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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 153 - No. 179 (1. Juli - 31. Juli)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0689

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Die „Manntheinier Abendzeitung“ wird – mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage –~ tägli
Hi Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr. B

< als Abendblatt ausgegeben. –~ Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
eftelungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.













Rathlos und fertig.

+ KRathlos steht der Herr der Legionen vor dem
empörten Ocean der öffentlichen Meinung da. Auf die
öffentliche Meinung kann man doch nicht ſchießen laſſen,
und den Ocean ließ Xerxes peitſchen, um ſich welthiſto-
riſch lächerlich zu. machen. Zäſar heißt Ciner, der nie
. nachgibt, sondern den Andern die Wege weißt, und jett
weiſen die Andern dem Zäsſar die Wege, und um nicht
vom Platze zu weichen, gibt er nach!

Das Schauspiel, welches ſich da vor unseren Augen
entwickelt, verspricht höchſt intereſsſant zu werden, und wir
haben nicht nöthig, darauf auſmerkſam zu machen. Jeder
hat die Augen von ſeibſt dorthin gerichtet und ahnt, daß
die Moral von der Geschichte ihn mitbetrifft. Früher
wurden die konſtitutionellen Thronreden auf den Boule-
vards von Paris mit den Worten feilgeboten: ,Die
Thronrede des Königs, zum Vortheil des franzöſiſchen
Volkes. Ein Sou!“ Was diesmal in Paris aufgeführt
wird, geſchieht „zum Vortheil des Menſchengeſchlechts,“
und kostet keinen Soul

Se. Dezember-Majeſtät : hat nachgegeben und um

ſparſam mit dieſer ungewohnten Tugend umzugehen, hat

er ein Ministerium eingesetzt, welches weder gehauen noch
geſtochen, weder Fiſch noch Fleiſch, weder warm noch talt
iſt. Nicht wir nur denken uns nichts bei den Namen
Duvergier, Latour d'Auvergne, Bourbeau und Leroux;
auch die Franzosen wisſen sich nichts dabei zu denken
und werfen ſie in denſelben Topf, worin die übriggeblie-
benen Minister Forcade de la Roquette, Magne, Gressier
liegen. Kaum kennen die Franzoſen den Admiral Ri-
gaud de Genouilly von der Marine; am Geläufigsten iſt
ihnen noch der Marschall Niel, der den Krieg verwaltet
und den Krieg bedeute. Vom Kriege und von Niel
wollen aber die Franzoſen in ihrer ungeheuern Mehrheit
nichts wissen, und so erſcheint ihnen die ganze Minister-
liſte als nichtig, als keinem ihrer Wünſche entsprechend.

Vonaparte hat nicht einmal seinem Tiers-Parti, seinen
Gothaern von der moderirten Ambition nachgegeben, und
er wird daher erfahren, was er noch Alles nachzugeben
hat. Je weniger bis jetzt, deſto mehr künftig. Er hat
das Gethier gereizt, welches ſchon einen Tropfen Blut
ſah. Er wird bei der Prüfung der noch ausstehenden
55 Wahlen Szenen erleben, in denen Alles handgemein
wird, was politiſche Leidenschaft, perſönliche Erbitterung,
getäuſchter Ehrgeiz, gekränkte Habſucht nur aufzubieten
vermögen. Der Tag naht heran, wo der Bonapartismus
ohne Bonapartiſten daſteht, wo die Serviliſten den Ser-
vilen erklären werden: So hatten wir das nicht gemeint,
wir haben lange genug auf die Krönung des Gebäudes
gewarte. Im Grunde brauchen wir I hn ja gar
nitht...;. ...

Es verlautet aus .nicht ganz zu verachtender Quelle,
daß die 55 Wahlen gar nicht geprüft werden ſollen, daß
die Auflösung der Kammer und eine totale Neuwahl im
Werke ſind. Das neue Kabinet würde sich dabei jeder
Einmiſchung enthalten und ~ o unglaubliches Wunder
— offizielle Kandidaten gäbe es nicht mehr! Das wäre
freilich der kürzeſte Prozeß, die einfache Kaſſation des
Empire; denn bei der Freiheit der Bewerbung, bei gleichem
Winde und gleicher Sonne, tritt die Opposition in die
Majorität, dekretirt die Miniſter, und zwar Minister,
welche das persönliche Regiment zur Verantwortung ge-
zogen wiſſen wollen. Hernach würde er nach dem Tiers-
Parti ſeufzen, wenn kein Tiers-Parti mehr vorhanden
wäre! Dann fängt das Schictſal an „raſch zu ſchreiten."
_ Den Krieg halten wir in dieſer Lage ohne eine ver-
wegene Herausforderung, die kein Volk ruhig einſteckt,
für beſeitigt. Dieser Emperieur läßt den Degen hübſch
in der Scheide ; er hat genug zu thun, ſich die Spring-

fluth des tobenden Orkans vom Leibe zu halten; er ringt

bereits „für die Krone und das Leben.“

_ VWunderbar, in demselben Augenblick ist auch unser
Zäſar in der Kürassieruniform fertig. Auch er sitzt feſt,
den ſstieren Blick auf die verſchloſſenen Geldtruhen gerich-
tet, der Regierung in Preußen herzlich satt, nur noch
den norddeutſchen Bund repräſentirend, der täglich dün-
ner zuſammenſchrumpft und ſchier keine deutliche Gestalt
_ mehr erkennen läßt. Jett offenbart er ſich, daß das ver-
meinlliche deutſche Original eine bloße französische Kopie,

dag der angeblich deutſche Einheitsſtern eine bloße Schnuppe
vom weſtlichen Himmel war, in einer Augustnacht auf-

lißend, im Nu erlöſchend. Sagt doch ſchon die „Na-





tionalzeitung“, Graf Bismarck ſei ſeiner Aufgabe durch-
aus nicht gewachſen geweſen! :

Sie kamen, wo nicht miteinander, so doch der Eine
durch den Andern; sie gehören derſelben Familie, Art
und Spezies an. Geht der Eine, ſo bleibt der Andere
gewiß nicht. Rührt ſich das Volk in Frankreich, ſo wer-
den auch wohl den Deutschen die Handſchellen abfallen.
Alle Regimenter sind treu und erprobt, nur das ,per-

ſönliche Regiment“ nicht.
Politische Uebersicht.

Mannheim, 21. Juli.

* Wir Deutsche sind ein Volk der Feſte . . . und
ach! in wohlbeseßter Phraſe wird unseres Wesens Kraft
verpufft! . . . Diese Verse entnehmen wir dem Prologe
zu dem Feste des Bielefelder Männergesangvereins „Arion“
vom 18. Juli d. J., das dieser Verein zu Ehren des
anwesenden deutſchen Mannes Frei lig rath, und zur
Feier seines zehnjährigen Beſtehens gegeben.

Die Adler flieh'n . hie Löwen flieh'n; die Klauen und
Und seine v§:rtſſot selbſt das Volk, das ſouveräne!

So hatte Freiligrath im Juli 1848 in dem Mahnruf
der „Todten an die Lebenden“ einer ſchon getrübten Hoffr
nung Ausdruck gegeben. Im Juli 1869 muß er die



Befürchtung bestätigen , die er damals ſeinen ~ unſern

Todten – in den Mund gelegt:

O’, sleht gerüstet ! seit bereit! o, ſchaffet daß die Erde,
Darin wir liegen stark und starr, ganz eine freie werde!
Daß förder der Gedanke nicht uns stören kann im Schlafen :
Sie waren frei; doch wieder jekt ~ und ewig ! + ſind
sie Sklaven !

Sllaven der Ueberlieferung ! die mit uns noch treibt
ihr Gaukelſpiel, daß wir allem Müh’ und Geiſtesſchwung,
fern bleiben von der Menſchheit Ziel. Ja , es iſt ernste
Tages ges c<ic<te, wenn Hoffmann von Fallersleben
heute unserm Volke entgegenhält; Du warst, mein Volk,
zu lange ſchon ein Greis, dem nichts nur als das Leben
lieb, der, weil er nichts mehr anzufangen weiß, nur
ängstlich hütet, was ihm blie b. ~ Und hoch ſchon ſteht
die Sonne , als daß des Dichters Weckruf nicht allzusehr
gerechtfertigt wäre :

Wach auf, wach auf, mein Volk! sei friſch und jung!
Dcr Menschheit Ziel das Dein’ auch sei!
Zerreiß den Bann der Ueberlieferung
Und zeig, daß Du geworden frei.

Wach endlich auf, mein Volk! noch iſt es Zeit,
Noch winket Dir der Zukunft Feld,
Brich ab die Brücke der Vergangenheit
Und schaff Dir eine neue Welt!

Aus Preußen haben wir nebſt einem von den mi-
niſteriellen Preßorganen gegen das öſterreichiſche Rothbuch
eröffneten, höchſt nutzloſen Federnkrieg, zu melden, es
werde als eine troſtreiche Aussicht angekündigt , daß auch
bereits die „Erſparungspolitik“ sich auf dem Rückzuge be-
finde. Die angeordneten Maßnahmen, um auf allen
Gebieten der Staatsverwaltung Erſparungen zu erzielen
sollen nur ein Mannöver gewesen sein, um sich den Rück-
zug aus derjenigen Finanzpolitik zu decken , die vorgab,
fernerhin nur noch mit „neuen Steuern “ auszu-
kommen. Im Uebrigen ~ meldet die „Zukunft“ —
gewöhnen sich die nationalliberalen Blätter daran , des
Grafen Bismarck Rückzug aus dem preußiſchen Ministe-
rium als einen definitiven anzuſehen. Zwar meinen ſie,
daß dieser Wechſel in ſeinen Wirkungen für das innere
Syſtem vor der Hand unberechenbar wäre, aber immer-

hin sei es dech ein Wechſel, welcher eine natürlichere

Fortentwickelung im Schooße berge und deßhalb von
Jedermann „mit Freuden begrüßt werden müsse.“

Alle bekommen es „ſa tt“. Auch die Rheinpreußen
die Berliner Herrſchafl. Zum Wenigsten erklärt eine Zu-
ſchrift „Aus Köln“ an die „Sächsiſche Zeitung“ : Das
i s ! ul hu git quit
heſſen einen besonderen Staat, ein Königreich, zu bilden,
begegne vollkommen der Zustimmung der Rheinländer ;
denn ~ so sagt die Zuſchrift wörtlich: „Was kann uns
Besseres beſchieden werden, als Freiheit und Autonomie,
ein Ripuariſcher Staat, der wieder, wie in alten Zeiten
eine Rolle in der deutſchen Geschichte spielen könnte."



Das Organ des Grafen Bismarck überläßt es der Preſſe

der Rheinlande, auf dieſen Wunſch ihrer angeblichen
iithücget die Antwort zu geben. Wollen warten, wie
“f . Erdesangit des bayerischen Miniſters Hohen
lo he vor dem r ömiſchen Konzile wird von keinem
Verständigen getheilt und von Niemanden überhaupt, dem

es in der That um die Befreiung des Volkes aus alen

kirchlichen Banden zu thun iſt und nicht in einem Sturm-
laufe gegen das Konzil für andere ~ keineswegs frei-

| heitlichen Zwecke arbeite. Zäſar und Papſt ~ weltliche

Gewalt und geistliche Gewalt liegen ſich einander in den
Haaren . . . und entnehmen wir der „Zukunft“ in die-
ſem Betreffe das folgende wahre Wort: Der ganze

Streit zwiſchen Zäſar und Papst gleicht dem bekannten.

amerikaniſchen Duell über dem offenen Grabe. Bis jett
blizten die Duellanten blos Zündhütchen ab; laden fie
aber mit Kugeln, so stürzen sie beide in die bereite Grube.
Was haben wir –~ das Volk — mit dieser Pauckerei
zu schaffen? . . Wir haben zuzuſehen! .. Das
Allerverkehrteste wäre, wenn wir Partei ergriffen und dem

Zäſar ſekundirten. Dann ſtüten wir ihn und helfen
ihm in den Alleinbesſiß der Kurbel zu gelangen. Daß
wir den Päpſten nicht beiſpringen, dafür sorgt der gesunde
Menſchenverſtand. Die Päpſte mögen noch eine Weile
glauben machen, es handle ſich um eine Wiederbelebung
der Thebais und des Säulenheiligenthums! der heilige
Benedikt mag hin und wieder anf die Bühne treten, wir

wiſſen doch, daß ein Schauſpieler dahinter ſtect. ~ Un-
ser Hauptaugenmerk bleibe der kranke Staat und die
ſiechende Gesellschaft. Können wir da helfen, so iſt das
Duell zu Ende, weil es keine Duellanten mehr gibt. Die
ganze religiöse Spiegelung iſt nicht Ursache, sondern Wir-
kung ; ſie kommt von unſerer ſtickigen Atmosphäre. Sen-
det nur etwas Gewitter, ihr Geiſter in den Wolken!

Der neue Minister des Auswärtigen von Frank-
reich hat dem „Rappel“ zufolge für Annahme des
Das Verbleiben
der französischen Truppen in Rom und die Erſezung

Postens zwei Bedingungen gestellt :
des Unterrichtsminiſters Duruy. Bewahrheitei sich Dieß,

ſo isi die neueſte Haltung des Kaiserreichs entschieden
. und Herr Rouher wird
gut daran gethan haben , das Präsidium des Senats

mehr klerikal als liberal . .

nicht auf Lebensdauer, sondern nur „auf Zeit“ anzu-
“sha lezten Nachrichten aus Spanien lassen eine
Ausbreitung karliſtiſcher Bewegung oder wenigstens
Thätigkeit vermuthen. Näheres im telegr. Bericht.

Deutſchland.



F Mannheim , 21. Juli. In Barmen stellte

die Bürgerſchaft be! den ſtädtischen Behörden den Antrag,
das Schulgeld gänzlich aufzuheben. Die ſtädtiſche Bes
hörde erklärte daraufhin, für dieses Jahr sei eine Aendez
rung des beſtehenden Verhältnisses mit Rücksicht auf die
laufenden Gemeindebedürfniſſe nicht möglich; es werde
aber der gestellte Antrag bei der Etatsberathung für das
nächſte Jahr den Stadtverordneten vorgelegt werden. ~
Bei uns in Mannheim hat man fuür gleiche Anträge
keinerlei Empfindung ; im Gegentheil, man hält nicht al-
lein am Schulgelde überhaupt feſt, ſondern auch noch an
der finanziellen Maßregel, welche die äußerſt „außeror--
dentliche“ Einrichtung der Trennung der Volksschule in
eine Zweigulden- und eine Achtgulden-Schule geschaffen.
Mannheim darf entrüſtet ſein. Wenigstens würde übers
all, wo man eine ähnliche Einrichtung treffen wollte,
die Bürgerſchaft dieselbe mit Entrüſtung zurückweisen.

* Aus Baden, 21. Juli. Da liegt er nun vor
uns, der Wa hlauf ru f der Bis märker in Baden.
Langzeilig und langweilig, kraft: und ſaftlos. Von dem
kräftigen Ton ehrlicher Ueberzeugung; von dem Schwunge
männlicher Thatkaft keine Spur. Vor allem sollen
unsere Volsvertreter ſich zu der Ueberzeugung bekennen,
daß das badische Volk jeder Zeit mit Muth und Aus-
dauer zu der großen Sache Deutſchlands stehen will.
Ja, das badische Volk will zu der großen Sache Deutſchlands
ſtehen aber nicht zu dem Kleindeutſchland unter der
Herrschaft der Hohenzollern , sondern zu dem großen
ganzen Deutſchland unter Selbstregierung des Volkes.
Die Phraſen von dem „Aufblühen des Nordbundes“ im
Häſarismus; von der „Zuverſicht“ mit welcher wir der
Zukunft entgegengehen dürfen, „weil wir untrennbar
verbunden sein we rd en mit den aufsteigenden Geschicken
Deutschlands der Verpreußung, vermögen keinen ehrlichen

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