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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

DOI issue:
No. 232 - No. 258 (1. Oktober - 31. Oktober)
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https://doi.org/10.11588/diglit.43993#0969

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42 239 (Erstes Blatt.)







186.9.



Organ der deulſchen Volkspartei in Baden.







Die , sannteimer Abendzeitung" wird ~ mit Ausnahme der Sonnt
sie eintpaitige Betitzeile 8 kr.,

ünze gen-Webülr :

age und Feſltage + täglich als Abendblatt ausgegeben. – De
bei Lokalanzeigen 2 kr. Bestellungen bei der Expedition Q 1 Nr.

r Abonnementspreis vierteljährlich Ein Gulden, ohne Poſtauſſchlag
15 in Mannheim und bei allen Poſtanktalten.











Graf Berlichingen.

+ A tout seigneur, tout honneur!
wenn der Edelmanm gemeinſame Sache mit dem Volke
macht, wenn er ſich einfach zum Volke zählt. Dies hat
Graf Berlichingen in der Sitzung der erſten Kammer zu
Karlsruhe am 1. Oktober gethan, und wir sind ihm zum
vollſten Danke verpflichtet.

Die letzten Neuwahlen im badiſchen Ländchen haben
doch ihre Bedeutung gehabt, troß des von allen Seiten
verurtheilten Wahlsyſtems, welches die Regierung ſelbſt
preisgibt, deſſen Aenderung sie offiziell vorschlägt, und
mit deſſen Ergebniß, der Majorität der Abgeordneten, ſie
dennoch zu prunken Miene macht. Ganz besonders
draußen, jenſeit der Grenzen des Staates Baden,
wird es einigen Effett machen, wenn das, was bisher
blos die Volkspartei, demokratisch oder katholiſch, behauptete
und stets wiederholte, jezt den Lippen eines hochadligen
badiſchen Pairs entströmt.

„Ich vertrete eine groß e, nach meiner An-
ſicht die zahlreichſte Partei im Lande.“

Da draußen wird man das ſehr gut vrrſtehen, und
auch die Regierung thäte wohl daran , es rechtzeitig zu
verſtehen. Auf dieſe Herausforderung müßte sie ant-
worten durch das allgemeinſte und breiteſte Wahlrecht,
durch raſche Auflösung der Kammern, durch integrale
Neuwahlen. Dann würde und müßte sich ja zei gen, wer
Recht hat, Graf Berlichingen oder Hr. Jolly!

Ñ Der zweite Satz des Grafen Berlichingen lautet : Der

Südbund wäre ein Bindeglied zwiſchen Preußen
und Oeſterreich. Ganz so haben wir die Sache ſtets
angesehen, ohne dem Südbunde jemals übergroße Wichtig-
keit oder gar die Ewigkeit zu vindiziren. Wie die Sachen
jezt stehen, bei dem Mangel alles politiſchen Zuſammen-
haltes dieſſeits der Mainlinie, ſind die Südſtaaten der
Zankapfel zwiſchen Preußen und Osterreich, eventuell die
Venute für einen der beiden Antdc§goniſten. Erst von dem
Augenblicke an, wo der Süden als Ganzes, als Eins
auftritt, wird der d eutſche Frie de möglich. Das war
von jeher die Wahrheit der Trias. Mit der Anerkennung
der Trias gibt Preußen ſeine Raubgelüſte auf; ohne diese
Aufgebung kein Friede ! '.

Drittens. Sicher iſt der Süden nur im Bunde mit
Oesterreich, der Nord bund ist eine Verpreußung
Deutschlands. Richtig, Oesterreich erobert und annek-
tirt uns nicht, ſeßt seien Reichstag oder Reichsrath nicht
über unsere Einzel - Landtage, iſt lediglich unſer Schutz
gegen Westen; den mit Deſterreich verbündeten Süden greift
Frankreich n icht an, ſelbſt nicht das zäſariſche Frantreich,
und wenn von dem vielbeprahlten „deutschen Beruf“ nur
eine patriotische Ader übrig bleibt,, dann doppelt nicht.
Stößt man dagegen Oesterreich dauernd aus , reduzirt
man es auf das enge Intereſſe der Selbsterhaltung, so
hb! Süddeutſchland von Frankreichs und Obsterreichs

nade.
wurde.

I m Namen des Volkes protestirt Graf Ber-
lichingen g e g en den Eintritt in den Nordbund.
Er erklärt einen Anschluß an Preußen g egen den Wil-
len des Volkes für einen Sta a t sſtr ei c. Das Volk
iſt aber nicht befragt worden, und kann nach dem beſtehen-
den Wahthlgesſetß nicht befragt werden. Al o Proteſt! Die-
ſem Proteſte ſchließt sich in Baden Alles an , was den
Kopf und das Herz frei hat, was noch Empfindung für

Besonders

Was schon hundert Mal geſagt und bewieſen

wahres Deutſchtham und freie Perſönlichtet hat. Wir |

ſchliezen uns dem gräflichen Redner auf das Wärmste
an, wir protestiren, wir proteſtiren! In diesem „Protestan-
tismus“ gibt es teine Konfesſionen mehr.

Wir sagen auch Ja und Amen zu den Behauptungen
des Redners in inn eren Angelegenheiten: das Volk
leiſtet die Steuerzahlung n i ch t sreudig; die dreijährige
Präſenzzeit im Heere iſt zu lang; die Ernte iſt nicht
gut geweſen, der Tabat iſt mißra then, und doch
haben wir durch die „preußiſche Bruderſchaft“ die T a-
bat s ſteuer; wir haben jezt ein ſtrammes, nicht
pctUtih geſinntes Regiment, ein Syſtem wechsel ist
nöthig.

In letter Instanz, wenn die Regierung mit den jehi--
gen Kammern nach Norden pilgert, appellirt Graf
Berlichingen an die Abſtimm ung des Volkes. Wir
glauben nicht, daß sich die Regierung die Zunge verbren-
nen wird; in der Regel wird nichts so heiß gegesſſen, als

. S gekocht war; sollte aber die Regierung das Unerhörte |





"beginnen, das Unglaubliche wagen, ſo appelliren wir an
die. . . Ereigniſſe.

Badiſcher Landtag.

* Karlsruhe, 7. Oktober. 7. Sizung der Zweiten
Kammer.

Vom Sekretariat wird zunächſt das Einlaufen ver-
schiedener gleichlautender Pctitionen von Bonndorf und
Donaueschingen 2c. wegen des Baues einer Höllenthal-
bahn angezeigt.

Hierauf berichtet der Abg. Kirsner Namens der
Budget-Kommission über den Regierungsentwurf , die
Weinsſteuer betr. Er ſchlägt vor, die auf dem letßten
Landtag besſchloſſene Erhöhung der Weinsteuer aufzuheben
und die Art. 2, 3 und 9 des Gesetzes vom 19. März
1858 wieder in Kraft zu ſeßen, wonach die Akziſe für
Traubenwein in Orten über 4000 Seelen wieder 1
(ſtatt 11/2) und in Orten unter dieser Seelenzahl Öh10
(îtatt 12,20) das Ohmgeld aber sho ſiatt Ull1ro ber:
tragen ſoll.

Bei der hierauf eröffneten Diskuſſion dankte der Abg.
Seiz der Regierung für diese Vorlage. Beſonders im
Seekreis werde dieselbe freudig begrüßt ; man hoffe dort
aber auf einen weiteren Erleichterungsmodus. Durch die
Herabſezung der Steuer werde aber wenigstens eine Härte
beseitigt.

Abg. Heilig: dankt unter Anschluß an das Ge-
sagte. Er iſt zwar für die Besteuerung des Weins nach
Klaſſen des Kaufpreiſes, weiß aber, daß er mit einem
deßfallngen Antrag nicht durchdringen würde, und ent-
hält ſich deßhalb eines besonderen Antrages, da er auch
die Rückkehr häufigerer Defraudationen und der läſtigen
Kontrolmaßregeln fürchte. Er nimmt gerne das Gute
an, weil er das Besſere nicht erreichen kann.

Abg. Müller iſt hiemit einverſtanden.

Abg. Schme zer dankt der Regierung ſchon in Be-
tracht, daß der Gegenpartei ein wirkſames Agitationsmittel
entzogen werde. ;

Abg. Heb ting : erinnert daran, daß er ſchon gegen
die Erhöhung gestimmt habe ; die Klaſsseneintheilung ſei
eine unrichtige Maßregel. Es sei ganz recht, daß man
zunächſt die Steuer wieder herabſege. Der Wein
sei ein Produkt, das die möglichſte Schonung ver-
lange.

Abg. Richter; wünſcht eine gleichmäßigere Beſteue-
rung des Weines und hält eine Herbeiziehung des so oft
verwendeten Traubenzuckers zur Steuer für gerathenu.

Abg. Conrad: glaubt, daß die Herabſegung der
Steuer Diejenigen versöhnen werde , deren Neigung ſich
die Regierung durch Erhöhung entfremdet habe.

Abg. Friderich: ſpricht ſich dagegen aus , daß die
Großh. Regierung durch Einführung der höheren Steuer
an Popularität verloren habe ; wer derselben aus diesem
Grunde seine Sympathie entzogen habe, sei kein wahrer
Freund gewesen. Er will weder eine Besteuerung nach
dem Werthe noch nach Bodenklaſſen. Er hoffe, daß die
Großh. Regierung überall Erleichterungen eintreten lassen
werde, wo dieß immer thunlich sei. Die Werthtaxe finde
ſich jekt nur noch bei Geſpinnſten und wäre eine Prä-
murung der Unehrlichket. Die Absicht des Gesetzes
werde durch sie nicht erreicht ; denn die Weinquantitäten
die mit einem Werthe von über 250 fl. taxirt worden
seien, hätten sich zu denen der geringeren Weine wie 3
zu 97 verhalten.

Minister - Pr. Ellstädter :
der gegenwärtigen Vorlage sei nicht die katholiſche Volks-
partei gewesen, sondern die Kreisausſchüſſe von Konstanz
und Lörrach; und die Regierung ſei selbſt bestrebt , wo
immer thunlich Erleichterungen zu schaffen. Sie würde
ihr gemachte Vorschläge in reifliche Erwägung ziehen, ſei
aber nicht für eine Besteuerung nach Kaufwerth oder
Bodenklaſſen , denn das seien Rückſchritte. Wohl sei
die erſtere gerecht und ſür die Regierung einträglicher als
die nach der Maaszahl. Das Volk wolle aber lieber eine
irrationelle als eine lästige Steuer. Ganz abgeschafft
könne sie zur Zeit nicht werden, denn man bedürfe eben
ihres Ertrages. Der Traubenzucker als ſolcher laſſe ſicy
nicht beſteuern, denn er werde nicht nur zu Wein, sondern
auch sonst benütt.

Abg. R oßhi rt ſchließt sich kurz den ausgesprochenen
Danksagungen an. ;

Abg. Roder: ſchließt sich bezügl. der Besteuerung
des Traubezuckers dem Wunsche des Abg. Richter an.

Geh. Ref. Negen auer: Künstliche Wein wird

Die Veranlaſſung zu



schon jetzt beſteuert, es müßten denn nur weder Trauben
noch Obſt dabei verwendet sein. Ob ſolches vortomme,
wiſſe er nicht ; es wäre dann allerdings ein Gegenstand
der Erwägung.

Abg. Lame y : Dankesbezeugungen halte ich nicht
für nöthig , denn die Steuern werden ja nicht den Re-
gierenden, sondern dem Staat bewilligt ; ich müßte folge-
richtig auch eine Erhöhung der Steuern verübeln. Er
wünſche gänzliche Abschaffung der Steuer, wenn dieß ein-
mal angehe.

Berichterstatter K irsner verzichtet auf das Schluß-
wort, worauf zur Abstimmung geschritten und der Ge-
setesvorſchlag einſtimmig angenommen wird.

Es folgt nun die Erſtattung der Berichte über Rech-
nungsnachweiſungen von Seiten der Budget-Kommisſion:

1) über die des Großh. Staatsminisſteriums und des

Ministeriums des Großh. Hauſes und der aus-
wärtigen Angelegenheiten durch den Abg. Hebting;

2) über die des Juſtizminiſteriums durch den Abg.

Roßhirt;

3) über die des Großh. Handelsminiſteriums durch

den Abg. Paravicini.

Sämmtliche Nachweiſsungen wurden für unbcanſtandet
erklärt.

Die Position für Ordensverleihungen veranlaßte we-
gen der ſtets dabei vorkommenden Ueberſchreitungen einen
Wunſch des Abgeordneten v. Fe der, ſolche zu erhöhen,
damit für die Zukunft die Ueberſchreitungen unterblieben;
die Regierung erklärte dagegen, daß die Ueberſchreitungen
auf Zufälligkeiten beruhten; man hoffe in der Zukunft
auszureichen. .

Uba. v. Fe d er befürwortete die Besſerſtellung der
Aktuare mit Wärme und wird von Conrad und von
Rotteck unterſtütt; die Abg. Lamey, Kusel, Kirsner wün-
ſchen dagegen Verschiebung bis zur Budgetberathung.

Die ebenfalls vom Abgeordneten v. Feder befürwortete

“Ueberbrückung des Mains iſt von der Regierung in Er-

wägung gezogen, nur wählt man noch zwischen einer
Schiffbrücke und einer Dampffähre. Später werde auch
noch eine Eiſenbahnbrücke nöthig werden.

Abg. Kuſel freut sich, in dieſer Frage mit v. Feder
übereinſtimmen zu können, nur wünſche er mehrere Ueber-
brückungen an versſchiedenen Plätzen.

Nächſte Sißzung Montag den 11. ds. Mts. Gegen-
ſlände : Berathung des Berichts des Abg. Buſch über den
Militärfreizügigteitsvertrag und Rechnungs-Nachweiſungen
des Finanzminiſteriums.

Politiſche Ueverſsicht.
Mannheim, 8. Oktober.

* Hinter dem offiziellen „Hurrah“ , mit welchem die
Thronrede des Königs von Preußen begrüßt
wurde, tritt die nackte Wirtlichkeit hervor. Die Thron-
rede hat kalt gelaſſen. Die Friedensversicherungen ſind
auf den ſteinigten voden berechtigter Zweifel gefallen.
Bei einem Präſenzſtand von etwa 300,000 Mann läßt
ſich dies kaum anders erwarten. Der angekündigte Steuer-
zuschlag iſt das einzige Greifbare und dieſes Greifbare
fällt in den Steuerbecher, der ſchon bis zum Ueberſchäu-
men gefüllt. Im Bericht des Finanzminiſters, den der-
selbe nach dem Kriege von 1866 über die Finanzlage
erſtattete, wurde hervorgehoben, daß die Finanzlage bis
zum Jahre 1866 eine wohlgeordnete und vorzügliche ge-
wesen. Noch gleich nach dem Kriege ſind nach Abzug
außerordentlicher Ausgaben noch 7,079,000 Thlr. diſpo-
nibel geblieben.

Die ministerielle Berliner „Prov.-Korreſpondenz“, bes-
rauscht von diesem noch nie dagewesenen Zuſtande, machte
damals ihrem überſtrömenden Herzea in den Worten Luft :
„Es möchte wohl ohne Beispiel in der Geschichte ſein, daß
ein Staat beim Ausgange eines gewaltigen Krieges eine
ſo feſt und sicher begründete Ordnung in den Finanzen
und die Möglichkeit beſißtt, so erhebliche Mittel zur Bes
friedigung lang gehegter Wünsche auf allen Gebieten der
Verwaltung aufzuwenden!" . . . Und nach kaum zwei
Jahren hatte dasſelbe miniſterielle Organ den traurigen
Auftrag, vor der Steuerdebatte im norddeutschen Reichs-
tage zu erklären: „Und doch würden alle diese Erſpar-
niſſe blos an den nützlichen Ausgaben noch nicht hinreichen,
um den voraussichtlichen Ausfall an Einnahmen zu decken,



. die Einschränkung müßte moglicherweiſe noch tiefer greifen

und noch dringendere Bedürfniſſe des Volks treffen."
Und heute ſieht sich die Regierung des Königs in
„der Nothwendigteit, behufs vollſtändiger Deckung der











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