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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 284 - No. 309 (1. Dezember - 31. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#1185

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war kein Mädchen, das vermocht hätte, ihm zu gefallen;



Naunhein

Organ der deutſchen Volksparlei in Baden.

m. dom n.dmaüihmEa:

Freitag, 10. Dezember

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1869.



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Wie ¡z üunaheimer Abendzeitung? wird —



mit Ausnahme der

Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Vetitzeite 8 kr.

Sonntage und Feſttage +

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täglich als Abendblatt ausgegeben. ~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Voftauſſchlag

hel Lokalanzeigen 2 kr. Beftellungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.











Vom geſetzgebenden Körper zu Paris.

| O gebt uns ein rechtes Zentrum! Für das uinke
Zentrum brauchen wir dann schon nicht mehr zu sorgen ;
die eigentliche Linke entbehren wir vielleicht ohne Schmer-
zen, und die äußerſte Linke könnte uns äußerst gleich-
gültig werden. j

Das rechte Zentrum zu Paris nämlich. Der Ueber-
läufer Emil Ollivier steht an der Spitze, und er thut
nichts als auf Geheiß Sr. Majeſtät von der Ordnung,
und er hat 123 Mann hinter sich, etliche 70 von den
116 des Tiers-Parli, die Uebrigen Arkadier, Mameluten,
kaiſerliche Stallknechte und ähnliche Vertrauensperſonen
der Tuilerien. Der Ruſstan der Bande ſiſt bekanntlich
Granier aus Laſſagnac und er hat auch mit unterſchrie-
ben, nämlich das Programm der 124, und dieses Pro-
gramm lautet und läutet mit allerhöchſter Bewilligung
alſo :

„Fried e nach Außen oder lEmpire, c'est la
guerre. Dann ſind wir nämlich sicher, den Frieden zu
betommen, weil seit 1853 l'Empire der Friede war, und
wir gar nicht mehr aus dem Kriege herauskamen. Nach
Innen aber: Vollständige Herſtellung der parlamentariſchen
Regierung, Abſchaffung des Espinasse ſchen Sicherheits-
geſeßes von 1858, nach welchem jeder Menſch das Recht
haite, nach Cayenne und Lambeſsa deportirt zu werden,
was die große Revolution die „Bürger- und Menſchen-
rechte“ nannte; Einführung des Geschwornengerichtes für
Preßprozeſſe; Abſchaffung des Zeitungsſtempels, der an
sich allein ſchon die Aufhebung der Preßfreiheit iſt; und
ſchließliches Recht der geſeßgebenden Gewalt, die Wahlbe-
zirke feſtzuſezen, oder erſte noihwendige Befreiung des
allgemeines Stimmrechies aus der Diktatur der Crekutive;
nothwendige Wahl der Maires aus den Gemeinderäthen;
gründliche Dezentraliſation der Gemeinden, Kantone und
Departements; Rekursrecht der Privaten wider die Be-
amien in Wahlangelegenheiten, im Falle des Eingriffs
in die bürgerliche Freiheit und in das Eigenthum.

O gebt uns ein rechtes Zentrum, wir nehmen den
Granier aus Cassſagnac in den Kauf. Denn wenn die
alten Mameluken so pfeifen, wenn ihnen der Paſcha ſolche
Melodien erlaubt, was für Muſikſtücke müſſen dann noch
auf dem Repertoire ſtehen, und was wird erſt das linke
Zentrum verlangen ? :

Richtig, das linke Zentrum erklärt ſich mit diesem
Programm nicht zufrieden, will von den Melodien Emil
Ollivier's nichts wiſſen, behauptet seine Selbstständigkeit
und fordert: Zuziehung der Kammer zur konstituwrenden



Gewalt oder die halbe Abſezung Zäſars ; Waßhl der
Maires nicht aus den Gemeinderäthen, sondern direkt durch |
das allgemeine Stimmrecht ~ jeder Bürgermeister wird !
der „Erwählte" der Vorſehung und der Gemeinde; Re-
form des Wahlgeſeßes; Herabſegung der jährlichen Armee-
Kontingente – haha! Finanzreform und ſoziale Ver-



beſſerungen!

Das laulet und läutet noch ganz anders und dfjpielt |
deutlich in die Linke hinüber, welche die ganze konſti-
tuirende Gewalt für die Kammer verlangt und den offenen

Krieg wider das Kaiſerthum predigt. Die Armeeredutktion
iſt die direlte Folge einer anders beſtimmten Souveränetät;

Dreigeſpannes am Siegeswagen von 1866 wieder auf-
nehmen; vielleicht das Zeichen zum neuen „Hallali" ges

denn die kaiserliche Alleinherrſchaft läßt sich kenen Mann ; ben. Inzwischen haben der Nordbund und China einn

und keinen Chaſſepot abzwacken, und Finanzreform heißt | Vertrag geſchloſſen, der die beiderſ

nur in anderer Sprache Armeereduktion, und diese Ueber-
ſezung iſt unfehlbar. Denn, wohlgemerkt, das französische
Kaiſerthum hat in 18 Jahren noch nicht ein einziges
Mal gesagt: „Wir nehmen das Geld, wo wir es finden“ ;
der vellendete Zäſarismus hat dort in oſtenſibler Weise
noch keinen Sou ausgegeben, der nicht von der Kammer
bewilligt worden wäre! Dieses Kunſtſtück hat ihm ſein
norddeutſcher Nachtreter noch nicht abgeſehen.

Wir überſchätzen nicht, wir geben uns keiner Illuſion
hin, Frankreich entgeht dem Kampfe mit dem Staats-

streiche nicht. Aber man sieht, wie viel Uhr > geſchla-

gen hat. Die Kammer wird zum Parlamente; Hr.
Guizot bittet und beschwört alle Welt, parlamentarisch zu
we: den und die Revolution zu vermeiden; die „Demo-
kratie" endlich übersetzt die lezte Thronrede ganz einfach
ins Allgemeinverständliche: „Helfen Sie mir die Freiheit
retten!“ das will sagen, Troppmann ruft aus : Helfen
Sie mir die Familie Kink von den Todten erwecken!



Wolitiſche Ueberſicht.
IM a nnh ei m, 9. Dezember.

* Während fast überall in Eu ropa die Sicherheit
der Staaten –® nach Innen und Außen = unendudche
Summen für die Mil itärb udge ts erfordert, macht
ſich in dem republitaniſchn Nordamerika die Sache
viel einfacher und wir denken für die dortigen Bewohner
viel angenehmer. In Europa mihen ſich die Finanz-
miniſter im Schweiße des Angesichts ab, neue Steuer-
quellen aufzufinden; neue Anlehen unterzubringen und
alte in „umſichtigere" Formen umzuſeßzen. Ju Nord-
amerika empfiehlt der Finanzminiſler die raſchere Schul-
dentilgung und außerdem die Ermäßigung der Steuern
um 60 bis 80 Millionen. Freilich, Nordamerika kennt
nicht die Landplage des stehenden Heeres. Die Freiheit
ſchitzt dort den Siaat; hier hüben gebraucht man dazu
die eme und zwar die kräftigere Hälfte der männlichen
Bewohner. Tauſende, im Dienste des obersten Kriegs-
herrn, stehen willenlos bereit, sich nach Innen oder
Außen, je nachdem der Befehl ergeht, ſich auf den ihnen
als solchen bezeichneten Feind zu stürzen. Kriegslferrliche
Illuſtration zu des Dichters Wort: Der Menſch iſt frei
und wäre er in K.tten geboren.
V Wie ein guter oder böſer Geiſt plöylich in der Szene
~ so iſt Graf Bis ma r > unangemeldet in Berlin er-
schienen. Cr kehrt nicht nach Barzin zurück . . . wenn
er auch, wie offiziell gemeldet wird — die Geſchäftslei-
tung für den Augenbiick noch nicht „in größerer Aus-
dehnung wieder übernehmen wird.“ Der Karlsbader
Brunnen hat zwar einen günſtigen Cinfluß auf die kör-
perliche Wiederherſtellung des eiſernen Grafen geübt ; zur
vollen Eifolgsſicherung bedarfs aber noch einer „Nach-
kir“ . . . dann erſt wird Graf Bismarck die Zügel des



eitigen Staatsangehörigen
auf dem Fuße der meisſtbegünſtigten Nation behandeln
wird.

Auch in der kleinen Sch weiz geht es munter vor-
wärts auf der Bahn des Rechts und der Freiheit. .
Gestern schon haben wir gemeldet, daß der Kanton Schaff-
hauſen Anstalten macht, die reine Demotratie, die Geſetzz
gebung durch das Volk einzuführen. Jn Graubünden -
hat der große Rath das von der allgemeinen Abſtim-
mung abgelehnte Wuchergeſeß umgearbeitet und ſtellt den
neuen Entwurf wieder zur Volksabſtimmung. In Bern
wurde das Schulgeſeß durch den folgenden Artitel be-
reichert: „Alle definitiven Wahlen für die Primarlehrer-
ſtellen geschehen durch die Gemeindeverſammlungen auf
die Dauer von 6 Jahren ~ und in Genf verſpricht der

Staatsrath die Verbesſerung des Schulgeseßes „in dem "!

Sinne, daß immer mehr jeder Bürger in den Beſit aller
der Kenntniſſe gelange, welche ein republikaniſcher Staat
ihm zu ermöglichen verpflichtet iſt.! Alles Dinge, unsere
National-Liberalen und Liveral-Konſervativen zähneklappern
u machen.

j Künftiges Jahr, am 19. Februar, läuft in Ru ß-
l and der Termin ab, bis zu welchem die ehemaligen
Leibeignen des Reiches noch gewisſen Beſchränkungen in
Bezug auf die freie Verfügung über die ihnen zu Eigen-
thumsrechten überwieſenen Ländereien, wie in Betreff der
Freizügigkeit unterworfen ſind. Mit dem genannten Tage
gelangt somit das Emanzipationswerk zum Abſchluß,
welches Alexander U. zur größern Ehre gereichen würde,

wenn es nur sonſt in Rußland nicht so ruſſiſch wäre !



Deutſchland.

[]) Mannheim, s. Dez. Es sind anderwärts
Zweifel dagegen erhoben worden, daß der Gemeinde-
r a th den Besſchluß gefaßt habe, die hier einzurichtende ge-
miſchte Volksschule zu einer einheitlichen zu gestalten ; ein
wohlbekannter Korreſpondent der Karlsruher Landeszei-
tung, dem allerdings auf dem hieſigen Rathhauſe die sicher-
sten Quellen zugänglich ſind, ſtellt ſogar es geradezu in
Abrede, daß Dem so sei. Wie die Theilnahme an der
lezten deßfalls gehaltenen Grünenhaus-Verſammlung be-
wieſen hat, iſt dieſe Sache für die hiesige Einwohner-
ſchaft von einem Gewichte, daß es wohl keine zu weit-
gehende Rüctſichtsnahme von Seiten der Gemeindebehörde
gewesen wäre, wenn ſsie in oſfizieller Weiſe die darüber
bestehende Ungewißheit hätte behcben wollen. Da dies
bis nun keineswegs geschehen iſt, ſo dürfte vielleicht das
Komite des grünen Hauſes Denen gegenüber, welche in
dieser wichtigen Gemeindeangelegenheit ſeinem Rufe ſo
vertrauensvoll entſhrochen haben, ſich verpflichtet finden,
diejenigen Schritte zu thun, die es in Stand ſeten, die
wünſchenswerthe K.arheit über den Siand dieser Sache
zu verbreiten, um so Beſtrebungen, wie sie in der oben
berührten Landeszeitungs-Korreſpondenz zu Tage treten,







Gemüth rund Amtszwang.
(5. Fortſezung.)



Antro, der nach gewohnter Gewissenhaftigkeit der

Pflichten ſeines Amtes oblag, hatte keine Ahnung von
der Argliſt, die gegen ihn thätig war, von dem Gerede,
das über ihn umlief. Er sah und gewahrte es wohl,
daß man im Hauſe des Kreisgerichtsraths nicht mehr ſo

zuvorkommend sich gegen ihn erwieß, als früher; aber |

ihm war dieß mehr wohlthuend, als daß er ſich darüber
î beängstigt gefühlt hätte. Er durchichaute ja die Absichten,
die man ihm und der Tochter vom Hauſe gehegt hatte
~ und ſo fand er es natürlich, daß man ſich zuückhal-
tend, kälter zeigte, als den genähiten Hoffnungen die
Aussicht zur Erjüllung verſchwand. Er kannte in dieser
Hinsicht den Lauf der Welt und lächelte dazu. Wanda

mit der ganzen Familie ſtand es eben so. Der Kreis-
gerichtsrath war ein Mann, der vor den Leuten mit
ſeinem Amtseifer, mit Feiner Arbeitſamkeit und ſFeiner
Pflchttreue prahlte, um unter dem Schein gewissenhafter

| war er übermüthig, anmaßend gegen Untergeordnete. Wehe

' wartet; als es nun geſchehen, nahm er es auf, wie ein



Amtsführung die größten Nachläsſſigkteiten zu begehen.
Kriechend demüthig den höhern Vorgeſezten gegenüber,

dem minder Hochgesſtellten, wenn er Miene machte, Lem-
ming’'s Fahrläſſigkeiten zu rügen; er quchte ihn durch
Grobheiten zu beherrſchen , mit Beweisſtellen aus den Ge-
seßen, die ſein Recht darthun ſollten, zu überſchütten und
einzuſchüchtern.

Antiro, der in dieß Gebahren hineinſah, und von
seiner Behörde vorzugsweise darauf angewiesen war, dieſem
lässigen Treiben, das ſchon zu vielfachen Rügen und Ord-
nungssſtrafen Veranlaſſung gegeben, ein Ende zu machen,
mußte über kurz oder lang mit dem Kreisgerichtsrath in
harten Zwiſt gerathen. Der junge Mann hatte es er-

Uebel, dem man frei dieStirne bieten muß, ſoll es mög-
lich sein, als Sieger daraus hervorzugehen : beſonnen blieb



er bei seinem gewohnten Gang. In andere Häuſer und j
Familien war er wenig oder gar nicht gekommen ; G.ſell- |

schaften hatte man ſeinetwegen nicht wieder veranſtaltet, |

man vermied ihn mehr, als daß man ihn ſuchte ~ mit j
Ausnahme der Armen und Klagenden, die seine Nflicht- |
treue und Leulſeligteit bald erkaunt hatten. Zul

Zuweilen, wenn er einſam durch den Wald ſtrich,
und jener Stelle nahte, wo er die Unbekannte gefunden,
tauchte wohl ihr Bildniß in seinem Herzen auf; er ſragte
ſich wiever: wer mag ſie sein? –~ aber es war nur im

Augenblicke und gleich darauf die Erinnerung entwichen.
Freilich, nachdem er eines Tages durch die Poſt mit ein
paar Zeilen des innigſten Dank s sein ihr geliehenes Geld
zurückerhielt, und diesen Zeilen eine Namensunterſchrift
und der Ort der Absendung fehlte – da hat er wohl
das Kouvert um und um betrachtet, und die feine zier-
liche Handſchrift bewundert; da hat er wohl inniger,
heißer, ungeſtümer als sonst gefragt: wer iſt ſie ~ wo
mag sie ſein ? ~ Als er am Abend dann, der mächtigen
Mahnung und Frage ſeines Herzens ein Ende zu machen,
das Kouvert und die Daukeszeile langſam am Lichte ver-
brennen und verkohlen ließ – da war es ihm doch, als
thue er Unrecht ~+ als vergehe ihm mit dem Papier zu-
gleich ein lieber Traum, eine Blüthe von dem Baume
ſeines Lebens würde geknickt und zu Staub. Er konnte
auch nicht mit der engliſchen Dichterin sagen:
„Ich hielt die Blätter an das Licht,

Ich sah die Flammen lodern ſchnell,

In Aiche ſchaut’ ich ſinken jetzt

Die Gluth > wie war mein Trauern groß;

So hell zuerſt, so trüb zuletzt,

Niäir bangt das iſt der Liebe Loos !“

Er konnte dies nicht ſagen, denn er liebte ja die
Fremde nicht, doch war es ihm eigen ums Herz, +
und er wußte mehr denn je der Verſchwundenen gedenken.


 
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