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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 180 - No. 205 (1. August - 31. August)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0731

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1869.







Organ der deulſchen Vo



S .




Iksparlei in



Paden.











Die „Eannheimer Abendzeitung“ wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Festtage iäglich als Abendblatt ausgegeben. – De
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Vetitzeile 3 kr., bei Lokalanzeigen 2 kr.

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15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.









Altes Unrecht gut gemacht.

© In den letzten Tagen des verfloſſenen Monats
wurde in En glan d die von Gladſtone entworfene und
im Parlamente vertheidigte iri ſche Kirchenbill zum
Gesetze erhoben. Das Geseß wurde der Aristokratie abge-
rungen und wenn es auch nicht in der ursprünglichen
Form, sondern nur ſtark beschnitten zur Einführung ge-
langte, ſo muß es dennoch als eine wichtige Errungen-
schaft unserer Zeit verzeichnet werden. Das Prinzip ist
gewahrt, die iriſche Staatstirche iſt gefallen. Hierin aber
liegt der Preis der Errungenschaft; denn nichts iſt em-
pörender, ungerechter und der fortschreitenden Kultur wi-
derſprechender, als eine durch den Staat gewaltſam auf-
rechterhaltene Kirche, welche den Anschauungen, den Ideen
und dem Gewisſen der Mehrzahl der Bewohner wider-
spricht. Indem England die iriſche Staatskirche fallen
ließ, machte es den zu verzeichnenden Fortſchritt, erkannte
f h Gleichberechtigung aller Konfessionen, die Glaubens-
freiheit an.

Die an dem urſprünglichen Entwurfe, durch die ſchließ-

lich erzielte Verſtändigung des Ober- und des Unterhauſes
vorgenommene Abänderung iſt wohl erheblich und kann
der beabsichtigten vollen Wirkung dcs Gesetzes noch manches
Hinderniß bereiten. Nach den im Unterhauſe zuerſt an-
genommenen Bestimmungen ſollten bekanntlich die einge-
zogenen Kirchengüter für weltliche Zwecke, für Armen-,
Kranken-, Irrenhäuſer u. ſ. w. verwendet, kirchliche Zwecke
aber davon ausgeſchloſſen werden. Dieses Verbot iſt durch
den Vergleich beider Häuſer aufgehalten, und jene Verx
wendung auf die „Erleichterung unvermeidlicher Fälle des
Unglücks und des Leidens“ beſchränti worden. Durch
die Aufhebung der iriſchen Staatstirche ſahen nämlich
viele der Peers die engliſche Hochkirche ſelbſt bedroht und

ihr Widerſtand gegen die Bill entſprang aus dem Ges

danken, die Regierung wolle an den Säulen des angli-

kaniſchen Tempels rütteln, unter deſſen Dach do gute.

Pfründen Für die Söhne alter Geſchlechter blühen.

Durch die Verständigung blieb die Möglichkeit erhalten,

daß sür die jüngeren Söhne der Peers ertleckliche Sum-
men aus geiſtlichen Pfründen in Irland gerettet werden,
und daß nur ein geringer Theil der 5 bis 6 Millionen
Pfund Sterling, welche aus dem Kirchenvermögen ſäku-
lariſirt werden sollten, in den Dienſt der Wohlhlthätigkeit
und Nütlichkeit geſteltt werden. Aber darüber hat das
Parlament zu entscheiden. Diese Entſcheidung kann frei-
lich von dem Oberhauſe verzögert werden, möglicher Weise
so lange, bis eine Tory-Regierung mit einer Majorität
im Unterhauſe dieselbe zu Gunsten der Aristokratie trifft.
Darauf mag dieſe auch rechnen; aber ſie würde dann ein
gefährliches Spiel treiben, das sie jedenfalls nur gewin-
nen könnte, wenn ſie die katholiſche Kirche an ihrer Beute
Theil nehmen ließ. Dadurch würde dann wenigstens das
ſchreiendſte Unrecht gegen die große Majorität der Bevöl-
kerung Irlands ausgeglichen; und die weſentlichſte Be-
deutung der iriſchen Kirchenbill, die Aufhebung des
Staatstirchenthums in Irland bleibt doch stehen.

_ Immer und überall, wo eine Kirche herrſcht, geht ſie

auf Unterdrückung aus.
einen Finger. so nimmt sie nicht nur die ganze Hand,
ſondern den Arm und den Kopf dazu. Nur wo Staat
und Kirche vollſtändig getrennt sind, nur dort, wo der
Staat zu den Religions-Genosſsenſchaften ſagt : „Macht,
was ihr wollt, ich kümmere mich nicht um euch, ſo lange
ihr nicht in mein Gebiet hinübersreiftt“ ~ nur da iſt
dem Fortschritte eine ſichere Stätte gebaut. Die Forde-
rung einer vollſtändigen Trennung des Staates und der
Kirche iſt darum nicht aus Mangel an religiöſem Ge-
fühle oder blinder Zerſtörungsſucht, sondern aus klarer
Erkenntniß die Forderung unſerer Zeit geworden. Bei
uns iſt ſie seit länger erhoben; in Oesterreich tritt sie,
ſeit die Nonne von Krakau dazu antreibt, lebhaft hervor.
Die „N. Fr. Pr.“ macht sich zum Anwalte derselben;
indem sie ausführt: England hat, so arg die Gladstone-
ſche Bill zugerichtet worden, doch einen großen Schritt
gethan, und an uns ist es, ſein Beiſpiel nachzuahmen.
„Wenn der Mantel fällt, ſo muß der Herzog nach“,
ſagt Verrina. Das heißt für uns : „Wenn die Staats-
kirchen stürzen, müſſen die herrschenden nach und auf

Reicht der Staat der Kirche

diesem Wege wird die in England beſchloſſene Maßregel

große Crfolge haben, deren Segen weit über das nächſte
Ziel hinans in die Jahrhunderte hinein reichen wird.







Psolitiſche Uebersicht.
Mannheim, 2. August.

* Im Nordbunde, dem entwicklungsfähigen, dauert
das Bedürfniß nach neuen Steuern fortgeſezt an.
Vor Kurzem hatten die Offiziöden eine neue Dekoration
vorgeſchoben; es hatte den Anschein gewonnen, als habe
man wieder heidenmäßig viel Geld und alles Gerede von
Defizit sei eben nur eitel Gerede. Jetzt wieder Dekora-
tionswechſel. Heute heißt es, wenngleich die ablehnende
Haltung des Reichstages gegenüber den Finanzvorlagen für
die Gegenwart es unmöglich gemacht habe, für das Staats-
bedürfniß mehr durch indirekte Steuern Sorge zu tragen :
so bleibe doch nach wie vor eine Reform des Abgaben-
wesſens auf der Tagesordnung der politiſchen Betrachtungen
ſtehen. Und da diese Reform immer wieder ihren Schwer-
punkt mehr in den indirekten als in den direkten Steuern
haben soll, so schauen die Ofſiziöſen zunächst nach einer
Ausdehnung des Ausf uhrzolles aus. Sie verweiſen
darauf, daß in den europäiſchen Südſtaaten und in den

:Tropenländern der Ausfuhrzoll recht üppig und rückſichts-

los wuchere, und durch ihr künstliches Wortgewebe ſchim-
mert deutlich genug die Neigung, der Rücksichtslosigkeit,
in welcher die Tropenländer bei Einführung und Crhe-
bung von Ausfuhrabgaben vorgehen, auch in dem kühlen
Norden Eingang zu verschaffen. ;

Von größerer Wichtigkeit bleibt dagegen immer der
Cinfuh ez oll und da finden ſich denn auf der Erden-
runde ebenfalls genugſam Beispiele, die einer höheren
Kultivirung dieser Einnahmequelle das Wort reden. Und
schließlich die Verbrauchsſteuern im Innern. Da ſchießt
der Tabak wieder einmal in die Stengel, dieses „einzige
Steuerobjekt“, ganz angethan, eine durchgreifende Mehr-
einnahme zu ſchaffen.

In der That, die Beſorgniß, daß man in Berlin
in Bezug auf den Tabak nicht alle Pläne aufgegeben hat,
wird dadurch verſtärkt, daß jetzt auch in Süddeutſchland
Stimmen für Einführung des Tabakmonopols laut wer-
den; daß Leute demſelben das Wort reden und es in
unabweisbare Aussicht stellen, die vorher sich als Gegner
jeder Tabaksteuer ausgegeben haben und deßhalb (wie in
Mannheim) in das Zollparlament gewählt wurden. Ger-
wiſſe Leute verſtehen die Schönfärberei aus dem Grunde,
und es wäre ihnen möglich, einen . Schimmel blau zu
ſärben, ohne daß er, wie einſt ein ſchwäbiſcher Färber
verlangte, das „Sieden“ vertragen müſſe. Wollen die-
ſelben, ſo dücfte es ihnen leicht werden, den deutſchen
Tabaksbauern, welche keine Idee haben von den Chikanen,
durch welche in den Monopol-Ländern die Tabaksbauern
gequält werden, durch Erwähnung der hohen Preise, welche
dort gezahlt werden, für ihre Ansicht zu gewvinnen, und
es sollte uns gar nicht wundern, wenn sich in nicht allzu
langer Zeit aus den Reihen des ſüddeutſchen Landvolkes
Stimmen erheben, die die möglichſt ſchnelle Einführung
des Tabaksmonopols empfehlen. Daß dieſe Stimmen in
den Reihen der ruhigen und wirthſchaftlich richtig denken-
den Leute einen großen Widerhall finden werden, glauben
wir nicht, aber die wachſende Zahl derjenigen, welche aus

verſchiedenen Gründen Anhänger des Monopols sind, wird

nicht ermangeln, diese Stimmen, als „Stimmen aus den
Reihen der Betheiligten“ zu ihren Gunsten auszubeuten
.f. . und Alle, welche diese wichtige Frage nicht aus dem
Auge verlieren und auf die Gefahren derſelben immer
wieder zurückkommen, thun nur, was Vorsicht gebietet.
Der Federkrieg zwiſchen Berlin und Wien gewinnt
nicht allein an Schärfe, sondern auch an Ernſt und Be-
deutung , seitdem man in Wien anfängt, die Berliner
Nergeleien an den Beuſtſchen Depeschen mit Hinweis auf
das thatſächliche Verhältniß, auf den Prager Frieden zu-
rückzuweisen, welcher nicht von Oeſterreich und nicht von
Preußen, sondern von drittem Cinfluß geschaffen, die Be-
ziehungen zwischen Wien und Berlin verbittere. „Jener
Prager Friede iſt es ~~ ſo ſagt die „N. Fr: Pr. —
der für beide Theile eine unhaltbare Situation feststellte
und der Oesterreich dazu verurtheilt, den Untergang des

Nordbundes zu wünſchen, wie er Preußen dazu verdammt

auf die Vernichtung Oeſterreichs zu sinnen. Jener Prager
Friede iſt es, der, wie alle Schöpfungen jenes dämoni-

schen Einflusses, dem Frieden immer nur ein proviſoriſches

Nest baut, um in demselben das Ei eines noch größeren,
noch blutigeren Konfliktes als des eben beendigten zurück-
zulaſſen. Weil aber der Prager Friede eine solche un-
haltbare Situation wesentlich zu Gunsten des ſiegreichen
Preußen geſchaffen hat, deßhalb kann es wohl die Sache



Oesterreichs. des arg Besſchädigten ſein, jedes Engagement
zu vermeiden , welches einer Verſtändigung mit Preußen
den Weg versperrt, nimmer aber wird es, ohne sich zu
demüthigen , zu derselben die Initiatiüe ergreifen dürfen.
Unser Bemühen um freundſchaftliche Beziehungen mit
Preußen kann nicht weiter gehen , als es bis jetzt ge-
gangen. Wir haben Preußen nichts, Preußen hat uns
Alles zu bieten, da es uns Alles genommen hat.“

Einen neuen Beitrag zur Verfolgungsſucht der
Ruſsen in den Oſtſee - Provinzen gegen das deutſheV

Clement liefert der „Mosk. Wled.“, welcher die in den
Oſtſee-Provinzen veranstalteten Sommerfeste der deutſchen
Schulen, Sänger- und anderer Vereine als gefährliche
Mittel der revolutionären Propaganda denunzirt und der
Peterburger Regierung einen bitteren Vorwurf daraus
macht, daß sie dieſe Feſte immer noch duldet. Und den-

noch hat man in Berlin nur herzliche Sympathien fir

den nordiſchen Nachbar.

Das engliſche Unterhaus hat die bei ihm einge-
brachte Bill auf Abſchaffung der Todes ſtr af e verworfen.
Dieß iſt dem Stockengländerthum der Mehrheit des Hauſes

gegenüber nichts. Auffallend jedoch ist , daß faſt die gen

ſammte Tagespresse diesern Beſchluſſe ihre Zuſtimmung
giebt; daß ſelbſt die „Times“ die engliſche Bevölkerung
für noch nicht reif genug hält, um die von der gebildeten
Gesellschaft längst verurtheilte Todesstrafe aus dem eng-

lischen Strafgeseßbuche zu ſtreichen. Die ,„Daily-News"

allein zollt der Minorität des Hauſes Beifall und gibt
der Hoffnung Raum, dieſelbe werde sich durch die erlittene
Niederlage nicht zurückſchrecken laſſen, sondern fort und
fort die Frage wieder zur Anregung bringen.

Deutſchland.

; . Mannheim, 2. Aug. Der Wahlkampf iſt
I “que. Bezirke hat, wie nach der Zuſammenſezung



desſelben vorauszusehen war, der von den National-Liz
beralen ausgegangene Wahlvorſchlag die Mehrheit der

Stimmen erhalten. Gewählt sind darnach fünf ausge-
sprochene Mitglieder der national-liberalen Partei (Herren
(. Grimm, Fr. Lauer jr., Fr. Mohr, Fr. Oeſterlin und
I. J. Wolf; zwei unausgeſprochene (Herren Oberbürger--

meiſter Achenbach und Oberzollinſpektor Muft), und en

Unterzeichner des demokratiſchen Wahlaufrufs (Hr. C.
ve). r rst haben noch im lezten Augenblicke
ebenfalls einen Wahlaufruf erlaſſen. Derselbe iſt die treue
Umſchreibung des Offenburger Aufrufs; kraft: und ſaſt-

los, durchaus unbeſtimmt und verſchwommen. Wer eine

ſchlechte Sache vertritt und wem es nicht Ernſt mit der
Freiheit, der Selbſtverwaltung und Selbſtregierung des
Volkes iſt, kann nicht anders handeln.
Verpreußung unseres Landes, dieſe bittere Pille wird zart
in die trügeriſche Hülle eines „ganzen Deutſchland“ ein-
gewickelt. Das gelohte Beſtreben für „ein freies, wohl-
geordnetes heimiſches Staatswesen“ krankt. an den zur
Genüge bekannten „Wenn“ und „Aber“, welche ſtets die

Reformbeſtrebungen der Halb- und Viertels-Liberalen bes

gleiten. Nirgends eine beſtimmt bezeichnete Forderung
und daher auch keinerlei Verpflichtung für dieſelbe einzu-
treten. Ueberall nur Phraſen, die ſich drehen und wen-
den laſſen; überall nur ſchöne Worte, berechnet darauf,
zu beſtehen und den weniger Vorsichtigen in die bismarck-
ſchen Netze zu locken. Diesem Verhalten gegenüber erheben
wir fortgeſeßt den Mahnruf : Urwähler! Tretet entſchies
den für die Durchführung der von der Demokratie auf-

gestellten, klar und freimüthig dargelegten Forderungen

ein, wenn es Euch Ernst damit ist: daß der wahre Wille
der Bevölkerung in der Kammer und in. der Gemeinde-
vertretung zum Ausdruck und zur Geltung gelange; daß
persönliche und bürgerliche Freiheit, die Selbſtverwaltung
und Selbstgeſeßgebung des Volkes zur Wahrheit werden j
daß alle deutschen Stämme in der Freiheit, in dem volks-
thümlich gestalteten deutschen Bundesſtaate ſich wiederfinden
sollen; wenn es Euer Wille iſt, gut de utsch zu blei-
ben .. nicht aber preußiſch zu werden. :

* Aus Baden, 2. August. In einer Gemeinde
des Landes wollte der Bürgermeiſter die ihm durch die
Gemeindeordnung übertragene Aufsicht über die Gememdes
regiſtratur durch einen Gemeinderathsbeſchluß dahin aus-
dehnen, daß durch diesen Beschluß bestimmt wurde, es
müſſe vor der Erhebung von Atten aus der Regiſtratur
auch Seiten der Gemeinderathsmitglieder der Bürgermeister
hiervon in Kenntniß gesetzt, bez. dessen Einwilligung ein-

Die beabsichtigte


 
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