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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. [259] - No. 283 (2. November - 30. November)
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Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ rtmit Uus

#nzeigen-Gebiühr : die einſpaltige Vetitzeile 8 kr.,

Piaunheimer

Organ der deulſchen Vo

ahme ver Sonntage und Fefſttage + täglich als Abendblatt ausgegeben. Ö Her Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Voſtauſſchlag

Donnerſtag, 25. November

bei VUokalanzeigen 2



Iksparlei in Baden



tr. Beſtellungen bei der Exvedition 0 1 Rr. 15 in Mannheim und bei allen Poltanſtalten.















Das vadisch> Genofsenſchastsgeſetz

PV. M. Der schwerste Cinwand, welchen die Gegner
der nur besſchränkte Haftung annehmenden Genossenschaften
gegen die gesetzliche Anerkennung derselben erheben, iſt
die Behauptung, solche Genosſenſchaften könnten unmöglich
gedeiher, weil ihnen die Grundlage eines geſunden Kre-
dits fehle. Wäre dieser Einwurf gegründet, so fiele natürlich
meine ganze Beweisführung über den Haufen. Wer möchte
dem Gesetzgeber zumuthen, eine Einrichtung zu treffen,
welche von vorn herein zum Siechthum verurtheilt wäre!
Der Einwurf beruht aber in Wahrheit auf einer maß-
losen Ueberſchäzung der Bedeutung der Samngperbind-
lichkeit.

§ Weil mit der Sammtbverbindlichkeit großartige Erfolge
erzielt worden sind, will man sie nach Art der Schwär-
mer als das alleinige Heilmittel aller möglichen wirth-
schaftlichen Schäden hinſtellene. Weil die auf Sammt-
verbindlichkeit beruhenden Vorſchußvereine mit Recht großen
Kredit genießen, bildet man sich ein, ohne diese allein-
ſeligmachende Sammtverbindlichkeit gebe es keinen Kredit.
Kredit ist nichts als eine besondere Art von Vertrauen;
wer ſich dieſes Vertrauens würdig zeigt, dem wird es
geſchenkt. Wenn sich auch die größte Zahl von unor-
dentlichen Haushaltern für ſsammtbverbindlich erklärt, so
haben ſie troßdem keinen Kredit, und wenn umgekehrt
eine Anzahl fleißiger tüchtiger Menſchen einen Verein
bilden und sich vertrauenswerth zeigen, ſo werden sie
auch den entſprechenden Kredit haben, ohne daß viel
danach gefragt wird, ob sie ſammtverbindlich sind oder
nicht. Wer dies läugnet, dem mangelt eben die Kennt-
niß der wirklichen Verhältniſſe und besonders mangelt
ihm die Kenntniß des wahren Wesens des Kredits. Sorge
man fich alſo nicht höchſt überflüſſiger Weiſe um die
Kreditfähigkeit der Genoſſenſchaften mit beschränkter
Haftung. Die Gründer solcher Genossenſchaften brauchen
die Bevormundung, womit man ſie beglücken will, durch-
aus nicht; man lasſſe ihnen die Wahl zwiſchen Sammt-
verbindlichkeit und beschränkter Haftung und ohne Zwang
werden Jie die richtige Entſcheidung treffen.

Allein, wenden unsere Gegner ein, eine Genoſſen-
ſchaft ohne Sammtbverbindlichkeit iſt eigentlich ein Unding,
eine ſolche würde ein Kapitalverein ohne Kapital sein,
ein Meſſer ohne Klinge, woran das Heſt fehlt. Mit
solchen witig ſein ſsollenden Scheingründen zeigen aber
die Gegner nur, daß ihnen wirkliche Gründe fehlen.
Allerdings muß bei einem Verein, welcher Kredit bean-
ſprucht, entweder ein vorhandenes Kapital, oder die Mit-
glieder persönlich haften; nichts aber spricht dafür, daß
die Mitglieder gerade mit ihrem <ganzen Vermögen haften
müſſen. ß Nichts steht entgegen, daß sie von vornherein
eine beſtimmte Summe feſtſeßzen, welche die Grenze ihrer
Haſtung biidet, alſo z. B. 100 Gulden. Hat die Ge-
nosſenſchaft Unglück, so hat jedes Mitglied seine 100 fl.
zu leiſten, aber nicht mehr. Die Gläubiger können ſich
offenbar deßhalb nicht beſchweren, sobald ihnen, wie oben
angegeben, die Natur der Genoſſsenſchaften offen und
ehrlich bekannt gegeben wurde. ;

Man ſagt ferner, die vielbeſprochene Sammtverbind-
lichkeit sei in Wirklichkeit lange nicht so gefährlich, als
man gewöhnlich glaube; das norddeutsche Geſet, schwäche
ſie faſt bis zur Theilhaft ab. Die Erleichterung, welche
das norddeutſche Geseß gewährt, iſt allerdings ſehr be-
deutend, allein troßdem kann ein Gläubiger, ſobald fest-
sieht, daß er im Gantverfahren nicht volle Befriedigung
erhält, wegen des ganzen Ausfalls jeden Genossenschafter
belangen. Mithin äußert die Samnmtbverbindlichkeit in
der Hauptſache noch ihre höchſt gefährliche Wirkung.

Nichts weiter als ein grauſamer Scherz iſt die Er-
klärung, das Gesetz verbiete ja gar nicht ſolche Genoſsen-
_ ſchaften, welche die Sammtverbindlichkeit ablehnen ; solche

Genoſſenſchaften könnten nach wie vor errichtet werden ;
ſie entbehrten dann nur der Vortheile, welche das Gesetz
den auf Grund der Samntbverbindlichkeit errichteten Ge-
noſſenſchaften gewähre. Diese gesetzlichen Vortheile, auf
welche alte Genossenschaften den gleichen Anspruch haben,
_ ſind gerade die Hauptsache. Allerdings können die Ge-

noſſenſchaften auch ohne diese Vortheile bestehen, aber
nur mühſam, während der Gesetzgeber ſchuldig ist, Alles
zu thun, ihr ſchwieriges Werk zu erleichtern.

_ Dließ ſind die einzigen mir betannten Gründe, welche
gegen Zulaſſung von Genoſſenſchaften ohne Sammtver-
bindlichkeit dorgebracht werden. Wie man ſsieht, ſind sie





| alle leicht zu entkräften. Nicht anders iſt es mit einem

Cinwurfe, welcher sich auf unsere besonderen badischen
Verhältnisse bezieht. Man sagt nämlich, es ſei nicht

wohlgethan, wenn der badiſche Geſeßgeber nun einen

immer zweifelhaften Versuch machen wollie, Anlehnung
an das bewährte norddeutsche Gesſeß sei rathſamer ; zeige
ſich ſpäter das Bedürfniß, Genoſſenschaften ohne Sammt-
verbindlichkeit gesetzlich zu regeln, ſo könne man leicht
durch ein Nachtragsgeset, helfen. Die Sache verhält ſich
offenbar umgekehrt. Mit Ausnahme des norddeultſch-
preußiſchen Gesetes laſſen ja alle bisherigen Geseße auch
Genossenschaften ohne Sammtverbindlichkeit zu und geben
ihnen vollen Rechts-Schußk. Nur in Berlin hält man
am Zopfe noch feſt und bildet sich ein, die Sache besser
zu verſtehen als die Andern alle. Es würde uns übel
anſtehen, solcher Selbſtüberhebung zu folgen.

Besonders lehrreich iſt das Beiſpiel von England, dem
Mutterlande des ganzen Genosſenſchaftsweſens. Bis vor
15 Jahren etwa hat man dort hartnäckig an der Zwangs-
Samnmtbverbindlichkeit für alle Geſellſchaften feſtgehalten ;
man hat aber eingesehen, daß man auf dem verkehrten
Wege war und hat rückhaltlos jeden Zwang zur Sammt-
verbindlichkeit abgesſtreist ; ebenſo für die Genoſjenſchaften
wie für Handelsgeſellſchaften und Nichthandelsgesellſchaften
überhaupt. Das Geſeß vom 7. Aug. 1862 (25 u. 26
Victoria Kap. 87) setzt sogar ohne Weiteres voraus, daß
alle Genossenschaften nur beschränkte Haftung annehmen.
Hoffentlich iſt dieses Beispiel auch für uns nicht verloren.
Gewiß wäre es nicht rathſam, jezt vorläufig ein Gesetz
für die Genoſjenſchaften mit Sammtbverbindlichkeit (also
eigentlich nur für die Vorſchußvereine) zu machen, um
später ein Geset für Genossenschaften ohne Sammtverbind-
lichkeit anzuhängen. Dies gäbe ein mangelhaftes Stück-
und Flickwerk, statt eines einheitlichen auf längere Dauer
berechneten Geseßes.

So führt die ruhige Erwägung der Gründe für und
wider zum Ergebniß, daß schon jetzt ein Genossenschafts-
geſetß erforderlich iſt, welches von dem Geiste der Freiheit
beseelt iſt und nicht auf dem Gedanken irgend eines
Zwanges zur Sammtverbindlichkeit der Mitglieder einer
Genosſenſchafſt beruht. Unsere Landſtände werden daher
das ihnen vorgelegte Genossenſchaftsgeſeß völlig umzuän-
dern haben. Die Arbeit iſt verhältnißmäßig nicht ſchwer,
da ja ſchon zahlreiche Vorbilder vorliegen.

Bolitiſche Uebersicht.
Mannheim, 24. November.

* Die morgen in Bayern ſtattfin denden Abgeord-
netenwahlen werden den Lügen der National-Liberalen
kurze Beine machen. Der erſte Tag nach den Wahl-
männerwahlen war ein wahrer Freudentag der bayerischen
Bismärcker; dann eine „Morgenglocke nur"; jett „Stille
nah und fern“ und übermorgen wird es heißen „nach
solchen Opfern > dieſe Lieder!“ Die Wahlen werden
in ihrer Mehrheit gegen die Verpreuß ng und die Ver-
preußer ausfallen. Erfreulich uud hoffnungsreich iſt der
„Demokr. Korr." in dem Zuſammenhange die kurz vor
den Wahlen erfolgte Annäherung zwiſchen Bayern und
Württemberg : „So mißtrauiſch man nach allen Erfah-
rungen in der Richtung deutscher Höfe sein muß, hier
die Begegnung, auf die wir zielen, kann nicht anders
als im guten Sinne gemeint gewesen ſein; ſie erfolgte
unter Au s s < l u ß v on Baden, in offenem Gegensatz
zu Baden. Das verspricht etwas. Wir wittern Mor-
genluft."

Aus diesem B aden, desſen Regierung ſich in schärfsten
Gegenſäte zu Allem , was volksthümlich de utſ ch denkt
und fühlt, befindet, haben wir zu verzeichnen, daß ſein
Ministerium des Aeußern dem Bundesrath der Schweiz
zur Kenntniß gebracht hat, die großherzogliche Regierung
sei damit einverſtanden, die weiteren Unterhandlungen in
Betreff des Cisenbahnanschluſſes bei Konstanz in die
Schweiz, und zwar nach Bern zu verlegen, als Zeitpunkt
des Zuſammentritts der Konferenz schlage ſie den 25. No-
vember vor und habe zu Abgeordneten an dieselbe den
Geheimen Referendär Muth und den Legationsrath Dr.
Hardeck ernannt. Der Bundesrath der Schweiz hat von
dieser Mittheilung Vormerkung genommen , dem badischen
Ministerium jedoch erklärt, daß es ihm nicht möglich ſei,
die fragliche Konferenz vor Beendigung der nächſtens zu-
ſammentretenden Bundesverſammlung zu veranstalten und
er daher von Baden die Bezeichnung eines späteren Zeit-
raumes wünſchen müsse.

Das Schaustück, das der preußiſche National-Liberalis-





mus dieser Tage in dem preußiſchen Abgeordnetenhauſe
in der Perſon des Abg. Ziegler zur Aufführung brachte,
hat das Gegentheil der beabsichtigten Wirkung im Gefolge.
Der ausgeholte Schlag + fällt auf den Nationallibera-
lismus zurück: Di e schwarze Seele des preußiſchen Mi-
niſteriums , der Kultusniniſter Mühler, macht den Natio-
nalliberalen, Hrn. Ziegler, Beängstigungen. Er brach los:
Er will nicht mehr diskutiren. Er ruft aus : „Durch
Eingehen und Diskussion statt einfacher Verwerfung ge-

' rathen wir immer trüber hinein. Und ich will nicht ver-

schweigen, was mich einſchüchtert: eine furchtbare Jugend-
erinnerung (Bewegung.) Ich war noch ein ganz junger
Mann, als Benjamin Konstant in derselben Weiſe, wie
diese Herren (nämlich er ſselbſt!) im Anfang der dreißiger
Jahre geglaubt, vertraut, gehofft, immer wieder mitgewirkt
hat, und als er endlich ſah , wo dieſe Sachen hinliefen,
da brach er auf der Tribüne des Hauſes mit dem ſchreck-
lichen Ausruf zuſammen: „Gott und Menſchen müssen
mich verfluchen, daß ich dazu beigetragen habe, solche Zu-
ſtände herbeizuführen!“ (Beifall links.)

Ja wohl, „Gott und Menſchen müssen die verfluchen,
die dazu beigetragen haben, ſolche Zuſtände herbeizuführen !“
Denn gingen sie etwa ungewarnt, stürzten ihr Vaterland
ungewarat ins Verderben?! Darauf ſoll die Antwort
ein Wort aus 1866 geben, an welches der erinnern darf,
der dieß ſchreibb (Freſe) ~ an weielches endlich zu
erinnern ih m als gerechte Genugthuung erlaubt ſein
wird. Das Wort war der Schluß einer Rede, welche
am 20. Mai 1866 auf dem Frankfurter Abgeordneten-
tage gegen die Kriegspolitik Deutſchland zur Einigung
aufrief im Interesſſe Deutſchlands, im Intereſſe Preußens
selbſt. Cs lautete:

„Geht aber Deutſchland in Preußen auf , in dieß
„jekige Preußen, dann gnade Gott denen, die das
„Regiment erleben, welches dann über Preußen und
„Deutſchland ergeht!“

Der so sprach, galt dem Hochmuth verblendeter Groß-
preußen natürlich als L andes verrä ther. Jett, drei
Jahre nachher , bricht Herr Ziegler zuſammen unter dem
Fluche von Gott und Menſchen , daß er jolche Zuſtände
hat herbeirühren helfen! Und der großpreußische Miniſter ?
Kein Laut. Er zuckt die Achſeln. Mag der National-
Liberallsmus in seinem Feuerwerk glänzend zuſammen-
brechen, die Seele Mühler läßt das kalt. Uns auch.

Der in Paris erwartete Miniſterwechſel iſt nicht ein-
getreten. Ollivier hatte auf eigene Fauſt übernommen,
die Herren Talhouet und Segris, als zur Annahme der
ihnen zu übertragenden Miniſter-Poſten bereit in Vorschlag
zu bringen Ollivier hatte es aber nicht für nöthig ge-
ſsunden, mit den beiden Männern vorher Rücksprache zu

nehmen. Der Kaiser hatte sie zu Miniſtern des Auss P

wärtigen und der Juſtiz ernannt: allein als ihnen die
Botschaft zukam, weigerten sie ſich, die Aemter anzuneh-
men. Hr. Joreade iſt voller Freude über die abgewendete
Gefahr. Freilich wird sie der Ausfall der Pariſer Nach-
wahlen wieder verbittert haben. Die Regierung hat eine
Niederlage erlitten, die ihr zu denken geben muß.

In Italien ſteht ein Miniſterwechſel bevor. Die
Thronrede bei Eröffnung der Kammern hat nicht befrie-
digt. Die erlaſſene Amnestie hat keinen Eindruck gemacht.
Die Mißbilligung, welche die Verurtheilung Lobbia’'s her-
vorgerufen, beherrſcht Alles. Die „Gazetta di Milano"
welche den ganzen Prozeß mit ſcharfem Auge verfolgt
hat, sagt: „Die Gerechtigkeit in Italien iſt nur noch ein
leeres Wort. Aber nur noch für kurze Zeit, das glauben
wir, werden dieſe Saturnalien derRegie dauern, und der
Tag ist nicht fern, an welchem die Nation di Tondi,
Cenni, de Foreſta und die gegenwärtigen Miniſter vor
ihr Gericht fordern wird, um ihnen ſtrenge Rechenſchaft
abzufordern."

Der Anschauung unserer Korreſpondenz „Vom Rhein“
im heutigen Blatte entgegen, folgert die „N. fr. Pr." aus
der Haltung des Echo des heiligen Stuhles, wie die in Rom
erscheinende ,„Civilta Cattolica“ genannt wird, daß der Vatikan
den zum Konzile verſammelten Biſchöfen die Dogmati-
ſirung der Unfehlbarkeit des Papſtes zumuthen wird. Die
weltlichen Gewalthaber ſuchen und ſtreben nach Befesti-
gung ihrer Herrschaft, so auch der Papſt. Die Kugel
iſt im Rollen . . . wird sie auf dem Roth der Freiheit
oder dem Schwarz der Knechtſchaft Ruhe halten?

Deutſchland.

* Karlsruhe, 24. Nov. Es wird ofsiziös mit-
getheilt : „Die Anmeldungen zum Eintritt junger Badener




 
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