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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Schulze, Theodor: Ein frischer Luftzug nach Hannover, 3
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Staatliche Kunstpflege / Aus Galerien und Museen / Aus Akademien und Kunstschulen / Personalien / Auszeichnungen / Todesfälle / Vereine
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0487

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Pest 55.

Die Werkstatt der Kunst.

483

Em frischer Lustzug nach Hannover. III.
Der „Kunst verein für Hannover" sandte uns
folgendes Schreiben, datiert vom 8. Mai:
Der verehr!. Redaktion der „Werkstatt der Kunst" be-
stätige ich den Empfang der mir gefälligst übersandten
Nummern Ihrer Zeitschrift, deren Inhalt mir Veranlassung
gibt, Ihnen nachstehende Mitteilungen zukommen zu lassen.
Die in Nr. 30 besprochene Entfernung des aus Privat-
besitz stammcndeu „weibl. Aktes" von Pntz aus unserer
Ausstellung erfolgte auf Beschluß sämtlicher zurzeit an-
wesenden Vorstandsmitglieder, weil das Bild bei vielen
Besuchern, namentlich aus der Frauenwelt, große, energisch
geäußerte Entrüstung hervorgerufen hatte. Da unsere Aus-
stellung noch zahlreiche weibliche und männliche Akte, sowie
Gemälde nnverhüllter weiblicher Gestalten enthielt, die von
niemand beanstandet wurden, so darf gefolgert werden, daß
das entfernte Bild trotz seines Kunstwertes Eigenschaften
gehabt haben muß, die den Vorstand zu feinem vorgehen
berechtigten.
Was die übrigen kritischen Bemerkungen Ihres han-
noverschen Berichterstatters über die Leitung des hiesigen
Kunstvereins anbelangt, so mag es der Beurteilung der
deutschen Künstlerschaft überlassen bleiben, ob die Kritik
des Gewährsmannes sich mit der hohen Blüte des Kunst-
vereins für Hannover und feiner großen, stetig wachsenden
Bedeutung für die Kunst in Einklang bringen läßt.
IKeoü. Lctiulre,
Sekretär des Kunstvereins für Hannover.
Zu uuseren Artikel« in den heften 30 und Zl. nimmt
nun auch eine hannoversche Zeitung, der „hannoversche
Anzeiger", in einein Feuilleton der Nr. ;20 vom 22. Mai
Stellung und bestätigt unsere Angaben über die unwürdigen
Zustände im hannoverschen Kunstverein in jeder Hinsicht.
Der „hannoversche Anzeiger" schreibt:
„Bei uns liegt nicht die Notwendigkeit vor, zahllose
Ouadratmeter Wandsläche zu verhängen, man könnte also
für den um soviel geringeren Bedarf eine weit strengere,
weit gewissenhaftere Sichtung vornehmen, wenn man sich
endlich entschlösse, mit dem lächerlichen Unfug der
,Reservebilder' und des periodischen Um hänge ns
endgültig zu brechen.
Mit Recht wird dieses Aussüllen aus deu Kellerräumeu
uud das Wiederversenkeu iu die verließe mit Bitterkeit
verspottet. Es stellt eine eigenartige Praxis dar, die sonst
nirgendwo geübt wird, und deren Motive zu ergründen
vielleicht nicht ganz uninteressant wäre. Viel-
leicht machen wir diesen versuch später einmal.
Für heute möge die Feststellung genügen, daß immerhin
eine Reihe von Kunstwerken dein eigenartigen Dekorations-
wechsel nicht zum Opfer zu falle« pflegt, sei es, daß die
Autoren Sonderbedingungen vereinbart haben, sei es, daß
der Grundsatz des ,mit gleicher Elle Messens' im hannover-
schen Kunstverein keine Geltung hat."
Ls folgt dann ein Bericht über den „Fall putz", an
den der „hannoversche Anzeiger" folgende Betrachtung knüpft:
„Wer heutigentags die Ehre hat, von einer so
großen Zahl Gebildeter mit Vertretung ihrer Interessen in
Kunstfragen betraut zu sein und über so große Summen
fremden Ursprungs zu kunstsörderndeu Zwecken zu ver-
fügen, der müßte sich doch in erster Linie darüber klar sein, daß
seine Ausgabe nicht darin bestehen darf, den Peerbann der
Nuditätenschnüffler und Sittlichkeitsapostel zu verstärken.
Wer sich durch pietistische Neigungen oder aus irgendeiner
anderen Veranlagung, die ein unabhängiges Urteil in
Kunstsragen ausschließt, im miudeften befangen fühlt, der
dränge sich nicht an die Spitze eines Vereins, der
nur daun seine Daseinsberechtigung erweisen kann, wenn
er dem gesamten modernen Kunstleben eine Freistatt gibt.
Mit solchen Grundsätzen, wie sie hier nrdi et orbi
verkündet werden, regiert man den ehrwürdigen

Verein langsam, aber sicher zugrunde. Man fordert
es heraus, daß kein Künstler von Ansehen mehr unsere
Ausstellungen beschickt, bei denen er über Annahme oder
Ablehnung seiner Werke das krasseste Philistertum zu Gericht
sitzen weiß.
„Nein, meine perren, Sie haben weder die Ausgabe
noch das Recht, über die Moralität ihrer Vereinsmitglieder
und ihrer nicht korporierten Mitbürger zu wachen und der
Meffentlichkeit eine ,geniale Malerei' vorzuenthalten, weil
sie Ihnen als unanständig erscheint. Der Kunstverein,
den Sie zu vertreten noch die Ehre haben, untersteht weder
der Kontrolle eines Hohen Konsistoriums, noch der
Entscheidung eines kunstverständigen Kriminalschutz-
mannes — er ist weder die Dependance einer Höheren
Tächters chule, noch ein Erziehungsmittel für die (puarta."
Zu unseren Bemerkungen über die seltsame pand-
habung der „Iurst" sagt der „pannoversche Anzeiger":
„Man kann nicht sagen, daß der Verfasser dieses
Artikels mit seinem verdammenden Urteil über das Ziel
hinausgeschofsen hätte. Die hier geschilderten Zustände
sind in der Tat so unbegreiflich krähwinkelhast,
daß sie in einer Stadt von dem Range Pannovers und
innerhalb einer Bevölkerung, die sich durch Liebe zur Kunst
und hohes Verständnis für sie seit jeher ausgezeichnet hat,
nur gleichsam durch ein Wunder so beklagenswert lange
haben in Geltung bleiben können. Wenn die leitenden
Männer den Zweck verfolgen würden, alle bedeutenden
Künstler von unseren Ausstellungen wegzuekeln, — sie
hätten kaum ein sicherer wirkendes Mittel, als die oben
charakterisierte Forderung eines schriftlichen Befähigungs-
nachweises erklügeln können.
„Zur Krönung aller gegen die Vereinsleitung erhobener
Beschuldigungen teilt uns ein geschätzter Gewährsmann
mit, daß für die jüngst stattgehabte Ausstellung 75 Bilder,
in Worten: fünfundsiebzig Bilder von einem Mün-
chener Kunsthändler bezogen morden sind!
„Wir konnten nicht seststellen, um welche Bilder es
sich dabei handelt. Aber es gibt nur zwei Möglichkeiten:
entweder diese 75 stellten die Elite der Ausstellung dar,
dann beweist das, daß man schon zu solcher: ungewöhn-
lichen Mitteln greisen muß, um nur einige Namen in den
Katalog zu bekommen; oder diese 75 zählten zn den Mit-
läufern, dann würde sich ihre Einreihung als ein im höch-
sten Grade ungehöriger, mit den Interessen des Kunst-
vereins gröblich kollidierender versuch darstellen,
die Geschäfte eines Fernstehenden, eines wenigstens
dem Verein als Gesamtheit Fernstehenden zu besorgen.
Es wäre wahrlich nicht verwunderlich, wenn an diese in
aller Welt verpönte Praxis allerlei erklärende Kom-
binationen geknüpft würden, gegen die sich öffent-
lich zu verteidigen die Ehre der Beteiligten sehr
wohl erfordern könnte."

Ztaatlicke Kunllpflege.
Verfügung stellen. Für die plastischen Künste hatte Berlin
das gleiche schon vor einiger Zeit getan. Es wurde eine
Kommission eingesetzt, die diese Anregung der Berliner
Künstlerschast in Erwägung ziehen und weiteres in Vor-
schlag bringen soll. (Line solche Ueberweisung an eine
Kommission pflegt meist ein Begräbnis erster Güte zu
sein! — Red.)
Bern. Nach einem von perrn Abt im „Schweize-
rischen Kunstverein" erstatteten Bericht haben die eidge-
nössischen Kunstkredite in den acht Jahren ; 900—t 907
betragen total: 587 500 Frcs.; hiervon sind aus direkte
Ankäufe von Kunstwerken verwendet worden: 88^05 Frcs.
(von deutschen Künstlern) und 8; 950 Frcs. (von welschen
Künstlern), zusammen t"OO55 Frcs.; durch Vermittlung des
schweizerischen Kunstvereins weitere 63 000 Frcs., im
ganzen: 233 055 Frcs. Der Rest des Kunstkredites von
35H-^5 Frcs. aber wurde ausgegeben für Stipendien, all-
 
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