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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Weiβ, Hermann: Die Organisation der kunstgewerblichen Zeichner
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0485

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Die Werkstatt der Kunst

keäakteur: fritz HeUnag.

VII. Jakrg. Hekt 25. 1. Juni 1908.

In cli eiern ^sits unterer Leittckritt erretten rvir jeclern Rüntrter ctas freie Mort. Mir torgsn ctstür, ctak keineriei
Angriffs auf Personen ocier Genottentckatren abgeckruckt rvsrcten, okne Ua8 vorder äer Angegriffene Ute Mögiicdkeit gsksdt
dLtte, in ciernieiben IZette zu erveictern. Oie kteäakrton Katt fick voiistänäig unparteiitcd unct gibt cturck äen Abctruck keinestvegs
. eins llebereinktirnrnung rnit äen aut cliets Meise vorgetragenen Meinungen zu erkennen.

Oie Organisation cker kunstge>verbUcken ^eicbner.
Von Hermann Weiß.

Während der Osterfeiertage tagte in Dresden ein
„Allgemeiner Deutscher Zeichnertag", welcher von
allen Vereinigungen der kunstgewerblichen Zeichner-
zahlreich beschickt war. Der Zeichnertag beschloß die Grün-
dung einer Linheits Organisation. Sie soll die wirt-
schaftlichen, sozialen und künstlerischen Interessen der Zeichner-
energisch vertreten. Man schätzt, daß gegenwärtig in Deutsch-
land an die 6000 kunstgewerbliche bezw. Musterzeichner tätig
sind, wovon den beteiligten Organisationen zusammen sioo
angchören. Die Einheitsorganisation wird demnach gleich
am Ansang ihrer Tätigkeit mindestens 2sfto der Zeichner
umsassen.
Der Gedanke der Organisation zur Wahrung und
Förderung vornehmlich der wirtschaftlichen und sozialen
Interessen hat nach und nach alle Berussschichten erfaßt.
Der ernsthafte Vorstoß der im Kunstgewerbe tätigen Zeichner
ist daher wohl erklärlich.
Vrganisationsbestrebungen sind bei diesen Zeichnern
allerdings schon seit 20 Jahren im Gange. Aber sie waren
meist nur örtlicher Natur oder sie beschränkten sich iu der
Hauptsache auf die Schaffung und Unterhaltung von Unter-
stützungs- und ähnlichen Einrichtungen. Nur der „Deutsche
Zeichuerverband", die größte der bisherigen Organisationen,
hatte seit einigen Jahren bewußt und energisch die Ver-
tretung der wirtschaftlichen und sozialen Interessen über-
nommen. Diese Betätigung sand uni so mehr Anerkennung,
je mehr sich ihre Notwendigkeit hcrausstellte. Denn die wirt-
schaftliche und soziale Lage der kunstgewerblichen Zeichner
ist nicht rosig.
Die Mehrzahl sind Angestellte der Industrie, d. h. also
abhängige Elemente, ähnlich den Technikern, Ingenieuren,
Handlungsgehilfen usw. Sie gehören, wie dicfe, zu dem
Stande der Privatangestellten. Wemrgleich nun auch neben
den angestellten ein erheblicher Prozentsatz „selbständige"
Zeichner existieren, so werden die Berussverhältnisse im
wesentlichen doch durch die Lage der Angestellten gekenn-
zeichnet und bestimmt. Diese Zeichner sind im modernen
Fabrikbetriebe als dienende Glieder ein rangiert.
Ihre Stellung ist selten diejenige, welche den Betrieb be-
herrscht. In den allermeisten Fällen regiert der Kauf-
mann. Und zwar derjenige, für welchen künstlerische
Erwägungen nur insoweit Berechtigung haben, als
sie sich mit dem Betricbsgewinn in Einklang bringen lassen,
ftöher hinauf geht's selten. Der Zeichner muß deu Inten-
tionen des Kaufmanns folgen, muß zugkräftige, neue Artikel
schaffen, um nur möglichst die Konkurrenz aus dem Felde
zu schlagen. — Eine solche Aufgabe ist nicht leicht! Sie
steht im ärgsten Widerspruch zu jenen idealen Aufgaben,
die jeder Zeichner bei seinem Eintritt in das Gewerbe
vorzufinden hoffte. —
Das gibt Gewissenskonflikte, die idealen Regungen
gehen nach und nach verloren. Sie sinder: dann höchstens
noch Nahrung in stiller künstlerischer Betätigung außer-
halb derBerusstätigkeit. Diese selbst wird zum nackten
Broterwerb!
Im engsten Zusammenhang damit steht die wirt-
schaftliche Position der Zeichner. Ls gibt zwar einzelne
Personen in leitenden Stellungen, deren Einkommens- und
sonstige Verhältnisse durchaus besriedigen. Die Masse der

Zeichner lebt aber unter derart drückenden Verhältnissen,
wie sie mancher qualifizierte Arbeiter nicht kennt. Trotz-
dem drängen sich noch zahlreiche Angehörige des
pandwerks zu diesem Beruf, wohl meist seiuer schein-
bar glänzenden Außenseite wegen. Das riesige Ueberangebot
von Arbeitskräften, durch ein ungeregeltes Fachschulwesen
noch gefördert, wirkt weiter schädigend auf die Berufsverhält-
nisse ein. Es trägt auch viel mit dazu bei, daß ein Zeichner
selten über das HO. Lebensjahr hinaus eine einigermaßen
anständige Anstellung behaupten kann, trotzdem in der
Regel erst das 30. Lebensjahr herankommt, ehe er sie sich
errungen hat.
Nach einer vom Deutschen Aeichnerverbande im Vor-
jahre veröffentlichten Statistik verdienen im Durchschnitt nur
ca. 2Ofto aller Zeichner mehr als 2000 Mk. jährlich. Die
entwerfenden Zeichner allein stehen sich zwar etwas
günstiger, doch auch vor: ihnen kommen nur ca. ZS^/g über
2000 Mk. jährlich hinaus. Der Prozentsatz derjenigen
Zeichner, welche höchstens bis zu ;oo Mk. im Monat ver-
dienen, ist ganz enorm. Es sind öO°/g. Bei der: Entwerfern
Selbst im besten Mannesalter, mit so—HO Jahren,
übersteigt das durchschnittliche Monatseinkommen eines ent-
werfenden Zeichners 200 Mk. nur um weniges. Dabei sind
vielfach noch unverhältnismäßig lange Arbeitszeiten üblich,
und ein bezahlter Erholungsurlaub wird auch nur erst zwei
Dritteln der Zeichner gewährt. Es bestehen allerdings
zwischen den einzelnen Branchen wesentliche Unterschiede.
Aber die durchaus unbefriedigende und unsichere Existenz
ist doch das allgemeine Eharakteristikum der Berufsver-
hältnisse.
Diese ungesunden Zustände förderten die Erkenntnis,
daß im Interefse einer besseren Zukunft dieser Entwicklung
energisch palt! geboten werden müsse. Da war es denn
naheliegend, daß der Wunsch nach der Vereinigung der
bestehenden kleinen Organisationen zu einer einzigen,
leistungsfähigeren, bald überall laut wurde. Insbesondere,
je mehr man erkannte, daß lediglich die mannhafte Förde-
rung der wirtschaftlichen Interessen auch in ideeller Be-
ziehung zu größeren Zukunftshoffnungen berechtigte.
Man nimmt es hierbei als unabänderliche Tatsache
hin, daß der Beruf infolge seiner Stellung in der Industrie
ein Lrwcrbsstand ist, welcher die Mehrzahl seiner Ange-
hörigen dauernd in abhängiger Stellung erhält. Es soll
jedoch die Aufgabe der Organisation sein, die wirtschaft-
liche und soziale Lage der Zeichner so zu gestalten, daß
auch die künstlerischcBetätigung freier und frucht-
bringender wird. Der Stand soll sozial aus diejenige
Stuse gebracht werden, die seiner hohen Bedeutung für die
Industrie entspricht. Auch soll er seinen Angehörigen eine
angemessene Lebenshaltung gestatten. Darum wurde der
Zweck der neuen Organisation ganz klar wie folgt formuliert:
t. Der verband bezweckt den Zusammenschluß aller kunst-
gewerblichen Zeichner und Zeichnerinnen zur Wahrung
und Förderung ihrer sozialen, wirtschaftlichen und
künstlerischen Interessen.
2. Dieser Zweck soll erreicht werden durch:
u) Einwirkung auf die Anstellungsverhältnisse;
d) Einwirkung auf die Gesetzgebung, soweit sie die
 
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