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Die Werkstatt der Kunst: Organ für d. Interessen d. bildenden Künstler — 7.1907/​1908

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Kainzbauer, Ludwig: Zur Reform des Kunstlebens, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.52070#0050

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Die Werkstatt der Kunst.

Heft

gesehen hätte, wäre ihm nicht eingefallen, feines zu be-
stellen. Line Frau sieht in einer solchen Auslage einen
Dackel gemalt. Das Bild sieht ihrem verstorbenen Dackel
sehr ähnlich, sie kauft das Bild gerade deswegen usw. Und
soll sich ein Künstler schämen, einen eigenen Ausstellungs-
kasten zu haben? schämt sich doch keiner, in einer fremden
Kunsthändlerauslage gesehen zu werden. Sieht man doch
in den Auslagen der Kunsthändler Werke von Künstlern
allerersten Ranges, und ob sie da oder dort auf der Gasse
zu sehen sind, ist doch wohl gleichgültig.
Anzubringen wären diese Auslagekästen wie jene der
Photographen auch an frequentierten Grten, den Verkauf
könnte das nächstliegende Geschäft übernehmen, ebenso die
Sperrung und Reinigung.
Eine solche Selbstausstellung hätte aber auch andere
Vorteile, t- Bleibt sie das ganze Jahr zu sehen. 2. Sehen
diese Auslagekästen viel mehr Menschen, als die Kunstaus-
stellungen, auch jene Menschen, die auf eine Kunstausstellung
gar nicht gehen, 3. Erspart der Künstler alle Spesen und
Arbeiten, welche die Kunstausstellungen veranlassen. H. pat
er keine gehässige, unverständige oder einseitige Jury zu
fürchten. 5. würden die Ausstellungen gewiß entlastet von
der so oft getadelten Uebersüllung. 6. Müßte diese rück-
sichtslose, anmaßende, den Künstler moralisch und materiell
schädigende Kritik verschwinden. Man würde einfach wegen
Geschäftsstörung gerichtlich belangen usw.
Ein weiterer Punkt wäre, daß der Künstler gerade
so Reklame machen soll wie jeder andere Geschäftsmann,
damit das Publikum weiß, wo es dieses oder jenes Bild
oder Gegenstand bekommt. Der Künstler soll sich nicht
scheuen, von Zeit zu Zeit Annoncen in die Zeitung zu
geben, z. B. Eduard Nüßlen, Maler, Gartengasse 6, Frauen-
köpfe, Akte usw. in Gel und Aquarell, oder Landschafts-
maler Gtto Heiser, Alsergrund Nr. 9 III. St., mehrere
Schneelandschasten billig usw., oder Benjamin Moldau ist
abgereist, dann: ist zurückgekehrt. Diese Annoncen sollen
nicht nur in den Fachblättern, sondern in den Tages-
zeitungen, die jedermann liest, erscheinen.
Alle Veröffentlichungen der Künstler und ihrer Werke
müssen naturgemäß auf Kunstliebe und Kunstverständnis
fördernd wirken. Ich glaube nicht so sehr an ein künstle-
risch« Ueberproduktion, auch nicht an Geldmangel im Publi-
kum, ich bin überzeugt, daß das Unverständnis die Haupt-
ursache der schlechten Lage des Kunstmarktes ist. Besonders
in der Provinz ist dies der Fall. Ich könnte viele Fälle
anführen, die dafür charakteristisch sind. Da steht in einer
Wohnung eine Kredenz um ^500 Mk. und rechts und links
hängt ein Geldruck um zusammen 30 Mk. Gder ich komme
in eine Wohnung, alles Luxus, aber kein Griginalbild.
Ein perr läßt sich malen, nur weil er schon einen passen-
den Rahmen hat. Also müßte das Kunstverständnis und
das Verständnis für den wert des Originales gefördert
werden. Andere Sachen, die nur in wenigen Exemplaren
vorhanden sind, weiß man zu schätzen, z. B. Briefmarken,
Liebigbilder usw.
Lin weiteres Kapitel ist die Bewertung der Kunst-
werke. Es kommt sehr häufig vor, daß diese Bewertung
von feiten der Künstler ganz falsch ist und von unrichtigen
Prinzipien ausgeht, wie bei allen anderen waren, muß
sich auch der Künstler bei Bewertung seiner Werke nach
dem jeweiligen Stande, der Masse der angebotenen Kunst-
werke und der Nachfrage nach denselben richten.
wenn, wie es leider heute der Fall ist, massenhaft
Kunstwerke zu haben sind, müssen dieselben naturgemäß
billiger sein. Das erstreckt sich vom besten Werk bis zum
schlechtesten. Ich nenne nicht gern Namen von lebenden
Künstlern ersten Ranges. So nehme ich an, ein Rubens
wäre noch am Leben, also sind natürlich seine Werke sehr
begehrt, er kann sie also selbst schon sehr hoch ansetzen.
Aber die Möglichkeit ist nicht ausgeschlossen, daß noch
vier oder fünf mit Rubens ebenbürtige Künstler existieren,
daß also das Publikum nicht aus einen Rubens angewiesen
ist, so wird der letztere billiger sein müssen, um mit den
ihm Ebenbürtigen konkurrieren zu können.

Dieses Beispiel ist aber für alle maßgebend, welche
nicht oder noch nicht vom Publikum so begehrt werden,
daß sie konkurrenzlos dastehen. Die Berichte in unseren
Fachblättern über Verkäufe und Versteigerungen sind für
die Bewertung der eigenen Werke sehr lehrreich und sehr
in Betracht zu ziehen.
Ferner müßten jene Künstler, welche entweder noch nichts
oder aber wenig verkauft haben, ihre Werke ebenso kalkulieren
wie die Handwerker ihre waren, d. h. sich fragen, wieviel
hat mir das Material gekostet, Farben, Leinwand, Rahmen,
und wieviel Zeit habe ich zum Werke gebraucht, was
das Material kostet, sagt uns der pändler ohnehin, nun
wäre noch die Zeit zu bemessen, wir haben, die Ruhetage
abgerechnet, für den Geschäftsmann zirka soo Tage zu
tO Stunden Gelegenheit zu verdienen. Diese Zeit reduziert
sich beim Künstler allerdings sehr stark. Denn die aller-
meisten können nicht jeden Tag und auch an diesem nicht
tO Stunden arbeiten, so rechnen wir also zirka 5 Stunden
im Tag und xso Tage im Jahre, so sind dies ?so Arbeits-
stunden im Jahre. Der Lebensunterhalt kostet dem Künstler
mit Familie etwa 7500 Mk., so kämen auf t Arbeitsstunde
tO Mk. Lin Beispiel: „Mutterglück": Leinwand to Mk.,
Farben 5 Mk. (je nach der Dicke des Auftrages), Modell-
geld für 50 Stunden je t Mk. — 50 Mk., Rahmen 50 Mk.,
so kostet das Bild an Spesen tl5 Mk.
Die Rechnung, wieviel Zeit gebraucht wird, ist schwer
zu bemessen, aber ich würde zu so einem Bilde etwa 25
volle (ü to Mk. — 250 Mk.) Arbeitsstunden brauchen, so
kostet mir das Bild 365 Mk. Gbgleich schon in den ^0 Mk.
die Stunde Gewinn liegt, noch 25"/o Extragewinn (92 Mk.),
so würde ich das Bild mit rund H50 Mk. bewerten. Nur:
ist aber die Bewertungsart von feiten mancher Künstler
ganz anders. Bei Bestellungen z. B. richtet sich mancher
nicht nach dem wert der Leistung, sondern nach dem Ver-
mögensstand des Bestellers. Auf den Kunstausstellungen
wird ein zu hoher Preis angesetzt, weil das gut aussieht,
weil man auch handeln lasser: kann, oder weil man meint,
es wird ohnehin nicht verkauft und wenn, umso besser.
Alle diese Standpunkte finde ich unreell.
Das zu teuer bewertete Bild kommt meist zurück,
wenn der Künstler nur auf das kaufende Publikum, also
auf keine, irgendwelche, Protektion rechnen kann. Alle in
einem bis zwei Jahren auf den Ausstellungen nicht ver-
kauften Werke gibt man einfach auf Versteigerungen, wenn
man sie nicht selbst im Atelier oder Wohnung behalten
will, und schlägt sie um jeden Preis los. Die Spesen
kommen meist herein und auch meist eine, wenn auch kleinere
Zeitvergütung. Einen Modus für Versteigerungen habe ich
ebenfalls in der „Werkstatt der Kunst" vorgeschlagen. Je
mehr Werke, gleichviel auf welche weise, in die Welt
kommen und verbleiben, desto besser für den Künstler. Der
Franzose sagt: „Jedes Bild macht dir einen neuen Freund."
Nachdem wir die Mittel betrachtet haben, die sich
dem Künstler bieten, um gut vorwärts zu kommen, müssen
wir aber auch untersuchen, welchen Schädigungen er aus-
gesetzt ist. Für die größte Schädigung der Kunst halte ich
die heutige öffentliche Kritik. Dieser stand der Künstler
bisher wehrlos gegenüber, während jeder Geschäftsmann
kritiklos arbeitet und verkauft und gesetzlich geschützt ist
vor Aeußcrungen in der Geffentlichkeit und jede ungünstige
Kritik als Geschäftsstörung oder Ehrenbeleidigung anzeigen
kann, soll sich der Künstler von jeden:, der eine Feder halten
kann, der gar nichts zu verstehen braucht, öffentlich oft
in ungerechtester weise beleidigen lassen. Ich glaube, daß
es nicht notwendig ist, zu dulden, daß jeder, der Universität
oft noch angehörende Jüngling, der ein paar Jahre Kunst-
geschichte studiert oder geschwänzt hat, der Gymnasiast,
dessen Vater mit den: Redakteur bekannt ist, der Beamte,
der sich Jeilengeld machen will, den Künstler beleidigen
und in der Geffentlichkeit heruntersetzcn darf. Das Publikum
glaubt seiner Zeitung, weil cs meist nicht weiß, daß der
perr Kunstreferent von Kunst nichts versteht. Man möge
es nur einmal versuchen, alle Schimpfereien gerichtlich zu
belangen, cs werden sich schon Rechtsanwälte finden, die
 
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