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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Eröffnung der Secession
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T., S.: "Dezentes Genre"
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0401

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keäaktem: 'fritz

VII. ^akrg. !)eft 29. 20. April 1908.

In liefern ^eils unserer Leitsckrifr erleisen vir jeciern künsrier ctas freie Morl. Mir sorgen ciafür, UaS keinerlei
Angriffe auf Personen ocier SenoNensckaften abgeäruckt verclen, okne UaS vorder cier Angegriffene ciie MSgiiciikeit gekabt
dätte, in ctsniseiben I)effe ;u erviclern. Oie klecisktion kält sick voiisiLnciig unparieiis-d unci gibt clurcd clsn T^bciruck keinesvegs
- eine Uebereinstirnrnung rnik cien auf ciiese Meise vorgetragsnen Meinungen zu erkennen. .

EröNnung äer SeceMon.

Berlin, t-f. April. Bei der heute vollzogenen Er-
öffnung der Secession hat Max Liebermann die ein-
leitende Rede gehalten, die den folgenden Wortlaut hatte:
„Meine verehrten Damen und Herren!
Wiederum ist es mir vergönnt, Sie von dieser Stelle
aus zu begrüßen und Ihnen für das lebhafte Interesse,
das Sie unseren Veranstaltungen entgegenbringen — Ihr
zahlreiches Erscheinen beweist es — im Namen der Berliner
Secession zu danken.
Denselben Prinzipien, die uns bei unseren bisherigen
Ausstellungen geleitet haben, sind wir auch diesmal gefolgt:
neben den Einsendungen unserer Kollegen haben wir ge-
glaubt, Ihnen einige besonders hervorragende ältere
Werke zeigen zu sollen. Den Glanzpunkt unserer dies-
jährigen Ausstellung bilden die Werke unseres einstigen
Ehrenmitgliedes Wilhelm Leibl: Werke, die bisher noch
nicht öffentlich in Berlin gezeigt wurden, und deren einige
zu dem Schönsten gehören, was das letzte Jahrhundert
hervorgebracht hat.!
Dem Rate der Stadt Reichenberg, der uns aus seinem
„Nordböhmischen Kunst- und Gewerbemuseum" drei Perlen
Leiblscher Kunst geliehen, sowie den zahlreichen Besitzern,
die uns ihre Schätze an Werken des Meisters anvertraut
haben, sprechen wir hiermit unfern wärmsten Dank aus.
Leibls Ruhm brauchen wir nicht mehr zu verkünden:
bester, als wir es vermöchten, loben die Werke ihren Meister.
Auch liegt es uns fern, feine Kunst als die allein selig-
machende hinstellen zu wollen. Noch weniger sollen wir
versuchen, ihn nachzuahmen, was uns ja doch nur in seinen
Äußerlichkeiten gelingen könnte.
Man täte unserem Meister bitteres Unrecht — wie
das bisweilen immer noch geschieht —, wenn man ihn
nur als eminent geschickten Maler hinftellte: Leibl war
nicht nur ein Meistermaler, der fein Metier ver-
stand wie keiner seit den Zeiten van Eycks und
Polbeins, er war auch ein eminenter Künstler.
Man hat Leibl Mangel an Phantasie vorgeworfen,
und freilich, statt Götter und Pelden hat er nur einfache
Menschen gemalt. Aber gerade in dieser Einfachheit der
Naturauffassung, in diesem gänzlichen Verzicht auf die
Anekdote, in diesem Sichversenken in die Natur zeigt sich
die Tiese seiner malerischen Phantasie um so schöner. Wie
er die Wange einer jungen Bäuerin malt, oder das durch-
furchte Gesicht eines Jägers, die schwielige pand eines
„Dezentes
Seit einiger Zeit liest man in mehreren sogenannten
besseren bürgerlichen Blättern der Reichshauptstadt folgende
und ähnliche Annoncen:
Vornehmer Kun8tver!a§
sucht schöne Damen für photogra-
phische Aufnahmen (dezentes Genre).
Gff. w. mögl. m. Phot. n. Lhiffre tt. 4464
bef. VaubeLLo., Ierusalemerstr. öo/SH.
Was mag das für ein „Kunstverlag", der sich oben-
drein noch recht selbstbewußt „vornehm" nennt, sein, der

Bauern, oder den zarten Teint einer Dame: dazu ist
höchste malerische Phantasie erforderlich.
Immer noch existiert die irrige Meinung, als ob
intime Naturnachahmung einen Mangel an Erfindung be-
deute, und noch gilt bei vielen, was Lessing im ,Laokoorll
schreibt: ,Der Maler, der nach der Beschreibung eines
Thompson eine schöne Landschaft darstellt, hat mehr getan,
als der sie gerade von der Natur kopiert/
Für uns, die wir der: Inhalt irr der bilden-
den Kunst nur insoweit gelten lassen, als er ge-
eignet ist, die (Dualitäten des Künstlers zu zeigen,
kann die Erfindung nur in der Ausführung be-
ruhen. Alle Malerei basiert auf Nachahmung der Natur,
der sie ihre Stoffe entlehnt; also nur in der Art, wie die
Natur nachgeahmt wird, kann die Kunst beruhen. Was
ein jeder Künstler aus der Natur herausholt, macht seine
Künstlerschaft aus, und wir müssen jahrhunderteweit zurück-
gehen, um auf einen Maler zu stoßen, der all fein erstaun-
liches Können nur dazu verwandte, um uns das Wesen
der Dinge sichtbar vor Augen zu führen, was aber
heißt malerische Phantasie anderes als die Fächig -
keit, durch den malerischen Schein das innere Sein
auch dem profanen Auge zu offenbaren?
Gerade jetzt, wo uns eine allerdings äußerst
geschmackvolle, aber greisenhafte Kunst, wie wir
sie in den englichen Porträts des achtzehnten
Jahrhunderts gesehen haben, vorbildlich hinge-
stellt wird, haben wir geglaubt, Ihnen in Leibl Werke
zeigen zu sollen, die aus dein ewigen Jungbrunnen der
Natur geschöpft sind.
Vor Leibls Werk will uns scheinen, als ob Talent
und Charakter gleichbedeutend seien, und gerade heute, in
der Zeit der Kompromisse und des Eklektizismus, sollen
wir in Leibl neben dem großen Künstler den ausrechten
Mann ehren, der sich von niemand Gesetze vorschreibeiMieß,
es sei denn von seiner Kunst; der keinem anderen siele
nachstrebte als seinem eigenen Ideal.
In der Bewunderung der Meisterwerke, die uns über-
kommen sind, stehen wir niemand nach, aber es erscheint
uns als verderblichster Irrtum der Aesthetik, ein feststehen-
des Ideal, dem jeder Künstler nachstreben soll, statuieren
zu wollen.
Nur voraussetzungsloses Studium der Natur — die
Kunstgeschichte aller Zeiten lehrt es — kann zu einer
Renaissance der Kunst führen."
Genre."
hier schöne Damen sucht, die ihre wohlgepflegten Formen
— denn man wendet sich an Angehörige der besseren Stände
— den obskuren Blicken eines Photographen feilbieten
sollen? Um was für Werke des „Kunstverlages" mag es
sich hier handeln, wenn extra noch hier versichert wird, daß
nur Aufnahmen „dezenten Genres" beabsichtigt sind? Auf-
klärung täte hier not! Denn nur allzubreit macht sich in den
letzten Jahren jene Illuftrationskunst, die unter Ausschaltung
jeder Mitwirkung von Künstlern und Zeichnern jenen
Schwarm von „Zeitschriften" und Abbildungen füllt und
nun fchon mehr als einmal zum Aergernis wurde und
nur diskreditierend auf die Lntwicklungsbestrebungen der
 
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