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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Schmidt, Karl Eugen: Kunst und Brot
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0245

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Die Werkstatt der Kunst

keäaklem: I)eUi!VLg.

VII. Jakrg. tzekt 18. 3. ^ebr. 1908.

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— .— eine Oebereinstirnrnung rnit -len auf -liste Meile vorgetragenen Meinungen ;u erkennen. -

Kunst unct krot.

von Karl Luge
Lessing meint, die Kunst solle nicht nach Brot gehen,
und hunderttausend andere glauben es wie er und wieder-
holen seine Worte. Tausend und abertausend Künstler
meine,:, es heiße ihren Künstlerstolz verletzen, wenn man
ihnen eine Brotarbeit zuweise. Eines Tages ging ich
hocherfreut zu einem jungen Maler, der mich und andere
schon ost angepumpt hatte, und glaubte ihm einen rechten
Dienst zu erweisen, indem ich ihm eine deutsche illustrierte
Zeitung nannte, die sich an mich gewendet hatte, um einen
pariser Zeichner und Illustrator zu finden. Da kam ich
schön an. Der Mann sah das nicht viel anders als eine
Beleidigung an. Einem Genie wie ihm zumuten, für Zei-
tungen Brotarbeit zu machen! Seine ganze schöne Künstler-
seele bäumte sich dagegen aus.
Da ich den Mann ziemlich gut kannte, und da er
außerdem bedeutend jünger war als ich, machte ich keine
Mördergrube aus meinem Perzen, sondern sagte ihm gerade
heraus, wie mir sein Stolz vorkam. Das soll Stolz sein,
eine ehrliche Arbeit zu verschmähen und lieber Freunde
und Kameraden anzupumpen, die selbst kein überflüssiges
Kleingeld haben! Das ist nicht nur kein anständiger Stolz,
es ist auch eine Beleidigung eben dieser Freunde und Kame-
raden. Denn was heißt das anders als: Du bist ein armer
Alltagsmensch; du kannst also ruhig Brotarbeit machen.
Ich aber, der ich ein Genie bin, darf mich dazu nicht herab-
lassen, sondern vielmehr ist es deine, des Alltagsmenschen,
Pflicht, für mich mitzuarbeiten, mich der Sorgen um das
tägliche Brot zu überheben, damit ich dann die unsterb-
lichen Werke schaffen kann, deren so ein blöder Tropf wie
du ja doch nicht fähig ist!
So, genau so sehen neunzig von hundert Künstlern
das Leben an. Sie meinen allen Ernstes, die anderen,
gewöhnlichen Menschen müßten sich abrackern, damit sie,
die Gotteskinder, unbesorgt auf die Minute warten können,
wo die sogenannte Inspiration sie aufsucht. Sie sind durch-
aus nicht beleidigt in ihrem Stolz, wenn Staat, Stadt oder
auch private ihnen Stipendien geben; beleidigt sind sie
nur, wenn man ihnen zumutet, für ihr tägliches Brot zu
arbeiten. Und das kommt mir sehr jämmerlich und gar
nicht stolz vor, denn am letzten Ende ist so ein Stipendium
nicht sehr viel besser als ein Almosen.
Die ganze Anschauung entspringt aus einer zur Re-
naissancezeit entstandenen grundfalschen Ansicht, die den
Künstler zu einer Art von Pofnarren machte, zu einem
antichambrierenden Pofdiener, dessen Aufgabe es war, den
gnädigen perrn zu amüsieren, und der dafür je nach der
Laune des Gebieters gut oder schlecht bezahlt wurde. Mit
dieser Rolle, die doch gewiß keine sehr stolze ist, möchten
sich auch heute noch viele Künstler begnügen, und das
nennen sie dann Stolz!
Es geht ja auch anderen Leuten so ähnlich. Die
französischen Advokaten zum Beispiel verachten das Geld
dermaßen, daß sie niemals Bezahlung von einem Klienten
fordern. Die Regeln ihrer Kaste verbieten das. Der Klient
macht ihnen aus Dankbarkeit ein Geschenk, aber bezahlen
lassen sie sich nicht! So haben sich die Advokaten das aus-
gedacht, und das halten sie wiederum für beruflichen Stolz!
Sich etwas schenken zu lassen, erniedrigt sie nicht, aber in
ehrlicher Arbeit ihren Lohn zu verdienen, das wäre eine

Schmidt-Paris.
Erniedrigung! In gewissen Ständen wird eben immer
noch die Arbeit für das tägliche Brot als eine Erniedrigung
angesehen. Der stolze Mann ist einer, der die anderen für
sich arbeiten läßt und der selbst nur zu seinem Vergnügen
tut, was ihm gerade behagt. Mit anderen Worten: die
Drohne ist vornehmer als die Arbeitsbiene.
Es ist wahr, wenn der Künstler rein zum Indu-
striellen wird, macht uns das auch weiter keinen Spaß.
In Paris wohnen ein paar Porträtisten, die ihr Geschäft
ganz industriell eingerichtet haben, wer sich malen lassen
will, wird von einem Sekretär oder Buchführer empfangen
und in ein Buch eingetragen. Je nach der Anzahl der
vorgemerkten Besteller kommt er in zwei, drei oder sechs
Monaten zum Sitzen, will er aber statt fünfzehn dreißig-
tausend Franken zahlen, so darf er ein paar Nummern
überspringen und kommt eher an die Reihe. Jedes Jahr
wird eine Reise nach Amerika gemacht, wo in der Zwischen-
zeit ein bevollmächtigter Kunsthändler Aufträge gesammelt
hat. In den vier oder sechs Wochen des amerikanischen
Aufenthaltes werden so zwanzig oder dreißig Bildnisse ge-
malt, und unterdessen kann daheim in Paris die Besteller-
liste wachsen.
wenn die Sache so ganz und gar merkantil gehand-
habt wird, freut sie uns wenig, denn der Künstler soll
wirklich nicht nur Geldmacher sein. Aber kann er nicht
das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden? Kann er
nicht mit irgendwelcher in sein Fach schlagender Arbeit
sein Brot verdienen und doch Zeit und Genie genug übrig-
behalten, um eigenen, rein idealen Zielen nachzugehen?
Ich sollte denken, daß er das könnte, in unserer Zeit so
gut wie im Mittelalter, wo der Künstler nichts besseres
sein wollte als irgendein pandwerker, der seine Kunst
ordentlich gelernt hatte und ehrlich ausübte. Gder hat es
Dürer etwas geschadet, daß er eine Unmenge polzschnitte
und Kupferstiche direkt für den Markt anfertrgte, und daß
er auf der niederländischen Reise gewissermaßen hausieren
ging mit seinen Blättern? pat er in die Wappen, die er
auf Bestellung zeichnete und stach, nicht ebensoviel Genie
gelegt wie in seine Gelgemälde? pätte es damals schon
Zeitungen in unserem Sinne gegeben, ohne jeden Zweifel
hätte Dürer für sie gearbeitet, neben ihm die Behaim,
Burgmair, Schöngauer, Lucas v. Leyden, Aldegrever und
wie sie alle heißen, und keinem Menschen wäre der Ge-
danke gekommen, daß sie durch solche Brotarbeit ihre Kunst
herabsetzten. Nein, seine Kunst setzt man nur durch
schlechte Arbeit herab, und eine Zierleiste im Buch,
ein Treppengeländer, ein Leuchter, ein Tintenfaß kann
ebensogut künstlerisch gearbeitet sein wie eine Marmorfigur
oder ein hundert (Quadratmeter fassendes Gelgemälde.
Das schlimmste an der Sache ist, daß es sich im
Grunde nur um peuchelei handelt. Die pariser Advokaten,
die sich nicht bezahlen, sondern nur beschenken lassen, wissen
es ganz geschickt einzurichten, daß kein Klient sich um das
Geschenk Herumdrücken kann und daß er sich über die pöhe
des Geschenkes keinen Augenblick irrt. Und die Künstler,
die zu stolz zur Brotarbeit sind, gerade diejenigen von ihnen,
die sich am vernehmlichsten in die Brust werfen und über
den nach Geld und Gut strebenden jämmerlichen Bourgeois
die Künstlernase rümpfen, sind in Wirklichkeit hinter dem
 
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