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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Schmidkunz, Hans: Glasmalerei im Doppellicht
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Goethe und die Aesthetik der Zukunft, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0500

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Die Merkstatt der Kunst.

Heft 36.

HH6

Blau, Violett, Rot usw. Und wo die Gläser in der
Durchsicht nicht die gewünschte Farbe besitzen, wird dieser
Teil der erstrebten Farbwirkung auf die Antikgläser ver-
legt, die neben dem Hauptmateriale zur Verwendung kommen;
in der Aufsicht erscheinen sie dann natürlich dunkel.
Auf die Echtheit, d. h. Widerstandsfähigkeit des Mate-
riales wird nicht weniger Gewicht gelegt, als dies bei guter
Glasmosaik schon immer der Fall war. Besonders wichtig
aber wird dabei die Unterscheidung zwischen den eigentlichen
musivischen Stücken einerseits und dem Fond oder der
Montierung, in welche sie eingelassen sind, andererseits.
wir haben also die wie bei der sonstigen Glasmalerei
eingebleiten Musterungen des Gold- und Silberglases in-
mitten desjenigen Materiales, das den Fond bildet. Als
solches wird besonders gern das durch Bläs'chen und dgl.
getrübte Antikglas benutzt; daneben kommt auch Kathedral-
glas und Opalglas oder Opaleszentglas vor. Dabei hat
sich eine zweifache Vorsicht gegen quantitatives Uebermaß
als nötig erwiesen.
Erstens empfiehlt es sich, die Flächenstücke von Gold
und Silber innerhalb der Bleiruten ziemlich klein zu halten;
je größer sie sind, desto mehr verlieren sie den eigentlichen
musivischen Lharakter, den des Auflichtes. Zweitens
empfiehlt es sich auch, die Gesamtmusterung mit Gold und
Silber im Verhältnisse zum Fond (Antikglas oder dgl.)
nicht zu umfangreich zu halten. Dadurch wird die Muste-
rung konzentrierter und ergibt einen ansprechenden hell-
dunklen Gegensatz gegen die Glasfläche des Fondes mit
ihrer ruhigen, im Auflichte dunklen Wirkung.
Die bekannte Schwierigkeit aller Tafelglasmalerei:
die Unterbrechung des Musters durch die Bleirute, kehrt
hier verstärkt wieder, da ja die Rute in Durchlicht und
Auflicht eine verschiedenartige Wirkung hervorbringt. Es
darf also die Musterung erst recht nicht unruhig und zer-
rissen werden, muß vielmehr einen möglichst zusammen-
hängenden Eindruck ergeben; die KünsÜerxflicht der An-
passung an Material und Technik vergrößert sich für die
Entwürfe zu solchen Werken erst recht. Hier steht jeden-
falls noch eine besonders interessante und fruchtbare Weiter-
entwickelung bevor; dies um so mehr, als der heutige Ge-
schmack für Kunstverglasung merklich nach einem, oft
geradezu die Augen schmerzenden, kleinlichen Ueberviel drängt.
Die an Erfahrungen und Eifer reiche Firma Puhl 6c
Wagner steht natürlich bereits bei weiteren versuchen
zur Fortsetzung ihres Schatzes. Beispielsweise soll Opal-
glas auch für Teile, und zwar figürliche, der Musterung
verwendet werden. Das würde hellere Töne (weiß und
Elfenbein) ergeben, und das Gold könnte dann mehr auf
die lediglich ornamentalen Bestandteile beschränkt werden.
Unübersehbar ist, was man sich selbst noch als weitere
Bereicherungen denken mag. Die gesamte Technik des
Ueberfangglases, einschließlich seiner Ausschleifungen, in
die dann eine neue Malerei hineinkommen kann, würde
sich aus den Traditionen der Tafelglasmalerei wieder auf-
nehmen lassen; man denke etwa an das zumal in der
gotischen Periode verwendete Rot und an den Kunstgriff
eines doppelten Ueberfanges.
Die Preise der Firma für ihre neuen Leistungen
übersteigen nur um ein weniges die Aufwendungen, welche
auch für künstlerisch und technisch gute Verglasungen und
Glasmalereien gemacht werden müssen. Tatsächlich hat
denn auch die neue Erfindung mannigfaltiges Interesse
gewonnen und sieht dieses immer mehr erweitert. Ueber
das Einzelne, namentlich über die beteiligten Künstler und
die bisher ausgeführten Werke, wird sich der Referent in
einem eigenen Artikel des „Kunstgewerbeblattes" aussprechen.
Goetbe uncl ctie Aestketlk cler Zukunft.
Die Verlagsbuchhandlung Georg Müller in Mün-
chen gestattet uns freundlichst den Abdruck des nachstehen-
den Abschnittes aus dem bei ihr erschienenen Werke
„Deutsche Form" von Georg Fuchs-München, dem
Kunstreferenten der „M. N. N." Das Buch ist für Künstler,

die es ost zum Widerspruch reizen, aber immer zum ernster:
Nachdenken anregen wird, von ungewöhnlichem Interesse.—
wir behalten uns noch eine eingehende Würdigung des
Werkes vor. — Die Schriftleitung.
Goethe, von allen unbekannten deutschen Schrift-
stellern der unbekannteste, hat die Grundlagen einer modernen
Aesthetik bereits gemauert. Es hat sich selbstverständlich
niemals jemand darum gekümmert, wie man sich um den
großen Goethe denn überhaupt nie gekümmert hat, um
den jungen Halbromantiker Goethe um so eifriger vorzu-
schieben, mit dem die modischen Romanciers und Lyriker
eher in eine „Gattung" zu bringen waren. Die Aesthetik
der Zukunft steckt in Goethes „Farbenlehre". Das Buch
steht auf allen Bücherregalen des ganzen deutschen Sprach-
gebietes, wird aber niemals gelesen. Ls hieß, die moderne
Physik könne sich mit Goethes Farbentheorie „nicht be-
freunden". And doch hat schon Rudolf Steiner auf die
Dummheit dieses Einwurfes hingedeutet, indem er sagte:
„Goethe beginnt eben da, wo die Physik aufhört." — Also
„Metaphysik" ? — wenn man will: ja. Genauer gesprochen:
„Aesthetik". — Kein Literarhistoriker hat es unterlassen,
sein gewerbsmäßiges Lächeln zwischen den Zeilen seiner
Geschichtsklitterungen bemerkbar werden zu lassen, wenn
er davon berichtete, daß Goethe selbst mehr Gewicht auf
feine Farbenlehre gelegt habe, als auf seine poetische Pro-
duktion. Aber Goethe hatte recht! Seine „Farbenlehre"
betitelte Schrift ist eine welthistorische Tat. Zum ersten
Male seit dem Untergang der antiken Welt weist ein Mensch
den Menschen wieder den weg zur Vergöttlichung, zur
Deutung, Erfahrung und Nützung des „künstlerischen" Phä-
nomens, die Bahn hinüber aus die andere Hemisphäre
geistig-sinnlicher Erlebnisse, ohne deren Besitz ihn die eine
Sphäre der Erkenntnis nichts nützt. Ein weg zur Ver-
göttlichung, den wir glauben können, der uns kein Opfer
des Intellekts, keinen Widerspruch gegen die Wissenschaft
zumutet: es gibt keine tiefere Perspektive für das Schicksal
der Menschheit auf Erden. Goethe hat sie ausgetan, mit
titanischen Armen die schwarzen Lrztore in ihren Angeln
drehend, vor denen die Scholastik hilflos ihre irrsinnigen
Beschwörungen gemurmelt hatte. Der weg zu „Gott", die
Möglichkeit, sich zum Zustande „Gott" zu erheben, ist dem
modernen Menschen aufgetan worden, die Gnade, in ein
höheres, in ein Allbewußtsein erhoben zu werden. Die
ganze Dichtung des großen Goethe, des großen Unbe-
kannten, ist getragen von dieser Offenbarung: die Gesänge
des „west-östlichen Diwan", der zweite Teil des „Faust"
und der Kreis der orphischen Urworte von „Gott und
Welt", die da schließen mit dem großen Symbol der neuen,
der uns vorbehaltenen ,,unic> mysticm":
wenn in: Unendlichen dasselbe
Sich wiederholend ewig fließt,
Das tausendfältige Gewölbe
Sich kräftig ineinander schließt:
Strömt Lebenslust aus allen Dingen,
Dem kleinsten wie dem größten Stern,
Und alles Drängen, alles Ringen
Ist ewige Ruh in Gott dein Herrn.
Lio nardo, der so viel vorwegnahm, was erst einer
späteren Menschheit gehörte, war auch dieser Anschauung
schon nahe gekommen, indem er die Kunst eine Gottheit
nannte (,,unu Oettü"), weil sie die Kraft habe, die in der
Menschenseele ruhende Harmonie („armonin'st mit einem
Schlage wach zu rufen, bewußt werden zu lassen. Er hatte
also die Identität des ästhetischen Probleins mit dem
mystischen und religiösen schon erfaßt. Goethe hat sie be-
gründet und zugleich verkettet mit der Entwickelung der
Naturwissenschaft, dergestalt, daß jeder Fortschritt der
modernen Empirie in: Erkennei: der Einzeltatsachen immer
zugleich, selbsttätig rückwirkend, eine Helle Erleuchtung auf
der gegenseitig entsprechenden Tafel der Gesamtanschauung
des Weltgeschehens Hervorrufen muß.
 
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