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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Hellwag, Fritz: Der "Werdandi-Bund" in Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0261

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Die Werkstatt der Kunst
keäakteur: HeUrvag. VII. Jakrg. Heft 19. n 10. ^ebr. 1908.

-üngi-iN« aus Personen ocler GenoNenscdLsren abgectruckl ivercten, okns ctsS vorder cler )Ingegrifssne ctie Mögttckkeit geksbr
Kälte, in clernseiben IZeNe zu erveictern. Oie Nectsktion KLU sicd voiNtLnclig unparleiisck unci gibt ciurcb clen ^Ubciruck keinestpegs
— eine Nebersinstirnrnung init clen auf cUele Meise vorgetrsgenen Meinungen zu erkennen.

Oer „Merclancli-Vunct" in Oertm.
Don Fritz Hellwag.

Sind Sie krank?? Wenn ich Sie sprechen
könnte! Sie stehen am Rande des Grabes! galten
Sie ein!! Ich meine Sie!!!
s. Spüren Sie nicht nach dem Dahinstürmen
der großen Flutwellen ein Nachlassen der Kraft, ein
langsames Verebben? 2. Leiden Sie nicht an Ueber-
empsindsamkeit und Philophastcrie? 3. Ist Ihnen
un Hochmut unfruchtbarer Selbstbesahung die Furcht
vor den: Thode abhanden gekommen? Haben
Sie an der Stelle, wo die gesunde deutsche Gemüts-
grundlage sich befinden sollte, nur noch einen „bloßen
Geschmackshintergrund"? 5. Begaben Sie sich mit
ausfallendem Behagen irr das Gebiet des Dekadenten?
6. Empfinden Sie öfters jenen eigenartigen Geschmack,
der keine Faser der Verbindung mit den edelsten
Gemütsantrieben festhält? 7. Leideis Sie zuweilen
an Verschwommenheit im volklichen Denken? 8. Sind
Sie durch vorwiegende Reflexion irregeführt und ist
die Harmonie Ihrer seelischen und geistigen Kräfte
gestört? 9- Lfl't Ihr natürliches Gefühlslebeis
durch die Vorherrschaft des Verstandes gelähmt?
(0. Fürchten Sie infolgedessen die Vernunft einzu-
büßen? s s. Sehen Sie manchmal an den Wänden
an Stelle von Gemälden Zerrbilder Ihrer Seelenver-
fassung? s2. Habeis Sie gelegentlich Ihre natürliche
Wurzelkraft verleugnet? s3. Betäubten Sie Ihr
besseres Ich in einem fieberisch bewegten, innerlich
bedeutungslosen Dasein? sfl. Sehen Sie Ihren
psychischen Schwerpunkt in der pariser Dekadenz ge-
legen? s5. Erschöpfen Sie sich leicht im Technischen?
s6. Gehört die seelische Inhaltlosigkeit zu Ihrem
eisernen Bestände? usw. usw.
Wollen Sie gesund werden? Wünschen
Sie in Ihr höheres innerliches Ich befördert zu
werden?
So versuchen Sie bitte künftig keine Analyse
des psychischen mehr, sondern nehmen Sie ver-
trauensvoll nach unsrer Urväter Rezepte: drei Teile
edlen Zartsinn und einen Teil frischen Humor, ver-
mengen beides tüchtig mit je zwei Teilen Tiefe,
Wahrheit und Stärke, dann werden Sie die Tharaktcr-
werte haben, deren Ihre Kunst künftig bedarf. (Zu
Ihrer allmählichen Entwöhnung gestatten wir Ihnen
anfänglich ein kleines prischcn Monet oder Manet
beizumischen, aber „deutschen Sie es gut ein" und
lassen Sie um Gottes willen die Psyche beiseite!)
Dieses wird Sie bald wieder zum urkräftigen

Schaffen in deutschem Geiste hinausweisen und Ihre
Seelenkraft durch das Mittel der Kunst erhalten und
stärken. Sie werden so einer höheren harmonischen
Gesittung entgegengeführt und werden Brücken
schlagen vom Wissen zum Fühlen. Es wird dann
nicht mehr, was Ihrer Tiefe entquillt, ungenützt
bleiben; Ihrer Art Schwäche wird nicht mehr Mangel
an Begrenzung sein, aber Ihrer Art Stärke wird
bleiben ein überfließender Reichtum . . . Amen.
Was ist? Was war?? Was wird sein???
Wer-dann-die Fragen beantwortet? .....:

Vor kurzer Zeit ist in Berlin ein Bund zur
Rettung der deutschen Kunst gegründet und, nach
einer Norne der deutschen Sagcnzeit, „Werdandi"
genannt worden. Mit der Gründungsfeier war
eine Ausstellung solcher Bilder verbunden, denen die
Veranstalter das rühmende Etikett „echt deutsch"
anheften zu müssen glaubten. -— Diese Gemälde-
ausstellung war aber beinahe nebensächlich gegen-
über der Propaganda in Wort und Schrift für die
Wiedererweckung der deutschen Kunst. Professor
Henry Thode hielt eine, von der geladenen „besten
Gesellschaft Berlins" sehr beifällig aufgenommene
Rede, aus der ein Bruchstück in der nächsten
Nummer dieses Blattes wiedergegeben werden soll.
Weitaus den größten Raum beanspruchen aber
in den Veranstaltungen des Werdandi-Bundes zuerst
die bombastischen Prospekte des Vorsitzenden Seeßel-
berg und dann die vor: ihm herausgegebene Zeit-
schrift „Werdandi". Beide enthalten einen un-
geheuren Phrasenschwall, der die schreckliche Krank-
heit der deutschen Kunst beweisen soll und gewiß
den blassen Neid der Gesundbeter von Klein-Glienicke
erregt hat. Die im ersten Teil meines Berichtes
wiedergegebenen superlativen Phrasen habe ich mir
aus diesen Prospekten und der ersten Werdandi-
Nummer zusammengesucht und könnte sie leicht um
Dutzende vermehren. Sie kennzeichnen die Tendenz
des Werdandi-Bundes, dieser spezifisch berlinerischen
Gründung. Was der Bund eigentlich unter der
„Wiederbelebung der deutschen Kunst und Art" ver-
steht, ist in dem Buche Secßelbergs „Volk und
Kunst" niedergelegt, welches den Anstoß zur „Wer-
dandi-Gründung" gegeben hat. So sehr Herr Seeßel-
 
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