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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 2.1910

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Landsberger, Franz: Anton Graff 1736-1813: zur Ausstellung bei Eduard Schulte
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https://doi.org/10.11588/diglit.24116#0071

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ANTON GRAFF 1736-1813

Exemplar der Berliner Bibliothek kaum von der Hand diefes Meifters herrühren möchte.
Ähnlich [teilt es mit den Porträts von Mendelsfohn, Sulzer u. a.; doch ift dabei zu berückfich-
tigen, daß manches Werk durch Reftauration verdorben wurde. Der Katalog ift in diefer
Beziehung infofern verwirrend, als er auch bei den Repliken das Entftehungsjahr des
Originals angibt, was gewiß nicht immer zutreffend ift. Überhaupt wäre es beffer ge-
wefen, dem Kataloge die Signierungen, foweit fie noch vorhanden, beizufügen, damit
man über das Feftftehende keine unnüße Zweifel hegt.

So muß man bei der Beurteilung der künftlerifchen Bedeutung Graffs, will man ihm
nicht Unrecht tun, fehr vorfichtig zu Werke gehen. Hätte man die Originale befonders
gruppiert — von einigen Werken, fo von dem Porträt der Frau Graff und ihrer Tochter,
find nur die Repliken zu fehen — fo würden die guten Qualitäten des Künftlers klarer
zutage treten. Auch muß man [ich hüten, Unbilliges zu fordern. Das 18. Jahrhundert
hatte fehr viel Sinn für das Charakteriftifche, aber nicht eigentlich für das Individuelle.
Es teilte die Menfchen in Temperamente und weiter in Charaktertgpen ein (nur fo war
ja die Phgfiognomik eines Lavater möglich), aber es konnte das fchlechthin Einmalfeiende
nicht recht begreifen, würde es doch auch in feine Gefelligkeit etwas Unheimliches, Spren-
gendes gebracht haben. Und die Menfchen felbft zeigten ja auch in der Tat damals mehr
Gemeinfames als Trennendes. Wenn man von einzelnen überragenden Größen abfieht,
fo gab es eine Fülle ziemlich gleich begabter, ähnlich wirkender Kräfte. Es ift mehr
als ein Zufall, daß Graff niemals Goethe porträtiert hat; fchon bei Herder, Schiller oder
Leffing blieb er der großen Perfönlichkeit manches fchuldig. Am beften gelangen ihm
Menfchen mittlerer Größe. Frauenporträts ßnd, wenn es [ich nicht um geiftvolle Frauen
handelte, wie um die Tochter Sulzers oder die Henriette Herz, nicht feine Stärke; fie haben
im Ausdruck oft etwas Fades. Schwerer wiegt es, daß die Gleichartigkeit feiner Porträts
zuweilen nicht auf eine ähnliche Betrachtungsweife kommt, fondern auf die Gleichförmig-
keit rein äußerlicher Malmittel, auf Routine. Sie war bei dem großen Betrieb nicht ganz
zu vermeiden, und die Engländer haben ihr noch weniger widerftanden; in den beften
Werken Graffs fehlt fie und nur an diefen follte man fich orientieren.

Die Fülle von Porträts bietet Gelegenheit, auch feiner Entwicklung nachzufpüren, und
ich kann, da die abfchließende Arbeit, die wir von Julius Vogel erwarten, noch nicht er-
fchienen ift, der Verfuchung nicht widerftehen, diefen Prozeß, lediglich nach dem darge-
botenen Material, zu fkizzieren.1 Für das Publikum ift diefe Entwicklung dadurch ver-
dunkelt, daß die Bilder nicht chronologifch gehangen find; die Ausftellung hätte dadurch
noch gewonnen, denn es intereffiert gewiß, allein die Entwicklung des Menfchentgpus
während eines halben Jahrhunderts zu verfolgen. Die frühen Werke — wenn man von
dem Bildnis feines Vaters (Nr. 1) abfieht, das eine ängftliche Naturabfchrift ift — gehören
der Rokokozeit an. Helle, porzellanene Töne, rafch wechfelnd, damit das Auge immer
wieder neue Reize koftet und gleichfam mit hüpfendem Sehen das Bild umfpielt. Die
franzöfifchen Maler von Rigaud und Largilliere an haben Pate geftanden. Als Probe
diene das Bildnis des Johann George, Chevalier de Saxe (1704—17742) vom Jahre 1768
(Nr. 7); der blaue goldbetreßte Rock, die gelben Hofen, das lilarote Tuch find apart zu-
fammengeftimmt; nur macht fich das Koftümliche auf Koften des Gefichtes bereit (Abb. 1).

1 Die Mutherfche Einteilung in drei Perioden (Leipzig 1881) läßt fich bei genauerem Zufehen
nicht aufrecht erhalten.

2 nicht 1764, wie der Katalog angibt, fo daß der Änfchein erweckt wird, als fei das Bild nach
dem Tode des Dargeftellten gemalt.

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