. Samſtag, 26. Juni.
Organ der
deulſchen Volkspartei in Baden.
1869.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage -
d Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Vokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen
täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Der Norddeutſche Bundesjammier.
| Schon in der zweiten Session des sog. Reichstags
iſt das Geschick der Gewaltſchöpfung von 1866 beſiegelt.
Männiglich weiß jetzt, was der Bund joll, und männig-
lich kann sich von der Erbärmlichkeit seiner Stützer und
Träger, seiner Clique, eine erbaaliche Vorstellung machen.
Ein künftiges Geschlecht - daher die Deutſchen nicht
wirklich zu einer Nation von Hausknechten beſtimmt sind
— wird mit Grauen und Entrüſtung die Schluß-Thron-
rede vom 23. Juni in die politiſchen Annalen, und die
Beschreibung der „nordwestlichen Durchfahrt“ Wilhelms
des Adlers und seines Faktotums Bismarck in den Mis-
zellen zur Kulturgeschichte lesen.
Was bildet den Kern der Thronrede, wenn man die
paar schwarze Wurmſtiche einen „Kern“ nennen darf ?
Offenbar folgender Paſſus:
Die Uniwwandlung von in einzelnen Bundesstaaten
beſtehenden Stempelabgaben für Wechsel in eine Bundes-
ſteuer vollendet durch Beseitigung der mehrfachen Besteue-
rung der im Bundesgebiete umlaufenden Wechſel die Ein-
heitlichkeit des Verkehrsgebietes und sichert ebenſo wie das
Gesez über die Portofreiheiten dem Bunde eine Steige-
rung seiner eigenen Einnahmen. Beide Geseße bedingen
aber eine der Erweiterung der Bundeseinna h me
gleichtommende Beschränkung der den Landesfinanzen zu
Gebote ſtehenden Mittel und führen deßhalb nicht zu
einer wirkkamen Ermaiß i gu ng der Matrikul arbei-
trä ge; über anderweite, von den verbündeten Regierungen
zur Verminderung der Matrikularbeiträüge vorgeſchlagenen
Maßregeln iſt zu meinem Bedauern eine Einigung nicht
erzielt worden. Es wird daher zunächſt den L and es-
vertretungen die Aufgabe zufallen, die Ausfälle, durch
Bewilligung ſolcher Abgaben zu decken, welche der Geſetzz-
gebung der Einzelſtaaten unterliegen.
Das heißt, aus dem Preußiſchen ins Deuiſche über-
ſezt: Die Wechſelſteuer und die Erhöhung der Porto-
Einnahmen haben wir; leider fehlt uns die Steuer auf
Branntwein, auf Bier, auf die Börsenabſchlüsse ec. 2c.
Was wir vom Reichstage nicht als direkte Gesammtſsteuer
davontragen, dafür müſſen die Beiträge der einzelnen
Bundesländer aufkommen, welche ,Matrikularbeiträge“
heißen. Die einzelnen Regierungen haben sich alſo an
ihre Landſtände zu halten und zu sehen, wie sie von
ihnen das Geld bekommen. Wo das Geld herkommt, iſt
uns am Ende einerlei !
Und daraus folgt klar, wie zwei mal zwei iſt vier,
daß der ganze Norddeutſche Bund lediglich eine Zwick
mühle für die bekannten großen „Spieler“ an der Spree
eröffnet hat. Geht's ſo nicht, ſo muß es so gehen.
Gebt Ihr's dem Bunde nicht direkt als Reichstag, nun
ſo geht in Euer Kämmerlein und lapperts dort zusammen !
Dafür aber, daß Ihr's beibringt, ſorgt die Bundesver-
faſſung, denn die Matrikularbeiträge ſtehen unter Exeku-
tionsrecht, und zur Noth kann der widerspenstige Ver-
bündete „un ter Sequester“ gebracht werden!
Niemals hat ein Banthalter so sichere Chancen gegen
die Opfer der Spielwuth gehabt; sie mögen ſich anstellen
wie ſie wollen, ſie werden gerupft.
Und auf Grund dieser großen nationalefreiſinnigen
Errungenſchaft unternahm der König Wilhelm mit seinem
Bismarck die „nordwestliche Durchfahrt," glücklich, trium-
phirend, als Vater des Vaterlandes. Nur in Bremen
blieben sie auf ein Haar im Eiſe + der Begeiſterung j
ſteken; Bremen hat ſich ſeinen richtigen Titel in der
Durchgangsperiode neupreußiſcher Deutſchheit gesichert: es
heißt „das deutſche Byzary.“" Viel hatten wir diesen
Enthusiaſten der Dürre und ! der Prosa zugetraut; ſie
ht tt unſere Erwartungen, ſie haben ſich ſelbſt
ertroffen.
_ Auf dem Bauche lagen sie vor dem Allirten des Aus-
landes, vor dem Vergewaltiger deutſcher Gebiete und ihrer
Verfaſſungen, vor dem Manne, der nie deutſch fühlte,
. der nur die Vergrößerung seines Preußens im Sinne
hatte, und vor dem Andern, der Jenen so glücklich zu
„leiten“ wußte, daß die entgegengesetteſten Ziele endlich
vor ſeinen Augen durcheinander wirbelten. Bremen, die
î H ktolze Hanſaſtadt, deren Senatoren bei einer anderen,
beſſeren Wendung der deutschen Geſchichte, jezt Statthalter
in Bombay, Madras und Kaltutta wären, Bremen legt
ſich dem preußiſchen Ter.itorialherrn zu Füßen, der unseren
Handel in allen Zonen ſchiüßgtt!!
Und naehdem Die von Bremen fich so ſelber wegge-
worken hatten, echo’t der ganze norddeutſche Jammer aus
Schlesien zurück und bedeutet in: der albernen „Schleſiſchen
Zeitung“ einen „Croberungszug des Königs im Nord-
westen." Das gründliche Elend des norddeutschen Reichs-
tags ist dieser Zeitung „das Zahnen,“ eine „Kinder-
krankheit des neuen Werkes“ ~ kindisch genug, allerdings!
— Aber hoch über die Kinderei erhebt ſich ihr die Idee
des Schirmherrn, der Spitze, welche die Ku p pel des
nationalen Baues krönen soll.“ Wie wurde Deutschlands
Schirmherr erſt in Bremen empfangen !“ Sie sieht deut-
lich, „daß Deutschland in der Geschichte und Gedanken
seiner Einheit lebt, von diesem Denken nicht mehr laſſen
kann, und daß aus diesem Quell die Kratt seiner wahren
Zukunft über alle Theile befeuchtend hinausſtrömen wurd."
Wir könnten's ruhig hinnehmen und aus vollem
Herzen darüber lachen, wenn's nur vergangene Ge-
ſchichte wäre, und wenn das Stück nicht in Deutſch-
land spielte. Aber wir haben da einen faulen Knochen
in unserem Leibe, der ausgeſchnitten werden .: muß, und
der Schmerzen verurſachen wird.
So viel iſt gewiß, mit diesen Deutschen können
wir, kann der gesammte noch geſunde Süden ni emals
zu nationaler Einheit zuſammengehen. Bekommen diese
Deutsche das Uebergewicht, ſo gehören wir nicht mehr
zu Deutschland, und in unser em Deutſchland können
wir keine Speichellecker gebrauchen.
Baouiitiſche Uebersicht.
Mannheim, 25. Juni.
* Die Konjekturalpolitik verzeichnet den Umstand, daß
in den zwei Thronreden, mit denen das Zollparlament
und der norddeutſche Reichstag geſchloſſen wurden, in keincr
Weise der Beziehungen Deutschlands zu den aus-
wärtigen Mächten Erwähnung geschah. Will man
auch nicht gerade bestimmte Befürchtungen an dieses Still-
schweigen knüpfen, ſo will man demſelben doch entnehmen,
daß die Berliner Regierung es nicht für geeignet hielt,
jener Beziehungen besonders rühmend zu gedenken.
Und in der That treffen heute verſchiedene Nachrichten
zuſammen, welche die politische Magnetnadel in Unruhe
verſezen. Na poleon ist diesmal früher, als es die vor-
hergegangenen Jahre der Fall war, nach dem Lager von
Chalons abgegangen und sein erſtes Beginnen daselbst
war eine Rede an die Soldaten, welche den italieniſchen
Feldzug mitgemacht haben. (S. T.) Dazu kommt die
Meldung, die lezten Sitzungen der franzöſiſch-belgischen
Kommission hätten zu keinerlei Ergebniſſen gesührt ; Puntte,
welche man von Brüssel aus als zugeſtanden angenommen
habe, ſeien Gegenſtand unerwarteter neuer Bemerkungen
geworden . . . und so könnte man die neulichen Ent-
hüllungen über eine angebliche Parteinahme Preußens
leicht in eine greifbare Gestalt bringen und die Meinung
gewinnen, es sei richtig, daß eine mächtige Klique in
Berlin bemüht sei ~ Preußen in ein ſchiefes Verhältniß
zu Frankreich zu bringen.
Obgleich die Mächte fortwährend mit der Hand am
Schwertgriffe einander gegenüberſtehen, jeden Augenblick
bereit, die Völker dynastiſcher Zwecke wegen aufeinander-
zuheßen, wir nur geringe Garantien für die Erhaltung
des Friedens haben, so wollen wir dech nicht voreilig der
Kriegsbefürchtung Raum gönnen und die mehrfach unter-
ſtützte Mittheilung, es fänden zwiſchen Paris und Florenz
Verhandlungen wegen Räumung d es Kirchenſtaates
ſtatt, nicht im Sinne eines zu triegeriſchen Zwecken ſich
geſtaltenden Bündnisses zwiſchen Frankreich und Italien,
sondern dahin deuten, es ſeien diese Verhandlungen nur
ein Mittel zu dem Zwecke, in Rom Bedenken rege zu
machen und das in der Räumung Roms Seitens der
französischen Truppen für das Papſtthum enthaltene Mene
Tekel gegen den Konzilstrumpf auszuſpielen. !
Ein engliſches Blatt, welchem man in ſozialen Fragen
nicht den Vorwurf d.r Schwarzfärberei machen kann, die
„Times,“ macht in einem Bericht über den Zuſtand der
engliſchen Armenpflege furchtbare Angaben über
die Ausbreitung des Pauperismus in England. An
Armensteuer wurde im letßten Jahre in England und
Wales 11 Millionen Pfund Sterling aufgebracht, wovon
712 Millionen auf direkte Armenunterſtützungen verwendet
worden ſind. Die geſammten Ausgaben für die Zivil-
verwaltung betragen nur wenig mehr als diese Summe.
In London allein wurden nahezu fl. 12,000,000 für |
dirette Armenunterſtüßung ausgegeben. Was an den An-
gaben der Times besonders erſchrecend ist, Das iſt die
ſtete und reißende Zunahme in der Zahl der Unterstützungs-
bedürftigen. Seit 1859, in welchem Jahre sie in der
: TE
Hauptstadt 70,000 betragen hatte, war ſie am Schlusse
des vergangenen Jahres bereits mehr als auf das Doppelte
~ auf 144,469 — angestiegen. Die Geſammtzahl dee
eingeſchriebenen Armen im ganzen Königreich (England
und Wales) hat sich im Jahre 1868 auf 992,640
entziffert.
Das Widerstreben des Biſcho fs von Linz, gegen
die neuen in Osterreich zu Stande gebrachten Staats-
grundgesetßze, hat dem geistlichen Oberhirten eine Geldstrafe
von 1000 fl. eingetragen, in welche er von dem overſten
Gerichtshofe verfällt wurde. Die Geldstrafen erſcheinen in
solchen Fällen als gut gewählt und kann es der öſter-
reichiſchen Regierung nur angenehm sein, wenn die wider-
ſtrebenden geiſtlichen Oberhirten recht zahlreich ſich ſolch
zuziehen. Sie würden dadurch einen nicht zu unter
ſchätenden Beitrag liefern, zur Deckung des Militär-
bud gets, das in Oesterreich für das nächſte Jahr nach
dem gemachten Voranschlage 78,000,000 fl., im ordents-
lichen Budget ~ 2,736,000 fl. mehr als in dieſem
Jahre beansprucht und außerdem einen Nachtragskredit
von 3,800,000 fl. und 4,761,000 fl. im Extraordinarium
verlangt. Recht niedliche Geschente an das Volk, für
ſeine ~ Treue.
Deutschland.
* Karlsruhe, 25. Juni. Das Gesetzes- und Ver-
ordnungsblatt Nr. 15 enthält: Zu der Kinzigfloßord-
nung, nach welcher in der Zeit vom 1 Juli bis 15 Auguſt
die Floßfahrten auf der Kinzig einzuſtellen sind, wird weiter
verordnet: „Die Flößereitreibenden ſind verpflichtet, das
beim Beginn der Floßferien noch in der Kmzig oberhalb
der Kehler Marktſtätte liegende Floßholz auf Verlangen
der Floßaufsichtsbehörde aus dem Fluße zu entfernen und
auf die Polterplätee zu schaffen.“
* Aus Baden, 25. Juni. In Heidelb erg haben
die Israeliten sich einſtimmig für die gemischten Schulen
erklärt und iſt damit in unſerer Nachbarſtadt der Kampf
abgeschlossen , den die freiheitliche Entwickelung gegen die
finſtere Macht der Vergangenheit siegreich beſtanden. Was
dem Siege in Heidelberg und allüberall, wo der gleiche
in der Schulfrage erkämpft wurde, die rechte Weihe gibt !
Herr Franz Mittermaier hat es ausgesprochen: es iſt
Dieß der Umstand , daß die Bewegung für die gemischte
Schule nicht von oben herab künſtlich gemacht wurd
sondern daß das Volk aus eigenem Drange für die Sache
des Fortschritts, für den religiösen Frieden und die Vere
beſſerung der Jugenderziehung in die Schranken getreten iſt.
Deßhalb wird das Errungene nicht allein Bestand haben, son-
derndieFähigkeitinſichtragen, unſerSchulwesenauf die erſtrebte
höchſte Stufe der Verbesserung zu führen. Was Einzelne
ſchaffen ~ so sprach Hr. Mittermaier zu dem verſam-
melten Heidelberg ~ iſt oft weit glänzender; stolze Er-
oberer ziehen ſiegreich über blutgetränkte Gefilde; aber
nur zu oft erleben sie noch ſelbſt den Zerfall ihres blu-
tigen. Werkes, während die friedliche Arbeit des geſamm-
ten Volkes auf Jahrhunderte hinaus Früchte trägt.
Wir leben in einer großen Zeit, einer Zeit mächtigen
Umſschwungs. Ueber dem Weltmeer drüben hat ein
Volk, welches keinen irdiſchen Herrn über sich erkennt, in
gewaltigem Kampfe die lettte Spur der Sklaverei, der
ſchmachvollen Herrſchaft eines Menſchen über seine Mit-
menschen, ausgetilgt; ſelbſt in jenem Lande , wo einst die
finſtere Glaubenstyrannei auf zahlloſen Scheiterhaufen
jeden Freidenkenden verbrannte, in Spanien hat ſich das
Volk erhoben und die Freiheit des Gewisſſens verkündet.
Dieß sind bedeutsame Zeichen, und ſie lehren uns , daß
die Freiheit voranſchreiten, je d en Gegner derselben zer-
malmen wird . . . Dieses Bewußtsein gibt der Demokratie
ihre Stärke in dem Kampfe mit der Gewalt und der
Unfrciheit auf allen Gebieten. JFeſt und beharrlich ſtellt
die Demokratie dem Feinde ſich entgegen und bekämpft
denselben. Unerbittlich im Kampfe weiß die Demokratie
aher immer die Ueberzeugung des Gegners zu ehren und
Maß zu halten im Augenblicke des Sieges. Weniger
vermögen Dieß die Mittelparteien , unsere Halben- und
Viertels- Liberalen. Beweis hiefür : die „Heidelb. Ztg.“
Diese ließ, als das Ergebniß der Abstimmung der Katho-
liken bereits bekannt und der Sieg gesichert war, em
Extrablatt“ ausgeben , einen Bericht über die am Vor-
abend in der Kloſtertirche abgehaltene Versammlung , der
in maßloſer Weiſe ſich in persönlichen Ausfällen er-
geht. Mit Recht ſagt eine in diesem Betreffe von zwei
Skudenten uns gewordene Zuſchrift : „Gerade im Siege
hätte sich die an Andern vermißte Humanität, Menschen-
Organ der
deulſchen Volkspartei in Baden.
1869.
Die „Mannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage -
d Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Vokalanzeigen 2 kr. Beſtellungen
täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementzpreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
bei der Expedition Q 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.
Der Norddeutſche Bundesjammier.
| Schon in der zweiten Session des sog. Reichstags
iſt das Geschick der Gewaltſchöpfung von 1866 beſiegelt.
Männiglich weiß jetzt, was der Bund joll, und männig-
lich kann sich von der Erbärmlichkeit seiner Stützer und
Träger, seiner Clique, eine erbaaliche Vorstellung machen.
Ein künftiges Geschlecht - daher die Deutſchen nicht
wirklich zu einer Nation von Hausknechten beſtimmt sind
— wird mit Grauen und Entrüſtung die Schluß-Thron-
rede vom 23. Juni in die politiſchen Annalen, und die
Beschreibung der „nordwestlichen Durchfahrt“ Wilhelms
des Adlers und seines Faktotums Bismarck in den Mis-
zellen zur Kulturgeschichte lesen.
Was bildet den Kern der Thronrede, wenn man die
paar schwarze Wurmſtiche einen „Kern“ nennen darf ?
Offenbar folgender Paſſus:
Die Uniwwandlung von in einzelnen Bundesstaaten
beſtehenden Stempelabgaben für Wechsel in eine Bundes-
ſteuer vollendet durch Beseitigung der mehrfachen Besteue-
rung der im Bundesgebiete umlaufenden Wechſel die Ein-
heitlichkeit des Verkehrsgebietes und sichert ebenſo wie das
Gesez über die Portofreiheiten dem Bunde eine Steige-
rung seiner eigenen Einnahmen. Beide Geseße bedingen
aber eine der Erweiterung der Bundeseinna h me
gleichtommende Beschränkung der den Landesfinanzen zu
Gebote ſtehenden Mittel und führen deßhalb nicht zu
einer wirkkamen Ermaiß i gu ng der Matrikul arbei-
trä ge; über anderweite, von den verbündeten Regierungen
zur Verminderung der Matrikularbeiträüge vorgeſchlagenen
Maßregeln iſt zu meinem Bedauern eine Einigung nicht
erzielt worden. Es wird daher zunächſt den L and es-
vertretungen die Aufgabe zufallen, die Ausfälle, durch
Bewilligung ſolcher Abgaben zu decken, welche der Geſetzz-
gebung der Einzelſtaaten unterliegen.
Das heißt, aus dem Preußiſchen ins Deuiſche über-
ſezt: Die Wechſelſteuer und die Erhöhung der Porto-
Einnahmen haben wir; leider fehlt uns die Steuer auf
Branntwein, auf Bier, auf die Börsenabſchlüsse ec. 2c.
Was wir vom Reichstage nicht als direkte Gesammtſsteuer
davontragen, dafür müſſen die Beiträge der einzelnen
Bundesländer aufkommen, welche ,Matrikularbeiträge“
heißen. Die einzelnen Regierungen haben sich alſo an
ihre Landſtände zu halten und zu sehen, wie sie von
ihnen das Geld bekommen. Wo das Geld herkommt, iſt
uns am Ende einerlei !
Und daraus folgt klar, wie zwei mal zwei iſt vier,
daß der ganze Norddeutſche Bund lediglich eine Zwick
mühle für die bekannten großen „Spieler“ an der Spree
eröffnet hat. Geht's ſo nicht, ſo muß es so gehen.
Gebt Ihr's dem Bunde nicht direkt als Reichstag, nun
ſo geht in Euer Kämmerlein und lapperts dort zusammen !
Dafür aber, daß Ihr's beibringt, ſorgt die Bundesver-
faſſung, denn die Matrikularbeiträge ſtehen unter Exeku-
tionsrecht, und zur Noth kann der widerspenstige Ver-
bündete „un ter Sequester“ gebracht werden!
Niemals hat ein Banthalter so sichere Chancen gegen
die Opfer der Spielwuth gehabt; sie mögen ſich anstellen
wie ſie wollen, ſie werden gerupft.
Und auf Grund dieser großen nationalefreiſinnigen
Errungenſchaft unternahm der König Wilhelm mit seinem
Bismarck die „nordwestliche Durchfahrt," glücklich, trium-
phirend, als Vater des Vaterlandes. Nur in Bremen
blieben sie auf ein Haar im Eiſe + der Begeiſterung j
ſteken; Bremen hat ſich ſeinen richtigen Titel in der
Durchgangsperiode neupreußiſcher Deutſchheit gesichert: es
heißt „das deutſche Byzary.“" Viel hatten wir diesen
Enthusiaſten der Dürre und ! der Prosa zugetraut; ſie
ht tt unſere Erwartungen, ſie haben ſich ſelbſt
ertroffen.
_ Auf dem Bauche lagen sie vor dem Allirten des Aus-
landes, vor dem Vergewaltiger deutſcher Gebiete und ihrer
Verfaſſungen, vor dem Manne, der nie deutſch fühlte,
. der nur die Vergrößerung seines Preußens im Sinne
hatte, und vor dem Andern, der Jenen so glücklich zu
„leiten“ wußte, daß die entgegengesetteſten Ziele endlich
vor ſeinen Augen durcheinander wirbelten. Bremen, die
î H ktolze Hanſaſtadt, deren Senatoren bei einer anderen,
beſſeren Wendung der deutschen Geſchichte, jezt Statthalter
in Bombay, Madras und Kaltutta wären, Bremen legt
ſich dem preußiſchen Ter.itorialherrn zu Füßen, der unseren
Handel in allen Zonen ſchiüßgtt!!
Und naehdem Die von Bremen fich so ſelber wegge-
worken hatten, echo’t der ganze norddeutſche Jammer aus
Schlesien zurück und bedeutet in: der albernen „Schleſiſchen
Zeitung“ einen „Croberungszug des Königs im Nord-
westen." Das gründliche Elend des norddeutschen Reichs-
tags ist dieser Zeitung „das Zahnen,“ eine „Kinder-
krankheit des neuen Werkes“ ~ kindisch genug, allerdings!
— Aber hoch über die Kinderei erhebt ſich ihr die Idee
des Schirmherrn, der Spitze, welche die Ku p pel des
nationalen Baues krönen soll.“ Wie wurde Deutschlands
Schirmherr erſt in Bremen empfangen !“ Sie sieht deut-
lich, „daß Deutschland in der Geschichte und Gedanken
seiner Einheit lebt, von diesem Denken nicht mehr laſſen
kann, und daß aus diesem Quell die Kratt seiner wahren
Zukunft über alle Theile befeuchtend hinausſtrömen wurd."
Wir könnten's ruhig hinnehmen und aus vollem
Herzen darüber lachen, wenn's nur vergangene Ge-
ſchichte wäre, und wenn das Stück nicht in Deutſch-
land spielte. Aber wir haben da einen faulen Knochen
in unserem Leibe, der ausgeſchnitten werden .: muß, und
der Schmerzen verurſachen wird.
So viel iſt gewiß, mit diesen Deutschen können
wir, kann der gesammte noch geſunde Süden ni emals
zu nationaler Einheit zuſammengehen. Bekommen diese
Deutsche das Uebergewicht, ſo gehören wir nicht mehr
zu Deutschland, und in unser em Deutſchland können
wir keine Speichellecker gebrauchen.
Baouiitiſche Uebersicht.
Mannheim, 25. Juni.
* Die Konjekturalpolitik verzeichnet den Umstand, daß
in den zwei Thronreden, mit denen das Zollparlament
und der norddeutſche Reichstag geſchloſſen wurden, in keincr
Weise der Beziehungen Deutschlands zu den aus-
wärtigen Mächten Erwähnung geschah. Will man
auch nicht gerade bestimmte Befürchtungen an dieses Still-
schweigen knüpfen, ſo will man demſelben doch entnehmen,
daß die Berliner Regierung es nicht für geeignet hielt,
jener Beziehungen besonders rühmend zu gedenken.
Und in der That treffen heute verſchiedene Nachrichten
zuſammen, welche die politische Magnetnadel in Unruhe
verſezen. Na poleon ist diesmal früher, als es die vor-
hergegangenen Jahre der Fall war, nach dem Lager von
Chalons abgegangen und sein erſtes Beginnen daselbst
war eine Rede an die Soldaten, welche den italieniſchen
Feldzug mitgemacht haben. (S. T.) Dazu kommt die
Meldung, die lezten Sitzungen der franzöſiſch-belgischen
Kommission hätten zu keinerlei Ergebniſſen gesührt ; Puntte,
welche man von Brüssel aus als zugeſtanden angenommen
habe, ſeien Gegenſtand unerwarteter neuer Bemerkungen
geworden . . . und so könnte man die neulichen Ent-
hüllungen über eine angebliche Parteinahme Preußens
leicht in eine greifbare Gestalt bringen und die Meinung
gewinnen, es sei richtig, daß eine mächtige Klique in
Berlin bemüht sei ~ Preußen in ein ſchiefes Verhältniß
zu Frankreich zu bringen.
Obgleich die Mächte fortwährend mit der Hand am
Schwertgriffe einander gegenüberſtehen, jeden Augenblick
bereit, die Völker dynastiſcher Zwecke wegen aufeinander-
zuheßen, wir nur geringe Garantien für die Erhaltung
des Friedens haben, so wollen wir dech nicht voreilig der
Kriegsbefürchtung Raum gönnen und die mehrfach unter-
ſtützte Mittheilung, es fänden zwiſchen Paris und Florenz
Verhandlungen wegen Räumung d es Kirchenſtaates
ſtatt, nicht im Sinne eines zu triegeriſchen Zwecken ſich
geſtaltenden Bündnisses zwiſchen Frankreich und Italien,
sondern dahin deuten, es ſeien diese Verhandlungen nur
ein Mittel zu dem Zwecke, in Rom Bedenken rege zu
machen und das in der Räumung Roms Seitens der
französischen Truppen für das Papſtthum enthaltene Mene
Tekel gegen den Konzilstrumpf auszuſpielen. !
Ein engliſches Blatt, welchem man in ſozialen Fragen
nicht den Vorwurf d.r Schwarzfärberei machen kann, die
„Times,“ macht in einem Bericht über den Zuſtand der
engliſchen Armenpflege furchtbare Angaben über
die Ausbreitung des Pauperismus in England. An
Armensteuer wurde im letßten Jahre in England und
Wales 11 Millionen Pfund Sterling aufgebracht, wovon
712 Millionen auf direkte Armenunterſtützungen verwendet
worden ſind. Die geſammten Ausgaben für die Zivil-
verwaltung betragen nur wenig mehr als diese Summe.
In London allein wurden nahezu fl. 12,000,000 für |
dirette Armenunterſtüßung ausgegeben. Was an den An-
gaben der Times besonders erſchrecend ist, Das iſt die
ſtete und reißende Zunahme in der Zahl der Unterstützungs-
bedürftigen. Seit 1859, in welchem Jahre sie in der
: TE
Hauptstadt 70,000 betragen hatte, war ſie am Schlusse
des vergangenen Jahres bereits mehr als auf das Doppelte
~ auf 144,469 — angestiegen. Die Geſammtzahl dee
eingeſchriebenen Armen im ganzen Königreich (England
und Wales) hat sich im Jahre 1868 auf 992,640
entziffert.
Das Widerstreben des Biſcho fs von Linz, gegen
die neuen in Osterreich zu Stande gebrachten Staats-
grundgesetßze, hat dem geistlichen Oberhirten eine Geldstrafe
von 1000 fl. eingetragen, in welche er von dem overſten
Gerichtshofe verfällt wurde. Die Geldstrafen erſcheinen in
solchen Fällen als gut gewählt und kann es der öſter-
reichiſchen Regierung nur angenehm sein, wenn die wider-
ſtrebenden geiſtlichen Oberhirten recht zahlreich ſich ſolch
zuziehen. Sie würden dadurch einen nicht zu unter
ſchätenden Beitrag liefern, zur Deckung des Militär-
bud gets, das in Oesterreich für das nächſte Jahr nach
dem gemachten Voranschlage 78,000,000 fl., im ordents-
lichen Budget ~ 2,736,000 fl. mehr als in dieſem
Jahre beansprucht und außerdem einen Nachtragskredit
von 3,800,000 fl. und 4,761,000 fl. im Extraordinarium
verlangt. Recht niedliche Geschente an das Volk, für
ſeine ~ Treue.
Deutschland.
* Karlsruhe, 25. Juni. Das Gesetzes- und Ver-
ordnungsblatt Nr. 15 enthält: Zu der Kinzigfloßord-
nung, nach welcher in der Zeit vom 1 Juli bis 15 Auguſt
die Floßfahrten auf der Kinzig einzuſtellen sind, wird weiter
verordnet: „Die Flößereitreibenden ſind verpflichtet, das
beim Beginn der Floßferien noch in der Kmzig oberhalb
der Kehler Marktſtätte liegende Floßholz auf Verlangen
der Floßaufsichtsbehörde aus dem Fluße zu entfernen und
auf die Polterplätee zu schaffen.“
* Aus Baden, 25. Juni. In Heidelb erg haben
die Israeliten sich einſtimmig für die gemischten Schulen
erklärt und iſt damit in unſerer Nachbarſtadt der Kampf
abgeschlossen , den die freiheitliche Entwickelung gegen die
finſtere Macht der Vergangenheit siegreich beſtanden. Was
dem Siege in Heidelberg und allüberall, wo der gleiche
in der Schulfrage erkämpft wurde, die rechte Weihe gibt !
Herr Franz Mittermaier hat es ausgesprochen: es iſt
Dieß der Umstand , daß die Bewegung für die gemischte
Schule nicht von oben herab künſtlich gemacht wurd
sondern daß das Volk aus eigenem Drange für die Sache
des Fortschritts, für den religiösen Frieden und die Vere
beſſerung der Jugenderziehung in die Schranken getreten iſt.
Deßhalb wird das Errungene nicht allein Bestand haben, son-
derndieFähigkeitinſichtragen, unſerSchulwesenauf die erſtrebte
höchſte Stufe der Verbesserung zu führen. Was Einzelne
ſchaffen ~ so sprach Hr. Mittermaier zu dem verſam-
melten Heidelberg ~ iſt oft weit glänzender; stolze Er-
oberer ziehen ſiegreich über blutgetränkte Gefilde; aber
nur zu oft erleben sie noch ſelbſt den Zerfall ihres blu-
tigen. Werkes, während die friedliche Arbeit des geſamm-
ten Volkes auf Jahrhunderte hinaus Früchte trägt.
Wir leben in einer großen Zeit, einer Zeit mächtigen
Umſschwungs. Ueber dem Weltmeer drüben hat ein
Volk, welches keinen irdiſchen Herrn über sich erkennt, in
gewaltigem Kampfe die lettte Spur der Sklaverei, der
ſchmachvollen Herrſchaft eines Menſchen über seine Mit-
menschen, ausgetilgt; ſelbſt in jenem Lande , wo einst die
finſtere Glaubenstyrannei auf zahlloſen Scheiterhaufen
jeden Freidenkenden verbrannte, in Spanien hat ſich das
Volk erhoben und die Freiheit des Gewisſſens verkündet.
Dieß sind bedeutsame Zeichen, und ſie lehren uns , daß
die Freiheit voranſchreiten, je d en Gegner derselben zer-
malmen wird . . . Dieses Bewußtsein gibt der Demokratie
ihre Stärke in dem Kampfe mit der Gewalt und der
Unfrciheit auf allen Gebieten. JFeſt und beharrlich ſtellt
die Demokratie dem Feinde ſich entgegen und bekämpft
denselben. Unerbittlich im Kampfe weiß die Demokratie
aher immer die Ueberzeugung des Gegners zu ehren und
Maß zu halten im Augenblicke des Sieges. Weniger
vermögen Dieß die Mittelparteien , unsere Halben- und
Viertels- Liberalen. Beweis hiefür : die „Heidelb. Ztg.“
Diese ließ, als das Ergebniß der Abstimmung der Katho-
liken bereits bekannt und der Sieg gesichert war, em
Extrablatt“ ausgeben , einen Bericht über die am Vor-
abend in der Kloſtertirche abgehaltene Versammlung , der
in maßloſer Weiſe ſich in persönlichen Ausfällen er-
geht. Mit Recht ſagt eine in diesem Betreffe von zwei
Skudenten uns gewordene Zuſchrift : „Gerade im Siege
hätte sich die an Andern vermißte Humanität, Menschen-