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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Fuchs, Georg: Goethe und die Aesthetik der Zukunft, [2]
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L., E.: Der Münchener Kunstverein und seine künftigen Vereinsgaben, [3]
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Edel, Edmund: Kunst, Kultur und Reklame
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0527

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heft 38.

Die Werkstatt der Kunst.

523

erst besonders verwiesen zu werden. Sie waren ursprüng-
lich in der Tat keine „Attribute" und keine „Symbole",
sondern faktische Erlebnisse, „Gesichte", Erfahrungen.
galten wir uns, um zu erkennen, daß auch unsere
Kunstform aus solcherlei Erlebnissen und Gesichten hervor-
gehe, nur an die allzu alltägliche Erfahrung, daß Menschen
mit „normalen" Sinnen und Sinneswerkzeugen die von
echten Künstlern geschaffenen und dargestellten Formen ein-
stimmig verwerfen. Sie erkennen die Natur in ihnen nicht
wieder, sie finden alles „falsch" oder „übertrieben" daran:
Kontur, Farbe, Komposition, alles bleibt unverständlich, für
nichts haben sie ein Organ. hätten wir eine auch nur
Halbwegs mit der übrigen Wissenschaft fortgeschrittene
„Aesthetik", so würde sich kein gebildeter Mensch darüber
erstaunen. Ls muß so sein. Die übergroße Menge der
Menschen hat nur die Organe und demgemäß auch nur
die Funktionsmöglichkeiten, Eindrücke, Erfahrungen, Er-
lebnisse, deren sie normalerweise bedarf, um in den gegen-
wärtigen Lebenskonstellationen zu bestehen. Es wäre sinn-
und naturwidrig, wenn sie Organe entwickelten, übten,
verfeinerten, deren sie gar nie bedürfen. Sie sind und
müssen naturnotwendig sein ohne jede Aufnahme-
fähigkeit für künstlerische Phänomene; und wenn
zufällig einmal in unserer Zeit ein Kunstwerk von einer
größeren Menge verstanden wird, so ist es nie und nimmer
an dem, daß das Kunsterlebnis und seine beglückende Kraft
Eingang fände in die Seelen, sondern es hat jedesmal
deutlich nachweisbar seinen Grund in äußerlichen, in „stoff-
lichen" Beziehungen, welche das für den Bau der betreffenden
Kunstform in Anspruch genommene Material zu einer
größeren Anzahl Menschen hat.
Wenn in früheren Zeiten — aber gewiß nicht in
aller: früheren Zeiten — ein unmittelbares Verhältnis
zwischen „Volk", d. h. mit gewissen, irgendwie begünstigten
Volkskreisen und den künstlerischen Phänomenen bestand, so
lag dies offensichtlich daran, daß die allgemeine Religion
und die Volkskultur alle samt der „Kunst" zur Einheit
verschmolzen, daß in dem Volksstamme durch die lebendige
Religionsübung und durch die lebendige Rhythmik der
Rassekultur, in der alles und jedes begründet war, eben
die Organe zum Wachstum und zur spezifischen Reaktions-
fähigkeit entfaltet worden waren, deren das Individuum
zur Aufnahme der künstlerischen Phänomene bedarf. Vinzenz
van Gogh schreibt einmal an seinen Bruder: „daß Giotto
und Limabue ebenso wie Holbein und van Eyck in einem,
du gestattest das Wort, obeliskenhaften Milieu lebten, wo
alles sich gegenseitig hielt und eine monumentale Gesell-
schaftsordnung bildete. — — Wir aber, weißt du, leben
in vollständiger Zügellosigkeit und Anarchie; wir Künstler,
die wir die Ordnung und die Symmetrie lieben, wir isolieren
nns und arbeiten uns ab, um in irgendein einzelnes Stück
Stil hineinznbringen." Beide, lebendige Religion und Volks-
kultur fehlen heute, und deshalb ist die „Kunst" heute
etwas, das „in der Luft hängt", zu dem nur solche Men-
schen wirklich ein Verhältnis haben können, die sich selbst
eine Religion und sich selbst eine Kultur schaffen können,
Menschen mit ursprünglichen „Erlebnissen" der beschriebenen
Art. Bei den anderen kann es sich nur um ein verstandes-
mäßig-literarisches Nahekommen oder, besser, Fernebleiben
handeln, oder, und das ist die Regel, um eine selbstgefällige
Maskerade, die man vornimmt, weil man aus der Geschichte
weiß, daß es einem „gebildeten", einem „vornehmen"
Menschen ziemlich sei, sich „für die Kunst zu interessieren".
Eine „Aesthetik" der Zukunft wird nicht eine
„Lehre vom Schönen" sein; sie wird nicht das Unlehrbare
lehren und das Unbeschreibliche beschreiben wollen. Sie
wird niemals fragen: Was ist schön? Denn uns ist
längst geläufig, daß alles schön sein kann.

Der Munckener Runsdverem unck seine
künftigen Vereinsgaben.
Schlußwort.
(Vergl. die hefte 32 und 36.)
Die Duplik des Herrn Pixis, welche manche meiner
Worte nicht richtig deutet, gäbe mir wohl zu weiteren Er-
klärungen reichlich Anlaß. Allein dies möchte am Ende
dahin ausgelegt werden, als wollte ich überhaupt gegen
die verdienstvolle Leitung des großen und äußerst segens-
reich wirkenden Münchener Kunstvereins agitieren, während
lediglich die Beschlüsse der letzten Mitgliederversammlung
bezüglich der künftigen Vereinsgaben nicht unwider-
sprochen bleiben sollten, nm nicht die Meinung aufkommen
zu lassen, als würden diese die allgemeine Zustimmung finden.
Nachdem dies geschehen, dürfte es Zeit sein, nunmehr die
Angelegenheit auf sich beruhen zu lassen. Nur wolle aus
meinem Schweigen nicht geschlossen werden, daß ich mich zu
den Anschauungen der Kunstvereinsleitung bekehrt hätte.
Der Schriftleitung der „Werkstatt der Kunst" aber sei
auch an dieser Stelle der Dank für die Aufnahme dieser
Erörterungen ausgesprochen. L. V.
Runst, Rultur unä Reklame.*)
Von Edmund Edel.
Ls ist widersinnig, einen Nachttopf oder einen
Brathering oder ein ähnliches für die gemeinsten
Bedürfnisse des Menschen berechnetes Objekt in
„Schönheit tauchen" zu wollen, wie Sombart an
anderer Stelle paraphrasiert. Ls ist widersinnig,
eine Reklame für Schuhwichse künstlerisch in der-
selben Weise auszugestalten, wie die Anpreisung
einer vornehmen Klavierfabrik. Und es wirkt direkt
komisch, wenn man immer und immer wieder dem
würdevollen Pathos begegnet, den der Deutsche be-
nötigt, um für seine Bratheringe in die Reklame-
posaune zu blasen.
Unsere heutigen Beziehungen zwischen Kunst
und Reklame find schlaff geworden. Nicht äußerlich,
denn zu keiner Zeit stand die Kunst in so un-
bedingtem Dienst der Industrie, wie heute. Aber
das junge frische Reis, das vor zehn Jahren auf
den alten Stamm der „hohen Kunst" okuliert wurde,
bringt keine neuen Knospen mehr hervor. Auch
die Neklamekunst ist, wie alles bei uns in Deutschland,
heute schon Klischee geworden und erstarrt in
den ihr von einigen Führern seinerzeit vorgeschriebenen
Gesetzen.
Unser Unglück ist unsere Vorliebe für das
Pathos. Vor mehr als zehn Jahren schrie man
nach einer Reorganisation des Plakats. Man
jauchzte über die lustigen, frischen französischen
Affichen, freute sich über die derbkomischen eng-
lischen und amerikanischen Posters und klagte über
die entsetzlichen Allegorien, mit denen unsere Kauf-
leute ihre Waren anpriesen. Der sentimentale
Deutsche glaubt natürlich, seine Familiensosa-
empsindung auch in sein Kontor hinübernehmen
zu müssen, und sein Oeldruck-Kunstverständnis
 
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