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Mannheimer Abendzeitung: Organ d. Deutschen Volkspartei in Baden — 1869

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No. 51 - No. 75 (2. März - 31. März)
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e. 59.

Donnerſtag, 11. Märg.





Organ der deulſchen



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Die „Mannheimer .
: Anzeigen-Gebühr : die einſvaltige Petitzeile 3

Abendzeitung" wird – mit Ausnahme der Sonntage und Festtage — täglich als
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Abendblatt ausgegeben. –~

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ML:

15 in Mannheim und bei allen Poſtanſtalten.





Präfident Grant und König Wilhelin.

PVC. Der kböniglich-preußiſche Parlamentarismus hat
Malheur dies Jahr. Cin böses Zuſammentreffen giebt
ihm eine Folie, auf der er sich besonders miſerabel aus-
nimmt. Gleichzeiig mit zwei Thronreden von Bismarck-
Wilhelm lieſt die Welt die Ansprache Grant's an seine
Mitbürger, und im Handumdrehen hat's der Bürgerpräſi-
dent aus der neuen Welt gewonnen über den König-Sieger
aus der alten. Recht ungesſchictt von Bismarck! Für eine
Berliner Redeübung mußte er den 4. März vermeiden.

Was ſagt Bismarck-Wilhelm? Wir wiſſen's nicht recht.
Wir sehen nur die üblichen National-Liberalen ſich Mühe
geben, herauszufinden, daß es doch nicht ganz nichts-
ſagend Fei.

Was ſagt Grant? ~ Nicht blos die Börſen applau-
diren; in Millionen Herzen und Köpfen klingt wider, was
von drüben ſchallt. |

Die Berliner Rede iſt ein Ereigniß für die Welt der
Simſon-Forckenbeckt, der Unruh-Waldeck, der Miquel-Braun.
Die Ansprache von Washington iſt ein Weltereigniß für
die Welt ſchlechthin.

Es iſt so schlicht und plan Alles, was Grant ſagt,
der volle Gegenſat, von wortreich. Nur an zwei Stellen
erhebt ſich die Ansprache zu volleren Klängen, ~ da wo
er von dem Stolze nationaler Ehrlichkeit und da, wo er
von der Machifülle des nationalen Einfluſſes spricht. In
beiden Sätzen appellirt der neue Präſident an das Beſte,
was ſeine Mitbürger haben: an das Chrgefühl rechtſchaffe-
ner und an das Chrgefühl durch Freiheit mächtiger Män-
ner. Allerdings die besten Fundamente eines ſtaatlichen
Daseins. Wer sich an der Hand dieſer Ansprache den
Inhalt des freien Staatsweſens von Nordamerika verge-
genwärtigt, Der wird verstehen, was wir neulich ſagten,
als wir den deutschen Parteitampf aus dem abgeſchmackten
Gerede vom Preußenhaß in die höhere Wahrheit eines

Prinzipienkampfes um alle höchſten ſtaatlichen Aufgaben

erhoben. Es iſt die Bürgertugend, in deren Verwirk-
lichung der Bürgerpräſident den Inhait des Staates ſetht;
ehrliche Arbeit, rechtſchaffene Verwaltung, Treue gegen das
Gesetz, Gleichheit vor dem Geſezg ~ Das ſind seine staat-
lichen Leitſterne. Goltlob, mit gerechtem Stolz dürfen wir
daneben ſtellen: sie sind's seit lange auch für uns und
unſre Partei, und mit froher Hoffnung fügen wir hinzu:
was drüben für Millionen nun bald ins zweite Jahrhun-
dert als richtiger und fester Grund sich erweiſt, Dem haben
wir treu zu bleiben doppelt Anlaß.

Ob Grant ſseinerſeits an die gleichzeitige Prozedur dies-
ſeits des Ozeans gedacht hat? Faſt möchte man's glauben.
Seine Worte: „Ich kenne keine Methode, die Zurücknahme
ſchädlicher Geſeße zu sichern, welche so wirkſam wäre, als

genaue Durchführung derſelben“ ~ dieſe Worte klingen

wie die herbſte Kritik der preußiſchen Wirthſchaft. Man
ſage nur statt „Gesetze“ schädliche „Institutionen“, und der
Grantſche Satz ist nichts, als die theoretiſche Abstraktion
aus den praktiſchen Erfahrungen im kgl. preuß. Nordbund:

die genaue Durchführung der Politik Bismarck-Wilhelm ist

die wirkſamſte Methode, alle Großpreußen gründlich

zu kuriren. Möge der friedliche freiheitliche Aufschwung,

den die Vereinigten Staaten unter Grant’s Präsidentschaft
nehmen werden, zu raſcher und gründlicher Beendung dieser

ſo nothwendigen Kur ein weiterer Beitrag sein.

Politiſche Ueberſicht.
Mannheim, 10. März.

* Aus der nordamerikaniſcheu Union bringt das
atlantiſche Kabel die Nachricht, daß Alex. Stewart, der vom
neuen Präsidenten zum Finanzminiſter ernannte reiche
Kaufherr New-Yorks, um Enthebung von dem kaum über-
tragenen Antte nachgeſucht habe. Gründe dieſes Schrittes
ſind noch unbekannt.

In der Versammlung der Kortes iſt alſo, wie die
geſtern mitgetheilte Madrider Depesche gemeldet hat, die bis-
her dort vermiedene Frage der Staatsform am 9. zum erſten



. Male berührt worden. Durch eine Anfrage an das Mi-

niſterium, wie es ſich mit ter Stellung des Herzogs von
Mantpenſier, der seit 1857 zu den Generalkapitänen (Mar-
ſchällen) Spaniens zählt, als Generalkapitän verhalte, war
dieser Name in die Verhandlung geworfen worden. Die darauf
erfolgte Antwort des Kriegsminiſters Prim, daß die provi-
soriſche Regierung die Lage des Herzogs, welcher bekanntlich
ſammt ſeiner Gemahlin durch die abgesetzte Königin Jſabella
verbannt geworden, habe achten müſſen, iſt weniger bedeu-

tungsvoll, als der Eifer, womit der Marineminiſter Topete
diesen Anlaß zu der Erklärung benützte, die Berufung des
Herzogs von Montpensier auf den spanischen Thron der
Errichtung einer Republik vorzuziehen. (Nach einer ande-
ren telegr. Depesche soll auch Prim fich für Montpenſier's
Kandidatur ausgeſprochen haben, welche Angabe jedoch bei
der stets sorgfältig bewahrten Zurückhaltung Prim's, des
Schweigſamen, unwahrscheinlich iſt.) Die republikaniſchen
Deputirten Castelar und Figueras antworteten mit dem
Ausdruck ihres Verlangens nach Republik. Der Stein iſt
demnach im Rollen; und die Mahnung Serrano’'s, daß
die Frage der Verfaſſungsberathung müsse vorbehalten blei-
ben, wird ihn kaum zum Stillſtand bringen.

In der Diplomatenwelt herrſcht geſchäſtige Bewegung.
Fürſt Mensdorff reist von Wien nach Italien; der franzö-
ſiſche Botſchafter in Wien ist nach Paris berufen; der ita-
lieniſche Vertreter beim Pariser Kabinet macht einen Ab-
ſtecher in die Heimath; der franzöſiſche Gesandte am belgi-
ſchen, und der belgiſche am franzöſiſchen Hofe fahren zwiſchen
Brüſſel und Paris hin und her, und der bayeriſche Mi-
niſter des Aeußeren, Fürſt Hohenlohe, hat geſtern im Auf-
trage seines Königs in Nördlingen mit seinem württember-
gischen Kollegen Herrn v. Varnbüler konferirt. Oh die Frage
eines Südbundes, ob die der Militärkommission, ob die einer
anderen Kommission, oder gar die einer Befolgung des badi-
schen Crempels in Bezug auf die Dienſtpflichtableiſtung im
norddeutschen Heere es iſt, was die lettgenannten Staats-
männer zuſammengeführt hat, kann mit vollkommener Ge-
müthsruhe abgewartet werden: diese Herren bringen nichts
zu Stande. CErnſter erſcheinen die Brüſſel-Pariſer Fahrten.
Die französische Regierung will die belgiſche Eiſenbahn-
frage; . nicht zur Ruhe kommen , lafen. Ihr. neuester
Vorſchlag soll dahin gehen, zur Prüfung diesſer
Angelegenheit eine gemiſchte franzöſiſch-belgiſche Kommission
niederzuſeßen, wogegen das Brüſſeler Kabinet ſich ſträubt.
Gestern hat unter Vorſit des Königs ein Minitterrath
ſtattgefunden, auf desſſen wahrſcheinliches Ergebniß eine
offiziöse Mittheilung vorbereitet, welche in ſehr energiſcher
Weiſe hervorhebt, daß niemals die Regierung in Bel-
gien eine ausländische Einmischung in tie Ausführung der
Landesgesetze gestattet habe. Die anderen Diplomatenreisen



werden mit der Stellung Frankreichs und Obſterreichs zu
Preußen und Italien in Verbindung gebracht. Offiziöse
Stimmen bemänteln zwar die Reiſe des Fürſten Schwar-
zenberg mit einem Gratulationsbeſuche beim Papſt und die
des Herzogs von Grammont mit Privatgesſchäften, die den-
ſelben nach Paris rufen : glaublicher erscheinen aber die
Angaben unabhängiger Blätter, wonach der Erſtere mit der
Anbahnung einer Zuſammenkunft des Kaiſers von Oster-
reich mit dem König von Italien beauftragt und der Leh-
tere wegen „nicht befriedigender Beziehungen zwiſchen Preu-
ßen und Frankreich“ in die Tuilerien berufen worden ist.
Cbenſo führt man die Entfernung des italienischen Ge-
sandten Nigra aus Paris auf einen Wunſch Napoleons
zurück, welchem der bekanntlich sehr preußenfreundlich ge-
ſinnte Vertreter Italiens eine unbeliebte Person geworden
sei. Gleichzeitig treten die früheren Gerüchte von einer
französiſch-italieniſchen Allianz, welcher ſich in einer etwas
loſeren Verbindung auch Oesterreich anſchlöße, in verstärk-
tem Grade auf. Angesichts dieser Eventualität soll Preu-
ßen Annäherungsverſuche an Oesterreich machen, und die
„N. Fr. Pr." glaubt bereits, daß der seit seiner ſog.
„Krönungsdepeſche" in Wien minder angenehme preußische
Gesandte von Werther seine Abberufung und in Graf
Schulenburg oder Flemming seinen Nachfolger erhalten
werde.

In Belgien hat der Senat in seiner vorgeſtrigen
Sitzung die Wiedereinbringung des Juſtizetats nicht ange-
fochten. Die bei der erſten Berathung dieſer Vorlage aus-
gebliebenen liberalen Mitglieder hatten sich vollzählig ein-
gefunden, und ein von ihrer Seite ausgegangener Dring-
lichkeitsantrag wurde ohne Widerspruch angenommen, ſo
daß die Schlußberathung wohl schon heute hat erfolgen
können.



Deutſchland.

* Mus Baden , 10. März. In Karlsruhe iſt
vorgeſtern der erſte Bürgerabend glücklich zu Stande ge-
kommen. In Anwesenheit zahlreicher Theilnehmer eröffnete
Rechtsanwalt Kufſel die (im Gartensaal der Schuberg’ſchen
Brauerei abgehaltene) Verſammlung mit einem Hinweis auf
den Zweck, den Nutzen und die Nothwendigkeit derartiger
Besprechungen, worauf an Stelle des unpäßlichen Herrn



Oberbürgermeiſters Malsch der Profeſſlor Emminghaus einen
Vortrag über das Gemeindesteuer-Syſtem hielt. Er bean-
sſpruchte für die Gemeinden das volle Recht der Jeſtſtellung
ihrer Steuerſyſteme; mit der einzigen Beschränkung, daß
die ſtaatliche Geseßgebung, welcher er den Schutz der ein-
zelnen Gemeindebürger gegen etwaige Verlezungen zur
Pflicht macht, die Erhebung indirekter Steuern für Ger-
meindezwecke im Intereſſe des freien inneren Verkehres zu
untersagen habe. Als das zweckmäßigſte Beſteuerungs-
System bezeichnete der Redner die Erhebung der Gemeinde-
ſteuer in der Form eines Zuſchlages zur unmittelbaren
Staatssteuer, ſobald diese einmal zweckmäßig geregelt ſein
werde; bis zu diesem Zeitpunkte die Cinführung einer
allgemeinen unmittelbaren progreſſiven Einkommenſteuer.
Zu der hiemit angeregten Frage sprachen noch die Herren
Bürgermeiſter Günther, Prof. Stengel, Oberſchulraths-
diretor Renk, Miniſterialrath Turban, Hofbuchhändler
Thielefeld und der Vorsitende. Dic Haupteinwände gegen
die von Prof. Emminghaus aufgeſtellten Säte galten der
von diesem aufs Wärmſte anempfohlenen Aufhebung des
Oklroy, wobei namentlich auf den dadurch erwachſenden
bedeutenden Entgang an Gemeindeeinkommen, welcher ſich
in Karlsruhe auf 60,000 fl. belaufe, und auf das Drückende
einer Mehrbelaſtung der schon steuerpflichtigen Kapitalien
hingewiesen wurde. Nach 2stündiger Dauer endete der
Bürgerabend mit der Aufforderung des Herrn Apothekers
Dr. Riegel zu recht fleißigem Beſuche der nachfolgenden
Verſammlungen. ~ Cine Heidelberger Mittheilung in der
„Karlsr. Zeit.“ stellt für den Dienstag nach Pfingsten eine
allgemeine Versammlung der Proteſtanten Südweſt-
deutſchlands in Worms in Aussicht. Die einleitenden
Schritte hiezu seien bereits erfolgt. ~+ Außer der dem
„Bad. Beob.“ entnommenen Nachricht, daß in Freiburg
die Faſtenpredigten der frommen Patres in beiden
Pfarrkirchen „großen Beifall“ finden, iſt den Nachrichten
„aus Baden“ heute nichts beizufügen.

I. Vforzheim, 8. März. Der Gewerksgenoſſen-
ſchaſt der hiesigen Goldarbeiter, deren Gründung in der
vor 8 Tagen abgehaltenen, von beiläufig 2000 Perſonen
beſuchten A r beit erve rs a mm lu n g beschloſſen wor-
den, sind bis jezt nahe an 1500 Arbeiter beigetreten.
Bis hierher wäre ſomit Alles gut und schön, und allge-
mein herrſcht die Ansicht, daß das Unternehmen gesichert
iſt, was wir von Herzen wünschen; es drängen ſich uns
jedoch einige Gedanken auf, welche wir hier auszuſprechen
uns erlauben, sei es auch nur, um den neuen und ähn-
liche Vereine auf einen Punkt aufmerkſam zu machen, der
alle Berücksichtigung zu verdienen schein. Es will uns
nämlich nicht sonderlich gefallen, daß das Komite
in seiner Ansprache es für nöthig hält, die Arbeiter zu
versichern, „daß es ſich hier nicht um das Manöver einer
politiſchen oder sozialen Parlei handelt, sondern um ein
Werk der allgemeinen Wohlfahrt , welches über den Par-
teien steht‘; daß das Komite somit von vornherein alle
Politik ausschließt. Keine Politik iſt allerdings einer der
Grundsätze der Schulteaner, aber ſchon den ArbeiterB i l-
d u n g s-Vereinen nach Schulte-Delit;ſch'schen Regeln faällt
es ſchwer, ſich von der Politik fern zu halten ; die Gewerk-
genoſjenschaften aber können auf die Dauer ohne Politik
gar nicht fertig werden. Was bedrückt denn den Arbeiter
mehr, als Alles, wenn nicht die durch die gegenwärtige
Politik geschaffenen Zustände, wenn nicht die dreijährige
Dienstzeit und die dadurch bis zum Unerschwinglichen in
die Höhe geschraubten Abgaben an den Staat, denen die-
jenigen an die Gemeinde, wenigstens hier in Pforzheim,
ebenbürtig Schritt halten, ja sogar unloyal genug voraus-
eile. Hier iſt und zwar vor Allem Abhilfe zu
ſchaffen, denn so lange dies e Laſten auf den Arbeiter
drücken, iſt alles Andere Nebensache und an eine wir k-
l i ch e Beſſerung seiner Lage nicht zu denken. De m ab-
zuhelfen iſt aber nicht anders möglich, als durch Betheili-
gung, und zwar rege Betheiligung am politischen Leben.
Wenn aber der Arbeiter an der Politik sich betheiligt, um
jenen erſten und größten Krebsschaden der Gegen-
wart, dem der zweite nothwendig anhängen m u ß, zu be-
seitigen dann wird und muß er ſich abwenden von der
Politik, wie sie die meiſten unserer Herren Fabrikanten ver-
ſtehen ' nemlich von der national-liberalen , der preußen-
freundlichen , welche einzig eine Politik iſt der Bedrickung
und Unterdrückung des Volkes durch direkte und indirekte
Militärleiſtungen ; dann wird und muß er mehr und mehr

ſich zuwenden, welche nur in der gänzli-

derjenigen Partei ſi . in
<en Umtehr auf dem betretenen Weg und in einer lotalen



Umgestaltung der gegenwärtigen Politik das einzige Heil


 
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