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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Kirstein, Alfred: Bemerkungen über den dekorativen Charakter der Grundfarben
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Mißstände im Kunsthandel
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Erklärung
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0543

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Heft 39-

Die Werkstatt der Runst.

539

der Bäume, buchen wir nun den einfachsten und
stärksten farbig-dekorativen Ausdruck für den Drei-
klang Hell-Halbdunkel-Dunkel, so bieten sich die
Llementarfarben Gelb, Rot und Blau dar. In
unserem Bilde wäre das dekorotive Aequivalent für
den Himmel das Gelb, für die Häuser, die Garten-
mauer und den Straßenboden das Rot, für die
Baumkronen das Blau.
Betrachten wir dieselbe Straße im Scheine der
Sonne, so finden wir die Steinmasse wie die Laub-
masse in sc zwei Teile zerlegt; jede der beiden Massen
hat einen von der Sonne bestrahlten aufgehellten
Teil und einen im Schatten liegenden verdunkelten
Teil. Suchen wir wiederum die dekorativen Aequi-
valente und erinnern uns dabei des Farbenkreises
und seiner Helligkeitswerte, so ginge das Not der
Steinmasse in dem sonnigen Teile in Grange, im
Schattenteile in Rotviolett über; das Blau der Laub-
masse würde in dem sonnigen Teile zum Grün, im
Schattenteile zum Blauviolett.
Wenngleich meine an einem herausgegriffenen
Beispiele gegebene Darlegung zunächst rein theoretisch
zu sein scheint, so haben mir doch praktische Versuche
den Beweis geliefert, daß sie zur Schaffung starker
dekorativer Effekte anregen kann; als Schema oder
Rezept ist sie nicht gemeint.
Ich möchte bei der Gelegenheit auf folgendes
aufmerksam machen. Die bekannten Romplementär-
farbenpaare Gelb-Violett, Grange-Blau und Rot-
Grün sind untereinander nicht gleichartig! In Gelb-
Violett steht die hellste Farbe der dunkelsten, in
Grange-Blau eine Helle einer dunklen, in Not-Grün
eine halbdunkle einer halbdunklen gegenüber. Ls
besitzt also das Haar Gelb-Violett eine starke, das
Haar Grange-Blau eine weniger starke, das Haar
Rot-Grün eine geringe Helligkeitsspannung. Auch
diese Verhältnisse sind nickt ohne praktische Wichtigkeit.
MiKsläncte irn Runflkanctel.
Im Berner „Bund" finden wir das folgende, nicht
nur für Hamburg sondern für alle deutschen Städte typische
Stimmungsbild:
Wenn einmal in einein verkehrsreichen Stadtteil ein
geräumiger Laden zur hohen Vermietung angeschlagen ist,
nistet sich bis zur Zeit des Einzuges eines Ladenkrösus ein
Kunsthändler ein und verbreitet im Schaufenster ein Lager
in die Augen fallender künstlerischer Schaustücke. Er zahlt
den Preis eines sogenannten Trockenwohners oder den
eines auf einen Tag kündbaren Aushilfsbewohners. Sein
Geschäft und seine Beschäftigung besteht in dem Arrange-
ment des Schaufensters und in der Inszenierung von
Auktionen. Wie auf den Jahrmärkten die Budenbesitzer
ihre Künstler im Kostüm vor die Lude als Ausrufer zu
stellen pflegen, so setzt der ehrenwerte Kunsthändler seine
mehr oder minder guten Verkaufsartikel ans Fenster, trägt
auf diese weise zur Garnitur der Straßenfront bei und
erweckt bei dem flüchtigen Passanten den Glauben an ernste
Kunstxflege. Es ist bedauernswert, in einer Großstadt wie
Hamburg die Zahl derer namhaft zu machen, die sich ge-
müßigt sehen, ihre freie Zeit und ihr erübrigtes Geld der-
artigen Unternehmungen zum Gpfer zu bringen. Verlockt
durch üppige Rahmen, anscheinend niedrige Preise, an-
mutige Sujets, klingende Namen und last not least um-

fangreiche Formate werden faszinierte Käufer für Momente
beglückt, die sie hernach bitter bereuen, und wenn nicht sie,
so dereinst ihre bedachten Erben. So ehrenwert an und
für sich die Verbreitung und Erweckung des Kunstinteresses
ist, so verurteilenswert ist die Ausschlachtung der Kunst
und die Schaustellung absolut wertloser Malereien. Unter
der Vorspiegelung falscher und unwahrer Tatsachen wie:
„Aufgabe des Geschäftes", „Verlegung des Geschäftes",
„Abreise nach Kissingen" werden zeitweilig Auktionen in-
szeniert, deren Leiter das unglaublichste Geschwätz mit einer
nur ihm eigenen Dreistigkeit in die Luft fchleudert. Aka-
demiedirektoren haben sich besonders in acht zu nehmen.
Hat zufällig der pinsel auf ein zu versteigerndes Bild den
Namen eines bekannten Direktors geschrieben, dann kann
der Auktionsbesucher sicher sein, daß ihn der Auktionator
zum Akademiedirektor promoviert. Für derartige Kunst-
handlungen scheinen Fabriken tätig zu sein. Wie in Köln
A q?7ll für Eau de Eologne gangbar ist, finden wir hier
den Namen Kaufmann. Schreiber ging einmal in ein fo
geschildertes Kunsthaus, fand ein Bild von Wilhelm Sohn
ohne Signatur, sprach über die Güte des Bildes seine Be-
wunderung aus, gleichzeitig aber auch sein Bedauern über
die fehlende Unterschrift — tags darauf war dem abge-
holfen: Das Bild war signiert. Der Kunsthändler, zur
Rede gestellt, bekannte lächelnd: das habe ich besorgt! Der
sofort erfolgten Aufforderung, die Unterschrift zu beseitigen,
kam er kopfschüttelnd nach. Er war sich keines Unrechtes
bewußt. Solche Fälle stehen in Hamburg nicht vereinzelt
da. In jeder dem Schreiber bekannter: Stadt gibt es gute,
rechtschaffene und mindergute und recht — schaffende Kunst-
händler, in keiner Stadt aber eine solche Elique auf- und
niedertauchender Bilderschacherer wie in Hamburg. Daß
dem gediegenen Kunstmarkt durch die Manipulationen der-
artiger Bildervertreiber der größte Schaden erwächst, ist
unbestreitbar.
Jüngst war Schreiber dieses auf einer Auktion, von
einem hochachtbaren und geschätzten Meister, der des Lob-
spruches eines Auktionators nicht bedarf, wurde ohne
Rücksicht auf die doch nicht unwahrscheinliche Gegenwart
eines verwandten des Künstlers ein Bild mit den Worten
präsentiert: „Meine Damen und Herren, der Meister liegt
schwer krank darnieder, stirbt er, ist das Bild das Doppelte
wert!"
Ls ist die höchste Zeit, daß die Künstlerschaft sich be-
hördlichen Schutz gegen solches schleichendes Unheil sucht, bei
richtiger Darlegung der Verhältnisse wird sie ihn sicher finden.
Erklärung.
In den Heften 5—^3 der „Werkstatt der Kunst" sind
einige Notizen und Aufsätze der Schriftleitung über die
Neubesetzung des Direktorpostens der Stuttgarter
Gemäldegalerie erschienen, in denen unter anderem gesagt
war, daß Galerien keine „Versorgungsanftalten für junge und
alte Künstler oder Versicherungen auf Gegenseitigkeit" sind,
und in denen der Stuttgarter Künstlerbund als eine „kleine
leidenschaftlich interessierte Gruppe" bezeichnet wird, deren
„subjektiv gefärbte" Meinung über diese Angelegenheit
einzuholen, entbehrlich gewesen sei. Der „Stuttgarter
Künstlerbund" sühlt sich durch diese Ausdrücke, die
auf einer teilweise irrtümlichen Information beruhen, belei-
digt. Da der „Deutsche Künstlerbund" und die „Münchener
Secession" seine Auffassung als berechtigt anerkannt haben,
so stehen wir nicht an, jene Sätze, soweit sie als beleidigend
empfunden werden, mit dem Ausdruck des Bedauerns
zurückzunehmen. Wir können dies um so aufrichtiger tun,
als eine Absicht, irgend jemanden in dieser Sache zu be-
leidigen, bei uns niemals bestanden hat.
Wir unsererseits haben vom „Stuttgarter Künstler-
bund" ebenfalls eine Erklärung erhalten, daß er in die
Lauterkeit unserer Absichten keinen Zweifel gesetzt habe.
Die Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst".
Vritr Nellwax.
 
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