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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Kainzbauer, Ludwig: Zur Reform des Kunstlebens, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0037

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Die Werkstatt der Kunst

keäaktem: fritz HeUwag.

VII. Jabrg. Heft 2. s 21. Okt. 1907.

In äi«7ern rteite unserer Leiffckriff erlsUen xvlr jeclern Künstler üss freie Mort. Mir sorgen clafür, clai; keinerlei
Angriffe auf Personen ocler Senossensckaften sbgeclruckt werclen, okne cla6 vorder üer Angegriffene clie Möglicktkeit geksbt
kätte, in cleniieiben IZeffe ;u ervviclern. Oie kectaktion kält lick vollltänclig unparteiilck uncl gibt clurck clen ^bctruck keineswegs
eine llebereinstiinrnung rnit cien auf cliele Meile vorgetragenen Meinungen ;u erkennen.

von Ludwig
Angeregt durch die Artikel über dieses Thema in der
„Merkstatt der Kunst" erlaube ich mir aus Grund meiner
langjährigen und vielseitigen Erfahrung auch einiges bei-
zutragen. Meine früheren Vorschläge haben keinen Wider-
spruch erfahren, obwohl sie manchmal gegnerisch gehalten
waren. Mein heutiger Aussatz wird den Idealisten nicht
zusagen, jedoch glaube ich, daß mit dem Idealismus keinem
Menschen geholfen werden kann, sondern nur reale Vorschläge
praktischen Mert haben, wenn sie auch oft sehr häßlich sind.
Um nun die Sache gründlich anzupaeken, muß man
drei Abschnitte machen, aus denen das Kunstleben besteht,
nämlich die Lehrzeit, die Erzeugung der Werke und die
Verwertung. Man muß untersuchen, welchem Lebenslauf
der Künstler ausgesetzt ist, und wie dieses oder jenes zu
verbessern sei. Bis zum dritten Punkte der Verwertung
der Kunstwerke geht es ganz leicht, aber gerade dieser Ab-
schnitt macht Sorgen und Denken. Zuerst sind also die
Lerngelegenheiten zu untersuchen, die Akademien und Privat-
kunstschulen. Vor der Gründung der ersten Akademie durch
Laraeci war sowohl der Beruf als die Unterrichtsmethode
handwerklich. Ein junger Mann, der z. B. gern Maler
werden wollte, wurde zu einem Meister in die Lehre ge-
geben, um nach Jahren Gehilfe und selbst Meister zu
werden. Gb dieser pandwerksunterricht besser war wie die
heutige Akademie, wäre noch zu entscheiden. So viel steht
jedoch fest, daß alles, was man praktisch nennt, besser ge-
lehrt und gelernt wurde. Allerdings hat man an manchen
Akademien in den letzten Jahren auch in praktischer Be-
ziehung vieles Gute eingeführt, jedoch dieses fortwährende
von früh bis abend in der Werkstatt zubringen, jeden
Griff vom Meister oder Gehilfen absehen können, die Be-
steller und Käufer kennen lernen usw. hat man heute nicht.
Malermeister gibt es in der heutigen Kunst nicht mehr,
sondern Professoren nnd Assistenten usw., deren Amt es
nicht ist, sich mit dem einzelnen Schüler so zu befassen, daß
dieser die Erfahrung bekommt, wie sic der damalige Lehr-
ling und Gehilfe erwarb. Es wäre also daran zu denken,
im Kunstschulwesen manches zu verbessern, was nicht schon
verbessert ist. Vorschläge zu einer Kunstschulreform würden
aber einen neuen Artikel erfordern und es ist diese auch schon
vor Jahren in der „Knnst für Alle" durch Prof. Linden-
schmitt und in der Broschüre Ideen über Zeichenunterricht
und künstlerische Berufsbildung von Vr. Georg pirth und
anderen in ausgezeichneter Weise angeregt worden. Ich
denke mir das Ideal einer Kunstschule so, daß darin alles
gelehrt werde, vom Baue eines pauses oder Palastes, eines
Museums an, bis zu dessen vollständiger Fertigstellung, zur
Gebrauchsfähigkeit und Ausschmückung, wenigstens im
Entwurf, wenn schon die wirkliche Ausführung an einer
Schule unmöglich ist. So müßten die Kunstgewerbeschulen
mit den Kunstschulen einfach verbunden werden. Des
weiteren müßten so viel als möglich Fachlehrer da sein, so
daß, wie Prof. Lindenschmitt meint, die Schüler Gelegenheit
haben, für ihr gewünschtes Fach auch deu betreffenden
Meister zu finden. Ist der eine nicht geeignet, ein gutes
wand- oder Staffeleibild zu malen, so fände er Gelegenheit,
sich in einem anderen Fache zu versuchen, z. B. im Ent-
werfen von Türdrückern, Möbeln usw. Kann er nicht
Gelmalen, wird es mit Dekorationsmalen versucht, wäre

Graz - Stiftingtal.
der Fachlehrer da, brauchte sich mancher nicht erst mühsam
autoditaktisch zu bilden. Durch die Mannigfaltigkeit der
Privatkunstschulen ist in neuer Zeit ein außerordentlicher
Fortschritt schon gemacht worden, auch manche staatliche,
wie die Berliner Kunstakademie, haben sehr große Ver-
besserungen erfahren.
wer aber ist das Publikum, aus dem sich die Kunst-
schüler rekrutieren? Die meisten Kunstschüler liefert unsere
Mittelschule. Sehr häufig wird das Studium aufgegeben,
weil man etwas besser zeichnen kann oder gar Kompositionen
macht, die den unverständigen Eltern oder Verwandten
imponieren und wenn der Vater lang nicht nachgibt, die
Mutter erreicht es schon für ihren Liebling, und dieser
kommt auf die Kunstschule. Der Junge (leider kommt
das häufig vor) scheut das Studium des Latein und der
Mathematik und erblickt in der Kunstakademie eine sehr
angenehme Schule voll Freiheit, und dann ist das Zeichnen
und Malen tatsächlich viel vergnüglicher als Latein und
Mathematik büffeln. So kommt der Jüngling aus der
Mittelschule in die Akademie, vollkommen ohne Lebens-
erfahrung, den Kopf voll von Luftschlössern, und auf der
Akademie wird der herrlichste Idealismus gepflegt, der die
Luftschlösser noch ausbaut. Die schönste Zeit meines Lebens
war die auf der Akademie verbrachte. Sechs und mehr
Jahre hat man eine herrliche Fata Morgana gesehen. Ist
das Studium aus, ist Luftschloß und Fata Morgana fort
und diese elende reale Welt bietet sich dem Künstler dar.
Unpraktisch, ohne Lebenserfahrung steht man da. Zudem
sind mit dem Verlassen der Akademie auch eine Menge
Nittel verloren, z. B. das freie Atelier, das Modellgeld,
auch oft ein Stipendium. Es geht oft dem Akademiker
schlechter wie einem Sperling, dieser lernt wenigstens
fliegen und sein Futter suchen, bevor er das Nest verlassen
muß, jener verläßt das Nest, Akademie, ohne das er gelernt
hat, sich zu bewegen und seinen Lebensunterhalt zu finden.
Ist er ein Genie oder ein reicher Mann von Pause
aus oder gar beides zugleich, so ist das nicht von Belang,
er ist einfach der glückliche Mensch, der nicht nur keine
Sorge, sondern auch alle Mittel hat, sich weiterzubilden
und zu warten, bis seine Zeit gekommen ist. Für Talente
ersten Ranges und vermögende Leute ist dieser Artikel aber
nicht geschrieben. „Aber wer kein Talent hat, soll sich ein-
fach der Kunst nicht widmen," hört man sagen. Ja wenn
man wüßte, ob ein junger Mann Talent hat. wie viele
fangen sehr schwerfällig an und werden die bedeutendsten
Künstler, und wie viele werden von ihren Kollegen auf der
Schule bewundert, um später nichts zu bedeuten. Das
Talent muß nicht gleich von Anfang an da fein, es kann
auch kommen, ja es kann durch güuftige Umstände geweckt
werden, es ist überhaupt noch ein psychologisches Rätsel.
Man hat eine Menge Beispiele, daß mächtige Talente aus
den verschiedensten Ursachen verkümmern und für ganz talent-
los gehaltene Menschen zum Genie werden. Ls kommt
im Leben überhaupt nicht auf das Individuum allein,
sondern auch auf das Milieu an, in dem es sich bewegt.
Ich habe in meiner Unterrichtspraxis erst passiv, dann
aktiv gefunden, daß schon ein Viertel der Menschheit Be-
gabung für die Malerei zeigt, wie viele ringen sich durch?
Also, es hat natürlich jedermann das Recht, irgend eine

Tur Reform cles RurMebens.
Kainzbauer,
 
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