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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 180 - No. 205 (1. August - 31. August)
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Donnerſtag, 5. Auguſt.











F 183.



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Organ der deulſchen Volkspartei in. Baden.









Die „Mannheimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonntage und Feſttage + täglich als Abendblatt ausgegeben. – Der Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poftauſſchlag
Anzeigen-Gebühr : die einſpaltige Petitzeile 8 kr., bei Vokalanzeigen 2 kr. Beſtelungen bei der Expedition C 1 Nr. 15 in Mannheim und bei allen Poſtanstalten.

Er









Die Männchen für Alles.
§:
„Einheit und – ~ Freiheit !“

Das Reſultat unserer bisherigen Studien war, daß
ſich in den 60er Jahren des 19 Jahrhunderts in Deutsch-
land ein moderner Catilina fand, aber nicht einmal ein
Cicero, um dieſen Catilina niederzuſprechen. Jener Ca-
tilina trug, als er mit Blut und Ciſen das Volksrecht
und das Völkerrecht vernichtete, eine gekrönte Puppe im
Arm, die er als Symbol der neuen politiſchen Religion
allem Volke zeigte.

Aber wie konnte, ſo fragen wir uns, ein ſolcher Ca-
tilina ein ganzes Volk überrumpeln; wie war er im
Stande, nicht nur die Gegner niederzuwerfen, sondern
auch moraliſche Stimmung für sich und seine Pläne zu
machen? Denn ganz allein mit der brutalen Gewalt
wird nicht einmal im hinterſten Asien und im innerſten
Afrika ausgereicht. Ein Theil des deutschen Volkes, na-
mentlich im Norden, muß doch Partei für Catilina er-
griffen und Propaganda für ihn gemacht haben!

Ein abermaliges Faszikel von Druckschriften aus Ko-
burg und Gotha hat uns hier auf die Sprünge geholfen
und dankbar bescheinigen wir die langweilige, aber lehr-
reiche Zuſendung. Sie enthält lauter Broſchüren, welche
betitelt ſind : „Statut“, „Programm“, „Verhandlungen
des 2c. c.", eine im Drucke kondenſirte Diarrhse. Was
ſ:;jcs ftr seit dem italieniſchen Kriege zuſammen-
geredet hat! §

Es scheint nach unseren Vorlagen, als ob die Reaktion
von 1849 Deutschland wirklich todtgemacht habe,
als ob von den Märztagen des Jahres 1848 weder Kraft
noch Saft übrig geblieben sei, als ob mit dem Untergang
der Gracchen die Republik der Geiſter den Geiſt aufge-

geben und aus der Verweſung nur die catilinariſche Stink-

pflatzze Nahrung habe saugen können. Aber diese Stink-
pflanze hat ihre Gärtner gehabt . . . . .. j

Gegen das Ende der 50er Jahre drängte sich eine
Schaar von Persönlichkeiten in den Vordergrund, von
denen nur Wenige Cha.akter, noch Wenigere das Zeug
zu einer gründlichen polniſchen Aktion beſaßen. Die bes-
sere Minorität zog ſich auch bald zaghaft zurück. Nie-
mals aber ward auf dem Gebiete der öffentlichen Thätig-
keit eine größere Impotenz bei grenzenloſer Anmaßung,
nie eine tiefere Unwissenheit bei entsprechender Selbstge-
wißheit, nie ein unverwüſstlicherer Knechtsſinn bei liberal-
thuendem Phraſenſchwall erlebt, als bei den Männchen
von der Majorität. Könnte man auch darüber im Zweifel
ſein, ob dieſe Helden des Gothaismus mehr flach oder
mehr charakterlos gewesen seien, so ſteht das wenigstens
über jedem Zweifel, daß ein geschulter Büreaukrat und
ein eingefleiſchter Reaktionär mehr Urtheil und Ueberzeu-
gungstreue haben, als die Führer des weiland „National-
vereins“ und die Spitzen des „Fortſchritts."

Sie sind wie Allah's Namenhundert, heißen bald so,
bald so, „Nationalverein“, „Mitglieder deutſcher Landes-
vertretungen“, „Deutscher Abgeordnetentag“, die „besten
Männer“, „Deutsche Fortſchrittspartei“, „Nationalliberale“:
es sind im Wesentlichen immer dieselben Menſchen, nur
in Einem Punkte bewundernswerth, in der Zungendre-
ſcherei und der Reiſefertigkeit. „Von ihnen ſprechen iſt
Verlegenheit“. Entwerfen wir nur die Umrisse etlicher
ihrer Manifestationen; es ſind eben so viele Miſtbeete des
Catilinarismus.

Da ist der „Nationalverein“. Im Jahre 1859 de-
butirte er mit ſeinem Statut: „Einheit und Freiheit“,
darin lag Alles, und damit war nichts geſagt. 1860
kam das Programm vom „Bundesstaat mit einheitlicher
Zentralgewalt und Parlament“, worin die Freiheit ſchon
der „preußiſchen Spitze“ geopfert und der Bundesſtaat
zu einer Hegemonie mit Vaſallen geworden war. 1862
ſand es die durchaus preußiſche Koterie gerathen, ſich
hinter die „Reichsverfaſſung“ zu verstecken und ſo die
Angel nach Süddeutschland auszuwerfen, welches dieſelbe
Reichsverfaſung ſchon einmal wider den „deutſchen Kaiser“
mit den Waffen in der Hand vertheidigt hatte! 1864
hufte die Koterie noch einen Schritt weiter zurück und
ließ die längst vergebene „Zentralgewalt“ noch einmal
vom dermaleinstigen „Parlament“ vergeben.

1864 erklärte der Nationalverein es für eine Pflicht
des deutſchen Volkes, über dem Selbstbeſtimmungsrechte
Schleswig-Holſteins zu wachen. 1865 ſetzte er hinzu,
nur die „Intereſſen Deutschlands“ “dürfen jenes Recht





„beſchrünken“, und vorläufig bilde Preußen die „Zentral-

ewalt“ !

! Die preußische Schlange war seit 1860 fertig, 1865
biß sie sich in den Schwanz, 1866 biß sie Andere. Nach
dem Umfturz aller deutſchen Rechtsverhältnisse findet sich
der Ausschuß der blauen Geſsellſchaft bereits unter dem
9. August 1866 in ſeine „neuen Aufgaben und neuen
Pflichten.“ „Ungeachtet aller glänzenden Erfolge auf dem
Schlachtfelde bleibt die preußische Staatsgewalt ~– (wenn
ſie über Deutschland herrſchen will) ~ auf die deutſche
Nation eben ſo angewiesen, wie die deutsche Nation >
(wenn sie preußiſch werden will) – auf die preußische
Staatsgewalt." Charmanter Ausschuß!

„In der Hand des Volkes von Bayern, Württemberg,
Baden und Heſſen-Darmſtadt liegt es, durch Beschleuni-
gung der zum Eintritt (in den norddeutſchen Bund) er-
forderlichen Schritte dem Rechte der Nation auf die ihr
in der Reichsverfasung von 1849 verbürgte Staatsge-
meinschaft zur Verwirklichung zu verhelfen“. Werft Euch
zu den Füßen der Gewalt, so bekommt Ihr die Reichs-
verfasung + ganz gewiß nicht! :

„Wenn die ſüddeutſchen Bevölkerungen es sſelbſt ſind,
welche den Anschluß verlangen und nöthigenfalls er-
zwingen“. ~~ Die ſüddeutſchen Bevölkerungen ſollen also
jezt das thun, was jedes Nationalvereins-Haſenherz von
je mit Entsetzen erfüllte, ſie ſollen revoltiren, zu Gunſten
der preupßiſchen Contre-Revolution! Heroiſcher Aus-
ſchuß ! Baſta!

Da ist ferner der „deutsche Abgeordnelentag“, auch
genannt der Weimar’ſche Abgeordnetentag, der im Sep-
tember 1862 erklärte: „die Bundesstaatliche Einigung
Deutschlands, wie ſie, unbeſchadet der Selbsiständigkeit
der einzelnen deutſchen Staaten in inneren Landesange-
legenheiten, in der deutſchen Reichsverfassung vom 28.
März 1849 ihren rechtlichen Ausdruck gefunden hat, iſt
eine politiſche Nothwendigkeit für die Selbsterhaltung und
das Ansehen Deutſchlands nach Außen, ſowie für die Be-
gründung und Feſsthaltung der Freiheit und eines gesi-
cherten Rechtszuſtandes nach Innen“. Leidlich klar und
verſtändig : Bundesstaatliche Einigung der selbſtſtändigen
einzelnen deutschen Staaten!

Im August 18683 wehrte derſelbe Abgeordnetentag
die Oesterreichische Reformakte ab und erklärte, „die An-
erkennung vollſtändiger Gleichberechtigung der beiden
Großmächte im Staatenbunde als ein Gebot der Gerech-
tigkeit wie der Politik zu betrachten.! Wo war doch die
„bundesstaatliche Einigung“ von 1862 hingerathen ?

Sobald Oesterreich sich meldete, verſchwand der Bun-
desſtaat, der nur auf preußiſche Hegemonie berechnet war,
und der Staatenbund trat an seine Stelle! und ſobald
Osterreich Miene machte, ſich bei der Reform des Staga-
tenbundes lebhaft zu betheiligen, verlangte der Abgeord-
netentag die Heranziehung der nicht in den Bund aufge-
nommenen t{preußiſchen Provinzen, slſo auch Poſen's.
Konnte Catilina sich bessere Agenten wünschen ?

1866 am 20. Mai, trat das Preußenthum und die
Korruption auf dem Abgeordnetentage zu Frankfurt un-
verſchleiert und unverſchämt hervor. Preußen und Italien
sollten ruhig Oesterreich vernichten, die Mittel- und Klein-
staaten aber, zur größeren Sicherheit Preußens, „neutral“
bleiben, und damit ihnen unterdesſen die Zeit nicht lang
werde, ſich an den Gedanken gewöhnen, Frankreich und
Rußland zurückzuſchlagen, falls diese etwa eine Militär-
þromenade über die deutſche Grenze im Schilde führten !

So biß sich auch diese Schlange, die Schwester der
andern, rigentlich die nämliche in einer andern Haut, in
den Schwanz :: die „bundesstaatliche Einigung“ Deutsch-
lands, das war das militärſtarke Preußen, welches Oester-
reich aus Deutschland hinauswarf, die andern Staaten
zu Vaſallen herabdrücktte und ihnen eine Scheinexiſtenz
tk welche man mit .jedem Athemzuge auszublaſen
offte.

Andere Häutung. Dieselben Gesichter versammelten
sich auch noch unter der Firma: „Mitglieder deutſcher
Landesvertretungen“ oder ,„Abgeordnetentag“ zweiter Klasse.
Dieses Institut ward zum Schutze Schleswig-Hoſsſteins
geschaffen, und es endigte mit deſſen Preisgebung !

Näheres darüber im folgenden Artikel.

Politiſche Uebersicht.

Manngtheim, 4. Auguſt. uz
* Die Berliner Finanzkünstler empfehlen





den

Uebergang vom Schutzzoll- zum Finanzzoll - Syſteme als

nen ist freilich die



eine Konsequenz des dermalen in Europa beſtehenden
Systems des Handelsverträge ; mehr aber wohl als eine
Nothwendigkeit: heidenmäßig viel Geld herbeizuſchaffen.
Und da findet man denn in gelehriger Weise, es sei das
sich ergebende Prinzip : Von einer geringen Anzahl zoll-
pflichtiger Positionen eine hohe Einnahme zu erzielen.
Bluntſchli giebt in seinem Staatswörterbuch die nöthige
Anleitung zur Durchführung des Prinzips, indem er vor-
führt, die ſechs Artikel: Zucker, Thee , Kaffee, Wein,
Spirituoſen und Tabak hätten im Jahre 1865/66 in
England 19 ')» Millionen Pfund Sterling Bollein-
nahme ertragen. Was in England gut für die Bollkaſse
it ~ das muß auch gut für die Kaſſe des deutschen
Zollvereins sein und deßhalb merke man ſich einstweilen
die sechs Artikel, namentlich Tabak.

Zwiſchen der Verfaſſung des Nordbundes und
zwiſchen der Verfaſſung der Vereinigten Staaten
fand der Gesandte Bancroft eine merkwürdige Aehnlich-
keit. Ob auch heute noch? Jedenfalls wird ihm die
Wahlverwandſchaft besſſer einleuchten, welche zwiſchen der
S ch we iz und den Vereinigten Staaten ſich bei Gelegen-
heit des nordamerikaniſchen Geſandtenwechſels in der Eid-
genoſsenschaft wieder kundgab. Der abgehende Gesſandte
Harrington sagte u. a.:» „Gleichartige Institutionen, das
Resultat des gleichgartigen Strebens und Trachtens nach
Allem, was das Glück und Wohlergehen eines Volkes
betrifft, haben im amerikaniſchen Volke eine tiefe Sym-
pathie für die Schweſterrepublik erzeugt, eine Sympathie,
welche zu mächtig ist, als daß sie durch den Unterſchied
von Sprache und Race irgendwie beeinträchtigt werden
tönnte. Ich darf versichern, daß jeder fremde Angriff
auf die staatlichen Inſtitutionen der Schweiz oder auf
die Freiheiten, welche durch diese Institutionen gesichert
sind, von Seite der Vereinigten Staaten mit ungünſtigem
Auge angeſehen würde.“" ~ Der neue Gesandte Rublen
äußerte u. a. : „Verbunden durch den gleichartigen Cha-
rakter ihrer Institutionen und durch die gemeinſame An-
hänglichkeit an die Prinzipien der republikaniſchen Frei-
heit, sind die beiden Staaten noch enger in Sympathie
verknüpft durch die gleiche Politik. welche ſie im Verkehr
mit anderen Rationen verfolgen. Sie suchen allen an-
deren gerecht zu werden; sie wachen eiferſüchtig über ihre
eigene Ehre und weisen jeden Angriff auf dieſelbe ſofoct
zurück; aber ihr höchſter Ehrgeiz liegt darin, mit Erfolg
die Künste des Friedens zu pflegen, und sie wollen lieber
das Bild von freien, glücklichen und blühenden Gemein-
wesen darbieten, als sich ſelbſt mit den glänzendsten Lor-
beeren schmücken, welche durch eine aggressive Kriegspoli-
tik errungen werden könnten." ~ Der Bundespräsident
Welti anrwortete: „Ich danke Ihnen, meine Herren, für
die Gesinnungen, welche Sie soeben im Namen des Prä-
sſidenten der Vereinigten Staaten der Eidgenossenschast
ausgesprochen haben. Dieſe Gesinnungen haben für uns
einen ganz besonderen Werth, weil sie nicht auf den In-
teresſen des Angenblicks, ſondern auf der Gleichheit unserer
Grundsäte und Einrichtungen beruhen, welche zu den
heiligſten Gütern der Menschheit in innigster Beziehung *
stehen. Die Freundschaft, welche unsere beiden Völker
mit einander verbindet, wird darum auch so lange k:ſtehen,
als ihre Freiheit, und sie sich in allen Wechſelfällen der
Zukunft erhalten.“ . i

Um JIrrthümern bezüglich der Prügelstrafe in

Preußen vorzubeugen, macht die „Zukunft“ auf die vo ! J

dem Minister des Innern erlaſſene neue Prügelordnung
für die Gefängnisſe und Strafanſtalten aufmerksam. Nach
derselben sollen künftig nur noch die in Zuchthäuſern

befindlichen Männer geprügelt werden. In die Zucht-
häuſer kommen aber nach dem preußiſchen Strafgeſetbuche M
nicht nur Räuber, Mörder und Fälscher, sondern aun. zv | !

politische Verbrecher. Beispielsweise kann Jeder, welcher
öffentlich durch Rede oder Schrift zu einer Handlung auf-
fordert, die ein hochverrätheriſches Unternehmen darstellt,
oder welcher fich einer ein hochverrätherisches Unternehmen
vorbereitenden Handlung schuldig macht, mit Zuchthaus bis
jr pehr reſſe ſitf Hehttt. vhs k tür
schriftliche Instruktion des Falles und ein Votum der
Mehrheit der Beamtenkonferenz vorherzugehen hat. Ö Die
Bestimmung scheint aber, wie in der „Elb. Ztg.“ richtig
bemertt wird, für die Praxis vollſtändig bedeutungslos
zu werden durch den Vorbehalt, daß die Befugniß des
Vorstehers, zur Wahrung der Disziplin die etwa erforder-
lichen Bändigungsmittel anzuordnen, durch diese Anord-
nung nicht alterirt werden ſolle.












 
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