Waſser zu halten: Das iſt dann
doch die ärgſte Ruchloſigteit des Jahrhundert, und wenn
ein Volk dagegen keinen brennenden Zorn mehr empfindet,
ſo geht es mit ihm erbarmungslos auf die Neige.





t

Politische Ueberficht.

Mannheim, 27. Auguſt..

* Die von den Regierungen Bayerns, Württembergs,
und Badens ernannte Festung s - Kom mi ſsion hat
sich eimer Meldurg aus München zufolge am 26. d. M.
konſtituirt und wurde vom Stellvertreter des bayeriſchen
Kriegsministers eröffnet. Die Kommission besleht aus
den Mitgliedern : Generalmajor Malaiſé als Vorsitzender
und Major Riem für Bayern ; Oberſt Graf v. Raiſchach,
Hauptmann Frhr. Schott von Schottenstein für Württem-
berg und Major Hoff für Baden. Näheres über den
Gesſchäftskreis dieſer „ſüddeutſchen“ Festungskommission
und über ihre Beziehungen mit den Organen des „obersten
Kriegsherrn“ bleibt den „Unterthanen“ noch vorenthalten;
nur wird anderweitig mitgetheilt, die Frage der Inspektion
der ehemaligen Bundesfeſtungen sei von der Bundesliqui-
dationskommission durch die jüngſt abgesſchloſſene und
ratifizirte Vereinbarung über das bewegliche Feſtungs-

eigenthum zwischen den belheiligten Regierungen prinzipiell

bereits vollſtändig geregelt.

Einem Privaiſchreiben aus München entnimmt die
„Zukunft“, daß die beiden (begreiflich des Präjudizes
wegen ziemlich konsormen) Gutachten der theolo-
giſchen Fakultäten von Mü nch en und Würz-
bu rg über das ötumeniſche Konzil ein Pelzwaſchen ohne
Wasser ſei. Die allgemeine Kirchenverſammlung ei in
alten Zeiten allerdings über dem Papſt geſtanden; wenn
ſich aber die Erſtere zu Gunsten des Letztern ihrer Macht
freiwillig begebe, ſo gehe auch die ihr beizumesſende Un-
fehlbarkeit auf diesen Delegirten über. „Wenn |“ Fiürſt
Hohenlohe wird wenig erbaut sein von diesem Wenn.
Und doch können die Herren Prokessores sacrosanctae
theologiae nicht wohl etwas Anderes thun als laviren,
d. h. zwiſchen Scylla und Charybdis, zwischen geiſtlichem
und weltlichem Mißbehagen ſich + durchſchlängeln.

Wie aus der Schweiz gemeldet wird, hat der Sch we i-
ze r Bundesrath immer noch teinen Anlaß, sich mit
der Fran kf urter Au s wei ſung s- Angeleg e n-
h eit zu beſchäftigen. Dagegen hat der „Bund“ guten
Grund zu glauben, daß der Bundesrath die Angelegen-
heit mehr vom Standpunkt streng ſtaatsrechtlicher Grund-
sätze aus auffassen und behandeln werde — als dies in
einem großen Theil der Schweizer Presſe geſchehen ſei.

Was nun den „Bund“ ſelbſt betrifft, so ſtellt er ſich
entschieden auf S eite der Frantfurter, indem er
zur moraliſchen Seite der Frage- ausführt : „Die un-
günstige Stimmung (Schweizer Blätter) gegen diese

(Frankfurter) Neubürger (der Schweiz) hat ihren | H

Grund in der Meinung, daß es Leute seien, die, derb
herausgeſagt. aus bloßen Judenängsten vor Flinte, Pulver
und Blei den Militärdienst scheuen. Aber vor drei Jahren
Dienst in der Lime des stehenden Heeres und nachheriger
Reſervediensſtyflicht würde auch ein Jeder von uns, der
sonſt mit Luſt und Liebe ſeine militärischen Pflichten er-
füllt zurückſscheuen. Wer kennt alle diese Neubürger, und
mit welchem Recht schieben wir ihnen gerade ſo niedrige,
unmännliche Beweggründe unter ? Verſeßge man sich doch
einmal in Gedanken in die gleiche Lage, wie sie Frank-
furt über ſich hat ergehen laſſen müſſen; man dente sich
Genf werde auf ebenſo wiederrechtliche Weiſe ohne Kriegs-
erklärung durch einen Gewaltsſtreich von Frankreich an-
nexirt, der Republik ein Ende gemacht, die junge Mann-
schaft zur Konſkription für das stehende Heer herange-
zogen und zum Eid der Treue gegenüber dem Kaiser
gezwungen ~ welcher Genfer Patriot würde nicht jeden
Ausweg ergreifen, um ſich und seine Söhne, soweit nicht
der unmittelbare Zwang Macht hat, jeder Berührung
und Unterordnung unter ein ſolches Regiment zu ent-
ziehen? So, wie die Frankfurter seit 1866, haben die
Genfer sich auch wirklich gehalten, nachdem Genf im
Jahre 1798 mit Frankreich vereinigt worden war; bis
die Stunde der Befreiung schlug, mieden Jie geflissentlich
jede Gemeinschaft mit der aufgedrungenen Herrſchaft, und
wenn wir ihnen das heute noch als ehrenwerthe Feſtig-
keit anrechnen, so sollten wir der gleichen Gesinnung die









Anerkennung nicht versagen, wenn ſie Söhne der ehe-
maligen Republik Frankfurt veranlaßt, sich nicht in die |
preußiſche Uniform stecken zu laſſen.“ ]
Die dä niſche Prop aganda in Nordſchlesweg
bereitet eine Abſtimmung der Bevölkerung vor, um nach-
zuweiſen, daß dieselbe die Rückgabe der nördlichen Distrikte
Schleswigs an Dänemarck verlange. In jedem Kirch-
spiel soll eine öffentliche Abstimmung nach vorhergegange- |

ner Anmeldung bei den Behörden und unter Kontrole
eines Notars stattfinden. Jeder mündige Mann soll ab-
stimmen dürfen und „Abstimmungs - Kommissäre“ sollen
von der Bevölkerung gewählt werden. Es unterliegt nicht
dem mindesten Zweifel, daß wenn die preußiſchen Be-
hörden sich nicht ins Mittel legen , die Abſtimmung in
allen Distrikten Nordsci leswigs, in denen die Dänen auf
die Mehrheit mit Sicherheit rechnen können, ins Werk
gesetzt werden wird.

Die neue ſerb iſche Verfaſſung hat nun die Bestä-
tigung dér Pforte erhalten. Dadurch ſette ſich die
Pforte in volle Harmonie mit allen Hattiſcherifs, die das
Recht der Serben, sich im Innern nach eigenem Beliebem
zu lonstituiren, mehrmals bestätigt haben.

Die telegraphiſche Mittheilung von der Abreise des
Generals Pri m aus Mad rid nach Frankreich, um in
Vichy zur Kur zu verweilen, darf wohl als das ſicherſte
Zeichen dafür angesehen werden, daß die karliſti ſche
Bewegun g zu Ende iſt. Erfreulicher noch als diese
Nachricht iſt die weitere, daß die Gewalthaber in Spanien
keines der von den Standgerichten gefällten Todes-
urtheile wollen vollziehen laſſen. Die derzeitigen Ge-
walthaber in Spanien wollen alſo, es ſei dies ehrend
anerkannt, Verzicht leiſten auf das Morden nach der
Schlacht, nach dem Siege; Verzicht leiſten auf Begnadi-
gung des politischen Gegners zu „Pulver und Blei! ,
wodurch, wie der Leitartikel in Nr. 197 d. Bl. ausge-
führt, die Sieger nur ſtets ſich selbſt entehrten und die
Folgen zerſtörten, die ihr Sieg hätte haben können. In
der That, unter dem Cindrucke eines solchen Verfahrens
dürfte es leichter denn sonst werden, die verſchiedenen
Parteien sür die Königskandidatur Serrano's zu ge-
winnen, die neueſten Meldungen zufolge geſichert sein
so ll, sobald Serrano ſich herbeilaſſen würde, sie auf-
zustellen.



Deutſchland.

* Heidelberg, 26. Auguſt. Deutſcher Ju-
riſtentag. Die heutige Plenarverſammlung wurde von
Hrn. Wolfsſohn (Hamburg) Namens des ständigen Aus-
sſchuſſes eröffnet. Zum Präsidenten wurde Hr. Blunlſchli
durch Zuruf ernannt. Hr. Staatsminiſter I olly be-
grüßte in längerer Rede im Auftrag des Großherzogs
die Versammlung. Die dankbare Verſammlung ernannte
Hrn. Jolly zum Ehrenpräsidenten. Zu Vizepräſidenten
wurden ernannt: die Herren v. Scharſchmitt (Wien), v.
Vangerow (Heidelberg), v. Wartensleben (Berlin) und v.
Wolf (München). Als Sekretären wurden bestellt die
erren: v. Kunowsky (Neu-Rupin) , v. Kisling (Linz),
Mays (Heidelberg) und Binding (Basel). Die Verſamm-
lung ertheilte der vom ſtändigen Ausschuſſe aus Veran-
lassung des am 13. Aug. ſtattgehabten 50jährigen Ju-
biläums des Hrn. Geh. Rath v. Wächter erlaſſene
Adreſſe ihre Zuſlimmung. Es erfolgte Vertheilung der
Berathungsgegenſtände an die Abtheilungen und hierauf
Bericht des Herrn Anwalt Makower über die Rechtsent-
wicklung in Deutſchland. Der Vortragende beſprach hiebei
als wichtige im lettten Jahre verembarte Geseße : Die
Gewerbeordnung des norddeutſchen Bundes , das Gesetz
über die Beſchlagnahme der Arbeits- und Dienſtlöhne, die
Errichtung eines Bundesoberhandelsgerichts und das Ge-
setz über die Gewährung der Rechtshilfe. Zum Schlusse
der Sitzung erstattete Herr Juſtizrath Borchardt (Berlin)
Bericht über die Kaſſenverhältniſje des deutschen Juriſten-
tages. Die Zahl der Theilnehmer an der Verſammlung
iſt jetzt nahezu 700. Es ist die Univerſität Bologna und
die Advokatengeſellſchaft in Peſt vertreten.

* Heidelberg, 27. Aug., Mittags 12 Uhr. Der
Juriſstenta g verwarf ſoeben den Antrag des Dr. Jacques
aus Wien auf Statuirung der obligatorischen Solidar-
haft im Genossenschaftsgesete ; erklärte vielmehr die be-
ſchränkte Haftbarkeit unter Voraussetzung geeigneter Nor-
mativbedingungen für prinzipiell zuläſſig. fr. VNfe gefaßte
Resolution ſtimmt in ihrem Sinne mit der des in Mann-
heim abgehaltenen Verbandstages deutscher Konſumvereine
vom 17. Mai überein. ;

* Mus Baden, 27. Aug. Heute vor zwanzig
Jahren Standgerichtsſißzung in Mannheim. Ein Todes-
urt h eil gegen Peter L a < er von Bruchſal, Soldat im
2. Infanterieregiment, und ein Urtheil auf 10 Jahre
Zuchtshaus gegen Joſ. Metz g er aus Freiburg, Soldat
im 2. Infanterie-Regiment. Peter Lacher wurde Tags
darauf erſchoſſen. Es war ein sonniger Nachmittag. Auf
dem Wege durch die Stadt grüßte Lacher die rechts und




















 
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