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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Beauclair, A. W. de: Wir Ausnahmen!
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0205

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Die Werkstatt der Kunst

Keäakleun ^rilz hettwag.

VII. ^akrg. Heft iZ. tj- 13. Jari. 1908.

In cli«7eni ^eile unserer Leiterin erteilen vir jecteni klünstier clas freie Morl. Mir sorgen ctstür, claS keinerlei
Angriffe auf Personen octer SenoNenscksfien adgeclruckt wercten, okne ctaS vorder cler Angegriffene clis Möglicdksit geksbt
KLtte, in Äsinseiben tzeste ;u erwictern. Vie lieciLklion KLU tick voiitlLnctig unparleiis^r unä gibt cturcb clen Rb-iruck keineswegs
- eine vebereinstirnrnung rnit clen auf cliese Meile vorgetragenen Meinungen ;u erkennen.

Mr Ausnahmen!

Die „Neujahrsbetrachtung" in Pest ;3 hat „einge-
schlagen" und die Federn vieler Künstler in Bewegung
gesetzt, meist für Zustimmungskundgebungen. Nur
perr de Beauclair wendet sich dagegen. Wir spüren
wohl den echten Kern in seiner nachstehend abgedruckten
Entgegnung, können uns aber durchaus nicht mit der Per-
vorkehrung des glücklich überwundenen Diefenbachschen
Kohlrabi-Apostel-Standpunktes einverstanden erklären. Ge-
rade der pathetische Samtrock-Idealismus und der „Strahlen-
glanz" der alten Meister sind in unseren Tagen glücklicher-
weise zum Popanz und Ammenmärchen geworden. Die
echte Begeisterung sei Inhalt und nicht Form, in die
man sich gewaltsam hineinlebt, um sich dann nach Belieben
„gehen zu lassen". Die Schristleitung.
Jawohl! — Aus nähme mensch!
Lr mag vielen, sehr vielen Kollegen gefallen haben,
der Artikel „Wir Ausnahmen" . . . eine Neujahrsbetrach-
tung in Pest fZ der „kV. d. K." Auch mir hat er gefallen,
jedoch nur der flotten Schreibart wegen. Inhaltlich weniger.
Man soll sich nicht über Kollegen lächerlich machen. Der
Künstler hat keinen Grund, die anormalen Sitten und Ge-
wohnheiten des heutigen Gesellschaftslebens mitzumachen,
auch nicht, wenn inan ihn als Ausnahme betrachtet. Ls
ist jammerschade, daß er schon damit begonnen hat, die
Sitten des Tommis-Vo^uZenr für untadelhaft anzuerkennen,
daß er seine Ausnahmestellung nicht wahren will. Lr muß
den Bart nach englischer Unsitte gestutzt tragen; hohe Steh-
umlegkragen sollen Wohlanständigkeit und Noblesse ver-
raten; Rock, Schnitt . . . alles Tip-Top. Warum? Wozu?
Lr verliert dadurch viel. Derselbe Künstler wird aber da-
gegen auftreten und protestieren, daß in verschiedenen Land-
strichen unseres Vaterlandes die schönen Volkstrachten ab-
gelegt werden und verschwinden, die fast jedem Stamm ein
eigenes malerisches und erkennendes Gepräge verliehen
haben. Warum legt er aber den malerischen und absolut
praktischen Saintrock ab? Wir haben gerade in dieser
schweren Zeit absolut nötig, eine Ausnahmestellung zu
forcieren! Das allein wird uns ja über Wasser halten,
verschwinden wir in der Masse und auch im geschäftlichen
Leben unter dem Pute der Kaufleute, so sind wir verloren.
Gerade unsere Ausnahmestellung gibt uns Kraft und
Ueberlegenheit. Sie ermöglicht auch, daß wir einmal in
selbstverständlichster Ruhe einem reichen Geldprotzen für eine
kleine Studie 500 bis tOOO Akk. abverlangen und eventuell
erhalten; sie trägt dazu bei, daß wir an die Festtafel der
Reichen auch als Bohemien gelangen, paben wir uns
erst einmal in die Klasse der Geschäftsleute begeben, dann
wehe uns. Dann werden wir mit Recht auch so behandelt und
ein künstlerischer Wert wird illusorisch. Da wäre es ja sehr
einfach, wenn man festsetzte, daß ein (Quadratmeter bemalter
Leinwand so und so viel kostet und ein Kilo Goldrahmen
so und so viel. Nein, ich glaube, wir wollen Ausnahmen sein
und Ausnahmen bleiben — auch im Geschäftsverkehr, wir
wollen gar nichts damit zu tun haben, wie man Geschäfte

betreibt auf unserem heutigen Erdball. Wir erfinden uns
absolut original unseren eigenen Geschäftskniff. Wenn
wir auch manchmal dabei hereinfallen, es wird uns lieber
sein. Wir wollen gar nicht, daß man gelegentlich nicht
über uns spricht. Wir amüsieren uns königlich, wenn wir
uns wieder mal etwas erlaubt haben, worüber der königliche
Oberleutnant unmöglich geworden wäre. Wir haben das
Recht, auf unsere Ausnahmestellung stolz zu sein. Kein
Mensch, außer uns, bringt es fertig, so bescheiden zu leben
wie wir, wenn wir müssen; keiner versteht so großartig
den noblen Kerl zu spielen, wie wir, wenn wir es können.
Wir empfinden die größte Freude bei der Arbeit selbst,
nicht bei dem verkaufe, wir geben auch ein Bild für einen
neuen Samtrock hin! Die Reform, die der Künstler an-
streben sollte, um Ausnahmemensch zu bleiben, sollte ganz
wo anders einsetzen. Lr bemühe sich nur einmal, daß man
nichts Schlechtes über ihn reden kann; er vermeide pervers
zu sein, oder ein Lump. Freilich untergraben wir uns die
Macht der Ausnahmestellung, wenn man uns mit den
Droschenkutschern oder stellungslosen Kellnern und Zuhältern
bis zum frühesten Morgen im Nachtkaffee oder der Vorstadt-
spelunke hocken sieht. Da holt sich niemand eine gesunde
Inspiration. Der Künstler bemühe sich, lebensreformatorisch
zu sein, das heißt Schritt zu halten mit den geistigen Be-
strebungen der Zeit. Lr nehme den Kampf gegen den
gewohnheitsmäßigen Alkoholdusel auf, er sei Vorbild, Vor-
kämpfer des neuen verfeinerten Geschlechtes. Auch da kann
er und wird er Ausnahmemensch sein. Dadurch wird er
auch nicht in den Geschäftsstrudel gerissen werden. Wie
viele unserer Kollegen arbeiten und schinden sich ab mit
Zeichnungen für Luxusartikel, für Illustration oder Plakat,
nur um den enormen Ausgaben gewachsen zu bleiben, die
das Leben in der Großstadt heraufbeschwören. Wenn ich
nicht viele unter dieser Last seufzen hörte, wollte ich ruhig
sein. Das wären für mich dann moderne Geschäftsleute,
die eben jeden Pandel und Schwindel, jedes Betrogenwerden
aushalten müssen nach dem Grundsätze: Pält ers aus, is
er g'sund, hält ers nöt aus, geht er z' Grund. Aber es
stecken Künstler dahinter, und denen soll man als Kollege
einen ermunternden Zuruf zuwerfen. Werdet unabhängig,
selbständig, Kollegen! Im Sinne eines neuen Lebens!
Wir brauchen kein Kaffeehaus, keine Großstadt. Seid Aus-
nahmemensch im edlen Sinne, und man wird euch aufsuchen!
Dann braucht ihr nicht der Menge nachzulaufen. Stellt
euch vor, ihr säßet auf dem Lande, meinetwegen in der
Nähe einer Fremdenstadt, und ihr liefet nach Vorväterweise
im Künstlerflaus einher, langes paar umwallte Stirne
und Nacken; eure Frau im Reformkleid, originell das paar;
eure Kinder und Kindlein im leichten Trikot, im Pausgarten
nackt in der Sonne jauchzend. Glaubt ihr denn, inan würde
euch nicht aufsuchen, nicht für wertvolle Menschen halten?
Und wenn man darin noch hört, daß ihr nicht trinkt, kein
Fleisch esset (wenigstens nicht tagtäglich), daß ihr euer
Gemüse selbst baut und daß ihr nur dann zum pinsel
greift, wenn es euch recht froh ums Perze ist, wird man
euch weriiger für einen Künstler halten, als wenn ihr Bo-
hemien im verrufenen Sinne seid, im Sumpfe der Groß-
stadt ein ungesundes, aufreibendes Leben führt und nicht
froh werden könnt. Man wird euch aufsuchen, man wird
euch schätzen, man wird euch als Ansnahmemensch achten
 
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