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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Wir Ausnahmen... Eine Neujahrsbetrachtung
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Die Werkstatt der Kunst

keäaktem: fritz HeUxvag.

VII. ^sakrg. -ik !)ekt 13. s 30. Oez. 1907.

In Bietern rteile unterer LeittckrM erteilen vir jsäern Rünltier cias freie Mort. Mir sorgen ctLtür, clalZ keinerlei
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- eine Oebersinstirnrnung rnit clen auf ctiess Meile vorgetragenen Meinungen zu erkennen. .

Mr Ausnahmen . . . Eine Heujakrsbetracktung.

Große Abendgesellschaft. Die Herren iin Frack, Damen
in Soireetoilette. Feilt nnd sehr nobel. Lin einziger perr
im gewöhnlichen schwarzeit Anzng, ein bißchen vernegligiert,
statt der Zigarette oder Zigarre eine kurze englische Pfeife
im Mund. Lin anderer gestattet sich zu einem dritten die
bestürzte, aber diskrete Frage: „Um Gotteswillen — wer
ist denn der Mensch dort? Schaun Sie, wie der nur von
den anderen absticht! . . ." Lin gelassenes, verzeihendes
Lächeln ist die Antwort: „Ich bitte Sie — das ist der
Bildhauer N. . . . Sie wissen doch, einem Künstler ist so
manches gestattet." Darauf ein verständnisvolles „Ach so
. . . na ja, natürlich . . ."
wir Künstler sind Ausnahmemenschen, das ist ab-
gemacht. Man sieht uns es nach, wenn unser Beinkleid
nicht tadellos gebügelt, unser Kragen manchmal zerfranzt
ist. Wenn wir die paussrau mit „Frau Soundso" an-
sprechen, während alle anderen „Gnädige Frau" sagen.
Man macht sich nichts daraus, oder wenigstens nicht allzu-
viel, wenn wir bei Tisch das Messer zum Munde führen,
wofür jeder andere Sterbliche für einen krummen pund
erklärt wird. Wir sind Ausnahmen. Wir dürfen auch
aus absonderlichen Stoffen unsere Kleider machen lassen . . .
„ich bitte Sie ... ein Künstler!" sagt man halb Mitleids-,
halb ehrfurchtsvoll.
wir dürfen bis ein Viertel nach t2 schlafen und bis
3 Uhr nachts im Kaffeehaus sitzen, ohne daß man uns
darum einen Nichtstuer oder Lumpen nennt. Uns ist dies
gestattet, denn mit der Morgendämmerung kommt die In-
spiration, behaupten wir einfach. „Freilich . . . freilich . . ."
sagt der gutmütige Bourgeois dazu, „Sie müssen ja auch
nicht um halb neun im Geschäft fein wie ich." perrlich!
wir sind Ausnahmen! In unserem Atelier ist uns so
manches erlaubt, das im anständigen bürgerlichen peim
verpönt würde, unsere Gesellschaftsformeln dürfen sich von
denen anderer gewöhnlicher Menschen wesentlich unter-
scheiden, denn wir stehen ja „außerhalb der gesellschaft-
lichen Gesetze". Wir dürfen in Gegenwart anderer ein
Kunstwerk, das uns nicht zu Gesicht steht, ruhig als
„dreckigen Kitsch" bezeichnen und fragen: „wer ist eigent-
lich diese linienlose, ekelhafte Schnauze dort drüben?" —
denn wir sind ja Künstler, und — oh herrliches Gefühl! —
Ausnahmen.
Ja, Ausnahmen. Aber auch in anderer Einsicht. Ist
es dir, liebenswürdiger Kollege, noch nicht passiert, daß ein
Atelierbesuch, der deine Werke bestaunt hat, während du
leise pfeifend, die pände in den Posentaschen, selbstbefriedigt
dabeistandest, plötzlich einfach gesagt hat: „Das könnten Sie
mir schenken." Der Atelierbesuch ist vielleicht eine Dame,
eine hübsche natürlich, oder ein gewesener oder ein Be-
steller in spe, kurz jemand, auf den du Gewicht legst.
Und noch ehe du geantwortet, fügt der Besuch hinzu: „Sie
machen so was alle Tage — für Sie ist das gar nichts"
— oder „ich hab' mir schon lange vorgenommen, daß ich
von Ihnen ein Andenken haben muß." Dabei zeigt der
Besuch auf eine Skizze, ein kleines Bild, das man innerlich
mitunter als eines seiner besten hält, ein paar Striche
vielleicht nun allerdings, wie sie einem nicht alle Tage ge-
lingen, an denen man hängt oder die — und das ist das

wichtigste — sich eines Tages gut verkaufen lassen. Du bist
aber eine Ausnahme, und willst du dein allgemeinen Glauben,
daß „so was bei Ihnen in jeder Ateliercke herumliegt",
„du so was alle Tage machst", usw. —- nicht einfach ins
Gesicht schlagen — dann dediziere wortlos deinem Atelier-
besuch das bezeichnete Kunstwerk (besonders wenn du, wie
gesagt, Gewicht auf seine Freundschaft legst) und finde
Trost in dem Gedanken, daß du ja eine Ausnahme bist.
Freilich ist es nicht Gepflogenheit, feinem Freund, dem
großen Schneidermeister T. in der Friedrichstraße, einfach
zu sagen: „Diesen Anzug, oder diese Soireetoilette könnten
Sie mir schenken -— ich wollte schon so lange von Ihnen
ein Andenken besitzen." Oder daß ein Freund zu perrn
Krupp sagt: „Weich' herrliche Kanone — die müssen Sie
mir zur Erinnerung geben" — oder daß zu dem Juwelier Z.
sein alter Freund sagt: „GH, der prachtvolle Ring — der
wird mich ewig an unsere Freundschaft erinnern." Und
dies ist darum nicht Gepflogenheit, da ja die Leute wissen,
daß das Ware ist, die Geldeswert hat, eines Tages ver-
kauft, in Geld umgewandelt wird, daß von dieser Um-
wandlung der Schneidermeister perr Krupp, der Ju-
welier Z. lebt — daß es also ein Unding ist, solches zu
sagen. Und wenn solch liebenswürdiger Atelierbesuch so
läppischen Unsinn spricht, vergißt er ganz, daß dem Schneider-
meister T. und perrn Krupp seine Werke täglich gelingen,
eines besser ausfällt, als das andere, — während du, armer
Freund (ich meine mich!), froh bist, wenn du im Kampf
ums Dasein nur alle heiligen Zeiten was machst, das dich
innerlich befriedigt, das du für gut hältst, und das eines
Tages —- was doch so selten, so selten ist! — in viel und
gutes Geld verwandelt werden kann, wenn du erst „einen
Namen" hast, oder sich jemand findet, dem es auf einen
Reinfall nicht ankommt. Aber wir sind ja Ausnahmen.
Keinem Geschäftsmann wagt man es, solch eine Bitte mit
so ruhigem Antlitz vorzutragen — aber der Künstler ist ja
eine Ausnahme. Lr „macht so was mit ein paar Pinsel-
strichen, alle Tage, für ihn ist das nichts." Wenn du aber
zur Antwort gibst, daß das Ware ist, Verkaufsware, die
zum Inventar deines Geschäftes gehört, dein Geschäft,
von dem du lebst — dann wird der Atelierbesuch, nach-
dem er freundlich von dir Abschied genommen, auf der
Treppe sagen: „So eine Frechheit! — er soll sroh sein, daß
man was von ihm besitzen will" — oder „wo er sowieso
solche Fetzen zu Dutzenden im Atelier Herumliegen hat!" —
Ja, es ist herrlich, was für Ausnahmen wir find.
Aber noch in ganz anderer Pinsicht sind wir Aus-
nahmen. Daß du bestohlen und betrogen werden
kann st, ohne daß ein Gesetz dazu rnit eirrem Muskel
zuckt — wie oft war hier davon schon die Rede! Du
machst eine gute Zeichnung, hast deine liebe Mühe, sie zu
plazieren, nachdem du oft Brief um Brief geschrieben, manchen
Tag in den Redaktionen verloren — dann kommt ein Kerl,
zeichnet sie nach und macht statt Augenwimpern i6,
läßt sein Werk irr einem anderen Blatt erscheinen, natürlich
mit seinem Namen — gewöhnlich in einem Blatt, das dir
nicht zu Gesicht kommt — und du mußt dazu hübsch das
Maul halten. Denn du bist eine Ausnahme, und wenn
du überhaupt das Geld hast, den Mann zu verklagen, wird
das Gesetz einwerrden: „Das ist kein Plagiat — denn siehe,
statt Augenwimpern befinden sich hier — also . . .!"
 
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